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7 AM SELBEN NACHMITTAG

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Sie parkte in der Kastellgata, wo Olle eine Zweizimmerwohnung gemietet hatte. Von dort aus machte sie einen raschen Spaziergang zu seinem Büro am Stortorget.

»Du solltest im Bett liegen«, waren seine ersten Worte, als er sie sah.

»Sehe ich so schlimm aus?«, fragte sie und schnäuzte sich vorsichtig.

»Nein, aber ziemlich erkältet«, erwiderte er. »Wie hast du dir den Abend vorgestellt? Wollen wir essen gehen? Oder zu mir nach Hause?«

Er schien beide Alternativen nicht sehr verlockend zu finden.

»Ich weiß nicht . . .«

»Wie wär’s, wenn wir uns den Fischauflauf teilen, den ich noch im Gefrierfach habe. Ich kann ihn uns in der Mikrowelle warm machen. Das hatte ich eigentlich als Abendessen geplant.«

Sie rümpfte unwillkürlich ihre Stupsnase. Tiefgekühlter Fischauflauf, in der Mikrowelle erwärmt, war nicht gerade das, was sie sich unter einem leckeren Abendessen vorstellte. Andererseits waren öffentliche Lokale für das Geständnis, das sie ablegen wollte, nicht sonderlich geeignet.

»Wir gehen zu dir«, entschied sie. »Mein Auto steht auch schon da.« Versuchsweise hakte sie sich bei ihm ein, und als er sich nicht wehrte, drückte sie versöhnlich seinen Arm, als sie sich auf den Weg machten.

Auf ihren Vorschlag hin deckte er den Couchtisch, damit sie nicht in der Küche sitzen mussten, in der sich das Geschirr türmte. Doch im Wohnzimmer sah es nicht viel besser aus. Verstohlen betrachtete sie die staubigen Möbel, Zeitungsstapel, Papierberge sowie die schmutzige Wäsche, die überall herumlag. Doch sie verkniff sich einen Kommentar.

»Wenn ich gewusst hätte, dass du kommst, hätte ich natürlich sauber gemacht.«

»Ach, das macht doch nichts.«

Er sammelte einige Hemden ein und beförderte mit dem Fuß ein paar schmutzige Socken unter das Sofa. Dann machte er sich über den Fischauflauf her. Ohne den geringsten Appetit stocherte sie in ihrer Portion und hätte sich am liebsten auf seinem Sofa unter eine warme Decke gelegt. Doch noch wollte sie keine Schwäche zu erkennen geben. Nachdem sie aufgegessen hatte, bereitete sie sich mit etwas Nasenspray und einer Kopfschmerztablette auf den bevorstehenden Schlagabtausch vor, der ihr unausweichlich schien.

Es hatte ihr noch nie gelegen, die Dinge zu beschönigen oder lange um den heißen Brei herumzureden, also erklärte sie mit der Impulsivität, die sicher auch Olle von ihr erwartete: »Ich will keine Scheidung.«

Er wirkte weder erleichtert noch enttäuscht. Nicht einmal verwundert. Schweigend stocherte er mit einem abgebrochenen Zahnstocher zwischen seinen Zähnen, während er sie forschend anblickte.

Sie fand es an der Zeit, ihre Sünden zu bekennen, denn damit wollte sie natürlich anfangen. Doch angesichts seiner undurchdringlichen Miene verließ sie der Mut, also wählte sie ein Ausweichmanöver.

»Ich habe über alles gründlich nachgedacht«, sagte sie, »und ich bin zu der Erkenntnis gelangt . . . dass wir viel zu viel reden.«

Keine Antwort.

»Wir theoretisieren die ganze Zeit«, fuhr sie fort, »und verlieren uns selbst dabei. Was wir brauchen, ist mehr Natürlichkeit. Und mehr gegenseitige Rücksichtnahme auf unsere wirklichen Bedürfnisse.«

Um ihre Unsicherheit zu verbergen, schnäuzte sie sich ausgiebig.

»Ich glaube wirklich, dass wir unsere Probleme lösen könnten, wenn wir ein gemeinsames Ziel hätten – ein Lebensprojekt.«

Sie hatte am falschen Ende angefangen. Diese Dinge hatte sie erst später zur Sprache bringen wollen. Und in Anbetracht der Tatsache, dass sie eigentlich über Petrus reden wollte, war dies eine umständliche Einleitung, doch ihr Gegenüber sah so irritierend unbeteiligt aus.

»Wir müssen uns unseren wirklichen Problemen stellen«, fuhr sie unbeirrt fort. »Und das tun wir nicht, wenn wir uns in unendliche Diskussionen verstricken. Außerdem habe ich eingesehen, dass es ziemlich sinnlos und feige ist, ständig voreinander wegzulaufen. Ich will dich doch haben . . . Frag mich nicht, warum.« Sie stieß ein zaghaftes Lachen aus. »Jedenfalls bin ich bereit, gewisse Probleme in Kauf zu nehmen.«

An sich kein schlechter Vortrag. Es ließe sich allenfalls einwenden, dass sie dem Kernpunkt nicht näher gekommen war.

Sie hörte sich selbst mit empfindsamer Stimme fortfahren: »Ich hatte so schreckliche Sehnsucht nach dir.«

Da stand er auf, ging rasch um den Tisch herum und ließ sich neben sie auf das Sofa fallen.

»Ich auch«, brummte er und legte ihr den Arm um die Schultern. Mit der anderen Hand strich er ihr über die Haare. Sie seufzte selig und schmiegte ihre Stirn an seinen Hals.

»Da gibt es etwas . . . eine Sache . . . über die ich zuerst mit dir reden muss. Und danach will ich dir einen Vorschlag machen«, sagte sie matt.

Er brachte sie mit einem fischduftenden Kuss zum Schweigen, während seine Hand auf ihre Brust glitt.

»Ich habe auch einen Vorschlag«, murmelte er. »Wir gehen jetzt ins Schlafzimmer.«

»Jetzt? Aber wir müssen reden!«

»Du hast doch selbst gesagt, dass wir viel zu viel reden. Wir sollten an unsere wirklichen Bedürfnisse denken . . . ganz natürlich sein . . . Komm jetzt.«

Er zog sie vom Sofa hoch und führte sie zur Schlafzimmertür, ohne seinen Griff um ihre Schultern zu lockern.

»Aber ich bin furchtbar erkältet«, protestierte sie kleinlaut.

»Das weiß ich«, entgegnete er, während er sich die Schuhe von den Füßen trat und an seinem Schlips zerrte. »Wenn du wüsstest, wie erotisch deine heisere, dunkle Stimme klingt.«

Sie landeten quer über seinem ungemachten Bett, was sie sich zwar erhofft hatte, allerdings zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt, nachdem sie alles gründlich ausdiskutiert hatten. Und als er sie mit der intimen Kenntnis ihrer Wünsche entkleidete, gab sie für den Moment ihren Versuch auf, die vorgesehene Reihenfolge einzuhalten. Reden konnten sie auch später. Sie hatten doch noch das ganze Leben vor sich.

»Worüber wolltest du eigentlich mit mir reden«, fragte er ungefähr eine Stunde später.

Da ruhte sein Kopf auf ihrem nackten Bauch, während sie ihre Finger durch sein dichtes Haar gleiten ließ. Im Dunkel des Raumes dösten sie vor sich hin, eingehüllt von ihrer Wärme und einer wohligen Mattheit. Angesichts seiner Frage dachte sie, noch ein wenig benommen, dass man es mit der Wahrheitsliebe auch übertreiben konnte. Es wäre geradezu idiotisch, den Zauber des Augenblicks durch ein Geständnis zu zerstören, das im Grunde völlig bedeutungslos war. Statt zu antworten, intensivierte sie ihre Kopfmassage. Doch er schien es wirklich wissen zu wollen, also wiederholte er seine Frage.

»Ich wollte dir unter anderem einen Vorschlag machen, wie wir unser Zusammenleben verbessern könnten«, entgegnete sie.

»Im Moment funktioniert unser Zusammenleben doch wunderbar«, sagte er.

»Ich meine, auf Dauer.«

Er hob den Kopf und sah sie forschend an, doch sie drückte ihn sogleich wieder nach unten.

»Ich finde, wir sollten auf dem Land wohnen«, fuhr sie entspannt fort.

»Auf dem Land?«, wiederholte er misstrauisch.

»Ja, warum denn nicht? Viele Menschen tun das.«

»Haben wir nicht schon genug Probleme?«

»Wie meinst du das?« Sie zog ihn spielerisch am Ohr. »Haben wir nicht oft darüber geredet, uns ein Haus zu kaufen? Einen völlig neuen Lebensstil zu pflegen?«

»Geredet, ja.«

»Was ich vorschlagen will, ist ein Experiment – oder ein Abenteuer, wenn dir das lieber ist.«

»Wo soll das Abenteuer stattfinden?«

Sie fuhr sich über die Lippen. »Auf dem alten Hof Röshult. Der steht nämlich zum Verkauf.«

Jetzt war es heraus. Während sie ihren Finger behutsam über seine Stirn führte, wartete sie gespannt auf eine Reaktion.

»Von wem weißt du das?«

»Von Leif Rösling natürlich. Er hat mich heute Vormittag angerufen und uns den Hof zum Kauf angeboten.«

Sie sah, wie sich zwischen seinen Augenbrauen eine tiefe Falte bildete. Er schien in Gedanken versunken zu sein. Nach einer Weile zog sie ihn sanft an den Haaren.

»Hallo, du da! Darf ich um irgendeine Reaktion bitten?«

Er gab ein trockenes Lachen von sich. »Entschuldige mein Zögern, aber ich brauchte einen Moment, um zwei und zwei zusammenzuzählen.«

»Wieso zwei und zwei?«

»Ich glaube, ich habe unfreiwillig dazu beigetragen, dass er plötzlich verkaufen will.«

»Wie denn das?«

»Hab ich dir eigentlich mal erzählt, dass ich seinen Bruder Birger kenne? Er wohnt in Malmö.«

»Nein, das hast du natürlich nicht. Du erzählst mir doch nie, wen du so alles triffst.«

»Ich dachte, meine Berufskontakte interessieren dich nicht. Außerdem ist er nicht gerade eine besonders spannende Bekanntschaft. Er rief mich vor ein paar Wochen an, weil er einen Rat haben wollte. Sein Halbbruder war plötzlich aufgetaucht und wollte sein Erbe haben, nachdem er über vierzig Jahre in Amerika war. Ich habe ihn getroffen. Ein ziemlich streitlustiger Typ. Ich glaube, Birger war die Angelegenheit sehr unangenehm, aber soweit ich die Sache beurteilen kann, sind seine Ansprüche berechtigt, also habe ich ihm den einzig vernünftigen Rat gegeben, nämlich sich an das Amtsgericht zu wenden und einen Testamentsvollstrecker zu beantragen. Leif Röslings Angebot ist bestimmt die Folge davon.«

»Glaubst du, dass er schnell Geld lockermachen muss, um es seinem Bruder in den Rachen zu werfen?«

»Vermutlich. Wie viel wollte er denn haben?«

Sie schloss die Augen und sagte ein wenig kurzatmig: »Dreihundertfünfzigtausend.«

Jetzt kam zumindest eine spontane, heftige Reaktion. Er setzte sich auf und sah sie aufgebracht an. »Dreihundertfünfzigtausend? Für so eine Bruchbude? Der muss uns für Vollidioten halten.«

»Ach, so heruntergekommen ist der Hof doch gar nicht«, sagte sie. »Als wir ihn uns mal angesehen haben, hast du dich jedenfalls ganz anders angehört. Damals warst du ziemlich beeindruckt, wenn ich mich recht erinnere. Und ich weiß auch noch, dass du überall geklopft und dich gewundert hast, in wie gutem Zustand das Holz von Wänden und Boden noch war. Eigentlich müsste man nur die Fenster erneuern . . . und den Großteil des Dachs, versteht sich. Dann isolieren wir, legen Wasser- und Stromleitungen und streichen und . . .«

Inzwischen saß er auf der Bettkante, hatte ihr den Rücken zugedreht und suchte irgendwas auf dem Boden.

»Streichen?«, fragte er gereizt. »Das klingt ja so, als wäre die Sache bereits entschieden. Was hast du ihm eigentlich gesagt?«

»Nur, dass wir uns die Sache überlegen wollen.«

»Was gibt es da zu überlegen? Ob wir uns von ihm übers Ohr hauen lassen wollen? Und wie hast du dir alles andere gedacht? Soll ich etwa jeden Tag zwischen Röshult und Malmö hin- und herpendeln? Und Joakim – willst du ihn auf eine andere Schule schicken? Hast du ihn überhaupt gefragt?«

Sie begriff, dass der Zauber gebrochen war, und zog die Decke über ihren nackten, kalt gewordenen Bauch.

»Warum regst du dich denn so auf?«, fragte sie. »Außerdem weißt du sehr genau, dass sich Joakim auf seiner Schule nicht wohl fühlt. Wenn er nicht direkt gemobbt wird, dann ist es kurz davor. Der Einzige, der ihm fehlen würde, ist Fredrik, und den kann er auch weiterhin treffen. Außerdem weiß ich, dass er überglücklich wäre, das ganze Jahr über auf Röshult zu wohnen. Und du brauchst auch nicht nach Malmö zu pendeln, wenn du endlich den Job in Christiansholm annimmst.«

»Ach, daher weht der Wind!«, rief er erregt. »Das hast du ja wieder toll eingefädelt, und am Ende soll ich vollkommen nach deiner Pfeife tanzen.«

Er wühlte in ihren Kleidern, die sie vor einer Stunde so großzügig im Zimmer verteilt hatten.

»Wo zum Teufel sind meine Socken?«

»Was willst du jetzt mit denen?«

»Ich muss aufs Klo.«

»Geht das nicht ohne Socken?«

»Der Boden ist so saukalt.«

»Können wir nicht in aller Ruhe darüber reden?«

Sie erhielt keine Antwort, weil er gerade eine Socke übergestreift hatte und zum Badezimmer hinkte.

»Wenn du kein Interesse hast, dann kaufe ich den Hof eben allein. Das Geld kann ich mir leihen!«, rief sie ihm nach. Sie staunte über ihren spontanen Einfall und fragte sich, ob sie einer solchen Aufgabe wirklich gewachsen wäre. Allein mit Joakim in den Wäldern um Göinge? Warum eigentlich nicht? Sie konnte sich jederzeit einen großen Hund anschaffen, und Petrus war schließlich auch in der Nähe . . .

Nein, an Petrus wollte sie jetzt nicht denken.

Als könnte Olle Gedanken lesen, fragte er sofort, als er wieder da war: »Willst du etwa allein mit Joakim dort wohnen?«

»Wer sagt denn, dass ich für den Rest meines Lebens allein bleiben muss«, sagte sie. Er kroch wieder neben sie unter die Decke. Dann schob er seinen Arm unter ihren Nacken und zog sie näher an sich heran.

»Jetzt gehen wir in Ruhe noch mal alles durch«, sagte er. »Dreihundertfünfzigtausend ist ein Haufen Geld, jedenfalls für uns.«

»Unser Sommerhaus und acht Hektar Grund sind im Preis inbegriffen.«

»Das wäre ja auch noch schöner. Aber der Hof ist völlig veraltet. Die Renovierung würde Unsummen verschlingen. Die haben doch nicht mal fließend Wasser. Und die wenigen elektrischen Leitungen, die existieren, sind sicher lebensgefährlich. Alles muss erneuert werden. Und eine Zentralheizung hat nur Sinn, wenn das ganze Haus zuvor gründlich isoliert wird.«

»Was willst du?«, fragte sie. »Der Hof stammt aus dem achtzehnten Jahrhundert und ist seit Ende der vierziger Jahre nicht mehr bewohnt worden. Aber gib zu, dass es ein faszinierender Ort ist. Das hast du selbst schon so oft gesagt.«

»Und was soll man mit dem Grund und Boden anfangen? Wertloser Mischwald, ein paar kahle Felsen und altes Sumpfgebiet.«

Sie befreite sich irritiert von seinem Arm und stützte sich auf die Ellbogen. »Was ist eigentlich mit deinem Gedächtnis los?«, fragte sie streitlustig. »Das alte Sumpfgebiet, vom dem du so abfällig sprichst, ist ein intaktes Moor mit einem reichen Vogelleben. Und wer hat sich vor Begeisterung nicht wieder eingekriegt über das großartige Weideland direkt um die Ecke? Den wertlosen Mischwald haben wir übrigens beide als unberührtes Paradies bezeichnet. Und die herrliche Aussicht konntest du gar nicht genug loben.«

»Okay, es ist schön da oben, und der Wald und das Moor gefallen mir auch, wie du weißt. Aber das Haus in einen halbwegs bewohnbaren Zustand zu versetzen, dürfte mindestens eine halbe Million kosten. Und für eine halbe Million kannst du gleich ein neues Haus bauen.«

»Ich will aber kein neues Haus bauen.«

»Ich auch nicht, aber es muss doch Grenzen geben . . .«

»Warum muss es denn immer ums Geld gehen? Können wir uns denn nicht einmal bemühen, die Sache aus einer anderen Perspektive zu betrachten? Wir wollen beide auf dem Land wohnen; zumindest schien es mir immer so, als wolltest du auch. Obwohl wir nie daran geglaubt haben, dass es Wirklichkeit werden könnte, denn Leif wollte ja nicht mal das Sommerhaus verkaufen. Aber jetzt hat er es sich anders überlegt, und wir sind die Ersten, die er gefragt hat. Da geht es doch nicht allein um den materiellen Wert. Der Hof ist ein Kleinod, und ihn auf Vordermann zu bringen eine Lebensaufgabe.«

»Ja, es ist ein schöner Ort«, räumte er ein.

Sie schmiegte sich an ihn. »Wenn man das Ganze aus einem übergeordneten Blickwinkel betrachtet, muss man es fast als Wink des Schicksals bezeichnen. Du hast einen Job in Christiansholm angeboten bekommen. Leif Rösling braucht plötzlich Geld und beschließt, den alten Hof der Familie zu verkaufen. Solche Gelegenheiten darf man nicht ungenutzt verstreichen lassen.«

»Du glaubst gar nicht, was für eine Heidenarbeit das ist.«

»Aber das ist doch wunderbar«, sagte sie und kitzelte mit der Zunge seinen Hals.

»Was du auch sagst, wir werden uns bis über beide Ohren verschulden.«

»Nicht unbedingt. Erst mal können wir bestimmt den Preis etwas runterhandeln. Er schien es ja ziemlich eilig zu haben. Die Wohnung in Christiansholm könnten wir dieses Frühjahr verkaufen und den Sommer schon im Ferienhaus verbringen, während wir renovieren. Im Hauptgebäude brauchen wir dieses Jahr doch nur das Nötigste zu tun. Wenn wir die Küche und einen der Räume herrichten, haben wir im Winter schon mal ein Dach über dem Kopf. Den Rest können wir dann in aller Ruhe erledigen. Wir machen einfach eins nach dem anderen. Zuerst das Wohnhaus. Die Wirtschaftsgebäude kommen später dran. Natürlich müssen wir einen Kredit aufnehmen, aber der braucht nicht allzu hoch zu sein. Schließlich geht es ja um eine einmalige Investition, nicht um laufende Kosten.« Ihr Zeigefinger tanzte über seinen nackten Brustkorb, als stelle sie in der Dunkelheit exakte Berechnungen an. »Ein Realwert«, fügte sie kundig hinzu.

»Du tust gerade so, als würden wir einen Gewinn machen, wenn wir den Hof kaufen«, sagte er.

»Einen Gewinn fürs Leben auf jeden Fall.«

»Was hat er eigentlich gesagt?«

»Leif?«

»Ja, wie ist er die Sache angegangen?«

»Er sagte, da er wüsste, dass wir interessiert seien, wolle er uns zuerst fragen. Aber er wollte eine rasche Antwort. Ansonsten wird er einen Makler beauftragen.«

»Mit dreihundertfünfzigtausend kommt er nicht weit«, sagte Olle. »Wenn man bedenkt, was ganz Röshult wert ist, wird er seinem älteren Bruder vermutlich sehr viel mehr bezahlen müssen. Ich frage mich wirklich, woher er das Geld nehmen will.«

»Was weiß ich.«

»Er wird wohl eine Hypothek auf den Hof aufnehmen müssen. Vermutlich ist es für ihn von Vorteil, zuerst das brachliegende Land oben beim alten Hof abzustoßen. Zumindest finde ich keine andere Erklärung dafür, dass er so plötzlich verkaufen will. Aber merkwürdig ist es schon.«

»Was ist daran so merkwürdig?«

»Leif Rösling ist ein Fuchs, und wenn er ein Geschäft machen will, sollte man sich genau vergewissern, was dahinter steckt.«

»Aber das wissen wir doch bereits. Er braucht Geld. Das ist der übliche Grund, warum Leute Geschäfte machen.«

»Wir sollten mit Petrus reden«, sagte er nachdenklich. »Der versteht was von alten Häusern und Geschäften. Wir nehmen ihn einfach mit zur Besichtigung.«

Sie biss sich auf die Lippe. Es war so weit. Jetzt konnte sie nicht mehr ausweichen.

»Mit Petrus habe ich schon gesprochen.«

»Hast du? Wann denn? Ich dachte, Leif hätte dich heute erst angerufen.«

»Ja, aber danach habe ich Petrus angerufen, weil . . . weil ich einfach mit jemandem reden musste.«

Sie spürte, wie er unter ihren Fingern erstarrte. »Du wolltest also nicht erst mal mit mir darüber reden?« Er klang verletzt.

»Nicht am Telefon. Nicht in der jetzigen Situation, wo alles so schwierig ist zwischen uns. Das verstehst du doch.«

»Was hat er gesagt?«

»Er . . . hat mir abgeraten. Ihm gefiel die Idee nicht. Aber das nehme ich nicht so ernst. Er scheint Leif nicht ausstehen zu können, also kann er auch nicht objektiv urteilen.«

»Normalerweise weiß er, wovon er spricht. Wenn ich jemandem vertraue, dann ist es Petrus. Erzähl mir genau, was er gesagt hat.«

Sie spürte, wie ihr der Atem stockte. »Alles ist so kompliziert«, murmelte sie.

»Warum? Was hat er gesagt?«

Sie schloss die Augen und – fasste sich ein Herz:

»Ich habe . . . wir haben . . . miteinander geschlafen.«

»Was?«

»Wir hatten Sex. Aber das bedeutet überhaupt nichts. Es war nur ein zufäll . . .«

Weiter kam sie nicht, bevor er aus dem Bett sprang. Er presste sich die Decke, die er mitgerissen hatte, vor den Bauch und starrte sie an, als hätte er soeben ein ekelhaftes Ungeziefer zwischen den Laken entdeckt.

»Was sagst du da?«, stieß er hervor.

Sie begann zu zittern und sah sich nach etwas um, womit sie sich bedecken konnte.

»Ich habe es schon zweimal gesagt«, erwiderte sie. »Du musst es doch verstanden haben.« Sie bekam ihr Hemd zu fassen und zog es sich über den Kopf. »Wie gesagt, es war nur ein dummer Zufall, eine Verirrung, und die wird sich nicht wiederholen. Obwohl ich es nicht bereue.«

»Und das sagst du mir erst jetzt?«

»Ich wollte es ja vorhin schon sagen, aber ich gebe zu, dass ich viel zu schnell aufgab, bevor wir . . . ins Schlafzimmer gingen. Natürlich wollte ich es dir erzählen, und da wir schon mal von Petrus reden . . .«

»Wie lange schon?«, fragte er eisig.

»Es war nur zwei Mal, vor vierzehn Tagen, nachdem wir uns so gestritten hatten und du einfach abgehauen bist. Ich dachte, alles ist vorbei, und musste unbedingt mit jemandem reden. Er kam sofort und hörte mir zu und . . . Ja, er war mir wirklich eine große Stütze.«

»Das kann man wohl sagen«, zischte Olle mit zusammengebissenen Zähnen.

»Wir haben über alles gesprochen, Petrus und ich, und für uns hat sich die Sache erledigt. Wir wissen beide, dass alles etwas . . . überhastet war, und er versteht auch, dass du und ich zusammengehören. Und er ist weiterhin unser Freund.« Sie war sich darüber im Klaren, dass die sie Wahrheit verfälschte und Petrus sich ganz und gar nicht so vorbildlich verhielt, wie sie behauptete.

Olle hatte sich auf den einzigen Stuhl des Raumes gesetzt, der dem Bett gegenüberstand. Er hatte den Rücken gestreckt und die Decke um sich gewickelt. Mit seinen dunklen, zurückgestrichenen Haaren sah er im Halbdunkel aus wie ein weiser, grimmiger Indianerhäuptling. Doch als er den Mund aufmachte, hörte er sich eher wie ein beleidigter Teenager an.

»Der ist überhaupt nicht mein Freund.«

Sie verstand, dass er sehr erregt war und sich abreagieren musste. Diesen Prozess konnte sie nicht beschleunigen. Dennoch versuchte sie, die Wogen ein wenig zu glätten.

»Ich finde, du brauchst nicht sauer auf Petrus zu sein. Ihn trifft an dem Vorfall keine Schuld. Wenn man überhaupt von Schuld reden will, dann war ich die treibende Kraft.«

»Ach, wirklich? Und er hatte keine Chance, sich zu wehren?«

»Ich habe ihn verführt!«, sagte sie trotzig.

»Dann verstehe ich, dass ihm keine Wahl blieb.«

Sein Sarkasmus traf sie wie ein leichter Peitschenhieb.

»Er glaubte . . . wir glaubten beide . . . in diesem Moment . . . dass wir Schluss gemacht hätten.«

»Kennt er dich wirklich nicht besser?«

»Wie meinst du das?«, fragte sie, obwohl sie ahnte, was er meinte.

»Ist ihm noch nie aufgefallen, dass du ständig von einem Extrem ins andere fällst? An einem Tag bist du glücklich verheiratet, am nächsten schon der Verzweiflung nahe. Hauptsache, es passiert was.«

»Jetzt bist du ungerecht«, entgegnete sie kraftlos.

»Warum tust du dich nicht mit ihm zusammen? Das ist doch genau das, was er will. Außerdem hat er bestimmt Geld genug, um ein halbes Dutzend Höfe zu kaufen. Glaubst du, ich hätte nicht bemerkt, dass er dich ständig anglotzt wie ein Hündchen, das auf eine Belohnung hofft? Und du schienst ja auch nichts dagegen zu haben.«

»Du willst mir doch nicht weismachen, dass du eifersüchtig auf ihn warst.«

»Offenbar hatte ich allen Grund dazu.«

»Aber dir muss doch klar sein, dass ich nicht im Mindesten daran dachte, dass . . . dass er und ich . . . Das ist doch absurd. Von Liebe kann nicht die Rede sein. Natürlich schätze ich ihn sehr, als Freund. Aber du bist es doch, mit dem ich zusammenleben will.«

»Was für eine merkwürdige Art, das zu zeigen.«

Sie entgegnete nichts, und Olle, dem zwischenzeitlich die Munition ausgegangen war, schwieg ebenfalls.

Sie fragte sich, wie der Abend verlaufen wäre, hätte sie die umgekehrte Reihenfolge eingehalten. Denn so hatte sie es ja eigentlich vorgehabt: zuerst Petrus, dann der Hauskauf und schließlich das Bett. Obwohl sie nun daran zweifelte, dass es zum Bett noch gekommen wäre.

Sie zog sich an, während er sie verkniffen beobachtete. Die gefühlte Temperatur im Raum ließ sie frösteln. Die Erkältung, die sich in den letzten Stunden zurückgehalten hatte, wagte einen neuen Vorstoß. Der Kopfschmerz wurde mit jeder Minute schlimmer.

»Wohin willst du?«, fragte er, als sie den Raum verließ.

»Ich mache mir einen Tee. Ich brauche etwas Warmes. Danach fahre ich dann wohl nach Hause.«

Nach einer Weile kam er zu ihr, vollständig angezogen. Er schnitt zwei Scheiben Brot ab und stopfte sie in den Toaster. Sie bemerkte, dass er es sorgsam vermied, sich in der engen Küche in ihre Richtung zu drehen. Seine Miene war immer noch verschlossen und unversöhnlich.

Als sie sich am Tisch gegenübersaßen, sagte er mit starrem Blick: »Da es schon so spät ist, ist es wohl besser, du fährst erst morgen früh nach Hause.«

Genau darauf hatte sie gehofft. Sie hatte wirklich keine Lust, sich jetzt noch auf den Weg zu machen.

»Gern«, erwiderte sie und bemühte sich um einen entspannteren Tonfall. »Wenn du es ertragen kannst, eine ganze Nacht mit mir unter einem Dach zu schlafen . . .«

»Ich lege mich aufs Sofa«, sagte er bedächtig.

»Hm . . .«

Eine bedrückende Stille senkte sich über den Raum.

Sie zog den heißen Becher Tee zu sich heran, legte die Hände darum und dachte an den Hof dort oben in den Wäldern. Zumindest für eine Weile schien er in Reichweite gelegen zu haben – vielleicht tat er es immer noch. Aber es würde ein langer und beschwerlicher Weg werden.

Die Ruhe vor dem Sturm - Schweden-Krimi

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