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Santa G – das Dorf
ОглавлениеIm Jahr 1969 waren wir fast die ersten Ausländer, die in unser Dorf Santa Gertrudis kamen. Es gab nichts. Die Bar Costa existierte schon, aber nur innen, und man erzählte sich unter Schaudern, dass drinnen Männer seien, die Alkohol trinken und Karten spielen würden. Ja, es ging sogar die schöne Geschichte um, dass der Dorfpfarrer, der »cura«, der aus reichem Haus stammte, mitspielte und dafür sorgte, dass die gewannen, die es dringend brauchten.
Vis-à-vis der Bar Costa, die heute ein Hotspot ist, bei den Deutschen bekannt als die Schinkenbar und wo sicherlich auch schon Wüsteres als Alkohol konsumiert wird, war und ist bis heute das »estanco«, der Tabakladen. In diesem Tabakladen stand früher das einzige Telefon im Dorf, und wenn die Besitzerin, Maria, einem gut gesinnt war, setzte sie sich in Bewegung, um mit dem Telefonamt Kontakt aufzunehmen und eine Verbindung zu verlangen, auf die man dann endlos, mindestens zwei Stunden, gewartet hat. Während dieser Wartezeit saß man anfangs noch ungeduldig, mit der Zeit gelassen und den Umständen ergeben, auf den kleinen Stühlchen, die vor dem »estanco« standen – und erfuhr alles, was von Bedeutung war, sodass das Telefonat eigentlich nebensächlich wurde.
Jeder, der Wasser brauchte, musste zum »estanco« kommen, denn dort war die Zisterne fürs Dorf, und brachte Nachrichten mit, die sofort mit einem Kommentar versehen an den nächsten Wasserholer weitergeleitet wurden. Obwohl heute jeder Wasser im Haus hat, ist das »estanco« immer noch die APA von Santa Gertrudis unter der Leitung von Toni, dem Sohn von Maria. Tabak wird auch verkauft, aber in Wirklichkeit wechseln hier neben baumfrischen Avocados die letzten interessanten Grundstücke und Fincas der Insel ihre Besitzer.
Bar Costa: Heinz, pata negra und Pepe
Santa Gertrudis in den frühen 1950er-Jahren.
Nur die Bar Costa kann man schon erkennen.
Heute gibt es in Santa Gertrudis neben der Bar Costa noch weitere 22 Lokale, in denen man von simplen Tapas über Pizza bis zu Thai Food alles bekommt. Damals haben wir in verständnislose Gesichter geschaut, wenn wir gefragt haben, ob es vielleicht Oliven oder gar ein Glas Wein im Dorf gäbe. Heute pilgern in den Sommermonaten die Schönen und Reichen nach Santa Gertrudis und hoffen auf die Gnade von Luca, damit sie im angesagten Café Macao noch einen Tisch ergattern. Vor der Bar Costa stehen die Menschen Schlange und die Terrassen von allen anderen Bars und Restaurants sind bis tief in die Nacht prall gefüllt. Komfort und Fußgängerzone haben den Charakter des Dorfes sehr verändert.
Aber selbst mitten im Juli, wenn man um 9 Uhr in der Früh auf einen Kaffee ins Dorf geht, scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Da ist fast immer noch die gleiche Besetzung wie vor 30 Jahren an den Tischen verteilt. Man grüßt, wenn man will, aber man lässt sich vor allem gegenseitig in Ruhe.
Und erst recht im Winter, unserer Lieblingszeit auf Ibiza. Im Winter sind von den 23 Lokalen nur die zehn wichtigen geöffnet, Thai Food und Pizza gibt es da nicht, aber dafür jede Menge Gemütlichkeit. Und einen Monat lang verfällt das Dorf überhaupt in einen tiefen Winterschlaf, wenn die Bar Costa Betriebsurlaub macht. Der letzte Abend vor diesem Betriebsurlaub ist allerdings das Fest des Jahres. An diesem Abend kommen Musiker von der ganzen Insel und sogar vom Festland und spielen umsonst für die Gäste, aber vor allen Dingen für den Besitzer der Bar, Pepe. Bis weit nach Mitternacht trudeln gut gelaunte Musiker in die Bar, bewaffnet mit Gitarren und Klarinetten, und es wird gespielt und getanzt.
»Closing« Bar Costa