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Elftes Kapitel
ОглавлениеOft hatte Emma versucht, die Königin milder zu stimmen. Aber Maria Carolina erblickte in jedem, der von Verbesserungen sprach, einen Umstürzler und Mitschuldigen am Morde ihrer Schwester. Auf Ludwigs XVI. Schicksal wies sie hin, das gezeigt hatte, wohin unzeitige Großmut führte. Sie wollte nicht in denselben Fehler verfallen, wollte nicht ruhen, bis sie das Übel im Keime erstickt habe. Und dann — verteidigte sie nicht das Erbe ihres Hauses? Eine Mutter war sie, mußte für ihre Kinder kämpfen, wie die Löwin für ihre Jungen.
Jede Bitte um Gnade schlug sie ab, verbot schließlich, nur davon zu sprechen.
Auch Sir William wünschte nicht, daß Emma ihre Versuche fortsetzte. Für England war es nur von Vorteil, wenn Maria Carolina die Kluft zwischen sich und den Neapolitanern erweiterte. Einem feindlich gesinnten Volke gegenüber mußte sie sich auf die Auslandsmächte stützen. Und von diesen war allein England imstande, ihr zu helfen. Nur England hatte Erfolge gegen Frankreich, von den Fahnen der übrigen Verbündeten wich das Glück. Schien es nicht schon jetzt, als wollten sie von den geschlossenen Verträgen abfallen?
Gerüchte von geheimen Verhandlungen gingen um. Rechtzeitig galt es Klarheit zu erhalten, damit England vor Schaden bewahrt blieb.
Nein, Emma durfte die Königin nicht erzürnen, mißtrauisch machen. Mochten die Köpfe dieser neapolitanischen Policinellen fallen, wenn Maria Carolina nur fortfuhr, Sir William und Pitt durch geheime Winke zu unterstützen!
***
Caserta, 29. April 1795.
„Teure Mylady, eben ist ein Kurier aus Spanien angekommen. Bilbao hat kapituliert; ganz Biscaya gehört den Franzosen. Aber der Hof, die Minister sollen trotzdem zuversichtlich sein. Alcudia sagte unserem Gesandten, der Verlust bedeute nicht viel, alles werde sich zum Guten wenden.
Das scheint mir unbegreiflich. Denn seltsamerweise erweist der französische General Monceny 1 den spanischen Kurieren Höflichkeiten, gibt ihnen Pässe, Empfehlungen. Was soll man davon halten? Ich zerbreche mir den Kopf.
Die Depesche wird augenblicklich entziffert, sobald ich mehr weiß, teile ich es Ihnen mit.
Adieu, tausend Komplimente an Sir William! Ganz die Ihrige
Charlotte
Am frühen Morgen hatte Emma das Billett erhalten. Zwei Stunden später bereits kam ein zweites.
„Meine teuerste Mylady, ich bin so verwirrt und aufgeregt, daß ich nicht weiß, was tun. Hoffentlich sehe ich Sie morgen gegen zehn Uhr.
Anbei die Depesche aus Spanien. Sie müssen sie mir aber spätestens in vierundzwanzig Stunden zurückgeben. Der König darf sie nicht vermissen. Sie enthält höchst interessante Dinge für die englische Regierung. Ich teile sie ihr mit, um ihr meine Zuneigung und dem würdigen Chevalier 2 mein Vertrauen zu beweisen. Ich bitte nur, mich nicht zu kompromittieren! Adieu! Wieviel haben mir uns morgen zu sagen! Ihre treue Freundin
Charlotte.“
Die Depesche war an Ferdinand persönlich gerichtet, vom zweiten April datiert, trug die Unterschrift König Karls IV. von Spanien. Im strengsten Vertrauen schilderte er seinem Bruder die schwierige Lage, in die ihn die Fortschritte der französischen Truppen in den Pyrenäen-Provinzen versetzt hatten. Daher fürchtete er, von der europäischen Koalition gegen Frankreich zurücktreten, mit den Jakobinern Frieden schließen zu müssen. Benachrichtigte Ferdinand schon jetzt, damit dieser rechtzeitig seine Maßregeln treffen konnte.
Sir William schien die Nachricht von größter Wichtigkeit. Zog Karl IV. sich aus der Koalition, so ging die vereinigte Flottenmacht Spaniens und Englands um mehr als die Hälfte zurück, England war im Mittelmeer isoliert, alle Fortschritte der letzten Jahre waren bedroht. Dazu klagte Nelson in seinen Briefen über den schlechten Zustand der Flotte, die durch Stürme und Krankheiten der Mannschaft litt, während auf der anderen Seite die Berichte der Spione von fieberhaften Rüstungen in den französischen Häfen sprachen.
Schwere Zeiten schienen England bevorzustehen. Ein Glück nur, daß Maria Carolina in ihrem Hasse gegen die Mörder ihrer Schwester sich nicht gescheut hatte, die vertraulichen Eröffnungen ihres Schwagers preiszugeben! So war man gewarnt, konnte ungeheuerem Schaden Vorbeugen.
Noch an demselben Abend ging Emmas Abschrift der Depesche mit Maria Carolinas Billett an das Auswärtige Amt in London ab.
Drei Monate später folgte ein neues Schreiben Karls IV., in dem er seinem Bruder den Abschluß des Friedens mitteilte ...
***
Eine Zeit der Arbeit und Aufregung folgte. Täglich trafen von allen Seiten Nachrichten ein, die in Empfang genommen, geprüft, durch sichere Boten weitergegeben werden mußten. Auf den Kriegsschauplätzen fiel Schlag auf Schlag. Die französischen Truppen, an den Pyrenäen frei geworden, verstärkten die italienische Armee; Scherer und Masséna schlugen die Österreicher bei Loano, die ganze Riviera fiel in die Hände der Sieger. Nelson, von Genua aus den Rückzug der Besiegten deckend, mußte die Docks von Livorno aufsuchen, um den ‚Agamemnon‘ notdürftig ausbessern zu lassen. Die Mannschaft war erschöpft, das Schiff in einem kläglichen Zustande. Kein Mast, keine Rahe, kein Segel war von Kugeln unversehrt geblieben, den Rumpf hatte man wochenlang durch darum gewundene Taue Zusammenhalten müssen. Jervis, der neue Admiral der Mittelmeerflotte, bot daher Nelson ein größeres Schiff an, dieser aber schlug es aus. Er hatte den ‚Agamemnon‘ liebgewonnen, mochte sich von den altgewohnten Kampfgenossen nicht trennen.
In seinen Briefen beklagte er die Langsamkeit der verbündeten Österreicher und Sardinier, die nicht vom Fleck rückten und auch ihn zur Untätigkeit verurteilten. Während die Franzosen ...
Napoléon Buonapparte, der frühere Gegner von Toulon, führte nun, kaum sechsundzwanzigjährig, den Oberbefehl in Italien. Am 27. März 1796 war er im Hauptquartier zu Nizza eingetroffen, und schon in den ersten Tagen des April machte sich ein neuer, ungestümer Geist bemerkbar. Montenotte, Millesimo, Dego, Mondovi, Lodi — soviel Namen, soviel Siege. Am 14. Mai hielt er seinen Einzug in Mailand, am 15. zwang er Sardinien zu einem verlustvollen Frieden. Jagte die Reste der österreichischen Armee nach Tirol. Bemächtigte sich fast der ganzen Lombardei. Erfüllte die Herzöge von Parma und Modena mit einer solchen Furcht, daß sie durch freiwillige Abgaben die Gunst des Siegers erkauften. Nötigte Papst Pius VI. zum Frieden.
Näher und näher rückte Neapel die Gefahr. Ferdinand zitterte für seinen Thron, verwünschte den Tag, da er sich hatte verleiten lassen, um einen Weiberkopf mit diesen Jakobinern Streit anzufangen. Sanken vor ihnen nicht alle Künste der alten Kriegsschule in den Staub? Und was nutzte ihm Englands Flotte in einem Feldzuge, der zu Lande geführt werden mußte?
Nach heißen Kämpfen willigte Maria Carolina ein, den Fürsten Belmonte-Pignatelli mit Friedensvorschlägen an Buonaparte zu senden. Der General gewährte einen Waffenstillstand, wegen des Friedens verwies er an das Direktorium der Republik. Aber die Grundbedingungen gab er selbst schon an: Zahlung einer bedeutenden Kriegsentschädigung, Sperrung der Häfen Neapels gegen alle Schiffe der kriegführenden Nationen.
Gegen wen war dies gerichtet, wenn nicht gegen England? Wollte dieser von der trüben Gärung der Revolution emporgeworfene Korse den alten Kampf Frankreichs gegen die englische Seeherrschaft wieder auf nehmen?
Dennoch riet Sir William, von Maria Carolina zu Rate gezogen, selbst zum Abschluß. Zeit mußte man gewinnen. Um im geheimen zu rüsten. Um die geschlagenen Bundesgenossen wieder zu Atem kommen zu lassen. Um endlich vereint, unter Zusammenraffung aller Kräfte, mit einem einzigen großen Schlage der Hydra des Wahnsinns und des Atheismus das Haupt zu zermalmen.
Maria Carolina schreckte vor der Arglist dieses Doppelspieles zurück. Da aber zeigte er ihr die Abschrift eines Briefes, die er sich durch Bestechung aus Paris verschafft hatte. Buonaparte hatte ihn an das Direktorium gerichtet, um sich gegen den Vorwurf des übereilt abgeschlossenen Waffenstillstandes zu rechtfertigen.
„Augenblicklich sind wir nicht stark genug, um uns rächen zu können; aber die Zeit der Züchtigung für alle Beleidigungen wird kommen. Denn der Haß der Ausländer gegen Frankreich wird nicht eher erlöschen, als bis alles Neue alt geworden ist.“
Nun zögerte Maria Carolina nicht länger. Vergalt gleiches mit gleichem. Als Zeichen ihres Dankes für sein Wohlwollen sandte sie an Buonaparte eine kostbare goldene Dose mit ihrem Bildnis. Gleichzeitig aber an Emma den Wortlaut des geheimen Schutz- und Trutzbündnisses, das Karl IV. mit Frankreich abgeschlossen und an Ferdinand geschickt hatte, seinen Bruder zum Eintritt auffordernd.
Als das umfangreiche Aktenstück, von Emma abgeschrieben, an das Auswärtige Amt in London abging, gab sie dem Eilkurier ein paar Zeilen an Greville mit.
„Wir haben jetzt keine Zeit, Dir ausführlich zu schreiben; drei Tage und drei Nächte haben wir an wichtigen Briefen gearbeitet, die mit demselben Kurier an unsere Regierung gehen. Man sollte sich Sir William und besonders mir doch ein wenig erkenntlicher zeigen. Meine Stellung hier am Hofe ist ohne Beispiel; niemand vor mir hat eine ähnliche gehabt. Aber man weiß mir keinen Dank. Darin habe ich alle Hoffnung längst aufgegeben.
Im übrigen leben wir hier in fortwährender Furcht. Gott weiß, wohin wir kommen und was mit uns geschieht, wenn die Dinge so weitergehen..
Emma.“
Am einundzwanzigsten September hatte sie den spanisch-französischen Bündnisvertrag nach London gesandt, und schon Anfang Oktober zeigten sich die Folgen. Elliot erhielt die Weisung, Korsika schleunigst zu räumen. An die Flotte erging der Befehl, sich vor der doppelten Übermacht der Verbündeten nach Gibraltar und der befreundeten Küste Portugals zurückzuziehen. Alle spanischen Schiffe, die sich in englischen Häfen aufhielten, wurden beschlagnahmt, ehe noch Karl IV. den Krieg erklärt hatte.
Die mühevolle Arbeit vieler Jahre war vergeblich gewesen, England mußte das Mittelmeer aufgeben. Aber daß dies ohne Verlust geschehen und der neue Krieg sogar mit einem Vorteil eingeleitet werden konnte — verdankte man das nicht Emma? Niemandem als ihr hätte Maria Carolina das wichtige Schriftstück anvertraut. Dennoch empfing sie kein Wort der Anerkennung. Als wäre es ihre einfache Pflicht, Ferdinands lästige Galanterien zu ertragen, sich Maria Carolinas wechselnden Stimmungen anzupassen, ihre Nächte mühsamer Chiffrierarbeit zu opfern. Hatte sie einen geheimen Feind in London, der ihr entgegenarbeitete?
Zuweilen schoß der Gedanke in ihr auf, Greville könne sich auf diese Weise an ihr dafür rächen, daß sie seine verräterischen Pläne vereitelt hatte und Sir Williams Frau geworden war. Dann aber verwarf sie den Verdacht wieder. Seit seine Heirat mit Lord Middletons Tochter sich zerschlagen hatte, war er von Sir William noch abhängiger, als zuvor. Er würde es nicht wagen, gegen die Frau zu intrigieren, die Sir William dahin bringen konnte, daß er seinen Neffen enterbte.
Sonst aber wußte sie niemand in London, der ihrer in Haß gedenken mochte. Einzig vielleicht der Prinz von Wales. Zweimal hatte sie seine Liebesanträge zurückgewiesen. Aber flatterhaft von Natur, war er durch seine heimliche Ehe mit Maria Anna Fitzherbert gefesselt, dachte wohl kaum noch an Emma.
Nein, es war wohl, wie Romney einst gesagt hatte: in England war für eine politische Frau kein Raum. Die hochmütigen Lords der Regierung wollten es nicht eingestehen, daß sie Emma zu Dank verpflichtet waren. Sahen geflissentlich über sie hinweg. Eines Tages aber würde die Welt den Namen der Retterin dennoch erfahren.
Heimlich begann sie, Aufzeichnungen zu machen, Beweise zu sammeln ...
***
Saint-Vincent ...
Siebenunddreißig spanische Schiffe von neunzehn englischen geschlagen ...
Karl IV. sandte die Nachricht mit einer Abschrift des Berichts, den er von Admiral Don José de Cordova eingefordert hatte. Maria Carolina las ihn Emma vor, mit blitzenden Augen und lautem Jubel. Dieser bourbonische Schwächling, der sich nicht lieber dem Untergange geweiht hatte, als daß er die heilige Sache des Königtums verriet — so hatte er denn seinen Lohn!
Mit Mühe verbarg auch Emma ihre Freude. Unter den englischen Führern war Nelson besonders genannt. Ihm allein schrieb Cordova seine Niederlage zu.
Sir John Jervis hatte der englischen Flotte das Signal gegeben, der Reihe nach an der spanischen Linie feuernd vorbei zu segeln. Aber als das Manöver zum zweiten Male ausgeführt wurde, hatte Cordova durch eine schnelle Bewegung die Engländer im Rücken zu fassen gesucht. Nelson allein hatte die Absicht durchschaut. Dem Befehl seines Admirals zuwider, hatte er plötzlich seine Stelle in der englischen Schlachtreihe verlassen, war dem Umgehungsgeschwader entgegengesteuert, geradenwegs gegen Cordovas Admiralschiff, die ,Santissima Trinidad‘ von einhundertsechsunddreißig Kanonen, das größte Schiff der Erde. Nur von Kapitän Troubridge mit dem ,Culloden‘ unterstützt, hatte er den Kampf aufgenommen und selbst dann noch fortgesetzt, als der ,Santissima Trinidad‘ sechs spanische Linienschiffe zu Hilfe gekommen waren. Eine ganze Stunde lang hatten die beiden Engländer das verheerende Feuer der Übermacht ausgehalten, bis die übrige englische Flotte herangekommen war. In der beabsichtigten Bewegung durch Nelson aufgehalten, von einem großen Teil seines Geschwaders abgeschnitten, hatte Cordova das Signal zum Rückzug gegeben, froh, daß er wenigstens keines seiner Schiffe verloren hatte. Aber im nächsten Augenblick hatten zwei die Flagge streichen müssen, während Nelsons ,Captein‘ nach dem Verluste von Segeln, Tauen, Vordermast und Steuerruder hilflos, dem Untergänge nahe, plötzlich hart an den ‚San Nicholas‘ herangefahren war, der mit dem ,San Josef‘ Bord an Bord lag. Wie jene englischen Doggen, die selbst im Sterben nicht von ihren Gegnern ließen, hatte er sich an den beiden Schiffen festgebissen ...
Dann war Nelson an der Spitze seiner Matrosen durch ein Fenster des Hinterdecks in den ,San Nicholas‘ eingedrungen, hatte sich innerhalb zehn Minuten des Schiffes bemächtigt. Um sofort auch den ‚San Josef‘ zu entern. Mit seinen flatternden Haaren, dem von Pulverdampf geschwärzten Gesicht, der donnernden Stimme war der Einäugige den abergläubischen Spaniern erschienen wie ein Teufel, der Hölle entstiegen. Zitternd, sich vor ihm auf die Knie werfend, hatten sie ihm das Schiff übergeben.
Mit einem Hinweis auf Nelsons neuartige Gefechtstaktik hatte Cordova seinen Bericht geschlossen.
„... Die Kampfesweise dieses Engländers scheint mir besonderer Beachtung wert. Sie ist von der unserigen sowohl, wie von der französischen gänzlich verschieden. Wir bevorzugen das Ferngefecht, suchen durch unsere weittragenden Geschütze den Feind zu erschüttern und seine Takelage zu zerstören, ehe wir uns ihm nähern. Nelson aber fuhr, ohne einen Schuß abzugeben, dicht an seinen Gegner heran und richtete sein Feuer auf Rumpf und Mannschaft, um schließlich zu entern. Hierdurch hatten wir große Verluste an Leuten, während er verhältnismäßig wenig einbüßte. Welche Taktik nun zu bevorzugen ist, kann erst durch die Erfahrungen einer großen Schlacht entschieden werden. Möge es mir durch die Gnade Eurer Majestät vergönnt sein, diese wichtige Frage durch einen Sieg der spanischen Taktik zu lösen!“
Mit einem verächtlichen Lachen legte Maria Carolina das Blatt fort.
„Fernkampf oder Nahkampf! Ein Nachkomme der Cortez und Pizarro fragt, wofür er sich entscheiden soll, für die Taktik der Memmen oder für die Taktik der Männer! Wenn du Nelson schreibst, Emma, so sage ihm, daß er diese Spanier richtig erkannt hat. Weiber sind sie. Wer sie packt, dem ergeben sie sich!“
Auch von Cordovas Bericht schickte Emma eine Abschrift nach London. Diesmal jedoch nicht an das Auswärtige Amt. Hatte Nelson nicht geklagt, daß ihm die Lords der Admiralität feindlich gesinnt seien? So sandte sie das Blatt, ohne sich zu nennen, an den Sohn des Königs, Prinz Wilhelm, Herzog von Clarence, der als junger Midshipman bei Nelson den Seemannsdienst erlernt hatte ...
***
Anfang April schrieb Nelson; zum ersten Male seit langer Zeit wieder ausführlich.
Die Schlacht selbst erwähnte er kaum. Sie lag nun schon zwei Monate zurück. Aber der Folgen gedachte er. Der kühle Sir John Jervis hatte ihn umarmt, ihm vor allen Offizieren für seine heldenmütige Aufopferung gedankt. Unter vier Augen aber hatte er zu verstehen gegeben, daß er ihn in seinem Berichte an die Admiralität nicht besonders nennen werde. Wohl habe Nelson die Schlacht zugunsten der Engländer entschieden, aber in offenem Widerspruch mit den ausdrücklichen Befehlen seines Admirals gehandelt und sich dadurch einen Disziplinbruch zuschulden kommen lassen, der mit schwerer Strafe bedroht sei. Bei der zweideutigen Haltung der Admiralität gegen ihn werde ihm ein ausführlicher Bericht eher schaden als nützen. Um jedoch die anderen vor Nelson nicht zu bevorzugen, werde er überhaupt niemand hervorheben.
Wohl oder übel hatte Nelson sich einverstanden erklärt. Aber er war niedergeschlagen gewesen von dem Unglück, das ihn ständig zu verfolgen schien. Jede Gelegenheit, sich auszuzeichnen, hatte er ergriffen, seine Gesundheit geopfert, sich in Gefahren gestürzt — niemals aber einen Lohn empfangen. Mit einundzwanzigstem Jahre bereits Kapitän, war er nun nach achtzehn Jahren strengster Pflichterfüllung, aufreibendsten Dienstes noch nicht einen Schritt weitergekommen. War es nicht besser, wenn er sein aussichtsloses Streben aufgab und nach England zurückkehrte, um in irgendeinem toten Winkel seinen Kohl zu bauen?
So hatte er damals gedacht. Nun aber mußten doch wohl Einzelheiten über die Schlacht nach England gedrungen sein. König George hatte Sir John Jervis zum Grafen von Saint-Vincent erhoben, gleichzeitig aber auch Nelson zum Konteradmiral befördert und ihm das Ritterkreuz des Bathordens verliehen, während die Städte Bath, Norwich und London ihm das Ehrenbürgerrecht erteilt hatten. Mit Tränen der Freude hatte ihm sein Vater geschrieben. Überall in England werde der Name und die Verdienste seines Sohnes gepriesen, vom wandernden Straßensänger bis zum öffentlichen Theater.
Josiah war Offizier geworden. Er war sehr stolz auf seine neue Würde. Auch Tom Kidd schien heiterer und lebensfreudiger gestimmt.
Der Brief war wie in Sonne getaucht. Immer und immer wieder las ihn Emma. Verwahrte ihn an ihrem Herzen. Küßte heimlich das Papier, auf dem Nelsons Hand geruht. Lächelte über sich selbst, daß sie sich benahm, wie ein kleines Pensionsmädchen. Tat es im nächsten Augenblicke von neuem.
Ach, sie liebte ihn. Anders, als sie Greville geliebt hatte. Damals war ihre Phantasie verdorben gewesen durch das wüste Leben der verkauften Nächte. Sinnenlust, Gier nach den Umarmungen des schönen Mannes hatte sie für Liebe gehalten.
Dann, in der verhaßten Ehe mit Sir William, war sie kühler, ruhiger geworden. Kannte nun die inneren Zusammenhänge des Lebens, hatte Lüge und Heuchelei üben gelernt. Sündigte nicht mehr aus dem Antrieb ihres heißen Blutes, sündigte aus kalter Überlegung. Weil der Kampf ihres Daseins diese Sünde zu fordern schien.
Nun aber, da sie Nelson liebte ...
Daß er einer anderen gehörte, daß sie ohne den trüben Hauch einer Begierde an ihn zu denken vermochte, machte ihre Liebe zu ihm heilig. Wundersamen, zarten Blütengebilden gleich sproßten überschwenglich schwärmerische Empfindungen in ihr auf, füllten ihre Seele mit dem Dufte von Veilchen und Reseden.
Ein dunkler Blumenweiher war ihr Herz. Über dem die Erinnerung an Nelson schwebte wie ein einsamer Stern am Nachthimmel. Rein und weiß spiegelte sich sein Bild in den stillen Wassern ...
***
Ende August abermals ein Brief von ihm. Kurze, abgerissene Sätze. In einer seltsam ungeschickten Schrift ...
Er hatte versucht, den Spaniern Teneriffa zu entreißen. Aber die Unternehmung war mißglückt. Als er bei einem nächtlichen Bootsangriff ans Land stieg, hatte ihm ein Schuß den rechten Ellbogen zerschmettert. Josiah hatte ihm mit seinem seidenen Halstuch den Oberarm unterbunden, Tom Kidd aus seinem zerrissenen Hemd eine Schlinge für den verwundeten Arm gefertigt. Mit Mühe war es ihnen dann gelungen, das gestrandete Boot wieder flott zu machen, Nelson vor dem Feuer des Feindes in Sicherheit zu bringen.
Sie hatten ihm das Leben gerettet. Er erkannte es an, wußte ihnen aber keinen Dank. Der Arm war verloren. Ein linkischer Admiral aber war dienstuntauglich, seinen Freunden zur Last, seinem Vaterlande unnütz.
Er ging nach England zurück. Ein überflüssiger Krüppel. Alles war zu Ende.
1 Moncey.
2 Sir William.