Читать книгу Nur ein toter Lehrer ist ein ... - Heike Susanne Rogg - Страница 3
ОглавлениеAlltagsgeschäfte
Noch immer schlecht gelaunt betrat Susanne am nächsten Morgen das Schulhaus der Dependance in Webenheim. Das Wissen, dass heute zusätzlich die ungeliebte Nachmittagsbetreuung auf ihrem Stundenplan stand, zog sie obendrein runter. Kam sie wieder einmal nicht vor halb vier nach Hause …
Galt der Lehrerberuf in der Öffentlichkeit als gut bezahlte Halbtagsstelle mit dreizehn Wochen Ferien, war die Realität längst eine andere. In den letzten Jahren kamen immer mehr Aufgaben und Pflichten für die Lehrer hinzu. Nur hatte man vergessen, das Gehalt entsprechend anzupassen. Im Gegenteil: Durch Aufstockung der Wochenstundenzahl sowie Kürzungen der Beihilfe auf Krankenkassenniveau und Kostendämpfungspauschale hatte es eher eine aktive Gehaltskürzung gegeben. Außerdem kam durch die freiwillige Ganztagsschule auch noch die Betreuung der Hausaufgaben am Nachmittag zu den Vormittagsstunden hinzu. Im Prinzip entsprach diese einer bloßen Kinderaufbewahrung, denn man durfte die Hausarbeiten lediglich auf ihre Vollständigkeit hin kontrollieren. Erklärungen waren nicht gewünscht, da die Kinder, die diese Betreuung nutzten, ansonsten Vorteile gegenüber denen hatten, die nach dem Unterricht nach Hause durften. Dennoch waren für diese Kontrollregelungen Lehrerstunden vorgesehen. Nein, Lehrer zu sein, machte keinen Spaß mehr. Dieses Resümee zog Susanne mittlerweile.
Ähnlich schien es auch ihre Kollegin Heidi Wagenknecht zu sehen, die sie auf der Treppe zum Lehrerzimmer traf. Die zierliche Dunkelhaarige sah blass und unglücklich aus.
»Morgen, Heidi, was ist los? Geht’s dir nicht gut?«, begrüßte Susanne die Kollegin, die seit Beginn dieses Schuljahres die dritte Klasse betreute.
»Morgen, Susanne, nein, ich fühle mich nicht so gut. Aber es geht schon.« Heidi stieg die Treppe weiter hoch.
›Richtig‹, fiel Susanne ein. Heidi hatte ja immer wieder mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Dr. Küchenmeister hatte das Kollegium ja noch Ende letzten Schuljahres genau darüber informiert, dass eine neue Kollegin käme, die öfter mal krank sei. Einen Burnout hätte sie gehabt. Zwar wusste Susanne, was ein Burnout war, nur vorstellen konnte sie sich darunter nichts Genaues. Aber so wie ihr Rektor das Wort ›Erschöpfungszustand‹ ausgesprochen hatte, hörte es sich an, als sei die neue Kollegin einfach nur stinkfaul.
Diesen Eindruck teilte Susanne gar nicht. Was deren Klasse anging, schätzte sie Heidi sogar als besonders engagiert ein. So beteiligte diese sich öfter an Wettbewerben, die für Schulklassen ausgeschrieben wurden. Während diese Aktionen Susanne oftmals als zu aufwändig empfand, hatten Heidis Schüler schon den einen oder anderen Preis dabei gewonnen. Darüber schwieg Dr. Küchenmeister aber in der Regel. Einen Flohmarkt, den die Kollegin mit ihrer Klasse organisierte, hatte er sogar regelrecht boykottiert. Dabei wollte Heidi damit nur die Klassenkasse aufbessern, denn im Lehrplan standen, neben der traditionellen Saarlandfahrt, noch andere kostspielige Exkursionen. Aber Dr. Küchenmeister ignorierte gern die Aktivitäten seiner Dependance. Vertrat er doch die Meinung, sie müsse als Brennpunktschule einen schlechten Ruf haben.
Mitleidig sah Susanne zu ihrer Kollegin.
»Sag mal, Heidi«, fragte sie, »du hast doch heute auch Betreuung? Wollen wir in der Mittagspause zusammen Kaffee trinken gehen?«
Die Kollegin nickte zustimmend. »Ich habe heute fünf Stunden.«
»Ich auch«, freute sich Susanne. »Dann also kurz nach halb eins. Irgendwie müssen wir die anderthalb Stunden bis zur ›freiwilligen‹ Betreuung ja totschlagen. Ich hasse diese Tage. Bis später also.«
Susanne betrat das Lehrerzimmer und reihte sich in den morgendlichen Stau am Kopierer ein.