Читать книгу Tödlicher Nebenjob - Heidi Oehlmann - Страница 8
Samstag, 24.09.16, 19:24 Uhr
Оглавление»Wir telefonieren später!«, rief Rike, als sie ihre Kollegin vor dem Restaurant absetzte.
Amelie stand verloren vor dem Gebäude. Sie starrte es an, ohne sich zu bewegen. Vorbei laufende Passanten musterten sie. In ihrem Outfit fühlte sie sich vor den Leuten unwohl. Im Gegensatz zu allen anderen, die auf der Straße zu sehen waren, war sie aufgetakelt.
Bevor sie mit klopfendem Herzen das Restaurant betrat, atmete sie kräftig durch. Als kleine Motivationshilfe dachte sie an das Geld, das sie an diesem Abend verdienen würde. Das half ihr. Mit winzigen Schritten ging sie hinein.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte einer der Kellner, der sofort auf sie zugelaufen kam, als er sie entdeckte.
»Ähm, ich bin hier verabredet.«
»Haben Sie reserviert?«
Amelie starrte den Mann an. Sie bekam keinen Ton heraus und wurde rot.
Als sie bemerkte, wie ungeduldig ihr Gegenüber wurde, nickte sie und lächelte. »Er ist noch nicht da. Ich warte an der Bar«, flunkerte sie und schaute zu einem der Tische.
»Wenn Sie Hilfe brauchen, rufen Sie mich!«, antwortete der Kellner und wendete sich von ihr ab.
Amelie war erleichtert über den schnellen Abgang des Mannes. Nun stand sie vor dem nächsten Problem. Sie wusste nicht, wie sie ihren Kunden erkennen sollte. Die einzige Information, die sie hatte, war sein Name, den ihr Stella mitgeteilt hatte.
Amelie fand es unvorteilhaft, dass die Agenturchefin ihr vorher keine Fotos der Kunden zeigte. Dabei dachte sie, vor jeder Buchung könnte sie sich die Kunden anschauen und dann entscheiden, mit wem sie sich traf. So hatte sie Stella bei dem Gespräch in der Agentur zumindest verstanden.
Immerhin kannte sie seinen Namen. Er hieß Armin.
Amelie wollte aber nicht jeden Typen nach seinem Vornamen fragen und auch nicht, ob er mit einer Dame vom Begleitservice verabredet war. Sie hoffte darauf, von ihrem Kunden angesprochen zu werden und lief durch das Restaurant. Mit jedem Mann, der allein an einem Tisch saß, nahm sie Blickkontakt auf, aber keiner sprach sie an. Stattdessen glotzen sie Amelie nur an. Sie kam sich vor, als wäre sie die Attraktion des Abends. Verzweifelt ging sie an die Bar und setzte sich auf einen Hocker. »Einen Whisky bitte!«, sagte sie zu dem Mann hinter dem Tresen.
»Kommt sofort«, antwortete der Barmann, während er den Drink einschenkte. »Bitteschön!«
»Danke.« Amelie griff nach dem Glas, setzte es an den Mund und kippte den Inhalt mit einmal hinunter. Sie atmete tief durch. »Noch einen bitte!«
»Gerne.«
»Guten Abend!«, sagte ein Mann, der sich auf den Barhocker neben Amelie setzte. Er musterte sie dezent, sie merkte nichts davon.
Als sie den zweiten Whisky bekam, spülte sie ihn genauso hinunter, wie den ersten. Sie stellte das Glas ab und schaute nach links zu dem Mann, der kurz zuvor eingetroffen war. Er trug einen Anzug und machte einen gepflegten Eindruck. Ihr Blick fiel auf seine Hände, die auf der Theke abgelegt waren.
»Was darf es bei Ihnen sein?«, fragte der Kellner den Neuankömmling.
»Ein Bier bitte.«
Amelie lauschte seiner Stimme. Sie klang rau und doch irgendwie sanft. Am liebsten hätte sie ihn dazu aufgefordert weiter zu reden, damit sie dieser beruhigenden Stimme weiterhin zuhören konnte. Doch das verkniff sie sich. Stattdessen wanderte ihr Blick an dem Mann hinauf. Sie konnte ihm nicht in die Augen schauen, da er keine Anstalten machte, sich zu ihr zu drehen. Er starrte stur geradeaus. Amelie musste sich mit dem Anblick seines Profils zufriedengeben. Ihre Augen harrten auf jeder Stelle seines Kopfes einige Sekunden aus, so als wolle sie sich ihn genau einprägen. Als ihr Blick auf seinen Haaren lag, drehte er sich zur ihr. Hastig schaute sie weg. Sie spürte seine Blicke und fragte sich, ob er vielleicht ihr Date war. Die Überlegung verwarf sie schnell. Wenn er es wirklich wäre, hätte er sich doch zu erkennen gegeben.
Amelie wusste nicht, was sie tun sollte. Sie fühlte sich verloren und spielte mit dem Gedanken, sich auf den Heimweg zu machen und sich von der Idee, als Begleitdame ihr Geld zu verdienen, einfach zu verabschieden. Bevor sie sich erheben konnte, ließ sie eine Stimme zusammenzucken. »Gloria?«
Der Name kam ihr bekannt vor. Es war ihr Name, den Rike ausgesucht hatte. Diese raue und doch beruhigende Stimme gehörte dem Mann neben ihr. Amelie drehte sich langsam zu ihm und nickte.
»Wir sind miteinander verabredet«, sagte er und schaute ihr tief in die Augen. Ihr lief ein Schauer den Rücken hinunter.
»Dann sind Sie Armin?«, fragte sie so normal, wie sie konnte, um sich nichts anmerken zu lassen.
»Ja, der bin ich«, sagte er und lächelte sie an.
»Ich dachte, Sie hätten mich heute für ein Geschäftsessen gebucht«, sagte Amelie. Sie war irritiert, ihren ersten Kunden so ruhig an der Bar sitzen zu sehen. Immerhin war es inzwischen eine Viertelstunde nach der Zeit, zu der sie verabredet waren.
»Nein, das ist ausgefallen. Ich dachte, wir können uns auch so einen netten Abend machen. Und das Sie kannst du ebenfalls weglassen!«
Amelie wurde rot. Sie wollte sich nicht vorstellen, was bei ihm ein netter Abend hieß. Auch wenn er ihr sympathisch war, wollte sie nicht, dass er ihr zu nahe kam. »Okay«, sagte sie mit zittriger Stimme.
»Gut, wollen wir rüber an den Tisch gehen und etwas essen?«
»Gerne.«
Armin erhob sich und wartete, bis sie aufgestanden war.
Er ging voraus, zu einem Tisch in der hintersten Ecke.
Amelie war nicht wohl dabei, so abseits zu sitzen. Um sich zu beruhigen, redete sie sich ein, der Tisch wurde für das Geschäftsessen so weit weg vom Schuss gewählt, damit die Geschäftsleute sich in Ruhe unterhalten konnten.
Armin schob einen Stuhl zurück und blieb dahinter stehen. Er wartete, bis Amelie mit den Rücken zu ihm stand, und richtete das Möbelstück aus. Dann ging er zur anderen Seite des runden Tisches und setzte sich. Er legte die Arme auf die Tischplatte.
Amelie zog ihre Hände langsam zu sich. Ihr war der Tisch viel zu klein, um sich entspannen zu können. Sie wollte den Fremden nicht berühren. Gedanklich fragte sie sich, wie zwei Menschen hier sitzen und essen sollten, ohne sich dabei in die Quere zu kommen. Das Möbelstück erinnerte sie an einen zu hoch geratenen Couchtisch, der höchstens für eine Person zum Essen reichte. Langsam zweifelte sie daran, der Tisch könnte für das Geschäftsessen reserviert gewesen sein. Es machte ihr Angst. In ihrem Kopf tauchten die wildesten Bilder auf, wie dieser Abend ausgehen könnte.
Es dauerte nicht lange, bis der Kellner mit zwei Speisekarten vor dem Paar auftauchte und jedem eine in die Hand drückte.
»Wissen Sie schon, was Sie trinken wollen?«
»Ja, Weißwein«, antwortete Armin ohne seine Begleitung anzuschauen.
»Den Sie immer nehmen?«
»Ja.«
»Gut«, sagte der Kellner und verschwand.
Amelie schaute verdutzt aus der Wäsche. Für sie war es ungewohnt, dass jemand anderes für sie entschied. Nach der Trennung von Erik war sie auf sich alleine gestellt und musste selbst entscheiden, was gut für sie war.
Obwohl sie keinen Wein wollte, widersprach sie nicht. Sie redete sich ein, der Kunde sei König. Immerhin bezahlte er für den Abend. Da durfte sie keine Ansprüche stellen.
Kurze Zeit später kehrte der Kellner mit zwei Gläsern Weißwein zurück.
»Zwei Mal das Tagesmenü, bitte!«, bestimmte Armin ein weiteres Mal, ohne Amelie gefragt zu haben. Sie wusste nicht, was in dem Menü enthalten war. Wieder hielt sie den Mund und redete sich ein, ihr Gegenüber bezahle für ihre Zeit und ihr Essen. Also könne er auch bestimmen, was es gab.
»Darf ich fragen, wie lange du das schon machst?«, fragte Armin nach einer Weile.
»Ähm …«, stotterte Amelie. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Dass es ihr erster Einsatz als Begleitdame war, wollte sie auf keinen Fall erwähnen. Es wirkte in ihren Augen unprofessionell, sich als Anfängerin zu outen.
»Wie lange machen Sie … ähm, wie lange machst du das schon, ich meine Frauen mieten?«, konterte sie, in der Hoffnung, ihr Kunde würde auf eine Antwort verzichten.
Armin lachte laut los.
Amelie spürte, wie sie von den anderen Gästen beobachtet wurden. Sie konnte ihre Blicke fühlen, ohne sich zu ihnen zu drehen. Es war ihr unendlich peinlich. Warum musste sie ihrem ersten Kunden auch so eine dumme Frage stellen? Es stand ihr nicht zu, über solche Themen zu reden.
Sie sah Armin ernst an.
Er beruhigte sich allmählich und sagte: »Wie das klingt: Frauen mieten! Lange scheinst du das noch nicht zu machen.«
Amelie lief erneut rot an. Sie schaute nach unten und hoffte, der Abend würde schnell vorbei gehen.
»Also?«
»Was?«, fragte sie.
»Wie lange?«
Amelie wusste, sie kam um die Antwort nicht herum. Einen Moment überlegte sie, ob sie ihn anlügen sollte. Doch dann entschied sie sich dagegen. »Du bist mein erster Kunde«, sagte sie verlegen.
»So etwas dachte ich mir schon«, antwortete Armin amüsiert.
Ihr war die Situation unangenehm. Am liebsten wäre sie aufgestanden und gegangen, aber sie konnte nicht. Irgendetwas in ihr hielt sie fest, und es war nicht nur das Geld, was sie für ihre Anwesenheit bekommen sollte. Da war noch etwas anderes, ein Hauch von Neugier.
»Du willst wissen, warum ich das mache, ja?«, fragte Armin und schaute sie ernst an.
Amelie nickte.
»Nun ja, irgendwie hast du schon recht, wenn du sagst, dass Männer wie ich uns Frauen mieten. Ich arbeite sehr viel und habe einfach keine Zeit auf anderem Wege mit dem weiblichen Geschlecht in Kontakt zu kommen. Na ja und bei Geschäftsessen, wenn die Geschäftspartner ihre Ehefrauen mitbringen, sieht es immer besser aus, wenn man auch jemanden mitbringt.«
Amelie erinnerte sich an Rikes Worte. Sie erwähnte etwas von Stammkunden, bei denen sie sich als Ehefrau oder Freundin ausgeben musste. Was sie sich vor wenigen Stunden nicht vorstellen konnte, erlebte sie nun selbst. Armin gehörte zu den Männern, die eine gemietete Frau zum Vorzeigen brauchten.
»Wie … Ähm, wie häufig wechselst du die Frauen? Ist es nicht sinnvoller immer mit derselben aufzutauchen?«
»Nicht unbedingt. Ich gehe ja nicht immer mit den gleichen Leuten essen«, antwortete Armin und grinste dabei. »Hast du sonst noch irgendwelche Fragen?«
»Nein.« Sie lächelte verlegen.
»Dann habe ich noch eine. Warum machst du den Job? Ist es das Geld oder wolltest du etwas Neues ausprobieren?«
Amelie zögerte. Rike hatte ihr geraten, nicht zu viel Privates von sich preiszugeben. Nicht umsonst gab es zum Schutz der Privatsphäre die Künstlernamen. Kein Kunde sollte die wahre Identität der Dienstleisterinnen herausbekommen. Diskretion in alle Richtungen war oberste Priorität.
Amelie überlegte, ob sie Armin erzählen sollte, wie sie zu diesem Job kam. Sie entschied sich aber, den wahren Grund für sich zu behalten. Warum sollte sie auch mit einem Fremden über ihre privaten Sorgen reden?
»Es ist das Geld«, sagte sie nach einer Weile verlegen.
»Nur wegen des Geldes? Gibt es keinen anderen Beruf, der dich interessiert und wo du gut verdienst?«
Sie war schockiert über diese direkte Frage. Das war ihr auch anzusehen.
»Es tut mir leid! Ich wollte dir nicht zu nahe treten«, entschuldigte sich Armin hastig und nippte an seinem Glas.
Amelie schwieg. Sie wollte keine Vorlagen für neue unangenehme Themen bieten. Sie wusste, der Abend war gelaufen. Dennoch versuchte sie, sich zusammenzureißen. Sie war erleichtert, als der Kellner das Essen brachte und vor ihnen abstellte.
Beide begannen schweigend zu essen und beobachteten sich heimlich gegenseitig. Sobald sich ihre Blicke trafen, schauten sie weg, um sich nach einer Weile wieder anzuschauen.
Mit jedem Bissen verschwand Amelies Appetit. Als ihr Teller zur Hälfte geleert war, stocherte sie nur noch in ihrem Essen herum.
Armin hingegen schien einen Bärenhunger zu haben, vielleicht schmeckten ihm die Garnelen mit Salat auch nur gut.
Nachdem das Ende der Vorspeise eingeläutet war, indem Armin seinen Teller geleert hatte, machte sich Amelie Gedanken. Sie fragte sich, wie viele Gänge noch kommen sollten und wie der Abend weitergehen würde. Am liebsten wäre sie sofort nach Hause gefahren, aber das konnte sie nicht machen. Sie wusste, wenn sie jetzt ging, würde er sich beschweren und sie keinen Cent für dieses Treffen bekommen. Sie musste sich zusammennehmen.
»Da kommt schon der nächste Gang«, riss er sie aus ihren Gedanken.
Amelie sah dem Kellner gespannt zu, wie er das Essen auf dem Tisch platzierte. Auf jedem Teller waren Kartoffeln, ein Steak und Gemüse angerichtet. Das musste die Hauptspeise sein. Wenn sie Glück hatte, würde es dann nur noch ein Dessert geben und das Abendessen wäre beendet. Sie starrte auf den Teller. Das Essen sah verlockend aus. Wenn sie nicht ausgerechnet mit diesem Mann an dem Tisch gesessen hätte, wäre ihr Essen längst verschwunden. Da war sie sich sicher, aber in dieser Situation tat ihr jeder Bissen weh. Sie hatte das Gefühl, jeder noch so kleine Happen vermehrte sich in ihrem Mund und verstopfte ihre Speiseröhre. Immer wieder dachte sie, sie könnte jeden Augenblick ersticken. Als sie es nicht mehr aushielt, stocherte sie in den Resten herum und wartete, bis Armin fertig war.
Er genoss seinen Hauptgang und aß sehr langsam, für Amelie zu langsam. Sie beobachtete ihn, wie er die Gabel füllte, zu seinem Mund führte und kaute. Sie lauerte darauf, dass er anfing, zu schmatzen oder zu sabbern, aber das geschah nicht.
Jedes Mal, wenn er sich Essen in den Mund schaufelte, schaute er sie an. Amelie hatte immer das Gefühl, er könnte wieder eine unpassende Frage stellen.
Als sein Teller leer war, atmete sie innerlich auf. Sie hoffte, die Nachspeise würde er schneller essen und das Date - wenn man es so nennen konnte - beenden.
Es dauerte einige Minuten, bis der Kellner kam und den Tisch abräumte. Kurz darauf kehrte er mit zwei Glasschälchen zurück, die er vor ihnen abstellte.
In den Schälchen befand sich Eis mit Sahne. Amelie hasste Sahne und schob ihr Dessert zur Seite.
»Keinen Hunger mehr?«, fragte Armin.
Sie schüttelte den Kopf und sah ihm erneut beim Essen zu.
Als er nach einer gefühlten Ewigkeit endlich fertig war, hoffte Amelie, die Verabredung sei nun zu Ende, aber da täuschte sie sich gewaltig.
»Wollen wir noch was trinken gehen?«, fragte er.
Aus Angst, ihr Honorar nicht zu bekommen, nickte sie.
Armin bezahlte und beide brachen auf. Sie fuhren in seinem Luxusschlitten in die Innenstadt und gingen in eine Bar.