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Soul hatte schlechte Laune. Gerne hätte sie ihren Bruder auf der Reise nach Kreta begleitet, doch die Regierung war nicht gewillt, einer Musikfachfrau den Besuch eines Naturreservates zu gestatten.

„Keine ausreichende Begründung für eine Angestellte des Musikkonzerns“, hieß es bei jeder ihrer Anfragen.

Noch immer fiel es den Behörden schwer, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Lange Zeit waren Net-Seiten von privaten Nutzern, die sich mit unproduktiven, der Wirtschaft nicht zuarbeitenden Themen befasst hatten, von der Regierung gelöscht worden. In einer Gesellschaft, die strengen Optimierungsprozessen unterlag und in der stets nur das wirtschaftlich einträglichste Produkt überleben konnte, war irgendwann auch der Mensch nur noch als Kunde oder Produzent interessant gewesen. Zwar hatte es nie Verbote bezüglich der Erforschung natürlicher Landschaften gegeben, doch war das Wissen über das Zusammenleben unterschiedlicher biologischer Kreaturen während jahrhundertelanger Forschung zur Optimierung des städtischen Alltags verloren gegangen. Auch ernsthaft interessierte Bürger fanden im Net kaum noch Informationen, denn Themen dieser Art konnten weder die Konsumfreude steigern noch einen Beitrag zur Produktverbesserung leisten. Wer es dennoch versuchte, wurde selten fündig. Man kannte sich einfach nicht mehr aus. Erst als einige Bürger anfingen, Auszüge aus eigenen privaten Büchern ins Net zu stellen, entdeckten auch andere Städter verborgene Schätze aus alten Erbschaften und stellten diese ebenfalls der Allgemeinheit zur Verfügung. Die Regierung, die fürchtete, die neuen Informationen könnten Unruhe stiften und den Bürgern wertvolle Energie rauben, die doch besser der Wirtschaft zugutekommen sollte, fing an, die Seiten zu löschen. Wer dem Müßiggang frönte, stundenlang in der Sonne spazieren ging oder auf einer Bank im (mit Kunststoffbäumen bestückten) Park über Gott und die Welt nachdachte, konnte weder einkaufen noch produzieren. Mittlerweile hatten sich die Behörden aufgrund des öffentlichen Drucks zwar zu einer Öffnung entschlossen, doch wollte man sicherheitshalber erst nur einige wenige Projekte realisieren und abwarten, wie die Bevölkerung mit der neu gewonnenen Freiheit umging.

Soul redete auf ihren Computer ein.

„Kreta – Vergangenheit …, löschen, Kreta – Insel – Altertum …, löschen …“

Die Seiten, die es über die Insel gab, waren hauptsächlich neueren Datums und beschrieben das aktuelle Projekt, doch wenn es um Themen aus der Vergangenheit ging, hatte die Maschine keine Antworten parat. Obwohl der Medienkonzern regelmäßig mit der Regierung kommunizierte und um eine Freigabe der alten Datenbanken bat, sträubten sich die Behörden weiterhin gegen eine umfassende Informationspolitik.

„Zu gefährlich, Wirkung nicht absehbar“, hieß es immer wieder.

Die Bewohner der Stadt Tambara, die in einer perfekten, fest gefügten Kunststoffwelt aufgewachsen waren, in einer Welt, in der es keine Entwicklung gab ohne den Eingriff des Menschen, kämen mit dieser sich eigenständig entwickelnden Natur nicht zurecht, fürchteten die Behörden. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie aus Unkenntnis oder falscher Einschätzung des Natürlichen in irgendwelche Gefahren hineinstolperten, war schlichtweg zu groß. Diesem Argument konnte der Medienkonzern nichts entgegensetzen, und so blieb es vorerst bei der begrenzten Datenfreigabe.

Ebenso verhalten ging man bei der Auswahl der Freiwilligen für das Kreta-Projekt vor. Wer eine Erlaubnis erhielt, musste sich im Vorfeld einer intensiven Schulung unterziehen. In wochenlangen Kursen lernten die Teilnehmer über Erde, Wiese und unregelmäßige Pflastersteine zu gehen, keine Angst vor harmlosen Tieren zu haben, wertvolle Pflanzen von bloßem Unkraut zu unterscheiden und dornenbestückte Rosen mit bloßen Händen anzufassen. Auch Reb hatte sich solch einer Prozedur unterziehen müssen, und Soul war die Teilnahme an diesem Seminar wegen der anfangs noch geringen Nachfrage zwar erlaubt worden – vielleicht hatte auch Sir W.I.T. wieder seine Beziehungen spielen lassen –, aber eine Reisegenehmigung blieb ihr vorerst verwehrt.

„Kreta – Natur – früher …“, versuchte Soul ihr Glück noch einmal.

„Keine Ergebnisse gefunden“, bestätigte der Computer.

„Meine Güte, du dummes Ding“, schimpfte sie, „hast du nicht endlich mal etwas Brauchbares anzubieten?“

„Güte – dummes Ding – Brauchbares“, suchte der Computer.

„Ach, du hast mich nicht verstanden“, ärgerte sich Soul.

„Nicht verstanden – möchten Sie eine Übersetzung?“, fragte die Maschine.

„Nein, es ist ja doch nutzlos“, fluchte Soul und wollte gerade den Befehl zum Abschalten geben, als auf dem Monitor Artikel zu dem Wort „nutzlos“ erschienen.

„Meinten Sie ‚nutzlos‘ oder ‚von Nutzen‘?“, suchte der Computer nach einer Ergänzung. „‚Nutzlos‘ ist ein äußerst seltener Begriff. Wir bevorzugen Aktionen, die für uns ‚von Nutzen‘ sind.“

„Du vielleicht“, stöhnte Soul entnervt.

„Möchten Sie eine der Dateien öffnen?“, wollte der Computer wissen.

„Ja, mein Gott, öffnen – die oberste“, befahl sie.

„Besonders groß war der Protest in der Stadt Tambara …“

Soul schoss das Blut in die Adern, als sie den Artikel durchlas.

„… Die Forschungsergebnisse wurden als nicht förderungswürdig eingestuft, weil sie der Wirtschaft keinen Nutzen brachten. Nachdem er von sämtlichen Konzernen der Stadt abgewiesen worden war – immer hieß es: ‚nicht von Interesse, vergangen, nicht zeitgemäß, nutzlos, unproduktiv, gefährlich‘ –, zog sich der junge Mann enttäuscht auf seine Heimatinsel Kreta zurück, wo er fortan ein bescheidenes, zurückgezogenes Leben führte.“

Soul suchte das Einstelldatum. Die Seite war ungefähr hundert Jahre alt. In einer Zeit der allumfassenden medizinischen Vorsorge, des synthetischen Blutes und nachwachsender Labororgane konnte es gut sein, dass dieser Wissenschaftler noch lebte. Merkwürdig, dass solch eine Seite nicht vollständig gelöscht worden war. Aber vielleicht sollten die Bürger hier ja auch aus erster Hand erfahren, dass die Beschäftigung mit dieser speziellen Art von Thematik zu absolut nichts führte.

Soul schob den Stuhl zurück, indem sie sich mit den Zehen vom Schreibtisch abstieß, ließ ihren Fuß gleich oben auf der Tischplatte liegen und platzierte den zweiten darüber. Sie lehnte sich zurück und ließ die Arme über die Rückenlehne nach unten baumeln. So saß sie eine ganze Weile. Dann setzte sie sich plötzlich auf.

„Uninteressant“, höhnte sie, „das werden wir ja sehen. Es sollte sich doch herausfinden lassen, um welche Forschungsergebnisse es sich handelte.“

Sie schickte die Seite ihrem Bruder auf sein Technikarmband.

Tambara und das Geheimnis von Kreta

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