Читать книгу Lord Nelsons letzte Liebe - Heinrich Vollrat Schumacher - Страница 7
Viertes Kapitel
ОглавлениеSie ging zu ihm, blieb vor ihm stehen. Nahe, daß ihr Kleid ihn berührte.
Nur vier Jahre war er älter, als sie, kaum zweiunddreißig. Aber das einst dunkelgelockte Haar war an den Schläfen schon weiß; tiefe Furchen zogen sich über Stirn und Wangen; die Schultern neigten sich nach vorn, wie unter dem Druck einer schweren Last. Und die Augen ...
„Du hast mich noch nicht ein einziges Mal angesehen, Tom!“ sagte sie ruhig, freundlich. „Verabscheust du mich so sehr? Oder fürchtest du dich vor mir?“
Langsam wandte er ihr seine Augen zu ...
So blickten die Augen der asketischen Mönche Neapels, wenn sie auf Emma sahen. Die Ketzerin verachtend, die sündhafte Schönheit des Weibes verdammend. Während in ihrer Tiefe, wie hinter Schleiern, die bleiche Flamme geheimer Sehnsucht brannte...
„Fürchten?“ fragte er zurück. „Warum fürchten?“
„Weil du mich verurteilt hast, ohne mich zu hören! Weil du dem Manne geglaubt hast, der mich schmähte, obwohl er tausendmal schlechter an mir gehandelt hat, als Sir John. Greville ist es doch, der dir das alles zugeflüstert hat, nicht wahr?“
Er hielt ihren Blick fest, als wollte er auf den Grund ihrer Seele dringen.
„Ich ging zu ihm, fragte nach Ihnen ...“
„Und als du mich nicht fandest, stelltest du ihn zur Rede. Da fürchtete er sich vor dir und belog dich.“
„Er weinte ...“
„Ja, er versteht, Tränen (zu. vergießen. Er hat es von seinem Oheim gelernt. Und da glaubtest du ihm. Gewiß, er war arm, in Bedrängnis. Setzte seine Hoffnungen auf Sir William. Der hatte mich liebgewonnen. Wie ein Vater? Ist der ,ein Vater, der in sinnloser Leidenschaft ein nichtsahnendes Mädchen überfällt?“
Toms Augen öffneten sich weit.
„Das hat er getan?“
„Im Nebenzimmer saß Greville und lauschte. Als ich dem Gierigen entrann, vertuschten sie es. Eine Probe meiner Treue sei es gewesen ... Ich liebte Greville, glaubte ihm. So arglos war ich, daß ich seiner Bitte nachgab, zu dem Oheim reiste, ihn um Hilfe für Greville anging. Merkst du den neuen Plan? In Neapel war ich in der Fremde, hilflos, einzig auf den Schutz unseres Gesandten angewiesen. Unseres Gesandten — Sir Williams! Als er mich bedrängte, schrieb ich es Greville. In zahllosen Briefen flehte ich ihn um Rettung an. Endlich kam die Antwort. Willst du sie sehen?“
Sie riß ein Blatt Papier aus dem Kleide, hielt es ihm hin. Hastig griff er danach, las ...
„Gewinne Sir William! Greville.“
„Vier Worte! ... Nun wußte ich es. Wenn Sir William mich gewann, sollte Greville sein Erbe sein.“ Sie lachte schneidend auf. „Heute aber — ich bin seine Erbin, ich! Weil ich nun auch schlecht wurde. Rechnen lernte. Erst dann gewann er mich, als ich vor dem Altar Lady Hamilton geworden war ... Eine Lady! Freust du dich nicht, Tom? Wünschest du mir nicht Glück? Oder glaubst du mir nicht? So verurteile mich doch! Brich den Stab über mir!“ Sie schrie es ihm zu, zitternden Mundes, mit flackerndem Blick. Er stand ihr gegenüber, totenblaß. Brachte kein Wort hervor. Sah sie nur an ...
Aber da sie sich von ihm abwenden wollte, fiel er vor ihr nieder, küßte den Saum ihres Kleides, brach in Schluchzen aus ...
Sie sah auf den gesenkten Kopf, die zuckenden Schultern.
„Tom ... mein alter, treuer Tom ...“
Plötzlich sank sie zu ihm nieder, umfaßte ihn, weinte mit ihm.
Um das Glück der kleinen Amy ...
***
Langsam erhob sie sich.
„Laß uns nun gehen, Tom. Kapitän Nelson erwartet seinen Sohn.“ Und da er erschreckt, abwehrend die Hand erhob, gab sie ihm Nelsons Schreiben. „Er will es, Tom.“
Er schien ganz verstört.
„Er will es? Trotz allem, was ich ihm sagte?“
„Ach ja, dein Traum! Er sprach davon. Was war es, Tom? Kannst du es mir nicht sagen?“
„Sagen...“ Düstere Schatten traten in seine Augen. „Auf dem Meer war’s, im Sturm. Auf einer Brücke ging Kapitän Nelson, neben ihm eine Frau, hinter ihnen Josiah. Plötzlich stürzte sich der Knabe auf seinen Vater, hob seine Hand gegen ihn. Nelson wandte sich... Stieß er ihn? ... Josiah fiel. Mit einem gellenden Schrei. Verschwand in der Brandung ... Sein Vater aber ging weiter. Kehrte sich nicht nach seinem Sohne um. Hilflos ließ er ihn untergehn, sterben ...“
Er schwieg.
„Und die Frau?“
„Um ihr Gesicht war ein Schleier. Aber ihre Gestalt... einst sah ich ein Bild ...“
Er stockte. Scheu glitt sein Blick an ihr vorüber.
„Dem Bilde glich sie, Tom? Der Circe, die Romney nach mir malte?“
Wie verzweifelnd ließ er den Kopf auf die Brust sinken.
„Ihr glich sie.“
Sie brach in ein grelles Gelächter aus. „Seltsame Träume hast du! Weißt du, wer Circe war? Eine schöne Zauberin; alle Männer, die ihr nahten, verwandelte sie. Aus sinnloser Liebe zu ihr wurden sie zu Tieren. Nelson also wird mich lieben, und ich werde ihn verderben. Das sagt dein Traum, nicht wahr? Alle Männer habe ich verdorben, die mir nahten. Den sittsamen Prinzen von Wales, den sanften Sir John, den starken Romney, den ehrlichen Greville, den braven Sir William. Und auch den träumenden Tom Kidd. Weil du mir nach London folgen solltest, log ich dir vor, daß ich dich liebte. Weil du mir dort lästig wurdest, ließ ich dich durch Sir John pressen. Weil ich mich am Anblick deines Blutes erfreuen wollte, ließ ich dich peitschen. Weil ich ...
„Fräulein Emma!“ schrie er auf, hob entsetzt die Hände gegen sie. „Hören Sie auf! Hören Sie auf!“
„Was willst du? Du hast dir das alles von Greville einreden lassen und dann hast du darüber gegrübelt und endlich davon geträumt. Dein Traum aber ist wahr, und ich bin eine Lügnerin. Ach, Tom, deine Träume! ... Und dein Nelson! Er hat doch eine Frau, mit der er glücklich ist. Warum sollte er sich in mich verlieben? Ist er so verderbt, daß du ihm das zutraust?“
„Er ist treu und rein.. .‘‘
„Also fürchtest du, daß ich mich in ihn verliebe? Die Lady Hamilton in einen Schiffskapitän? Ja, wenn er reich wäre! Das ist für mich doch die Hauptsache, nicht wahr? Wahrhaftig, Tom, wenn ich nicht daran dächte, daß wir zusammen aufgewachsen sind, daß du einst mein Freund warst ... Aber wozu alle diese Worte! Geh, hole Nelsons Sohn! Wir müssen uns beeilen!“
„Wir? Bedeutet das, daß ich bei Josiah bleiben darf?“
Sie nickte.
„Kapitän Nelson sagte, daß du seiner Frau gelobt hast, über den jungen Menschen zu wachen.“
In seine Augen kam ein Leuchten.
„In Not und Gefahr, habe ich geschworen, ihm beizustehen. Und darum ... ja, ich muß mit ihm gehen. Fürchten Sie nicht, daß ich Ihnen im Wege sein werde. Ich weiß, zwischen Tom Kidd und Fräulein Emma ist alles anders geworden.“
„Allerdings, Tom ... niemand darf wissen, daß wir uns früher kannten ... Sir Williams Stellung ...“ Sie stockte, errötete unter seinem langen, forschenden Blick.
„Ja, darum sind Sie wohl hergekommen. Sie fürchteten sich vor mir. Und doch hat Tom Kidd in allen den Jahren kein böses Wort über Klein-Amy gesprochen. Selbst nicht nach dem, was ihm Greville sagte. Auch Kapitän Nel weiß nur Gutes von ihr!“
Sie fuhr auf, starrte ihn an.
„Kapitän Nel?“
„So nennen wir Matrosen ihn. ,Unser Nel‘, sagen wir, ,ist tapfer wie ein Löwe und sanft wie ein Lamm!“‘
„Du hast es ihm gesagt? Alles?“
„Er zwang mich. Sechs Jahre sind es nun. Wir kamen mit dem ,Boreas‘ aus Westindien, gingen in Portsmouth vor Anker. In Westindien hatte Nel denen, die sich an den Lieferungen wider Recht und Gesetz bereicherten, scharf auf die Finger geklopft. Nun waren die Lords der Admiralität ihm feind. Sie wollten ihm einen Schimpf antun, ihn quälen, bis er aus dem Dienst ginge. So schickten sie ihm zur Revision in Portsmouth einen Admiral aufs Schiff, mit dem Nel schlecht stand. Einen von den Matrosenschindern, die Nel haßt. Sir John.“
Emma schrie auf.
„Tom...“
„Sir John Willet-Payne! ... Er kam, hochmütig, mit verbissenem Gesicht. Stieg bis zum Kielraum, schnüffelte überall, tadelte alles. Mit glatten Worten, daß Nel nicht an ihn heran konnte. Zuletzt kam er zu uns Maats, die wir an der Bordwand bei unseren Hängematten standen. Er sah mich, stutzte, mäkelte an mir, fragte nach meinem Namen. Ich schwieg; Nel antwortete für mich. Da sah er mich scharf an. Ließ seinen Handschuh fallen. ,Heb’ auf, Bootsmann!‘ sagte er. Ich rührte mich nicht. Dreimal schrie er mir’s zu. Ich biß die Zähne aufeinander, sah ihm gerade in die Augen. Da riß er den Säbel heraus, mir scharf über den Kopf.“
„Tom ...“
„Er ist einer von denen, die in dem Maat ein Tier sehen!... Nachher, beim Verhör, sagten sie mir, ich habe ihm den Säbel zerbrochen. Erst im letzten Augenblicke hätten sie Sir John aus meinen Händen reißen können ... Nun ja, es gab viel Unzufriedenheit auf den Schiffen, Meuterei lag in der Luft. Sie wollten wohl ein Beispiel aufstellen, verurteilten mich zum Tode. Nel war der einzige, der widersprach'. Die anderen aber überstimmten ihn. So erzählte mir’s später die Frau. Nels Frau!“
Er hielt inne. Ein Leuchten ging über sein Gesicht. Und während er nach dem Schreibtisch hinübersah, faltete er, wie einem inneren Antriebe gehorchend, die Hände.
Unwillkürlich folgte Emma seinem Blicke. Auf dem Schreibtisch stand das Bild einer Frau mit hübschem, nichtssagendem Gesicht, ein Lächeln um den Mund.
Emma betrachtete es lange.
„Das ist Mrs. Nelson?“ fragte sie dann, sich abwendend. „Josiahs Mutter?“
Sie war enttäuscht. Anders hatte sie sich die Herrin Nelsons vorgestellt, größer, schöner, bedeutender.
Toms Augen strahlten.
„Immer war sie gut zu mir gewesen, hatte es während der Fahrt nach England gern gesehen, daß ich mit dem kleinen Josiah spielte. Als sie von Nel hörte, was mit mir geschehen war, ruhte sie nicht, bis sie zu mir gehen durfte. Zu dem schlechten Matrosen kam sie, in den finsteren Kielraum, in dem das faule Wasser die Luft verpestete, die Ratten einander jagten. Sie sprach mit mir. Wollte wissen, warum ich Sir John das angetan. Ich antwortete nicht, verteidigte mich nicht. Da drang sie in mich, setzte mir zu, bat. Faßte mich an der Ehre. Sollten Nels Feinde ihm vorwerfen, daß er seine Maats zur Meuterei erziehe? So sagte ich es. Wie es mit Ihnen, mit Sir John und mit mir gewesen war. Alles. Und daß Sie nahe daran gewesen waren, schlecht zu werden. Weil Sie eine gute Tat getan hatten.“ Er stockte, dunkle Röte stieg in sein Gesicht. „Damals glaubte ich noch, daß es eine gute Tat gewesen war. Da hatte Mr. Greville noch nicht mit mir gesprochen.“
„Und Mrs. Nelson, Tom? Was sagte sie? Was tat sie?“
„Sie weinte über Klein-Amy und bewunderte sie. War voll Zorn gegen Sir John. Ging zu Nel, erzählte ihm alles. Und er ... unter dem Sankt Georgskreuz ist kein Kapitän außer ihm, der das für einen gewöhnlichen Matrosen getan hätte! Er fuhr nach London, ging zu den Lords der Admiralität. Und als die ihn abwiesen, zum Könige. Mr. Pitt stand ihm bei. Sie sprachen für mich, machten mich frei.“ Er richtete sich auf. Ernst blickte er auf Emma. „Wissen Sie nun, was Nel und Mrs. Fanny für Tom Kidd bedeuten? Soll ich nun Josiah holen und mit Ihnen gehen?“
Gereizt von seinem strengen Ton, winkte ihm Emma, zu gehen. Aber da er sich anschickte, die Kajüte zu verlassen, kam die Unruhe wieder über sie.
„Noch eins, Tom! Nanntest du meinen Namen?“
Er blieb stehen, blickte zu ihr zurück. Tiefes Mitleid in den Augen.
„Ich sprach nur von Klein-Amy! Sie wissen nicht, wer sie war. Nicht, was aus ihr geworden ist. Ach, daß Sie sich so verstellen und verstecken müssen! Sie, der früher kein unwahres Wort über die Lippen kam!“
„Früher!“
Hohnvoll lachte sie auf. Trieb ihn hinaus. Mit einer stummen Gebärde des Zorns.