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Hans der Geschichtenerzähler

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So vergingen der Januar und Februar. Der ungewöhnlich warme März ließ den Schnee tauen und die ersten Schneeglöckchen ihre Blüten entfalten. Das war die Zeit, in der Hans den ganzen Tag allein im Hause war, denn immer klappte es mit den Nachtschichten seines Vaters auch nicht. Die Nachbarkinder kamen und spielten auf dem Sandhaufen vor dem Küchenfenster. Ihr Lachen und Toben weckte Hans aus seiner Traurigkeit, aber er konnte nicht mit ihnen spielen, denn die Wohnung war verschlossen.

Er kletterte auf den Küchentisch, der direkt vor dem Fenster stand und öffnete das Fenster. So konnte er sich mit den Kindern unterhalten. Aber nach einer Stunde wurde den Nachbarskindern kalt und sie verschwanden wieder. Wieder war er allein und tief traurig. Am nächsten Tag war es wieder so, diesmal hatte sich Hans aber etwas ausgedacht. Er erzählte Helmut, Gerda, Elli und dem kleinen Manfred – alle vom Nachbargrundstück – eine Geschichte, so wie er sie oft von seiner Mutter gehört hatte.

Damit sie recht gruslig und spannend wurde, dichtete er noch einiges dazu. Den Kindern gefiel das. Fernsehen gab es noch nicht und ein Rundfunkempfänger war zu teuer, den gab es auch nicht. Für die Kinder war das eine willkommene Abwechslung und sie freuten sich auf den nächsten Tag, an dem Hans eine neue Geschichte erzählen wollte.

So ging es die ganze Woche weiter und die Phantasie von Hans im Erfinden neuer Geschichten fand vorerst kein Ende. So wurde er frühzeitig zum Erzähler und diese Gabe setzte sich fort bis zur Schulzeit und auch später danach.

Die Tage wurden wieder kälter und es regnete Tag und Nacht. Die Kinder kamen nicht mehr zum Sandhaufen, um zu spielen und sich Geschichten anzuhören. Schon nach 16:00 Uhr wurde es dunkler und der Regen prasselte an das nun geschlossene Küchenfenster.

Da klopfte es energisch an die Haustür. Eine fremde, furchteinflößende tiefe Stimme forderte Einlass. Man konnte deutliche hören, dass die Stimme verstellt war. Hans pochte das Herz bis zum Hals. Er nahm allen Mut zusammen und sagte mit fester Stimme: „Fremde Leute lassen wir hier nicht rein, kommen Sie später wieder!“

Nach dieser Antwort blieb alles still, doch dann ertönte ein Lachen, so wie nur seine Mutti lachen konnte. „Aber Hans, erkennst du deine Mutti nicht? Lass mich schnell rein, denn ich bin vom Regen nass wie eine Katze und will mich nicht erkälten.“

Mit zitternden Fingern versuchte Hans, den Schlüssel in das Schloss zu stecken, das gelang aber erst nach mehreren Versuchen. Endlich war die Tür geöffnet und Mutter und Sohn lagen sich in den Armen.

Die Mutter zog schnell die nassen Sachen aus und dann ging ein Erzählen los, das kein Ende nahm und die Abendbrotzeit vergessen ließ. Wie jeden Tag hatte der Vater die Stullen für Hans als Abendbrot fertig gemacht. Hans erinnerte sich daran, stellte alles für die Mutter einladend auf den Tisch und seit langer, langer Zeit konnten beide wieder gemeinsam Abendbrot essen. Danach konnte sich Hans – zum Erstaunen der Mutter – allein waschen und ermattet von der Aufregung gingen beide zum Schlafen ins Bett.

Eng aneinander gekuschelt schliefen beide ein. So fand sie Robert, als er nach 22:00 Uhr von der Arbeit kam und erstaunt war, dass das Abendbrotgeschirr schon abgewaschen und zurück im Küchenschrank abgestellt war.

Jahrgang 1928 - Erinnerungen

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