Читать книгу Trau dich - Heike Malisic - Страница 17

… Beate

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»Würde dich interessieren, was meine beiden schlechtesten Vorträge überhaupt waren?«, frage ich Heike. Sie nickt begeistert. Ich schweige. Davon habe ich bisher noch keinem erzählt, nur meinem Mann. Peinlich genug, dass es überhaupt passiert ist. Aber weil Heike und ich ja versprochen haben, auch von unseren Pleiten, Pech und Pannen zu berichten, wird Heike die beiden Geschichten also lesen können, wenn ich sie nun aus der Dunkelkammer hervorhole – und du auch.

Zunächst mal: Ich brauche keine Bühne. Ich reiße mich nicht um Sprechertermine in aller Welt. Ich sehe mich eher als Talentsucherin, die für andere die Bühne vorbereitet und ihnen den Auftritt überlässt.

Aber ich liebe das Zusammensein mit Menschen und gebe gerne Impulse. Das trifft es so ziemlich. Menschen zusammenbringen. Impulse geben. Prozesse anstoßen. In Einzelpersonen. Aber auch im größeren Stil. Wenn ich als Sprecherin angefragt werde, wäge ich vorher gut ab.

Ich habe im Lauf der Jahre Hunderte Vorträge gehalten. Manche wurden zu Sternstunden, die ich nie vergessen werde. Wo ich über mich hinausgewachsen bin. Wo der Funke übergesprungen ist. Vorträge, die mitten ins Herz der Zuhörer trafen. Dann gab es unzählige Vorträge, wo ich wusste: Es war gut. Ich war richtig. Ich habe den Punkt getroffen. Ich habe Herzen berührt. Und ich bin dankbar und zufrieden nach Hause gefahren.

Und dann gab es diese beiden Katastrophen.

Ich fuhr fröhlich und gut vorbereitet zu einem vermeintlichen Frauenabend. Thema war: »Mein Körper, Freund oder Feind«. Den Vortrag hatte ich schon oft gehalten und habe verschiedene Versionen davon, ich könnte ihn ohne Konzept und im Schlaf halten. Natürlich ist bei mir kein Vortrag wie der andere, ich erzähle neue Beispiele und gehe spontan auf die Situation der Anwesenden ein.

Als ich mit dem Auto vorfuhr, schwante mir, dass das eine richtig große Nummer wird. Männer und Frauen waren noch eifrig beschäftigt, die Halle vorzubereiten, und es erwartete uns ein sagenhaftes Willkommensbüfett. Die Größe der Veranstaltung war nicht das, was mich beunruhigte. Es waren die vielen Männer, die offensichtlich vorhatten, alle bei meinem Vortrag dabei zu sein. Ich stutzte. War das nicht explizit ein Abend für Frauen?

Ich habe überhaupt kein Problem damit, dass Männer meinem Vortrag zuhören, wenn ich das vorher weiß, aber bei diesem Thema hatte ich wirklich nur typisch feminine Beispiele eingebaut. Mein Gefühl trog mich nicht. Mir war die Tatsache entgangen, dass das ein offener Abend für alle war, zum Thema »Gesundheit«.

In meinem Kopf versuchte ich krampfhaft, die weibliche Note, die meinen Vortrag durchzog, durch neutralere Beispiele zu ersetzen. Ich kämpfte um jeden Absatz. Meine Zunge klebte am Gaumen und meine Augen am Konzept, das ich sonst frei vorgetragen hätte. Gefühlt stand ich bis zu den Knien im Schweiß. Wie viele der Zuhörer gemerkt haben, dass der Abend für mich der Super-GAU war, ahne ich nicht. Ein netter älterer Herr, der sich als Organisator der Veranstaltung herausstellte, lächelte mir auf jeden Fall zum Abschied freundlich zu und empfahl, mir allmählich eine Lesebrille zuzulegen, damit ich in Zukunft keine Schwierigkeiten habe, mein Konzept zu lesen.

Die ganze Heimfahrt biss ich mir auf die Zunge vor Scham. Hyperventilierte. Verstand nicht, wie mir so etwas Peinliches hatte passieren können. Und hoffte, hoffte von ganzem Herzen, das wenigstens einer der Zuhörer etwas mitnehmen konnte. Erstaunlicherweise habe ich genau auf diesen Vortrag noch viele Reaktionen bekommen.

Ich hatte sehr offen von meinem Jahr Magersucht erzählt und wie meine Geschichte weitergegangen ist. Und anscheinend konnte ich genau mit diesem Punkt einigen Anwesenden, übrigens auch Männern, wirklich Hoffnung machen. So war die Blamage auf jeden Fall nicht umsonst. Ich hatte mich durch meine Offenheit verletzlich gemacht und dadurch Herzen berührt.

Das zweite Desaster war schlimmer. Wieder fuhr ich fröhlich und bestens vorbereitet zu einem Frauenabend. Das Thema: »Wenn nichts läuft, wie es soll«. Und es lief wirklich nichts, wie es sollte. Auch diesen Vortrag hatte ich schon oft gehalten, trotzdem war ich jeden Punkt noch einmal einzeln durchgegangen. Wenn ich einen Vortrag halte, will ich weniger ein Thema präsentieren. Ich will mehr als Wissen vermitteln. Ich will die Herzen. Tja! Und wieder hatte ich wohl eine Information verpasst. Wieder war es kein Frauenabend, sondern ein gemischtes Publikum, das vor mir saß.

Ein Frauenherz zu berühren, damit habe ich Erfahrung. Da habe ich auch keine Scheu. Erst jetzt, in der Nachverarbeitung des Geschehens, ahne ich, dass genau hier die Ursache für mein Blackout lag. Ich hatte Scheu, ein Männerherz zu tief zu berühren. Es kam mir unerlaubt, unpassend vor. Schon kurz nach dem Anfang des Vortrags, den ich schon dreißigmal genauso gehalten hatte, kam ich ins Schwimmen und dann total aus dem Konzept. Irgendwie, mit mehreren Anläufen und Entschuldigungen, brachte ich den Vortrag hinter mich.

Ich fühlte mich schuldig, einen sorgfältig geplanten Abend komplett ruiniert zu haben, und wollte noch nicht einmal mein Honorar annehmen. Ich hatte vor Ort eine Übernachtung gebucht, doch in dieser Nacht schlief ich kaum. Zu Hause teilte ich meinem Mann die Entscheidung mit, dass dies der letzte Vortrag gewesen sei, den ich je gehalten hätte. Man muss auch wissen, was man nicht kann.

Nein, es ist nicht mein letzter Vortrag geblieben. Ich hatte vorher schon gute Vorträge gehalten – und auch nachher. Diese beiden sind mir allerdings als unvergesslich peinlich in Erinnerung geblieben. Hätte ich nur diesen letzten gehalten, wäre in meinem Unterbewusstsein die Botschaft hängen geblieben: »Vorträge halten kannst du nicht.« Und tatsächlich fällt mir das Kommunizieren mit Gruppen und Kursen mit zehn, zwanzig, dreißig Leuten wesentlich leichter. Aber Übung macht den Meister.

Als ich als junges Mädchen einmal mit meiner Vespa bei Regen ausrutschte und auf der Straße lag, kam ein Mann, half mir, den Roller wieder aufzustellen, meine Gitarre aufzubinden und rief: »Sofort weiterfahren, sonst haben Sie später Angst, wieder zu fahren.« Die Lektion »Bei Regen langsam in die Kurve« habe ich gelernt und bin noch jahrelang angstfrei weitergefahren.

Ich werde auch weiterhin nicht jede Einladung annehmen. Aber wenn ich weiß, dass ich etwas zu sagen habe, bin ich mutig genug, die Gelegenheit zu nutzen.

Scham und Angst wollen dir einreden, es ist besser, du lässt es.

Selbstvertrauen wächst, je öfter du merkst, dass du dir vertrauen kannst, dass du die Fähigkeit besitzt, die hier gebraucht wird.

Jeder hat mal Selbstzweifel, das ist klar, aber die Grundeinstellung ist wichtig.

Je mehr negative Erfahrungen du gemacht hast, desto öfter solltest du gute neue Erfahrungen machen, die diese Verunsicherung widerlegen. Damit dein Selbstvertrauen wieder stärker wird.

Vielleicht fragst du dich gerade, wie man das denn macht, gute Erfahrungen, damit dein Selbstvertrauen stärker wird? Durch Überwinden des Zauderns. Des Wartens. Der Passivität. Durch gute Entscheidungen. Das ganze Buch handelt ja von unseren »Traudichs«. Im Kapitel »Trau dich, Entscheidungen zu treffen« geht es um grundlegende Entscheidungen, die deine Identität ausmachen.

Kennst du die Geschichte vom angeketteten Elefanten? Jahrelang war er die Attraktion des Zirkus und stellte während der Vorstellungen seine Kraft und Größe zur Schau. Die restliche Zeit stand er mit einem Fuß angekettet an einen Pflock und bewegte sich nur so weit, wie die Kette ihn ließ. Angesichts der Kraft des Elefanten waren sowohl die Kette als auch der Pflock geradezu lächerlich. Warum bäumte sich das Tier nicht auf? Warum lief er nicht auf und davon? Weil er dressiert war! Von klein auf. Als Babyelefant hatte er noch versucht, seinen Radius zu vergrößern. Aber er war durch die Kette immer wieder an seine Grenzen erinnert worden.

Schlechte Erfahrungen können zu Glaubenssätzen werden. Schlechte Erfahrungen dressieren dich. »Rechnen kann ich nicht.« »Im freien Reden bin ich nicht gut.« »Das funktioniert bei mir nicht.« Aber du bist gar nicht mehr dieselbe wie damals! Trau dich, es wieder zu probieren.

Vielleicht habe ich das Glück, keine Perfektionistin zu sein. Hätte ich mich sonst getraut, fünf Kinder zu erziehen? Spätestens beim dritten hätte ich aufgegeben, weil ich gemerkt hätte, das wird nichts mit mir als perfekter Mutter. Hätte ich mich getraut, Vorträge zu halten, Artikel und sogar Bücher zu schreiben? Der Weg zu einem guten Vortrag begann damit, mich zu trauen, einen unperfekten Vortrag zu halten. Und noch einen.

Der Weg zu guten Artikeln begann damit, viele Na-ja-Artikel zu schreiben und einzusenden. »Gerade habe ich deinen Artikel über Freundinnen gelesen«, schreibt eine Bekannte. »Du hast echt die Gabe, humorvoll, liebevoll und pfiffig zu schreiben«, lobt sie mich. »Ach«, denke ich … stimmt ja, der Artikel war richtig gut geworden. Mein hundertster.

Hier meine Ermutigung an alle Perfektionisten, die seit Jahren ein Manuskript in der Schublade haben, ausgearbeitete Vorträge, ganze Gedichtbände, Liedertexte mit und ohne Noten: Trau dich! Warte nicht auf das perfekte Ergebnis, die perfekte Gelegenheit, dass jemand dich entdeckt und dir die Bühne bereitet. Und du musst ja nicht gleich den ganzen Gedichtband veröffentlichen. Aber ein Gedicht von dir vorlesen. Du musst nicht gleich ein YouTube-Video mit deinem selbst geschriebenen Lied produzieren. Aber du könntest es deinen Freunden vorsingen, zum Geburtstag zum Beispiel. Die Welt ruft dich. Ich rufe dich auch. Ich würde dich so gern singen hören.

Wie das Sprichwort sagt: Wie still wäre es im Wald, wenn nur die begabtesten Vögel sängen!

Trau dich

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