Читать книгу Tödlicher Nebenjob - Heidi Oehlmann - Страница 12
Samstag, 01.10.16, 19:59 Uhr
ОглавлениеAmelie hastete ins Piccolo, das italienische Restaurant, das Armin für den heutigen Termin als Treffpunkt angegeben hatte.
Im Vorraum wurde sie von einer Hand am Arm festgehalten. Sie war kurz davor zu schreien. Doch dann blickte sie Armin in die Augen und beruhigte sich. Sie hatte ihn einfach übersehen. Dabei war das kaum möglich. Er war groß und kräftig gebaut und somit unübersehbar.
»Schön, dass du es pünktlich geschafft hast«, sagte er und ließ sie los.
Amelie sah auf ihre Hand und strich sich über das Handgelenk. Sie spürte einen leichten Druck an der Stelle, an der Armin sie festgehalten hatte.
Er sah ihr zu und sagte: »Es tut mir leid! Ich wollte dir nicht wehtun!«
Sie erhob den Blick und nickte. »Schon gut. Handelt es sich heute um ein echtes Geschäftsessen?«
»Ja, meine Geschäftspartner sitzen bereits am Tisch. Ich hoffe, sie haben mich nicht gesehen, als ich hier auf dich gewartet habe.«
»Warum?«
»Du sollst heute Abend meine Frau spielen. Kriegst du das hin?«
»Ähm. Keine Ahnung. Ich weiß ja nichts über dich. Was ist, wenn die etwas fragen?«
»Stimmt. Wir haben jetzt auch keine Zeit mehr, um uns abzustimmen«, antwortete er nachdenklich. »Am besten redest du so wenig wie möglich und lässt mich antworten.«
»Okay«, sagte sie und war erleichtert.
»Jetzt müssen wir aber rein, sonst wird es zu spät.« Armin griff nach Amelies Hand und zog sie mit sich.
Beim Betreten des Gastraumes fielen alle Blicke auf das Paar. Amelie fühlte sich unwohl. Sie dachte an den letzten Abend mit dem Mann neben sich und bekam Sehnsucht, einfach davon zu laufen.
»Haben Sie reserviert?«, fragte der Kellner.
»Ja, auf den Namen Förster.«
»Die anderen sind schon da. Wenn Sie mir bitte folgen würden!«, antwortete der Kellner und ging voraus.
Das Paar folgte ihm.
Amelie wurde wacklig auf den Beinen. Mit jedem Schritt, den sie sich dem Tisch der Geschäftsmänner näherte, wurden ihre Beine schwerer. Sie fühlten sich an, als wären sie mit Blei ausgefüllt.
Die Männer am Tisch erhoben sich als sie das falsche Ehepaar entdeckten.
»Guten Abend!«, sagten die drei Anzugträger fast synchron.
»Guten Abend, die Herren. Darf ich vorstellen, das ist meine Frau Gloria und das sind die Herren John, Engel und Wiese.«
Der Reihe nach reichten die Männer der einzigen Frau in der Runde die Hand. Jeder der drei sagte etwas. Amelie hörte nicht zu. Sie nickte nur.
Nach der Begrüßung richtete Engel den Stuhl für sie aus. Sie nahm Platz. Die Herren setzten sich ebenfalls.
Sie saß zwischen Armin und Engel, sie fühlte sich in der Gesellschaft der geschniegelten Typen alles andere als gut. Unauffällig musterte sie jeden der Männer, um festzustellen, dass sie nicht wie typische Geschäftsmänner aussahen. Zumindest waren Geschäftsleute in ihrer Vorstellung anders, nicht so milchbubihaft und auch nicht so einfach gestrickt. In ihrer Fantasie sprachen solche Leute nur hochgestochenes Deutsch, das kein anderer außer ihnen verstand.
Der Kellner unterbrach Amelies Gedanken, indem er zuerst ihr und dann jedem der Herren eine Speisekarte reichte. »Darf es schon etwas zu trinken sein?« Er starrte die einzige Frau am Tisch an, um ihre Bestellung als erste aufzunehmen. Sie wusste nicht, was sie nehmen sollte. Ihr war nach etwas Hochprozentigem zumute. Gleichzeitig befürchtete sie, sie könnte für eine Alkoholikerin gehalten werden. Obwohl es ihr egal sein sollte, was andere über sie dachten, besonders diese Männer, die sie nie wieder sehen würde, wollte sie keinen schlechten Eindruck hinterlassen.
»Ein Mineralwasser, bitte!«, sagte sie nach einer Weile.
Aus den Augenwinkeln konnte sie Armin sehen. Er schien nicht so begeistert von ihrer Wahl zu sein. Das war seinem Gesicht deutlich anzusehen. Er hielt sich zurück und wartete, bis die Männer dem Kellner ihre Wünsche mitteilten - sie wählten alle ein alkoholisches Getränk - und gab seine Bestellung auf. »Ich hätte gern einen trockenen Weißwein. Meiner Frau können Sie auch einen bringen.«
»Also zwei Mal. Bleibt es trotzdem bei dem Wasser?«
»Ja«, antwortete Amelie entschlossen.
»Vielen Dank!«, sagte der Kellner und verließ den Tisch.
Die Männer studierten die Speisekarten. Amelie klappte ebenfalls die Karte auf, konnte sich aber für kein Gericht entscheiden. Sie hatte keinen Hunger und suchte nach einer kleinen Portion. Es gab zwar Speisen speziell für Kinder, aber es wäre ihr unangenehm so eine Kinderportion zu bestellen. Nervös rutschte sie auf ihrem Stuhl hin und her. Armin bemerkte das und stupste sie an. Sie zuckte kurz zusammen und konzentrierte sich, still zu sitzen.
Nach einigen Minuten kehrte der Kellner zurück. Die Männer hatten ihre Wahl längst getroffen. Ihre Speisekarten lagen zugeklappt auf dem Tisch. Nur Amelie hatte sich noch nicht entschieden.
»Sie haben gewählt oder soll ich in ein paar Minuten wieder kommen?«
»Ja, wir haben gewählt«, antwortete Armin. »Für mich und meine Frau bringen sie bitte das Tagesmenü.«
Amelie klappte die Karte zusammen und war erleichtert über Armins Einmischung. Bei ihrem ersten Treffen fand sie es noch unverschämt, aber an diesem Tag rettete es sie.
Die anderen drei am Tisch entschieden sich ebenfalls für das Menü des Tages.
Der Kellner nahm die Speisekarten und verschwand.
Die Männer unterhielten sich erst über etwas Geschäftliches. Amelie schnappte den Begriff Bauplanungen auf. Sie fragte sich, was die Herren beruflich machten. Bei der ersten Verabredung mit Armin sprachen sie nur über ihre Arbeit als Escortdame. Über seinen Beruf verloren sie kein Wort.
Sie lauschte dem Gespräch weiterhin. Aus der Unterhaltung konnte sie entnehmen, dass die drei Herren Armins Auftraggeber sein mussten.
Es dauerte nicht lange, bis sie das Thema wechselten und sich der einzigen Frau am Tisch widmeten.
»Und was machen sie beruflich?«, fragte John.
Amelie starrte ihn entsetzt an.
»Meine Frau muss nicht arbeiten«, kam Armin ihr zur Hilfe.
Sie spürte gleichermaßen Dankbarkeit für seine schnelle Rettung, aber auch Entsetzen über seine Kleinkariertheit. Er konnte sich für sie nichts Besseres als Hausfrau vorstellen. Das verletzte sie.
Sie zwang sich zu einem Lächeln und nickte.
»Das ist doch bestimmt toll, den ganzen Tag machen zu können, was man will, oder?«, fragte Wiese.
Amelie nickte erneut, obwohl sie keine Ahnung hatte, wie sich so viel Freizeit anfühlte. Nach ihrer Schicht im Supermarkt war sie so kaputt, da hatte sie kaum noch die Kraft für Freizeitaktivitäten. Die freie Zeit am Wochenende würde sich durch den Zweitjob auch rapide verkürzen. Wenn sie ehrlich war, machte es keinen Unterschied. Die Wochenenden verbrachte sie sowieso nur in ihrer Wohnung und nutzte die freien Stunden zum Putzen und Lesen.
John und Wiese stellten Amelie abwechselnd Fragen zu ihrer Person. Sie wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Meist sagte sie nichts und wartete, bis Armin ihr zur Hilfe kam. Er hatte auf jede Frage eine Antwort, aber die wenigsten davon gefielen ihr. Dennoch hielt sie sich zurück und redete kaum.
Als der Kellner das Essen an den Tisch brachte, konnte Amelie durchatmen. Sie zählte die Sekunden bis zum Ende dieses Abends. Insgeheim beschloss sie, sich nie wieder mit Armin zu treffen. Dieser Mann machte aus ihr an diesem Abend einen anderen Menschen. Er kannte sie zu wenig, um sie genau zu beschreiben. Es sollte auch nicht das Ziel des Geschäftsessens sein, fremden Männern ihren Charakter zu umschreiben. Bei vielen seiner Äußerungen fühlte sie sich aber als Frau vollkommen unterdrückt. Dieses Gefühl mochte sie nicht.