Читать книгу Lord Nelsons letzte Liebe - Heinrich Vollrat Schumacher - Страница 9
Sechstes Kapitel
ОглавлениеNelson hatte Italien noch nicht gesehen. Alles war dem Seemanne, der fast sein ganzes bisheriges Leben auf dem Meere zugebracht hatte, hier unbekannt: das Land, das Volk, das Leben. Wie jene germanischen Barbaren der Vorzeit, die aus den Wäldern des Nordens herabstiegen, sah er staunend eine neue, schönere Welt sich zu seinen Füßen ausbreiten, von einer wärmeren Sonne bestrahlt, in leuchtenderen Farben prangend.
Sir William konnte sich ihm nur wenig widmen; die Politik nahm seine ganze Zeit in Anspruch. So blieb für Nelson nur Emma als Führerin.
Seltsam, daß Sir William es selbst war, der sie dazu drängte! Dachte er nicht mehr daran, was er von einer Neigung Maria Carolinas zu Nelson gesagt hatte? Oder war es von dem Ränkevollen nur erfunden, um Emma zu prüfen? Maria Carolina wenigstens zeigte nichts, was auf ein tieferes Interesse für Nelson schließen ließ. Sie zog ihn oft zur Tafel, räumte ihm den bevorzugten Platz an ihrer Seite ein, befahl ihm zu Ehren einen Galaabend im Theater San Carlo. Aber das konnte auch aus Rücksicht auf das Land geschehen sein, das er vertrat.
Ohne Mißton flössen die Tage für Emma dahin, während sie mit Nelson, Josiah und Tom Kidd die Stadt und ihre nächste Umgebung durchstreifte. Größere Ausflüge erlaubte Nelsons Pflichtgefühl nicht. Eine Nachricht konnte ihn plötzlich fortrufen; stets mußte der ‚Agamemnon‘ zu sofortigem Auslaufen bereit sein.
Als Emma Neapel zum ersten Male gesehen hatte, war ihre Seele voll Furcht und Sorge um die Zukunft gewesen, voll Leid, Haß und Kampf. Was hatte ihr da Neapel und die gepriesene Schönheit des italischen Paradieses gegolten?
Alles hatte Sir William ihr zwar gezeigt und erklärt, tieferen Anteil aber hatte es nicht in ihr erweckt. Ohne eine Spur in ihrer Seele zu hinterlassen, hatte es nur in ihrem Gedächtnis gehaftet.
Nun aber ...
Kam eine späte Jugend zu ihr? In diesem Lande, in dem alles ewige Jugend, ewige Schönheit war? Von diesem Manne, der in seiner Seele sich eine Kraft der Begeisterungsfähigkeit bewahrt hatte, mit der er selbst den knabenhaften Sohn beschämte?
Ach, sie glichen einander, Nelson und Emma! Niemals waren sie bisher wirklich jung gewesen. Er — aufgewachsen in hartem Seedienst, mühsam um jeden kleinsten Erfolg ringend. Sie — aus dem Elend hervorgegangen, durch Schmach und Erniedrigung sich ihren Weg zur Höhe bahnend ...
Wunderbar, wie sie einander verstanden! Als dächten sie dieselben Gedanken, fühlten dasselbe heiße Entzücken über die Schönheit, die sich vor ihnen auftat.
Nebeneinander herschreitend tauchten sie in die goldene Flut, badeten ihre Herzen froh, ihre Seelen jung ...
Nelson hatte sich Neapel Rom ähnlich vorgestellt. Emma zeigte ihm, daß es gänzlich von jenem verschieden war, eine Welt für sich.
Nicht über die Trümmer gesunkener Cäsarenpracht wanderten sie, hier hatte kein Bramante, kein Michel Angelo Wunderbauten mit unsterblicher Kühnheit aufgeführt, keine Gewalt der Päpste Paläste von Erz, Häuser von Marmor errichtet, kein venezianisches Gold mit römischer Verwegenheit1 unvergängliche Dämme ins Meer geworfen. Verschwunden war das Vergangene; Macht hatte allein das Gegenwärtige. Sanftgerundete Höhen stiegen statt prunkender Kuppeln empor, gotische Felsennadeln statt marmorner Säulen. Unwiderstehlich sprengte die ewig neuschaffende Natur jede fesselnde Kette, duldete nirgends die Hand des Künstlers.
Und wie die Natur, so das Volk. In ein Meer von Fülle und Schönheit versenkt, lebte es allein dem Genüsse der Gegenwart. Wucherte kraftvoll und ungezüchtet, wie die Reben des Posilipp. Schwelgte in Italiens ewig jungfräulichem Körper, wie das Volk Roms in Italiens unsterblicher Seele.
Oft verließen sie schon bei Tagesanbruch den Palazzo Sessa, mischten sich in das bunte Gewühl des Toledo, des Largo del Castello, der Chiaja, des Strandes der heiligen Lucia.
Überall hatten Taschenspieler, schwarze Pulcinelli, weiße Pagliazzi2 bereits ihre Bühnen aufgeschlagen, von denen sie mit unversiegbarem Witz das Volk belustigten; Priester und Mönche sammelten Tausende von Zuhörern durch die glatte Behendigkeit ihrer Zungen; schreiend, lachend, feilschend trieben sich Makler, Kleinkrämer, Fischer, Calessaren umher, bevölkerten die Sorbetterien und Kaffeebuden, vor denen Kuchenbäcker auf zweiräderigen Karren ihre Waren bereiteten und feilboten.
Dazwischen das seltsame Wesen der Lazzaroni. Ohne Haus noch Heim, mit offener Brust und unbedecktem Kopf, in ein paar Leinenfetzen gekleidet, lehnten sie sorglos den ganzen Tag an den Häusern, den Straßenecken. Warteten bis der Zufall ihnen einige Kupfermünzen zuwarf. Von Natur treu, gutmütig, genügsam, waren sie stets bereit, um des heiligen Glaubens willen zu morden, Feuer anzulegen, zu rauben, zu stehlen. Ohne nach den Gründen der Dinge zu fragen, legten sie jedem Gegenstände ein Leben bei, verfluchten im Zorn die Seele der Zitrone, des Brotes, des Tisches, ihrer Eltern, Christi. Die Königin, die ihren Ekel vor dem Schmutz der Lazzaroni nicht verheimlichte, haßten sie; für den König dagegen waren sie jederzeit bereit sich a,ufzuopfern. Ferdinand verkehrte mit ihnen wie mit seinesgleichen, ließ sich von ihnen an seiner großen Nase zupfen, suchte ihre derben Späße noch zu überbieten. Tanzte, wenn er guter Laune war, auf offener Straße vor ihnen ihren Nationaltanz, die Tarantella. Verkaufte ihnen die Ausbeute der königlichen Seen von Patria und Fusaro in eigener Person, um Kupfermünzen feilschend wie ein Händler von Beruf.
Ungläubig schüttelte Nelson den Kopf, da Emma ihm das alles erzählte. Aber die eigene Beobachtung belehrte ihn bald über die Wahrheit.
Er fühlte sich fast persönlich beleidigt. Ihm, dem konservativen Offizier, war der König nicht nur nach konstitutioneller Theorie, sondern in tatsächlichem Ernst das Haupt des Staates. Darum verdammte er die französische Revolution, die das Königtum abgeschafft hatte, war glühender Anhänger Pitts und Burkes, leidenschaftlicher Gegner von Fox, der dem gewaltsamen Vorgehen der Girondisten eine Art Berechtigung zuerkannt hatte.
Nun aber dieser Ferdinand von Neapel! Eine Märtyrerin schien ihm Maria Carolina, da sie diesen Gatten ohne Klage ertrug.
Wehmütig lächelte Emma. Wie schlicht und unerfahren er war! Wußte er nicht, daß die Lust an der Herrschaft stärker war als das Leid eines wunden Herzens? Auch sie ertrug Sir William ...
Josiah wich bei diesen kleinen Ausflügen nicht von Emmas Seite. Die ritterliche Art nachahmend, in der die Kavaliere des Hofes nach spanischer Etikette mit ihren Damen verkehrten, benutzte er jeden Anlaß, ihr kleine Dienste zu leisten. Er litt nicht, daß ein anderer ihr den Schlag des Wagens öffnete, wachte eifersüchtig darüber, daß sie sich beim Aussteigen auf seinen Arm stützte. Ihre kleine Handtasche, ihren Sonnenschirm, ihren Schleier zu tragen, machte ihn glücklich. Wenn sie abends auf der Chiaja, dem Sammelpunkt der vornehmen Welt, in mitten der beiden langen Wagenreihen über das weiche Lavapflaster pfeilschnell dahinglitten, umbraust von dem Getümmel des Volkes, saß er Emma gegenüber, regungslos, ohne Sinn für das bunte Leben umher. Seine Augen ließen nicht von ihr; nur auf ihre Stimme schien er zu lauschen, wenn sie Nelson über die Begegnenden Auskunft gab. Und als sie einmal, von einer langen Ausfahrt ermüdet, seinen zaghaft gebotenen Arm nahm, um auf ihn gestützt über die steilen Treppen des Palazzo zu ihrem Zimmer emporzusteigen, ging er neben ihr, blaß, mit angehaltenem Atem, als fürchte er, durch eine ungeschickte Bewegung die Berührung ihrer Hand zu verlieren.
Nelson freute sich über den mildernden Einfluß, den Emmas Weiblichkeit auf den heißblütigen, durch den Seedienst etwas verwilderten Knaben ausübte. Ihm selbst war es in seiner Jugend nicht so gut geworden, und dem mangelnden Umgang mit gebildeten Frauen schrieb er die rohen Sitten vieler seiner Flottenkameraden zu.
Tom aber ...
War er eifersüchtig, daß er nächst den Eltern nicht mehr der einzige war, an dem Josiah hing? In abergläubischer Wachsamkeit folgten seine düsteren Augen allen seinen Bewegungen ...
***
Sir William benutzte die Anwesenheit des ,Agamemnon' in Neapel, um eines jener großen Feste zu geben, durch die dank Emmas Schönheit und Kunst die englische Gesandtschaft zum Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens geworden war. Einladungen an den Hof, die Mitglieder der Diplomatie, die Spitzen der Behörden, die vornehmsten Vertreter der Bildung ergingen und wurden angenommen, nachdem Maria Carolina in einer besonderen Audienz Sir William ihr Erscheinen zugesagt hatte.
Für den folgenden Tag lud auch Nelson, um die ihm allgemein erwiesene Gastfreundschaft zu erwidern, zu einem Fest an Bord ein. Die Einrichtungen des Kriegsschiffes sollten gezeigt werden, die Matrosen heitere Spiele vorführen, ein Ball das Fest enden.
Während der Vorbereitungen sah Emma Nelson nur wenig. Dagegen war Josiah fast immer um sie. Sie hatte ihn sich von seinem Vater ausgeliehen, wie sie scherzend sagte. Für eine kleine Überraschung am Abend des Festes.
Oft hatte Nelson sie um einige jener Attitüden gebeten, die sie erfunden hatte, und deren Ruhm auch in die Einsamkeit seines Schiffslebens gedrungen war. Immer aber hatte sie sich ihm bisher entzogen. Voll Zweifels, wie sein strenger Sinn diese Kunst aufnehmen würde, die aus der klassischen Schönheit ihres Körpers hervorgegangen war. Wenn er sie leichtfertig, frivol fand ...
Dennoch war ein geheimes Verlangen in ihr, sich ihm zu zeigen, wie sie war. Mit ihrer Schönheit, ihren Fehlern, Tugenden, Neigungen. Wenn er sie ganz kannte ...
Sie wagte den Gedanken nicht zu Ende zu denken. Wunderte sich gleich darauf über sich selbst. Was war in diesen kurzen Wochen denn geschehen, daß sie so ängstlich nach fremder Meinung fragte?
An Sir Williams Seite empfing sie am Abend des Festes das Königspaar, bat Maria Carolina um die Erlaubnis, sich für kurze Zeit entfernen zu dürfen, und gab Josiah das verabredete Zeichen.
Brennend vor Erwartung stürzte er fort, um sich mit Hilfe von Emmas Diener Vincenzo in das Gewand des Askanius zu kleiden, das sie für ihn hatte an fertigen lassen. Den Sohn des Äneas sollte er darstellen, der Königin von Karthago die Schicksale seines Vaters erzählend.
Sie hatte sich die Gruppe ausgedacht als Schlußstück einer Bilderreihe, die sie zum ersten Male während Goethes Besuch in Neapel dargestellt hatte. Eine Huldigung für Nelson sollte darin liegen, die den anderen entgehen würde. War er nicht einmal dazugekommen, wie sie sich von Josiah des Vaters frühere Fahrten berichten ließ? Er würde die Beziehung verstehen.
Hastig kleidete sie sich in das Gewand der Dido und eilte dann ins Nebenzimmer, um den letzten prüfenden Blick auf die Einrichtung zu werfen, die sie für die Attitüden ersonnen hatte. Hier hingen die langen, seidenen Schleier, in die sie sich hüllte, um aus dem schmiegsamen Stoff durch schnelle Bewegungen sich wechselnde Drapierungen zu schaffen. In ihnen erschienen ihre verschiedenen Stellungen wie lebende Bildwerke in leuchtendem Marmorrahmen. Auf kleinen Tischen lagen Kohlenbecken, Räucherpfannen, Tamburins, die ihr Vincenzo in eine Grotte zu reichen hatte, in die Emma durch einen verdeckten Gang gelangte, um vor den Zuschauern zu erscheinen. Ein Diener, in eine altrömische Toga gekleidet, öffnete und schloß vom Saale aus den purpurnen Vorhang.
Alles war in Ordnung. Hinter dem Vorhang vernahm Emma bereits die Stimme der Königin, die mit Nelson und Sir William sprach. Nun kam Vincenzo, um Emma die Schleier überzuwerfen.
„Und Mr. Nisbet?“ fragte sie ungeduldig. „Ist er bereit?“
Vincenzo zuckte verlegen die Achseln.
„Ich hatte ihn bereits angekleidet, als Mr. Kidd, der Hochbootsmann, eintrat. Er sprach mit Mr.Nisbet. Englisch, Exzellenza. Ich verstand es nicht recht. Aber es schien mir, als ob er Mr. Nisbet hindern wollte ... “
Er brach ab. Gefolgt von Tom stürmte Josiah herein.
„Er will nicht, daß ich spiele!“ rief der Knabe zornig. „Wie ein Kind behandelt er mich! Als wenn er mein Vormund wäre!“
„Ich verstehe nicht, Mr. Kidd,“ sagte Emma gereizt. „Haben Sie einen Grund, warum Josiah nicht mit mir auftreten soll?“
Er war sehr blaß.
„Mein Grund, Mylady, ist, daß Lady Nelson mir ihren Sohn anvertraut hat! Und ...“ Er stockte einen Augenblick, um dann entschlossen fortzufahren. In der heimatlichen Mundart der Leute vom Deegolf, die Josiah nicht verstand. „Unter den Angeworbenen auf dem ,Agamemnon‘ ist einer, der als junger Mensch Soldat unter dem großen Preußenkönig war. Der erzählte, daß der König als Kronprinz mit seinem Vater eine Reise nach Dresden machte. Da habe der König von Polen ihm ein schönes Weib gezeigt. Der Vater habe dem Sohne seinen Hut vors Gesicht gehalten, sei mit dem Knaben auf der Stelle nach Hause zurückgereist. Aber es sei schon zu spät gewesen. Heimlich habe der Sohn die Frau nachkommen lassen, habe sich an ihr zu ewigem Verderben gesehen. Zeit seines Lebens sei er ein unglücklicher Mensch gewesen.“
Dunkel schoß ihr der Zorn ins Gesicht.
„Ich kenne das Märchen!“ unterbrach sie ihn. „Was soll es hier?“
Er sah sie mit einem langen Blicke an.
„Die Leute hier haben mir gesagt ... seit Sie in Neapel seien ... auch an Ihnen habe sich schon mancher ... “
Seine Stimme brach. Er wandte sich ab, kehrte sein Gesicht nach der Wand.
Ein düsteres Schweigen herrschte. Dann richtete Emma sich auf, öffnete die Tür zu ihrem Ankleidezimmer.
„Warten Sie hier, Josiah, bis ich Sie rufe! Und Sie, Vincenzo, gehen Sie in den Saal zu Mr. Nelson. Bitten Sie ihn unauffällig, auf einen Augenblick zu mir zu kommen! Schnell!“
1 Der Molo von Palestrina bei Venedig trägt die Inschrift: „Auso Romano, Aere Veneto“.
2 Ständige neapolitanische Volksmasken.