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Putz – der Findling

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Ein weißer Spitz war es, vielleicht ein viertel Jahr alt. Er winselte leise, das war der Ton, den Hans gehört hatte. Der Hund schüttelte sich, so dass die Wassertropfen bis auf das Stullenpaket neben dem Rucksack flogen. Von seinem Oberschenkel bis quer über die Brust war ein blutverschmierter Riß im Fell zu sehen. Er saß kerzengerade vor Hans und hatte die rechte Vorderpfote angewinkelt angehoben. Er wollte wohl damit andeuten, dass diese Pfote auch nicht in Ordnung war. Mit treuen aber wie es Hans schien mit flehenden Augen sah er unverwandt Hans an.

Der streckte die Hand nach ihm aus und erschrocken prellte der Hund zurück. In genügender Fluchtentfernung blieb er stehen und wusste offenbar auch nicht weiter. Sollte er sich zurückziehen oder konnte er Vertrauen haben und wieder näher herankommen?

Ein Stück Brot von der mitgebrachten Stulle abgebrochen und in der Hand von Hans ließ Ihn vorsichtig wieder näher kommen. Nach unendlich langem Zögern nahm er das Brot und wedelte mit seinem buschigen Schwanz. Ein gutes Zeichen. Langsam kam er fast auf dem Bauch kriechend näher. Er hatte Hunger, ein zweites Stück Brot verschlang er gierig. Nach dem vierten Brotbissen ließ er sich anfassen und streicheln. Vorsichtig fuhr Hans mit seinen Fingern über die Wunde im Brustbereich des Hundes. Auch das ließ er sich gefallen und leckte aus Dankbarkeit die streichelnde Hand.

Was hast Du nur gemacht, warum bist du so nass? Aber der Hund konnte nicht antworten, obwohl es so schien, als könnte er verstehen, was der Mensch vor ihm sagte. Später stellte sich heraus, dass der ganze Wurf im Wehlenteich ertränkt werden sollte, weil ein Bauer aus dem Nachbarort diese Hunde nicht haben wollte. Aber zu diesem Zeitpunkt wusste das Hans noch nicht. Liebevoll strich er über den nassen Hund und der rückte näher an ihn heran. Er nahm Körperkontakt mit Hans auf, das heißt er kuschelte sich an seinen Oberschenkel.

Hans wollte ihn in den Rucksack stecken, aber in panischer Angst befreite sich der Hund wieder aus den Händen des Menschen und war drauf und dran, nicht nur von Hans abzurücken sondern auch das Weite zu suchen. Er zitterte am ganzen Körper. Erst ein paar leise und beruhigende Worte und der Rest der Stulle beruhigten ihn und er kam wieder näher.

Weil er immer noch zitterte, zog Hans seine Jacke aus und deckte ihn damit zu. Ausführlich beschnupperte der kleine Hund die Jacke, dann rollte er sich zusammen und schloss die Augen. Nach den Aufregungen und Strapazen des Tages fühlte er sich hier endlich sicher und konnte beruhigt einschlafen. Mit dem Menschen, der ihn fütterte, verband ihn eine Zuneigung, die auf Gegenseitigkeit beruhte und aus der eine echte Freundschaft werden sollte.

Doch dazu mussten erst noch einige Klippen überwunden werden. Hans grübelte. Wie sollte er der Mutter klar machen, dass er den kleinen Hund behalten und um nichts in der Welt wieder hergeben wollte. Wie würde der Liebling der Mutter, ihr Kater Felix, den neuen Hausgenossen begrüßen? Die nächste Stunde würde Klarheit bringen, wenn er den Spitz zu Hause vorstellte.

Wie sollte der überhaupt heißen? Er betrachtete das weiße zottige Etwas, das sich neben ihm in seine Jacke eingekuschelt hatte. Nass und schmutzig wie ein Putztuch.

„Putz werde ich dich nennen, mein Kleiner. Putz ist ein schöner und treffender Name für Dich. Aber, wie bekomme ich dich wach?“

Als Antwort auf diese leise gesprochenen Worte räkelte Putz sich und rückte näher an Hans heran.

„Nein, so geht das nicht. Wir müssen aufstehen, nach Hause gehen und dich der Mutter und unserem Kater Felix vorstellen. Benimm dich anständig und mache ein freundliches Gesicht, damit du gnädig aufgenommen wirst“, ermunterte Hans den Hund, meinte aber eigentlich sich selber.

Putz blinzelte, räkelte sich und stand auf.

„Du bist ein schlauer Hund, hast also alles verstanden.“

Wie zur Bestätigung wedelte Putz erneut mit dem Schwanz und bedeutete damit, dass er für den Heimweg bereit war. Als wäre es schon immer so gewesen, trottete Putz in Schrittlänge hinterher, blieb nirgends stehen und war bemüht, den Kontakt zu seinem neuen Herrn nicht zu verlieren.

Zu Hause angekommen, sah Hans seine Mutter in der Küche werkeln und hörte sie schimpfen: „Ich dachte du bist unterwegs eingeschlafen!“ In diesem Augenblick sah sie den kleinen Hund, der hinter den Beinen ihres Sohnes wie ein Spitzbube hervorlugte.

„Was soll denn das, wer ist das denn?“, konnte sie sich nicht verkneifen zu fragen.

„Das ist Putz“, antwortete Hans und erzählte die Geschichte. Auch die vom Sperling und seiner Traurigkeit und wie er von Putz getröstet wurde. Er schnitt ein bisschen auf, um damit zu begründen, warum er Putz unbedingt behalten wollte.

Die Mutter sah ihn lange an und bemerkte, dass es ihm sehr ernst war mit seiner Bitte, den Hund behalten zu dürfen. Gleichzeitig war sie auch von seiner Geschichte und dem mitfühlenden Herzen ihres nun schon fast erwachsenen Sohnes, gerührt. Sie strich zärtlich eine widerspenstige Haarsträhne aus seinem Gesicht, beugte sich zu dem kleinen Hund herunter und strich auch ihm liebevoll über seinen strubbeligen Kopf.

„Na, du Rumtreiber, auf dich haben wir gerade noch gewartet, damit jemand auf Haus und Hof aufpasst.“ Damit war er aufgenommen und Hans fiel ein Stein vom Herzen.

Was würden aber seine Freunde Fritz, Paul und Alois sagen? Na, da sind wir jetzt eben ein Kleeblatt mit Hund.

Jahrgang 1928 - Erinnerungen

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