Читать книгу Leben ohne Rezept - Heinz Marecek - Страница 15

Mauerbau

Оглавление

Nicht nur Karl Richter verbrachte mit seiner Familie viel Zeit mit uns auf der Spina, immer wieder waren Pianisten und Dirigenten zu Gast, mit denen mein Vater während des Sommers probte.

Auch am 13. August 1961 war das Haus voll, als uns die Nachricht vom Mauerbau in Berlin erreichte. Ich weiß, wo wir saßen, ich spüre noch genau den Schreck, als ich die Verzweiflung der Pianistin und Freundin Hertha Klust erlebte, deren Kinder im Ostteil der Stadt lebten. Sehr unsicher sind wir damals doch nach Berlin zurückgekehrt, schließlich war mein Vater im Engagement. Allerdings sind meine Eltern in den Jahren danach aus Solidarität zu den Berliner Freunden nie wieder in den Osten in die Oper oder ins Theater gefahren wie früher, was sie als Schweizer Staatsbürger gedurft hätten.


Wir sind Sextaner und zehn Jahre alt.

Rechts vorne Thomas Treppe, ich dahinter

Auch aus Solidarität gab es damals den Brauch, brennende Kerzen in die Fenster zu stellen, um die Brüder und Schwestern im Osten zu grüßen. Nun musste die Feuerwehr nicht nur die brennenden Christbäume löschen, Gardinenbrände waren an der Tagesordnung.

28 Jahre später war unsere Tochter Sarah vier Jahre alt, und sie kann nicht vergessen, wie aufgeregt ich vor dem Fernseher saß und nicht glauben konnte, dass diese Mauer endlich gefallen war. So nah war der Stacheldraht bei der Philharmonie, so bedrohlich blendeten einen die Scheinwerfer, wenn wir aus dem Konzert kamen. Und wie schnell wurden nach der Wende die Wachtürme durch die Entertainment-Türme von Sony und Co. auf dem Potsdamer Platz ersetzt. Als ob dieser Teil von Berlin ganz schnell vergessen werden sollte.

Sarah lebt in Berlin und ist vor ein paar Jahren auf den Prenzlauer Berg gezogen, in den tiefen Osten. In der Kneipe in ihrem Haus habe ich »Schwestern« aus dem Osten getroffen. Wir haben über unsere Geschichte und die der Stadt gesprochen, und da offenbarte sich mir ein völlig neuer Blickwinkel, als die eine der »Schwestern« sagte: »Mensch, wir haben euch ja och zujemauert.« Bis dahin war ich immer der Meinung gewesen, sie waren eingesperrt.

Zwar hatten wir nie gemerkt, »zujemauert« gewesen zu sein, weil auch der Westteil so groß war und vor allen Dingen so viele Wälder und Seen in der Stadt waren, dass man jeden Sonntag einen neuen Ausflug machen konnte. Aber die Lage war gespannt und mein Vater nervös. Spätestens als ich im Zuge der Ereignisse von 1968 in der Schule an Sit-ins teilnahm, plante er sich zu verändern und nahm den Ruf der Musikhochschule in München an.

Für mich war das traurig, weil ich so viele Freunde zu verlieren glaubte. Aber erstaunlicherweise blieben manche dieser Beziehungen – zwar mit großen Unterbrechungen – unbeschadet.

Mit Petra, meiner besten Freundin, stehe ich wieder in regelmäßigem Kontakt. Ich habe mit ihr ihren 60. Geburtstag in Berlin gefeiert, natürlich in Dahlem. So sehr ich den Ostteil der Stadt lieben gelernt habe, wenn ich in den Grunewald komme, habe ich das Gefühl, jeden Pflasterstein zu kennen.

Thomas Treppe, genannt »Treppchen«, begegnete mir vor 20 Jahren zufällig auf Ibiza wieder, wo er mit seiner Frau und seinem Sohn lebte. Er hatte noch Kontakt zu unseren gemeinsamen Schulfreunden und wusste mehr über deren Werdegang. Bald haben wir aber nicht nur über alte Zeiten gesprochen, das Thema war schnell erledigt. Viel spannender war es, mit Thomas über die verheerende wirtschaftliche und soziale Lage in Spanien zu diskutieren. Er war inzwischen nach Barcelona gezogen und realisierte den krassen Unterschied zwischen Insel und Festland. Umso mehr genoss er die Tage auf Ibiza in seinem Haus, in seinem Garten mit seiner liebevollen Familie.

Wir werden nie mehr mit ihm streiten können. Thomas saß am 24. März 2015 im Flugzeug von Barcelona nach Köln und kam auf grauenhafte Weise ums Leben. Ein Verlust, der uns unglaublich getroffen hat, es fehlt ein Stück Ibiza.

Leben ohne Rezept

Подняться наверх