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Ibiza

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Auf der Suche nach Sonne und Licht hat es uns nicht nur nach Davos verschlagen. Die Familie durfte jedes Jahr auch irgendwo am Meer in Italien Urlaub machen. Das heißt, meine Mutter fuhr mit uns drei Kindern im Auto nach Italien, meistens in ein gemietetes Haus, und dort warteten wir dann auf meinen Vater. Er war noch singend unterwegs und sollte nachkommen.

In Zeiten ohne Handy wurde das oft spannend. Meine Mutter fuhr mindestens drei Mal zum Flughafen Mailand, um ihn abzuholen, und kam ohne ihn zurück. Wenn er dann endlich da war, hat er es unglaublich genossen. Spaghetti, Cassata, Grappa – alles, was dick macht. Nach ein paar Tagen, an denen er einfach zu viel gegessen und getrunken hat, fand er heraus, dass das Klima nichts für ihn sei – entweder zu trocken oder zu feucht –, und verließ uns wieder.

Obwohl das für meine Mutter eher frustrierend gewesen sein muss, hat sie es jedes Jahr aufs Neue versucht. 1968 hat sie dann beschlossen, dass Italien nicht das Richtige sei, und auf Ibiza ein Haus gemietet. Wir fuhren wieder vor. Das Haus war eine reine Katastrophe, ohne Schatten mitten in der brütenden Juli-Hitze, ohne Wasser in der Einöde. Viel schlimmer konnte es nicht sein.

Mein Vater wurde wieder erwartet, kam diesmal auch auf Anhieb und wir waren eigentlich alle darauf eingestellt, dass er sofort wieder abreisen würde. Doch es geschah ein Wunder. Er kam an, ignorierte die ganzen Unzulänglichkeiten und war rundum glücklich. So glücklich, dass er beschloss, auf dieser Insel ein Haus zu suchen und sich niederzulassen.

Bis heute ist es mir unerklärlich, warum er sich so spontan in diese Insel verliebt hat. Ob Bes, der kathargische Gott, der für Gesang und Wein zuständig war und der Insel ihren Namen gegeben hat, die Finger im Spiel hatte? Oder waren es die Blumenkinder, die damals gerade begannen, die Insel zu bevölkern und so einen erfrischenden Kontrast bildeten zu dem grauen, überalterten Berlin der Nachkriegsjahre?

Nach kurzer Suche haben meine Eltern dann auch ihr Haus gefunden. Es bleibt mir unvergesslich, wie wir das erste Mal dorthin kamen. Der alte Besitzer saß im offenen »porcho«, trank Anisette und grinste uns vergnügt an. Er spürte offenbar, dass wir die richtigen neuen Bewohner für sein Haus sein würden. Und wie recht er hatte.

Seit 1970 ist dieses Haus nun unser geliebtes Heim auf Ibiza, meine Mutter hat mit unglaublich viel Feingefühl und Geschmack aus dem ehemaligen Kloster ein Juwel geschaffen. Ein Juwel ohne Strom und ohne eigenes Wasser.

Der Strom wurde bald eingeleitet, aber das Wasser musste mit dem Tankwagen geliefert werden. Allerdings gab es das Gerücht, dass es auf unserem Grund Wasser geben müsste. Ein Wünschelrutengänger hat den genauen Punkt bestimmt, wo seinem Gefühl nach das Wasser sein sollte, und meine Eltern entschlossen sich, dort zu bohren. Damals war das ein unglaublich teures und aufwendiges Unternehmen, weil die Bohrmaschine vom Festland auf die Insel gebracht werden musste.

Am ersten Tag war die Enttäuschung sehr groß, es kam gar nichts. Am zweiten Tag keimte leise Hoffnung auf, die Erde wurde schwarz. Am dritten Tag um 10 Uhr vormittags schoss eine Fontäne Wasser in den Himmel. Und nach ein paar weiteren Stunden war klar, dass es sich nicht um einen Brunnen handelte, sondern dass es eine Quelle war.

In diesen Zeiten war das auf Ibiza mit dem Fund einer Ölquelle gleichzusetzen. Die Quelle wurde gefasst, das Wasser nicht nur zu unserem Haus geleitet, sondern der Tradition entsprechend auch zu allen Nachbarn und ins Dorf. Die Tradition verlangte es auch, dass wir ein Wasserfest ausrichten mussten. Paella und Fleisch für 100 Personen wurden beschafft und hergerichtet. Um 14 Uhr sollte das Fest beginnen. Aber niemand kam. Kein Auto. Nichts.

Als wir schon leicht verzweifelt vom Dach unseres Hauses Ausschau hielten, sahen wir eine lange schwarze Prozession, die sich in unsere Richtung bewegte. Bei so einem Anlass ging man zu Fuß und legte die Tracht an. Tradition. Es wurde ein sehr ausgelassenes Fest, das den Grundstein für die herzliche Beziehung legte, die uns heute noch mit den Dorfbewohnern, ihren Kindern und Enkeln verbindet.

Mein Vater sprach als Bündner Rumantsch, und das sollte ihm die Kommunikation mit den Ibicencos unglaublich erleichtern. Unter Franco war Catalan verboten, aber die Familien haben es untereinander trotzdem gepflegt. Catalan oder Ibicenco ist mit dem Rumantsch so nahe verwandt, dass sich mein Vater mit den Einheimischen problemlos in deren Geheimsprache verständigen konnte, was ihm größten Respekt einbrachte. Bis heute ist er im Dorf einfach el Señor.

Übrigens ist seit einigen Jahren Catalan auf Ibiza die Amtssprache neben Castellano. Die Kinder lernen in der Schule zuerst Catalan und dann – quasi als erste Fremdsprache – Castellano.

Leben ohne Rezept

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