Читать книгу Vernehmungen - Heiko Artkämper - Страница 64
2.3Gefährderansprachen oder besser: Gefährdergespräche
Оглавление149Der Begriff „Gefährderansprache“ erweist sich bei genauer Betrachtung als falsch. Die „Ansprache“ ist gleichzusetzen mit dem Begriff „Rede“. Die wiederum – was nicht weiter literarisch belegt werden muss – dient der Kundgabe der Intention eines Redners, der durch seine Worte etwas bewirken will. Bei einer „Ansprache“ handelt es sich also um einen einseitig und linear geäußerten Veränderungswunsch, der die Belange und Sachkenntnisse des Gegenübers (in dem Fall: „Zuhörer“) gar nicht berücksichtigen will. Wörtlich gesehen ist die „Gefährderansprache“ also nichts anderes als der Appell eines Vertreters des Staates an einen möglichen Delinquenten. Das Wort lässt eigentlich nur die Vorstellung zu, wie ein Polizist dem Delinquenten mit erhobenem Zeigefinger erklärt, was er gefälligst zu tun oder zu lassen habe. Das käme einer „Weisung“ schon wieder sehr nahe.
150Eben die soll es aber nicht sein. Sinn einer „Gefährderansprache“ ist natürlich auch, eine Verhaltensänderung beim Delinquenten zu bewirken. Wesentlicher Teil ist zunächst das Erreichen polizeilicher Handlungssicherheit dadurch, dass etwas in Erfahrung gebracht wird. In Anlehnung an die Intention „kommunikativer Einsatzbewältigung“ soll schlichte Kommunikation stattfinden. Die wiederum definiert sich vom Wort her als „gemeinsam machen“ selbsterklärend. Im Quervergleich zum Thema dieses Buches besteht durchaus eine Parallele zur Vernehmung. Es ist jedoch keine, und darüber sollte sich jeder Polizeibeamte im Klaren sein.
Praxistipp: | |
151 | Die Gefährderansprache muss als eine Kommunikation mit dem polizeilichen Gegenüber angesehen werden, die zum einen den Sinn hat, dessen Sicht der Dinge zu erkennen. Zum anderen soll und muss sie auch dazu von der Polizei genutzt werden, dem festgestellten bzw. dem möglichen zu erwartenden Fehlverhalten strafrechtliche und polizeiliche Konsequenzen gegenüberzustellen. Die Gefährderansprache unterscheidet sich somit nur formell von einer Vernehmung, und sie hat ein anders ausgerichtetes Ziel: das Herstellen polizeilicher Handlungssicherheit – im Gegensatz zur Gewährleistung strafprozessualer Erfordernisse. |
152In der derzeit ausgeübten Praxis wie auch in aktuellen rechtlichen Würdigungen wird diesem Unterschied wenig Beachtung beigemessen. Bei dem „Versuch einer rechtlichen Betrachtung“ kommt Meyn zu dem Ergebnis, „Gefährderansprachen bei jugendlichen Intensivtätern“ seien natürlich ein Grundrechtseingriff und bedürften damit einer Rechtsgrundlage,14 die selbstverständlich polizeirechtlich gegeben ist. Dort wie an vielen Stellen in der Literatur – und leider auch in wesentlichen Bereichen der polizeilichen Praxis – wird aber verkannt, dass dieses Gespräch mit dem Täter eben mehr ist als die althergebrachte „Weisung“, etwas zu tun oder zu unterlassen.
153Das Gefährdergespräch – so sollte es treffender benannt werden – hat insbesondere das Ziel, Erkenntnisse zur Sicht des Delinquenten zu gewinnen, um die Gefahrenlage einschätzen zu können. Parallel zum Begriff der Vernehmung ist ein Umstand zu erheben, der zur Klärung des Sachverhaltes beitragen soll. Werden sowohl das Strafverfahren als auch rein polizeirechtliche Zielsetzungen weggedacht und das reine Gespräch mit dem polizeilichen Gegenüber betrachtet, präsentiert sich die verblüffende Erkenntnis, dass die polizeiliche Vernehmung und das Gefährdergespräch inhaltlich identisch sein können.