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Drittes Kapitel

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Ein kurzes Schweigen herrschte. Dann erhob sich Sir William, um dem Gaste seine berühmten pompejanischen Kostbarkeiten zu zeigen. Erklärend ging er mit ihm zwischen den aufgestellten Vasen, Bildsäulen, Urnen hin und her, erzählte die Umstände, durch die er zu ihnen gekommen war, lobte Emmas praktischen Sinn, der ihm bei den Ausgrabungen in Kampanien wertvolle Dienste geleistet hatte.

Dann kam Emmas Mutter mit einem Diener herein, der Eis und Früchte servierte. Sofort erkannte Emma, daß irgendeine Sorge die alte Frau bedrückte. Noch immer konnte sich die ehemalige Bauernmagd nicht an die glänzende Stellung gewöhnen, die ihr Kind als Frau des englischen Gesandten und Liebling der Königin in Neapel einnahm. Beim geringsten Anlaß zitterte sie vor einem jähen Zusammenbruch des märchenhaften Glücks.

Emma ging ihr entgegen.

„Was hast du, Mutter?“ fragte sie leise. „Was ist geschehen?“

„Ich muß mit dir sprechen!“ flüsterte die alte Frau mit scheuem Blick auf die beiden Herren. „Vorhin, als das Gepäck des Kapitäns gebracht wurde ... ein Matrose war dabei ... Tom Kidd, Emma! Wenn er uns verrät ... “

Emma fühlte, wie sie blaß wurde.

„Hat er dich gesehen? Hast du mit ihm gesprochen?“

Die Mutter wollte etwas erwidern, aber Sir Williarß kam hinzu und stellte ihr Nelson vor. In seiner scherzenden Weise.

„Mr. Horatio Nelson, Kapitän des ,Agamemnon‘, Held des Tages ... Mrs. Cadogan, Mutter meiner Emma, Perle der Hausfrauen! Stellen Sie sich gut mit ihr, Kapitän! Sie ist unumschränkter Minister über das Ressort der wirtschaftlichen Angelegenheiten.“

Nelson grüßte ehrerbietig, die alte Dame befangen.

„Ich bitte, gar keine Rücksicht auf mich zu nehmen, Madame!“ sagte er dann, und ein freundliches Lächeln milderte den Ernst seines strengen Gesichts. „Ich bin an die einfachste Lebensführung gewöhnt. In dem bescheidenen Pfarrhause meines Vaters zu Burnham-Thorpe saßen wir zu elf Kindern um den Tisch. Und unsere Schiffsdiners ... Wenn meine Offiziere sich etwas Besonderes zugute tun wollen, erbitten sie sich Irish-Stew zum Mittagessen. Das einfachste Gericht von der Welt. Dennoch ist der Schiffskoch nicht imstande, es herzustellen. Da muß immer erst Tom Kidd mit seinem Originalrezept einspringen!“

Mrs. Cadogan fuhr zusammen.

„Tom Kidd?“

,,Mein Hochbootsmann! Er stammt von der Küste von Wales am Irischen Meer. Dorther hat er wohl auch sein Rezept. Wenn Sie sich dafür interessieren ... er wird meine Siebensachen herbringen ...“

„Ihr Gepäck ist schon angelangt!“ sagte Emma, ihre Unruhe unter einem leichten Ton verbergend. „Meine Mutter wenigstens sagte mir eben, daß ein paar Matrosen ... Hast du mit ihnen gesprochen, Mutter?“

,,Ich habe sie nicht selbst gesehen!“ brachte die alte Frau mühsam hervor. „Auch den Hochbootsmann nicht. Vincenzo meldete sie mir. Ich ließ sie zu einem Glase Wein in die Dienerstube einladen. Der Hochbootsmann aber schlug es aus. Sie müßten sofort aufs Schiff zurück!“

Nelson lachte.

„Tom Kidd, wie er leibt und lebt! Er hat eine Abneigung gegen Neapel. Wissen Sie, daß er mich bewegen wollte, Lord Hoods Auftrag abzulehnen? Er ist abergläubisch, wie alle unsere Seeleute. Er kam zu mir, ganz voll Ehrerbietung, ganz düster. Er habe einen Traum gehabt, ich werde Josiah verlieren, wenn ich nach Neapel gehe. Meine Frau habe ihm ihren Sohn auf die Seele gebunden, es sei also seine Pflicht, mich zu warnen. Seitdem läßt er den Jungen nicht aus den Augen. Seinetwegen ist er wohl auch sofort auf den ,Agamemnon‘ zurückgekehrt.“

Er war verheiratet, hatte einen Sohn ... und seine schlichten, warmen Worte zeigten, wie sein Herz an seiner Familie hing ...

Mühsam unterdrückte Emma die dunkle Erregung, die in ihr aufstieg.

„Ihr Hochbootsmann scheint ein guter Mensch zu sein!“ sagte sie, sich zu einem scherzenden Tone zwingend. ,,Ich fürchte nur, wir haben ihn durch unsere Einladung an Sie in einen schlimmen Zwiespalt gestürzt. Oder habe ich unrecht, wenn ich annehme, daß Ihre Gemahlin ihm nicht nur den Sohn, sondern auch den Gatten ein wenig auf die Seele gebunden hat? Der Ärmste kann doch nicht gleichzeitig im Palazzo Sessa und auf dem ,Agamemnon‘ sein! Was tun wir denn da? Ach, ich hab’s! Sie geben mir die Erlaubnis, Ihren Sohn zu uns heraufholen zu lassen und mit ihm auch den braven Tom Kidd, Traumdeuter und Gespensterseher, auf den Sie mich wirklich 'neugierig gemacht haben. Keinen Widerspruch, mein Herr Kapitän! Am Lande hört Ihre Kommandogewalt auf. Hier ist Sir William der Kapitän, und ich — ich bin sein Admiral! Setzen Sie sich also dort an meinen Schreibtisch und stellen Sie eine Order an Ihren Stellvertreter auf dem »Agamemnon‘ aus. Dem Überbringer sind ohne Widerspruch, auf Gnade oder Ungnade, mit Haut und Haar auszuliefern der Hochbootsmann Tom Kidd und ... Josiah heißt er? ... und Josiah Nelson, Esquire!“

Seinen Arm nehmend führte sie ihn zum Schreibtisch. Nelson gehorchte und warf ein paar

Zeilen auf ein Blatt Papier. Halb über seine Schulter gebeugt sah sie ihm zu.

„Nesbit?“ las sie verwundert. „Josiah Nesbit? Er ist nicht Ihr Sohn?“

Etwas wie ein Schatten ging über seine offene Stirn.

„Ich habe keine Kinder. Josiah stammt aus der ersten Ehe meiner Frau mit Doktor Nesbit, der jung in Westindien gestorben ist.“

Er stand auf und gab ihr das Blatt. Sie warf einen Blick auf die Pendule über dem Schreibtisch.

„Es ist jetzt drei Uhr! Wann essen wir, Mutter? Um fünf? Schön. Ich habe also zwei Stunden Zeit. Wollen Sie sich währenddessen meinem Mann anvertrauen, Mr. Nelson?“

Verwundert blickte Sir William auf.

„Du willst selbst ...?“

Ausgelassen lachend schüttelte sie ihre langen Locken.

„Ich bitte, mir meine kleinen Überraschungen nicht zu verderben! Auf Wiedersehen, Mr. Nelson! Um fünf!“

***

Am Hafenkai befahl sie dem Kutscher, auf ihre Rückkehr zu warten, mietete ein Boot und ließ sich zum , Agamemnon‘ übersetzen. Von dem Ersten Offizier voll Ehrerbietung empfangen, brauchte sie nur Nelsons Brief zu zeigen, um für alle ihre Wünsche Gehör zu finden. Auf ihre Bitte, Tom Kidd allein sprechen zu dürfen, führte der Offizier sie in Nelsons Kajüte und eilte, den Hochbootsmann zu ihr zu senden.

Einen Augenblick später trat Tom ein. Als er sie erkannte, wurde er totenblaß. Abwehrend streckte er die Hände gegen sie aus, machte eine Bewegung, als wolle er fliehen. Aber mit ein paar schnellen Schritten war sie bei ihm, hielt ihn zurück. „Kennst du mich nicht mehr, Tom?“

Er zuckte unter der Berührung zusammen; wie einem plötzlichen Entschlüsse folgend richtete er sich auf.

„Es gab eine Zeit, da Tom Kidd die kleine Amy Lyon kannte,“ sagte er langsam. „Er hatte sie lieb. Sie war ihm wie eine Schwester.“

„Auch ich hatte dich lieb, Tom.“

Er schien sie nicht zu hören. Die Augen starr ins Leere gerichtet sprach er weiter.

„Es gab abermals eine Zeit, da Tom Kidd Fräulein Emma kannte. Sie ging in eine vornehme Erziehungsanstalt. Dann, als der Reichtum verschwunden war, ging sie in einen Dienst. Tapfer war sie und stolz. Nur aus der Ferne wagte Tom Kidd sie anzusehen.“

Aus seinen einfachen Worten stieg ihr Leben vor ihr herauf. Wie auf eine weite, durchwanderte Landschaft blickte sie zurück, aus der die Schatten des Abends emporwallten.

Fast feierlich wehte es sie an.

„Ich weiß es, Tom. Auch ich achtete dich. Weil du zartfühlend gegen mich warst.“

„Zu Fräulein Emma kamen zwei Menschen: Mr. Romney, ein Maler; Miß Kelly, eine Dirne. Sie lehrten Fräulein Emma, daß sie mit ihrer Schönheit in London ihr Glück machen könne. Sie glaubte es und folgte ihnen.“

Betroffen von der geheimen Anklage, die aus seinen Worten sprach, richtete Emma sich auf.

„Es geschah nicht darum, Tom! Weißt du nicht mehr, wie meine früheren Mitschülerinnen mich beschimpften? Deshalb ging ich.“

„So glaubte auch Tom Kidd. Die Angst um sie zog ihn ihr nach. Und es kam ein Tag, da sie sich vor der Sünde um sie her entsetzte, vor ihr floh ... “

„Und du nahmst mich auf. Glaubst du, daß ich es vergaß? Noch heute bin ich dir dankbar!“

„Tom Kidd tat es nicht um Dank. Er hatte sie lieb. Sie aber ... Er hätte es ihr nicht .nachgetragen, wenn sie ihr Herz einem andern geschenkt hätte. Sie aber verkaufte es. Um Reichtum und Wohlleben. An Sir John Willet-Payne.“

Mit erhobener Stimme hatte er es gesagt, jedes Wort betonend. Entsetzt starrte Emma ihn an.

„Bist du wahnsinnig? Ahnst du nicht, warum ich es tat? Weil Sir John dich zum Matrosen gepreßt hatte! Weil ich dich retten wollte!“

Seine Lippen zuckten.

„So glaubte auch Tom Kidd. Aus der Sünde mit Sir John wollte er sie lösen. Freiwillig tat er, wozu ihn niemand gezwungen hätte: er schwur dem Könige den Eid! Nun glaubte er, sie würde von Sir John gehen. Sie aber blieb bei ihm. Bis er sie verließ. Dann führte sie das Leben der Miß Kelly. Gab sich jedem, der sie wollte. So tat sie. Ist es nicht wahr?“

Immer noch starrte er unverwandt ins Leere. Als sähe er dort in dem dunklen Winkel der Kajüte die Gestalt des Mädchens, dem alle Empfindungen seines Herzens gehört hatten. Das nun zusammenbrechen und vergehen mußte unter der Wucht seiner Anklagen.

„Es ist wahr!“ sagte Emma tonlos. „Aber, Tom ... wenn du wüßtest ...“

Ihre Stimme verlor sich in einem Murmeln. Er schwieg eine Weile. Wartete wohl, daß sie fortfahren sollte. Dann begann er von neuem.

„Tom Kidd wußte von alledem nichts. Meere und Länder schieden ihn zu dieser Zeit von ihr. Und als er sie wiedersah ... ihm war sie immer noch Fräulein Emma. Das Edelste, was die Erde hatte. Das blieb sie ihm auch, als er hörte, daß sie mit Sir Charles Greville lebte. Sie liebte ihn. So sagte sie. Und Tom Kidd dachte, daß, es das Höchste und Heiligste sei, dem zu leben, den man liebt.“

Ein bitteres Lachen brach von ihren Lippen.

„Das Höchste und Heiligste ...

“Warum hörte sie ihm so lange zu? Warum duldete sie es, daß er sich zum Richter über sie aufwarf?

Wie Geißelhiebe waren seine Worte auf sie niedergefallen, brennend, jeden Blutstropfen in ihr aufpeitschend. Dennoch — seltsam, sie vermochte ihm nicht einmal zu zürnen. Schauer ein,er ungekannten, fast körperlichen Wollust durchrieselten sie ...

„Das Höchste und Heiligste!“ wiederholte sie atemlos. „Warum sprichst du nicht weiter? Bei ihrem Höchsten und Heiligsten warst du, bei ihrer Liebe!“

Um seinen Mund grub sich ein harter Zug.

„Nun denn ... Was ihr Liebe galt, erfuhr er, als er nach Jahren heimkehrte. Bei dem Manne suchte er sie, dem ihr Herz gehörte. Sie aber ... der Mann war arm, in Bedrängnis. Sein reicher Oheim hatte sie liebgewonnen; wie ein Vater. Zu dem erbot sie sich zu gehen, für den Geliebten zu bitten. Arglos willigte er ein. Aber dann ... “

Sie war plötzlich ganz ruhig.

„Dann?“

„Dann ... Der Oheim hat sie geheiratet. Sie ist nun reich, eine Lady.“

„Lady Hamilton?“

„Lady Hamilton!“

„Die Tochter einer Dienstmagd und eines Holzknechts, nicht wahr? Die einst Emma Lyon hieß ... Fräulein Emma ... Klein-Amy!“

„Klein-Amy ...“

Er zitterte. Über seine Lippen kam ein weher Ton …

Lord Nelsons letzte Liebe

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