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Zehntes Kapitel

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Ende Dezember traf ein Brief Nelsons ein. Sir William ließ ihn sich von Emma vorlesen.

Bei Toulon hatte sich das Kriegsglück gewendet. Entgegen aller Voraussicht hatte Napoléon Buonaparte, ein junger französischer Artillerieoffizier korsischer Herkunft, den stärksten Punkt der Festung, das Fort Lecaire, angegriffen, in kurzer Zeit achttausend Bomben hineingeworfen, die Besatzung zum Abzug gezwungen. Das Fort aber beherrschte den Hafen. Lord Hood hatte eben noch Zeit gehabt, mit der englischen Flotte das Meer zu gewinnen. Glücklicherweise war es ihm jedoch gelungen, vor seiner Abfahrt den größten Teil der gefangenen französischen Kriegsschiffe zu verbrennen.

Sir William lachte.

„Also hat Nelson mit seinem Programm recht behalten. Nehmen und vernichten, gleichviel, ob Freund, ob Feind! Du staunst? Gewiß, auch den Freund! Kann er nicht morgen unser Gegner sein?“

Angewidert sah sie ihn an.

„Und das Recht? Die Gerechtigkeit?“

Er heuchelte Erstaunen.

„Recht? Gerechtigkeit? Ach, du meinst mein Programm! Das Programm des diplomatischen Vorwandes gegenüber der öffentlichen Meinung! Glaubst du, der läßt sich hier nicht finden? Hood hatte die Schiffe für die zukünftige Majestät Ludwigs XVII. beschlagnahmt. Damals hatte er kein Recht, sie zu verbrennen. Nun aber kommt dieser Buonaparte. Er zwingt Hood, Hals über Kopf davonzugehen. Darf Hood Ludwigs Schiffe dem Jakobiner, dem Feinde des Königtums in die Hände fallen lassen? Nein, in Ludwigs eigenstem Interesse muß er sie verbrennen! Ein hübsches Paradoxon, was? Ich gebe deiner Sentimentalität zu, daß dieser Brand ein wenig nach Teufelei riecht. Aber so ist das Leben. Auch englische Politik läßt sich nicht immer englisch1 machen!“ Sein Wortspiel belächelnd rieb er sich die Hände, nickte Emma zu. „Fahre fort, kleine Unschuld! Was schreibt Freund Nelson von Hoods Plänen?“

Emma las weiter.

Unzufrieden mit der Pariser Schreckensherrschaft hatte ein großer Teil Korsikas sich unter Pasquale Paolis Führung erhoben und machte von den Bergen aus den französischen Besatzungen von Bastia, San Fiorenzo, Calvi den Krieg. Lord Hood hatte Sir Gilbert Elliot als Unterhändler zu Paoli geschickt und ihm seine Hilfe angeboten. Die Insel sollte von Frankreich losgerissen werden, eine Verfassung erhalten, mit Paoli als Vizekönig unter Englands Protektorat treten.

Seitdem kreuzte Nelson mit dem ,Agamemnon‘ an der Küste, schnitt die Zufuhr aus Frankreich ab, machte Angriffe auf die Außenwerke von San Fiorenzo, um den Fall der Festung vorzubereiten, sobald Lord Hood mit der Flotte und Landungstruppen herangekommen sein würde.

Alles ging Nelson zu langsam. Er brannte vor Ungeduld, ernsthaft an den Feind heranzukommen, Ehre und Auszeichnung zu gewinnen. Sonst fühlte er sich wohl. Von seiner Frau hatte er Briefe gehabt. Sie ließ sich bei Lady Hamilton noch besonders für Josiahs freundliche Aufnahme bedanken.

Josiah hatte bei einem Gefecht mit französischen Booten die Feuertaufe empfangen, sich tapfer gehalten, sogar einen Offizier zum Gefangenen gemacht. Den Degen seines Gegners bewahrte er auf, um ihn Lady Hamilton zu Füßen zu legen, sobald ihn das Glück wieder nach Neapel führte. Noch immer schwärmte er von den schönen Tagen im Palazzo Sessa.

Tom Kidd war von ihm unzertrennlich, wurde aber täglich wortkarger und verschlossener. Hielt es nicht auch Lady Hamilton für besser, ihn von Josiah zu entfernen? Würde seine düstere Schwermut der Entwicklung des Knaben nicht schaden?

Mit der Bitte um Empfehlung an Maria Carolina schloß Nelson.

Sir William hatte eine Karte des Mittelmeers herbeigeholt, die er eifrig studierte.

„Die Lage der Insel ist gut!“ sagte er. „Aber diese Korsen sind ein wildes Geschlecht, an Mord und Totschlag gewöhnt. Es wird nicht leicht sein, Korsika gegen sie zu behaupten.“

„Gegen sie? Nelson schrieb doch, daß sie unter Paoli selbständig sein sollen.“

Er lächelte.

„Das hat Elliot ihnen versprochen. Aber was Pitt halten wird ... Wollen wir wetten, daß Elliot Vizekönig wird, während Paoli irgendwo als Pensionär König Georges verschwindet? Es wäre ja auch eine unverzeihliche Dummheit von Pitt, wenn er eine so gute Gelegenheit ungenützt ließe, uns im Mittelmeer eine zweite Flottenstation zu schaffen. Die brauchen wir. Wenn unsere Schiffe jedesmal nach Gibraltar zurückmüssen, sobald ihnen der Proviant und das Wasser ausgeht, sind sie nur halb kriegsfähig. Dagegen, wenn wir eine zusammenhängende Reihe von Flottenstationen haben, Europa gewissermaßen an eine feste Kette von Gibraltar bis Alexandria legen, durch die wir es von Afrika, der Levante, Indien absperren ... Pitt ist der Mann, das durchzuführen. Gibraltar haben wir, Korsika bekommen wir. Dann kommt Sizilien an die Reihe ... Du staunst wieder? Glaubst du, unsere Cityherren stürzen sich wegen König Ferdinands bourbonischer Nase oder Maria Carolinas habsburgischer Unterlippe in Unkosten? Sie wollen für ihre Kapitalien doch angemessene Zinsen. Sonst lohnt das Geschäft nicht.“

Blaß vor Erregung stand Emma auf.

„Nie und nimmer wird Maria Carolina Sizilien hergeben!“

Spöttisch bewegte er die Hand.

„Kann sie’s behalten, wenn wir’s nehmen?“

„Sie baut Schiffe ... “

„Was nützen sie ihr ohne Matrosen, Kapitäne, Admirale? Die Neapolitaner sind faul, leiden an Wasserscheu.“

„Die jüngeren Offiziere nicht. Selbst Nelson gab ihre gute Haltung vor Toulon zu. Vor Caracciolo hatte er sogar etwas wie Respekt!“

Sir William zuckte die Achseln.

„Der eine weiße Rabe! Ja, wenn er Österreicher wäre! Maria Carolina hätte ihn längst zum Admiral gemacht. Und Herzog ist er auch noch. Stehen die Caraccioli, wie überhaupt alle diese bettelhaften Adeligen hier nicht im Geruch heimlichen Jakobinertums? Vanni schnüffelt schon um sie herum. Und dann ist Meister Paradiso nicht weit. Paradiso ... übrigens ein hübscher Name für einen Henker! Aber selbst, wenn sie ihre Köpfe behalten, was vermögen sie ohne Flotte? Schiffe sind aus Holz gebaut, brennen leicht. Und hier in Neapel oder in Sizilien bedarfs dazu gar keiner Diplomatie. Das besorgt jede Eruption des Vesuv oder Ätna. Ich fürchte, selbst Maria Carolina könnte gegen eine solche — höhere Gewalt wenig ausrichten!“

Er faltete die Karte zusammen, nickte Emma mit seinem widerwärtigen Lächeln zu und ging.

Emma war wie betäubt. Etwas Furchtbares glaubte sie herannahen zu sehen. Gegen das sie machtlos war. Nicht einmal warnen durfte sie, ohne ihr Volk, ihr Land zu verraten.

Voll schrecklicher Zeichen erschien ihr die Zeit. Neues kämpfte gegen das Alte, Tat drängte sich an Tat. Als suche eine unsichtbare Hand jäh zu stürzen, was die Jahrhunderte in langsamem Werden aufgebaut. Nichts hatte Bestand, alles schien zu fließen ...

***

Die Dinge in Korsika nahmen den von Sir William vorausgesagten Verlauf. Die Franzosen mußten aus San Fiorenzo weichen; ihre Schiffe verbrennend oder im Hafen versenkend zogen sie sich nach Bastia zurück. Die Stadt war stark befestigt, hatte eine Besatzung von nahezu fünftausend Mann. Lord Hood dagegen verfügte an Marinesoldaten und Matrosen nur über vierzehnhundert. Trotzdem sprach Nelson für die Belagerung. Die Führung der Matrosen übernehmend setzte er seinen Willen durch. Am elften April des folgenden Jahres begann er die Beschießung und am vierundzwanzigsten Mai meldete er den Erfolg.

„Bei Tagesanbruch hatten wir den glorreichsten Anblick, der einem Engländer zuteil werden kann, und den, glaube ich, nur ein Engländer herbeiführen konnte: viertausendfünfhundert Mann streckten vor weniger als tausend Briten die Waffen! — Nun bleibt nur noch Calvi, und Korsika ist unser.“

Aus den Berichten über die Verhandlungen des Unterhauses erfuhr Emma dann, daß Calvi am zehnten August gefallen war. Das Parlament sprach der Flotte durch ein allgemeines Votum den Dank der Nation aus, Nelson wurde auffallenderweise nicht erwähnt.

Eine Woche später traf ein Brief von ihm ein, in dem er die Eroberung des letzten Bollwerks der Franzosen auf Korsika schilderte. Die Hitze war unerträglich gewesen, hatte unter den Belagerern ebenso aufgeräumt, wie die Kugeln der Feinde. Dennoch war das Unternehmen durchgeführt worden. Nelson hatte tätigsten Anteil genommen. Selbst, als er am zwölften Juli in einer vorgeschobenen Batterie durch Sprengstücke von Steinen verletzt und auf dem rechten Auge erblindet war, hatte er die Werke nicht verlassen. Voll warmer Anerkennung seiner Verdienste hatte Lord Hood Nelsons Tagebuch der Belagerung nach London geschickt. Die Lords der Admiralität aber hatten seinen Namen nicht einmal unter den Verwundeten genannt ...

„Hundertundzehn Tage lang habe ich zu Wasser und zu Lande gekämpft, drei Angriffe auf Schiffe gemacht, zwei Vorstöße mit dem ,Agamemnon‘ gegen Bastia unternommen, vier Bootskämpfe bestanden, zwei Dörfer erobert, zwölf Fahrzeuge verbrannt. Soviel ich weiß, hat niemand mehr getan. Mein Oberbefehlshaber hat mich gelobt, sonst aber habe ich keinerlei Dank empfangen. Und was noch kränkender ist: für Dienste, bei denen ich verwundet wurde, sind andere gepriesen, die in jener Zeit weit vom Kampfplatz entfernt tatsächlich im Bette lagen. War ich unbescheiden, als ich auf einen etwas gerechteren Lohn hoffte?

Aber es tut nichts. Mögen meine Londoner Feinde mich totschweigen, solange sie es können. Eines Tages werde ich dennoch einen Siegesbericht für mich allein haben!“

Und in ein paar kurzen Zeilen gab er neuere Nachrichten über Korsika. Paoli war zu weiteren Verhandlungen nach London geladen, an seiner Stelle Elliot zum Vizekönig ernannt ...

Sir William lachte, voll befriedigter Eitelkeit. Hatte er es nicht vorausgesagt? Nur schien es ihm nicht richtig, daß England die Maske schon jetzt fallen ließ. Diese heißblütigen, mißtrauischen Korsen hätte man erst einschläfern, an die britische Herrschaft gewöhnen müssen. Durch allerlei Konzessionen, die man nachher ja zurücknehmen konnte ...

Emma hörte ihm zu, ohne den Sinn seiner Worte zu fassen. Alle ihre Gedanken waren bei Nelson.

Seine Augen! Seine großen, schönen Augen! Wie Sonnen hatten sie geleuchtet. Sonnen, die blendende Strahlenblitze schleuderten ...

Und nun ...

***

In Neapel reinigte Vanni das Volk.

Wegen jakobinischer Umtriebe wurde verhaftet : wer im Besitz eines verbotenen Buches oder Zeitungsblattes gesehen war; wer wie der französische Schauspieler Talma ungepudertes Haar à la Titus trug; wer Umgang mit Franzosen gehabt hatte. Aber da die Richter trotz langer Verhöre keine Beweise erhielten und das Schweigen der Unschuldigen Verstocktheit nannten, versprach Vanni durch öffentlichen Anschlag hohe Belohnungen, Staatsanstellungen und den Konstantinsorden für alle Anzeigen von Majestätsverbrechen.

Nun füllte sich die Stadt mit Spionen. Wie das Haupt der Medusa erhob sich das Mißtrauen aller gegen alle. Furcht beherrschte die Gemüter, Argwohn vergiftete das Leben der Familien. Eltern und Kinder, Gatten und Geschwister, Vorgesetzte und Untergebene, Seelsorger und Beichtkinder — jeder erblickte im anderen einen geheimen Aufpasser und Angeber, bereit, den Judaslohn zu verdienen.

Auch das Gerichtsverfahren erfüllte die Phantasie mit Schreckbildern. Es war nach spanischem Muster geheim, die Beweisführung schriftlich. Bezahlte Spione, entlassene Dienstboten, entartete Kinder, erbsüchtige Verwandte wurden als glaubwürdige Zeugen angenommen, anonyme Anzeigen galten als Indizien. Niemals wurde dem Angeklagten gestattet, für seine Verteidigung selbst das Wort zu ergreifen; angestellte Beamte des Staates führten sie schriftlich. Das Urteil wurde bei verschlossenen Türen ausgefertigt. Die Mitglieder des Gerichts durften zwar die Akten einsehen, das Erkenntnis aber mußte innerhalb einer vorgeschriebenen kurzen Zeit gefällt werden. So machten sie niemals von ihrem Rechte Gebrauch und die Meinung des Untersuchungsrichters wurde entscheidend. Um dem Angeklagten die Wohltat der Stimmengleichheit zu entziehen, wurden die Richter in ungerader Zahl ernannt. Gegen das Urteil gab es keine Berufung; unmittelbar nach seiner Verkündigung trat es in Kraft, hatte stets Ehrlosigkeit im Gefolge. Tod, Zuchthaus, Verbannung waren die Strafen.

An einem Festtage stürzte Tommaso Amato aus Messina in der Kirche Santa Maria del Carmine gegen den Hochaltar, warf einen Priester nieder, der sich ihm entgegenstellte, stieß Lästerungen gegen Gott und den König aus. Vor die Staatsjunta geführt, wurde er gegen den Widerspruch zweier Richter, die ihn für geisteskrank hielten, zum Tode verurteilt und am folgenden Morgen auf dem Platz an der Vicaria2 unter dem Jubel der Menge gehenkt.

Am Abend desselben Tages meldete ein Schreiben des Gouverneurs von Messina, ein Kranker namens Tommaso Amato, der jedes Jahr an Wutanfällen gelitten habe, sei aus dem Irrenhause entsprungen ...

Junge Schüler, Söhne adeliger Familien, hatten eine Vereinigung gegründet, in der sie schwärmerische Reden über Freiheit und Vaterlandsliebe hielten. Pietro di Falco, ihr Haupt, geriet in Verdacht, wurde verhaftet, vor Vanni geführt. Eingeschüchtert von den Todesdrohungen des Richters, der Verheißung trauend, daß dem Reumütigen Verzeihung werden solle, legte er ein Geständnis ab, nannte die Namen seiner Freunde. Ohne ihnen gegenübergestellt zu werden, wurde er auf Lebenszeit auf die Insel Tremiti verwiesen. Während Vanni gegen jene die Untersuchung eröffnete. Fünfzig wurden angeklagt, zehn freigesprochen, dreizehn mit geringeren Strafen belegt, zwanzig verbannt, drei zur Galeere, drei zum Tode verurteilt. Vincenzo Vitaliano, zweiundzwanzig, Emmanuele de Deo, zwanzig, Vincenzo Galiani, neunzehn Jahre alt. Begabte Jünglinge nach dem Zeugnis ihrer Lehrer, die Hoffnung ihrer Eltern, beliebt bei allen ihren Mitschülern. Allen Versuchungen, ihnen die Namen weiterer Mitschuldiger zu entreißen, mannhaft widerstehend, starben sie auf dem Blutgerüst, das Vanni, eine Volkserhebung befürchtend, unter den Kanonen des Kastells Nuovo hatte errichten lassen.

An diesem Tage legte Domenico Cirillo sein Amt als Leibarzt Maria Carolinas nieder ...

Entsetzen bemächtigte sich des Adels, der höheren bürgerlichen Klassen. Ein Ausspruch Vannis machte die Runde, Stadt und Land wimmle von verkappten Republikanern, zum mindesten zwanzigtausend seien noch vor Gericht zu stellen. Von achthundertunddreizehn Hochverratsprozessen sprach man, die zur Verurteilung der Angeschuldigten geführt haben sollten. Und als Vanni vor den vornehmsten Ständen, den ältesten Adelsfamilien, den höchsten Würdenträgern nicht haltmachte, als er einen Colonna, einen Sohn des Fürsten von Stigliano, einen Serra di Cassano, einen Verwandten der Herzöge von Caracciolo, einen Riario, einen Grafen von Ruvo und endlich sogar Cavaliere Medici, den Gouverneur der Vicaria selbst, einkerkern ließ, wuchs die Furcht vor einer Anklage, das Streben, sich von jedem Verdacht zu reinigen, zum Wahnsinn.

Am Tage der Hinrichtung eines Verurteilten gab sein Bruder ein Gastmahl ...

Angesichts des Schafotts, auf dem sein Sohn unter Paradisos Händen verblutete, spielte ein Vater am offenen Fenster die Gitarre …

1 Anglic = englisch; angelic = engelhaft.

2 Der große Gerichtshof Neapel.

Lord Nelsons letzte Liebe

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