Читать книгу Nur ein toter Lehrer ist ein ... - Heike Susanne Rogg - Страница 4

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Saarländischer Datenschutz

Nachdem Susanne fünf Stunden lang versucht hatte, die Inseln in den Köpfen ihrer Schüler mit Wissen über Lesen, Schreiben und Rechnen zu erweitern, stand sie auf dem Parkplatz hinter der Schule und wartete auf ihre Kollegin. Zunächst verließen nur ein paar Autos von Eltern mit deren Kindern, welche offenbar unter akuter Gehschwäche litten, das Schulgelände. Eine Kollegin hastete in Minirock und knallroten Stöckelschuhen hinter einer Mutter her, um ihr noch etwas mitzuteilen. Susanne grinste, als sie das Schauspiel beobachtete, wie die hübschen Schühchen mit dem alten Kopfsteinpflaster kollidierten. Gleichzeitig dachte sie daran, dass sie, der allgemeinen Lage angemessen, im heutigen Musikunterricht das Volkslied ›Die Gedanken sind frei‹ eingeführt hatte ...

Nachdem Heidi endlich kam, schlug sie vor: »Komm, wir fahren in den ›Sonnenhof‹ nach Blieskastel. Da können wir bei dem schönen Wetter draußen sitzen.«

Als passionierte Raucherin dachte sie immer pragmatisch. »Außerdem bekommen wir dort auch nette Kleinigkeiten zum Essen.« Heidi war einverstanden und so fuhren beide gemeinsam los.

Im ›Sonnenhof‹ angekommen, stellte Susanne erfreut fest, dass heute Mittwoch und somit ›Schnitzeltag‹ war. Während sie ein Rahmschnitzel mit Pommes und Salat bestellte, begnügte sich Heidi mit einem kleinen Beilagensalat. Die Zeit, während sie auf das Essen warteten, nutzte Susanne, um auf Schule und Rektor zu schimpfen. Dann widmete sie sich aber den leiblichen Genüssen. Nachdem sie ihr Schnitzel mit großem Appetit gegessen hatte, bemerkte sie, wie Heidi immer noch in ihrem Salat rumstocherte.

»Was ist los? Hast du keinen Hunger?«, fragte sie besorgt.

»Eher keinen Appetit«, flüsterte Heidi kaum hörbar.

Susanne wagte einen Vorstoß.

»Heidi, was hast du? Hängt das ...«, sie zögerte, um es dann doch in den Raum zu werfen, »hängt das mit deinem Burnout zusammen?«

Ihre Kollegin sah sie erschrocken an. »Woher weißt du davon?«

»Na, unser allgeliebter Rektor hat uns in epischer Breite davon berichtet, bevor du kamst. Datenschutz existiert im Saarland nicht. Irgendwer hat ihn wohl angerufen und darüber informiert. Fand ich schon ganz schön daneben. Aber so läuft das hier nun mal – jeder kennt einen, der einen kennt, der etwas weiß ...«

Heidi wurde noch blasser, als sie ohnehin schon war. Sie schob ihren Salat beiseite.

»Und was wisst ihr noch alles von mir?«, fragte sie, wobei jetzt deutliche Aggressivität in ihrer Stimme lag.

»Das reicht doch wohl, oder?« Susanne trank den mittlerweile schal gewordenen Rest ihrer Cola aus.

»Ja«, die Bitterkeit in Heidis Worten klang unzweideutig hervor. »Das reicht wirklich! Komm, lass uns gehen.« Mühsam erhob sie sich.

»Heidi« entgegnete Susanne bekümmert, »willst du mir nicht sagen, was mit dir los ist? Vielleicht kann ich dir irgendwie helfen.«

Ihre Kollegin schüttelte leicht den Kopf.

»Wie willst du mir helfen können, wenn es schon die Ärzte nicht schaffen?«

»Aber so ein Burnout ist doch therapierbar, auch wenn das dauert«, versuchte Susanne ihrer Kollegin Mut zu machen.

»Darum geht es doch momentan gar nicht mehr.«

Heidi winkte resigniert ab. »Ich will nicht zwei Tage mit auf diesen Lehrerausflug.«

Susanne nickte: »Das will wohl keiner von uns. Allerdings wird uns nichts anderes übrigbleiben.«

Heidi sah sie müde an. »Nur habt ihr einfach keine Lust, euer Wochenende zu opfern. Ich habe regelrecht Angst davor.«

»Aber warum denn?«

Susanne verstand diese Heftigkeit nicht. Keine Lust, klar, aber wieso hatte jemand Angst vor einem verkorksten Wochenende? Sie merkte, wie Heidi mit sich rang.

»Nun sag schon, was genau los ist. Ich behalt’s auch für mich«, drängte sie.

Sie wollte es verstehen und nachvollziehen können. Ihre Kollegin gab den Widerstand auf.

»Also gut. Ich habe seit Jahren Herzprobleme, aber kein Arzt findet die Ursache. Der letzte Internist, den ich aufsuchte, meinte, das sei neurotisch. Aber ich merke doch, dass da etwas nicht stimmt.«

Susanne war ehrlich betroffen: »Und wie äußert sich das? Hast du Schmerzen?«

»Nein, aber ich bekomme immer öfter Herzrasen. Aus heiterem Himmel. Ich kann nicht einmal sagen, dass es in bestimmten Situationen passiert. Aber jedes Mal, wenn ich dann beim Arzt bin, ist es wieder vorbei. Auch verschiedene Langzeit-EKGs haben nichts gebracht. An den Tagen trat es nicht auf. Vorführeffekt nennt man das wohl ...«

»Und was passiert, wenn das bei dir auftritt?« Susanne war jetzt schon schockiert.

Dankbar, dass ihr jemand glaubte, erklärte Heidi: »Ganz plötzlich rast mein Herz. Ich hab dann einen Puls, der steigt teilweise bis zweihundert. Daraufhin bekomme ich Panik und das treibt den Puls noch weiter in die Höhe. Wenn es dann endlich aufhört, bin ich völlig fertig.«

»Das verstehe ich«, nickte Susanne, »und kannst du gar nichts dagegen tun?«

»Nachdem man auf den EKGs nichts feststellen konnte, war mein Hausarzt der Meinung, es könnte sich durchaus um Herzrhythmusstörungen handeln. Er hat mir einen niedrig dosierten Betablocker verschrieben. Außerdem nehme ich pflanzliche Beruhigungstabletten. Trotzdem tritt es immer wieder auf.«

»Aber dann glaubt dir doch wenigstens dein Hausarzt.«

»Ja, schon, aber das hilft mir auch nichts. Wenn diese Sache einen Namen hätte, könnte man sie vielleicht gezielt behandeln, aber so ...« Sie brach ab.

Ein Blick auf die Uhr zeigte, dass es Zeit wurde, aufzubrechen. Susanne fand das heute besonders bedauerlich, hatte doch ihre Kollegin gerade erst begonnen, ihr ein wenig Vertrauen zu schenken. Sie wusste viel zu wenig von Heidi. Nur, dass sie Ende dreißig war, hatte sie bisher herausgefunden. Zwar planten sie teilweise den Unterricht gemeinsam, aber zu ausführlichen privaten Gesprächen fanden sie dabei nie Zeit. Heidi vermittelte immer den Eindruck, als wolle sie nicht über sich selber reden, und Susanne hatte das bisher respektiert.

»Okay. Komm, wir müssen. Aber lass uns doch in den nächsten Tagen dieses Gespräch fortsetzen. Vielleicht fällt uns ja zusammen etwas ein.«

Heidi Wagenknecht nickte dankbar und stand auf. Gemeinsam begaben sie sich auf den Weg zu ihrer ›geliebten‹ Nachmittagsbetreuung.

Zur selben Zeit, ein paar Kilometer entfernt:

›Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist«, schreibt eine zittrige Hand in eine Art Tagebuch. »Es ist wie ein Zwang. Ich kann nicht anders ... ich muss es tun.« Nachdem diese Zeilen zu Papier gebracht sind, reißt die bebende Hand das Blatt heraus – genauso, wie sie es mit vielen vorhergehenden Notizen auch immer getan hat. Ein Streichholz entflammt und verbrennt den Zettel zu Asche. Ein Ärmel wischt die letzten Rußpartikel fort, macht das Geschriebene ungeschehen. Ein Zwang, der mittlerweile zum Ritual geworden ist ...

Nur ein toter Lehrer ist ein ...

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