Читать книгу Tambara und das Geheimnis von Kreta - Heike M. Major - Страница 18

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Den Frauen hatte Reb verschwiegen, dass er sich seinen Roller vom Festland hatte schicken lassen. Nur bei seinem eigenen Fahrzeug konnte er sicher sein, dass sich kein Unbefugter an ihm zu schaffen gemacht hatte. Ein streng geheimer Neutralisierungsmechanismus des Medienkonzerns schaltete bei Bedarf jedweden unerwünschten Funkkontakt ab und löschte obendrein in kurzen Abständen die gefahrenen Routen, sodass die Fahrten für Außenstehende nur schwer nachzuvollziehen waren. Vom Hafen aus hatte er sich mit Mortues auf den Weg zu dieser seltsamen Schlucht gemacht. Souls alte Karte war Gold wert, und nach einer erfrischenden Fahrt durch die kretische Landschaft standen sie nun am Felsrand und schauten in den Abgrund.

„Da kann einem schon schwindelig werden“, meinte Mortues beim Blick in die Tiefe.

„Wir müssen den Einstieg suchen“, sagte Reb. „Von dort unten sieht das bestimmt nicht mehr so bedrohlich aus.“

„Das meinst du doch nicht wirklich, oder?“

„Früher sind Massen von Touristen hier durchgewandert, dann werden wir doch wohl ein paar Meter in die Schlucht hineinlaufen können.“

„Kommt darauf an, was du mit ein paar Metern meinst.“

Die Männer stiegen wieder auf ihren Roller, und Reb lenkte die Maschine behutsam am Rande der Schlucht entlang. Er fuhr sehr vorsichtig und mit dem entsprechenden Abstand zum Abgrund, um sich und seinen Freund im Falle eines Sturzes nicht in Gefahr zu bringen. Er hatte gehofft, die gesamte Strecke bis zum Eingang auf diese Weise bewältigen zu können, doch schon nach einer kurzen Weile wurde der Boden so unwirtlich, dass sie auf die Straße zurückkehren mussten. Diese wiederum führte sie immer weiter weg von der Schlucht und schlängelte sich auch noch in gefährlichen Serpentinen an unzähligen zerklüfteten Berghängen vorbei, sodass die beiden Männer schließlich vollkommen die Orientierung verloren. Reb lenkte den Roller an den Straßenrand und stellte den Motor ab.

„Mist, so zerklüftet hatte ich mir die Landschaft gar nicht vorgestellt“, murmelte er.

„Du bist nicht in der Stadt“, flötete Mortues, während er Souls unbeugsam belehrenden Unterton imitierte.

Reb lächelte, zog zum wiederholten Male Souls Karte aus der Jackentasche und breitete sie auf dem Lenker aus.

„Könntest du nicht vielleicht doch … das Navi …?“, fragte Mortues vorsichtig.

Ein strafender Blick traf ihn, denn natürlich wusste auch Mortues, dass bei einer Anfrage an das Satellitensystem notwendigerweise der Störungsmechanismus ausgeschaltet würde und ihre Fahrt dann von jedem Anwender mit ein wenig Sachverstand verfolgt werden konnte.

„Meinst du nicht, dass wir das Ganze vielleicht ein wenig zu ernst nehmen. So wichtig sind wir doch nun wirklich nicht, als dass sich die Öffentlichkeit für uns interessiert.“

„Das kann sich schnell ändern“, entgegnete Reb, der immer noch mit seiner Karte beschäftigt war. „Wir brauchen nur auf etwas Verwertbares zu stoßen, und schon haben wir genau diese Öffentlichkeit am Hals. Und je nachdem, was wir fänden, würden sich mit Sicherheit noch ganz andere Leute für uns interessieren.“

Reb wusste selber nicht so genau, wen er mit „andere Leute“ meinte, hoffte aber auf diese Weise seinen Freund von der Notwendigkeit absoluter Geheimhaltung zu überzeugen.

„Schau, der Einstieg ist hier ganz in der Nähe.“

Mortues ließ sich überreden, und ein paar Minuten später erreichten die beiden tatsächlich die Stelle, die Reb auf der Karte ausfindig gemacht hatte. Sie stellten die Maschine im Schatten eines Olivenbaumes ab, schnappten sich ihre Rucksäcke und begaben sich an den Abstieg.

„Hast du auch dein Technikarmband abgestellt?“, vergewisserte sich Mortues, als sie nach einer zehnminütigen Kletterpartie den Grund der Schlucht erreichten.

„Deine Frage kommt ein wenig spät, findest du nicht?“, entgegnete Reb.

Mortues ging nicht darauf ein.

„Nur schade, dass wir ohne Technikarmband keine Fotos machen können“, sagte er stattdessen. „Das ist wirklich ein grandioses Schauspiel. Guck dir diese Felsformation an.“

Während sein Blick die majestätische Steilwand hinaufglitt, legte er den Kopf in den Nacken und musste sich ein wenig nach hinten beugen, um hoch über ihm den Rand der Schlucht auszumachen.

„Mein lieber Junge“, erwiderte Reb, „du vergisst, dass ich Journalist bin und mir Möglichkeiten zur Verfügung stehen, die dem Normalbürger auf ewig verschlossen bleiben.“

„Wie meinst du das? Hast du ein Technikarmband ohne Anbindung an das öffentliche Netz? So etwas gibt es doch heutzutage gar nicht mehr.“

„Ich habe etwas viel Besseres.“

Besser als ein Technikarmband?“

„Besser als ein Technikarmband ohne Netzanbindung.“

„Komm, nun sag schon …“

„Meine Sonnenbrille.“

Reb schob das Designermodell über die Stirn auf seinen dunkelblonden Haarschopf.

„Extra für mich angefertigt, nur für Bilder und als Aufnahmegerät zu verwenden, ohne Anbindung an die übrige technische Welt.“

„Fantastisch“, freute sich Mortues, „komm, schieß ein Foto von mir, so wie es die Touristen früher gemacht haben.“

Er suchte sich eine Stelle inmitten des Flussbettes aus und stellte sich demonstrativ in Positur.

Reb ging ein paar Schritte zurück, setzte seine Brille wieder auf die Nase, betrachtete Mortues eingehend, bestätigte die fotogene Haltung des Freundes mit einem „Okay“ und schickte sich an, die Wanderung fortzusetzen.

„He, willst du nicht auf den Auslöser drücken?“, protestierte sein Freund.

„Habe ich bereits, der Sprachbefehl heißt ‚Okay‘. Man kann auch auf den Bügel drücken, das sieht dann so aus, als würde man die Brille zurechtrücken. Die Bilder dokumentieren so ziemlich genau das, was du durch die Gläser siehst.“

„Beeindruckend“, gab Mortues zu, „aber hältst du das Auslösewort wirklich für geeignet? Überleg mal, wie oft jemand in deiner Umgebung ein ‚Okay‘ von sich gibt. Dann schießt die Brille doch jedes Mal ein Bild. Oder hast du es auf deine Stimmfrequenz eingestellt?“

„Nein, dazu war ich zu faul.“

„Aber das holst du nach.“

„Bei der nächsten Gelegenheit.“

„Okay“, schloss Mortues die Diskussion, nicht ganz überzeugt, „dann lass uns losgehen. Du musst wissen, was du tust.“

Reb blickte durch die Brille. Sie hatte gerade die Steine zu seinen Füßen fotografiert.

Die beiden Männer schritten zügig voran. Schon nach ein paar Hundert Metern fingen sie an zu schwitzen. Die Sonne brannte gnadenlos auf ihre Scheitel, sie setzten ihre Schirmmützen auf und zogen sie tief in die Stirn. Hatten sie anfangs noch Auffälligkeiten am Wegesrand mit einem „Ach, guck mal!“ oder „Erstaunlich!“ kommentiert, verstummten nach und nach ihre Gespräche. Der Weg war uneben und voller Überraschungen. Die groben, teils faustgroßen Steine ließen in dem fast ausgetrockneten Flussbett keinen festen Stand zu. Sie drehten sich, rutschten oder rollten zur Seite, wenn man auf sie trat, und ständig liefen die Freunde Gefahr, an ihnen abzugleiten oder umzuknicken. Rinnsale von Wasser, die das Flussbett durchzogen, ließen den Grund darunter verschwimmen, und selbst der grobe Sand in Ufernähe gab unter dem Gewicht der erwachsenen Männer bei jedem Schritt ein wenig nach, sodass sie höllisch aufpassen mussten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Ab und zu huschte eine Eidechse über ihren Weg, und dauernd sausten irgendwelche Insekten um sie herum, die Gott sei Dank meist keinen Gefallen an ihrer Person fanden. Mortues schlug ein paarmal mit der Hand nach einigen allzu aufdringlichen Gesellen, gab aber auch das bald auf.

Nach einer halben Stunde legten die Männer im Schatten der Felswand eine Pause ein.

Mortues wischte sich den Schweiß von der Stirn.

„Wir erkunden nicht die ganze Schlucht, nehme ich an, oder?“

„Sieht ganz so aus.“

Reb zog eine Flasche Wasser aus seinem Rucksack und trank einen Schluck.

„Was heißt, sieht so aus?“

„Na ja, wenn wir nichts finden …“

„… wandern wir weiter bis zur anderen Seite und den gleichen Weg bis zu deinem Roller wieder zurück?“, entrüstete sich Mortues.

„Einer von uns könnte alleine weitergehen und der andere die Maschine zum gegenüberliegenden Ausgang fahren“, überlegte Reb.

„Und wer, bitte schön, soll das sein? Ich werde nicht alleine durch diese Wildnis laufen, und wenn du gehst und dir unterwegs etwas zustößt, warte ich am anderen Ende vergebens auf dich.“

„Das könnte allerdings passieren.“

Er betrachtete den vor ihnen liegenden Wegabschnitt. Weit konnten die Männer nicht sehen, weil die Schlucht an dieser Stelle eine Biegung machte und den Blick hinter die Kurve verwehrte.

„Es sieht sowieso so aus, als würde uns in den nächsten Stunden nichts anderes erwarten als das, was wir bereits gesehen haben“, ergänzte er und blickte auf die dicken, runden Steine zu seinen Füßen.

„Siehst du, jetzt wirst du vernünftig“, erwiderte Mortues erleichtert.

Reb überlegte.

„Wir könnten auch mit dem Motorrad zur anderen Seite fahren und von dort ein Stück in die Schlucht hineinlaufen.“

„Das hört sich schon besser an.“

Mortues sprang erleichtert auf.

„Okay, dann lass uns zurückgehen, bevor du es dir anders überlegst.“

Der Rückweg erschien ihnen kürzer als die Strecke, die sie in die Schlucht hineingelaufen waren. Reb wunderte sich, wie gut sie nun schon mit den natürlichen Gegebenheiten zurechtkamen. Es bereitete ihm sogar ein wenig Vergnügen, nicht genau zu wissen, wie die Steine unter seinen Füßen beim nächsten Schritt auf sein Gewicht reagierten, und mit Genugtuung stellte er fest, dass der Mensch auch im Zeitalter von blank polierten Kunststoffböden und synthetischen Hightech-Straßen es anscheinend nicht verlernt hatte, sich auf Unebenheiten im Erdreich einzustellen.

Sie erreichten den Roller ohne Probleme und machten sich erneut auf den Weg. Während sie mit lautem Getöse über die gut ausgebaute Straße brausten, betrachtete Reb die menschenleere Landschaft, die sie umgab. Ausladende Berge, weitläufige Täler, schroffe, zerborstene Hänge, die mit Moos bewachsen waren …, wenn die Gegend auch karg und rau war, an einem hatte sie wirklich nicht gespart: an Größe und Weite, schlicht Grandiosität. Seltsam klein kam Reb sich plötzlich vor, und fast hatte er ein schlechtes Gewissen ob seines lautstarken Rollers, dessen penetrantes Getöse die andächtige Stille dieser Landschaft so brachial durchbrach.

„Als wären wir die einzigen Menschen auf dieser Erde“, rief er nach hinten zu Mortues hinüber.“

„Wie bitte?“

„Ach, nichts.“

Man verstand sich so schlecht bei dem Krach. Reb sagte nichts mehr und genoss stattdessen den Blick auf das kraftvolle Grün dieser herben Landschaft, das sich auch hier schon, bedingt durch den Mangel an Regen und die steigenden Temperaturen, in ein unattraktives Braun zu verwandeln begann.

Am anderen Ende der Schlucht erweckte ein kleines, verfallenes Häuschen ihre Aufmerksamkeit. Ein verwitterter, von Gras überwucherter Holzstamm – früher wahrscheinlich als Schlagbaum genutzt – lag auf der Erde daneben. Es sah aus, als hätten die ehemaligen Touristen hier für ihren Einlass zahlen müssen.

„Natur scheint es auch damals schon nicht umsonst gegeben zu haben“, bemerkte Mortues ironisch.

Auf der Fahrt hierher hatten sie nichts Ungewöhnliches entdecken können. Nur eine alte Hütte war ihnen aufgefallen, die aber so weit und so tief in der Schlucht stand, dass kein Mensch sie durch einen einfachen Fußmarsch hätte erreichen können. Für Geheimnisse schien sie den Männern nicht geeignet. Wer sich die Mühe machte, bis dorthin vorzudringen, würde nur einen einzigen, wohl kaum zuverlässig zu sichernden Raum vorfinden. Aber zur Vorsicht hatte Reb sie von oben mit seiner Brille fotografiert.

Nach einer weiteren Viertelstunde in der Schlucht gaben die Männer auf. Die Sonne war zu heiß, das Gelände zu uneben, sie hatten ihre Kräfte vollkommen überschätzt. Ob sie den Frauen von ihrer erfolglosen Tour berichten sollten? Zumindest müssten sie den Roller erklären. Sie entschieden sich zunächst für einen Abstecher zum Strand und gönnten ihrem erhitzten Körper ein erfrischendes Bad. Während sie sich am Ufer von der Sonne trocknen ließen, entdeckte Reb in der Ferne ein altes Ruderboot.

„Du, schau mal, das ist bestimmt noch aus Holz.“

Er stand auf, um es sich anzusehen.

„Ich finde, für heute reicht es“, brummte Mortues und lief verärgert hinter ihm her, als ihnen ein Mann entgegenkam, der auf das Boot zusteuerte.

Er war gekleidet wie ein Fischer, seine Hose ein wenig zerknittert, das Hemd darüber sah aus, als hätte es die schwerste Arbeit des Tages bereits hinter sich. Der Fischer schien sich nicht an ihnen zu stören, er stieg ohne ein Grußwort in den Kahn und ruderte davon.

„Na, freundlich ist der ja nicht gerade“, maulte Mortues. „Schieß wenigstens ein Foto von ihm.“

„Okay.“

„Noch eines.“

„Okay, okay …, okay, okay, okay.“

Sie erreichten die Stelle, an der das Boot gelegen hatte, fanden aber keinerlei Abdrücke im Sand.

„Als wäre es gar nicht da gewesen“, stellte Mortues fest.

Reb machte ein Foto von den nicht vorhandenen Spuren.

Tambara und das Geheimnis von Kreta

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