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Teamgeistförderung

Kurz vor zwölf fanden sich wieder alle auf dem Hotelparkplatz ein. Dr. Küchenmeister wandte sich erneut an Hannes:

»Ich habe noch einmal auf der Landkarte nachgesehen. Wir könnten doch auch vom Bärental aus laufen. Das sind bis zu diesem Feldberghof auch nur elf Zentimeter auf der Karte, genau wie von dem Jägerheim.«

»Ja«, antwortete Hannes lapidar, »aber nur bergauf. Das ist eine Tageswanderung für gut trainierte Wanderer.«

›Gehören nicht auch Kartenlesen und Höhenlinien zum Unterrichtsstoff der Grundschule‹, dachte er bei sich. Hatte er doch zusammen mit Susanne erst vor kurzem Höhenlinienmodelle aus Gips und Styropor gebaut.

Der Rektor wirkte nicht sonderlich glücklich darüber, sich von einem ungebildeten Busfahrer belehren lassen zu müssen. Aber immerhin war der Mann seiner Untergebenen Schwarzwälder und kam aus dieser Gegend.

Hannes fuhr also, wie von ihm vorgeschlagen, über Hinterzarten auf den Rinken. Im Jägerheim war aufgrund des guten Wetters jeder Tisch besetzt. Natürlich hatte der Rektor keinen Gebrauch von der Telefonnummer auf dem Flyer gemacht. So saß sein vierzehnköpfiges Kollegium über alle Tische verteilt in der Gaststube.

›So viel zum Thema Teamgeist‹, dachte Susanne, die zusammen mit ihrem Mann an einem der besetzten Tische Platz gefunden hatte. Nach dem Essen zeigte Hannes dem Rektor den Weg, den er nehmen sollte. Dann setzte er sich in seinen leeren Bus und fuhr zum Feldberger Hof, wo er auf die Gruppe erwarten wollte. Seine Frau sah ihm sehnsüchtig nach. Eine unlustig wirkende Kohorte von Lehrern setzte sich langsam in Bewegung.

»Hast du denn keine anderen Schuhe?« Susanne musterte misstrauisch die halbhohen Sandaletten an Christine Marcreiters Füßen. Dass die Kollegin Minirock und Top trug, fand sie zwar lächerlich, dachte aber auch: »Wer schön sein will, muss leiden.«

»Wozu?«, fragte die Kunstlehrerin zurück, »glaubst du, ich trage solche Treter wie du? Wir gehen ja nicht bergsteigen.«

»Na, du musst es ja wissen«, erwiderte Susanne achselzuckend. Da sie die Gegend durch Hannes bereits kannte, trug sie natürlich Wanderschuhe. Außerdem hatte sie eine Jacke dabei, da es in dieser Höhe im Frühsommer durchaus noch recht frisch werden konnte.

Susanne mochte die schicke Kollegin nicht sonderlich. Zweifellos war Christine eine attraktive Frau. Wallende blonde Locken umschmeichelten ein madonnenhaftes Gesicht. Diesem sah man nicht an, dass hinter der Fassade ein etwas zweifelhafter Charakter steckte. Denn wann immer sie Vorteile für sich erreichen wollte, setzte sie ihre Attraktivität ein, meist auf Kosten der anderen Kollegen. Als mobile Kraft war sie im Laufe des Schuljahres gekommen. Wurde sie nicht für Vertretungen gebraucht, unterrichtete sie Kunst, erteilte Förderunterricht und betreute verschiedene AGs. Manchmal wurde sie auch von anderen Schulen angefordert, wenn dort Lehrer ausfielen.

Christine Marcreiter machte keinen Hehl daraus, dass ihr diese Form der Anstellung nicht sonderlich gefiel und sie endlich fest angestellt und im besten Fall verbeamtet werden wollte. Einer Verbeamtung stand momentan allerdings ihre Position als mobile Kraft im Wege. Um ihr Ziel dennoch zu erreichen, versuchte sie immer wieder, sich bei Dr. Küchenmeister einzuschmeicheln. Nicht nur Susanne hoffte, dass dieser Einsatz mit dem Ende des Schuljahres zu Ende ginge und die unbeliebte Kollegin nach den Sommerferien einen Vertrag für eine andere Schule bekäme.

Die Gruppe wanderte etwa zehn Minuten auf einem breiten Weg in Richtung Baldenweger Hütte. Kurz davor bog links der Felsenweg ab. Susanne musste sofort an Hannes denken.

›Das hat er doch mit Absicht gemacht, um den Teamgeistförderungsgedanken zu boykottieren.‹

Im Gegensatz zu der relativ ausladenden Fahrstraße am Beginn der Wanderung bot der Felsenweg auf weiten Teilen nur die Möglichkeit, einzeln hintereinanderzulaufen. Auf den etwas breiteren Passagen passten maximal zwei Personen nebeneinander. Baumwurzeln und Felsstücke pflasterten die Strecke. Viele kleine Wasserrinnsale liefen quer über diesen Steig. Froh über ihre festen Wanderschuhe grinste Susanne schadenfroh, als sie die wenig anmutige Stolperei von Christine Marcreiter vor sich beobachtete. Diese versuchte zu Beginn noch, die durch die Rinnsale aufgeweichten Schlammpfützen, zu übersteigen, musste das Unterfangen jedoch bald aufgeben, da die Steine und Wurzeln glitschig waren. Schnell zierte eine Schlammschicht die vormals lindgrünen Sandaletten.

›Wer die wohl sauber macht?‹, überlegte Susanne.

Soweit sie wusste, konnte man in ihrem Hotel die Schuhe nicht mehr vor die Tür stellen, um sie am nächsten Morgen geputzt wieder anzuziehen.

Hatte Susanne das erste Stück des Weges schweigend neben der schwer atmenden Heidi absolviert, wurde sie zu Beginn des eigentlichen Felsenweges von Iris Schneider, der jungen Referendarin, angesprochen. Diese war zu Beginn des Schuljahres an die Schule gekommen, um ihr zweites Vorbereitungsjahr zu absolvieren.

»Sag mal, Susanne, ich habe gehört, du hast so viel Unterrichtsmaterial zu Hause. Darf ich mal kommen und sehen, ob etwas für meinen nächsten Unterrichtsbesuch dabei ist?«

»Klar, wie läuft es denn bei dir?«

Susanne bekam von dieser Kollegin kaum etwas mit, da diese in ihrer Klasse nicht eingesetzt war.

Iris seufzte: »Hör auf, hätte ich gewusst, was mich hier erwartet, hätte ich besser das halbe Jahr auf den Platz in Rheinland-Pfalz gewartet oder lieber gleich etwas Anständiges gelernt.«

»Ist es so schlimm?«

»Frag nicht! Ich muss vierzehn Stunden eigenverantwortlichen Unterricht halten. Jede Stunde mit schriftlicher Vorbereitung. Dann hab ich drei Schüler, die ich gar nicht in den Griff bekomme. Und die Klassenlehrerin kümmert sich um gar nichts. Ich stehe ganz alleine da.«

Susanne schluckte: »Warum hast du denn noch nie was gesagt?«

»Hast du nicht gelernt, dass man im Vorbereitungsdienst am besten die Klappe hält, wenn man eine einigermaßen gute Note haben will?«

»Doch!« Susanne erinnerte sich mit Grauen an ihr eigenes Referendariat. »Stimmt, wir wurden auch ganz klein gemacht.«

Es schüttelte sie immer noch bei der Vorstellung ihrer eigenen Leidenszeit. Eine damalige Mitreferendarin musste noch Jahre später zur Therapie, um diese zwei Jahre der Ausbildung zu bewältigen.

»Aber«, fuhr sie fort, »dann füllst du ja eine halbe Lehrerstelle aus, wenn du keinen angeleiteten Unterricht mehr hast.«

»Ja«, kam die bittere Antwort, »und das zum halben Preis. Wusstest du das nicht? Außerdem muss ich auch Fächer unterrichten, die ich gar nicht studiert habe.«

Nein, so ausgebeutet worden war Susanne in ihrem ehemaligen Bundesland dann doch nicht. Sie hatte zumindest einen Mentor gehabt, der sich um sie kümmerte, und Unterricht hatte sie auch nur in den studierten Fächern halten müssen. Ihre Unterhaltung wurde immer wieder unterbrochen, wenn der Weg sich verengte und sie zwang, hintereinanderzugehen.

Nachdem sie etwa die Hälfte des Weges absolviert hatten, konnten die beiden vom Felsenweg hinunter auf den Feldsee sehen. Wie die schwarze Pupille eines Auges lag der kleine, kreisförmige See am Fuße einer bizarren Felsenwand. Laut einer Sage diente er früher dazu, böse Geister in dem tintenschwarzen Wasser zu versenken. Susanne überlegte bei seinem Anblick, ob nicht Dr. Küchenmeister dort hineingehörte.

Während des gesamten restlichen Weges unterhielten sich die beiden über diesen unmöglichen Vorbereitungsdienst im Saarland. Susanne, die öfter dazu neigte, die Welt retten zu wollen, überlegte bereits, wie sie gegen die Missstände angehen konnte. Auf die anderen Kollegen hatten sie dabei gar nicht mehr geachtet. Der Weg führte ja direkt zum Feldberger Hof, sodass sich niemand verlaufen konnte.

»Ich kann nicht mehr laufen. Ich hab nasse Füße und eine Blase am Fuß«, klagte es plötzlich neben ihnen.

Sie drehten sich um. Christine Marcreiter saß auf einem Stein und hatte ihren rechten Schuh ausgezogen.

»Kleb ein Pflaster drauf.«

Susanne empfand kein Mitleid mit der geplagten Kollegin. Im Gegenteil, schadenfroh bemerkte sie, dass die Modepuppe auch noch zu frieren schien. Iris Schneider und sie gingen weiter. Ein giftiger Blick folgte ihnen.

Gegen sechzehn Uhr kamen sie am großen Feldbergparkplatz an. Susanne fand es toll von ihrem Mann, dass er Dr. Küchenmeister diesen Wanderweg suggeriert hatte. War er doch, im Gegensatz zu den meisten anderen, relativ eben und hatte nur sanfte Anstiege. Sie hasste nichts mehr, als bergauf und bergab zu hecheln. Aber Hannes kannte sie ja gut.

Während die Gruppe sich freute, endlich am Ziel zu sein und Kaffee trinken zu können, ordnete Dr. Küchenmeister an, dass sich alle an der Seilbahnstation träfen.

»Wir fahren jetzt auf diesen Seebuck hoch und laufen von dort runter.«

Könnten Blicke töten, wäre er spätestens jetzt dreizehnmal umgefallen.

Susanne sah sich um. »Wo ist denn Heidi?«

Jetzt guckten alle. Heidi fehlte.

»Die kommt bestimmt gleich, die war doch von Beginn an hinten.« Brigitte machte sich weiter keine Gedanken.

»Vielleicht musste sie auf die Toilette«, meinte Andrea Gassmann mit einem Blick auf das Haus der Natur.

»Dass sie immer aus der Reihe tanzen muss.« Dr. Küchenmeister war sauer. »Egal, wir fahren jetzt da hoch. Sie kann ja den Schildern zum Busparkplatz folgen. Dort kann sie warten. Ich werde nachher mit ihr sprechen.«

»Herr Dr. Küchenmeister!« Jetzt wurde auch Susanne wütend. »Vielleicht ist ihr etwas passiert. Sie wissen doch, dass sie gerade erst krank war. Wir müssen zurück und nach ihr sehen.«

»Ach was«, antwortete der Rektor barsch, »die will nur wieder eine Extrawurst gebraten bekommen. Aber nicht mit mir. Wir fahren jetzt da rauf.«

Susanne konnte es nicht fassen. »Ich nicht«, sagte sie leise, aber überdeutlich. »Ich werde mit meinem Mann besprechen, was wir tun können. Vielleicht kommt noch jemand von euch mit?«, wandte sie sich jetzt an ihre Kollegen.

Diese sahen nur schweigend zu Boden. Keiner machte Anstalten, sich Susanne anzuschließen.

»Sie werden schon sehen, was Sie davon haben«, erklang drohend die Stimme des Rektors. »Ich kann Ihnen nur raten, mitzukommen.«

Wortlos drehte Susanne sich um und ließ ihn einfach stehen. Sie ging zu Hannes, der im Bus wartete. Wütend berichtete sie ihm, was passiert war.

Hannes, der als alter Bergsteiger und Skifahrer im Feldberggebiet zu Hause war, griff sofort nach seinem Handy und rief die zuständige Polizeidienststelle an. Dem Diensthabenden erklärte er, dass sie eine Person auf dem Felsenweg vermissen würden. Eventuell hätte die Vermisste gesundheitliche Probleme. Man informierte ihn, dass es etwa zwanzig Minuten dauerte, bis die Bergwacht vor Ort sei.

Daraufhin entschied Hannes, zusammen mit Susanne den Weg zurückzugehen. Vielleicht fänden sie die Vermisste eher. Dann könnte er der Bergwacht gleich genaue Auskünfte geben. Er vermied es allerdings, der Polizei diese Gedanken mitzuteilen, wusste er doch, dass diese sonst erst einmal abwarten würde, bis er sich wieder meldete.

In der Zwischenzeit war Susanne vorsichtshalber durch die zum Feldberger Hof gehörenden Restaurants, Läden und Toiletten gelaufen und hatte laut rufend nach Heidi gesucht. Wie erwartet fand sie diese nirgends.

»Nichts«, kam sie atemlos zu Hannes zurück.

»Dann lass uns losgehen, sie suchen. Die Bergwacht weiß Bescheid.«

Nur ein toter Lehrer ist ein ...

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