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Verständnis und Interpretation der nakba

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Folgt man der bis Ende der 1980er-Jahre hegemonialen israelischen Version, dann verließen die Palästinenser ihre Städte und Dörfer, weil sie von den arabischen militärischen und politischen Führern dazu aufgefordert worden seien. Diese wollten, so wird argumentiert, einen regelrechten Vernichtungskrieg gegen Israel führen, alle Juden ins Meer treiben und deren Staat zerstören, um dann die Palästinenser zurückzuholen. Dieses Narrativ spielt bis heute eine Rolle im deutschsprachigen Diskurs, obwohl es seit langem durch die Forschungen palästinensischer21 und israelischer Wissenschaftler als Propaganda entlarvt worden ist.

Die »neuen Historiker« Israels, Benny Morris mit seinem Klassiker »The Birth of the Palestinian Refugee Problem« (1987, Neuauflage 2004), Ilan Pappe (1988), Simha Flapan (1987), Avi Shlaim (1988)22 und einige andere, haben die nakba im Detail dokumentiert und analysiert.

Bis heute werden immer weitere neue Dokumente zugänglich, obwohl gerade Israel sich bis dato weigert, relevante Dokumente zu veröffentlichen, ja im Gegenteil aktiv versucht, historisches Material, das die Rolle der israelischen politischen und militärischen Führung offenlegt, verschwinden zu lassen.23

Das Buch von Adam Raz über die israelischen Plünderungen im israelischen Unabhängigkeitskrieg24 als bislang letzte einschlägige Publikation zeigt mit einer Fülle von Materialien, die bis dato nicht bekannt und teils nicht zugänglich waren, die Verantwortung von David Ben Gurion, Israels erstem Premierminister, dafür, dass die Plünderungen weder gestoppt noch die Plünderer zur Verantwortung gezogen wurden. Raz macht Ben Gurion verantwortlich sowohl für die Vertreibung der Palästinenser als auch für die Politik, deren Rückkehr mit allen Mitteln, inklusive Gewalt (man schoss auf die Menschen, die versuchten, in ihre Dörfer zurückzukehren, und die Armee legte überall an den Grenzen Landminen), zu verhindern.

In seiner Buchkritik in Haaretz geht Benny Morris einen Schritt weiter und weist darauf hin, dass es nicht so sehr die Plünderungen waren, sondern zuerst und vor allem die Übernahme palästinensischen Landes durch jüdische Dörfer (bzw. Kibbutzim und Moshavim), die Bebauung des Landes durch sie, die Zerstörung von ganzen Dörfern oder alternativ die Ansiedlung von Juden in verlassenen Dörfern, die Übernahme der verlassenen palästinensischen Häuser in Städten (vor allem Haifa und West-Jerusalem), sehr oft durch Neueinwanderer, und die Verhinderung der Rückkehr der Palästinenser durch die Armee, die, wie Morris formuliert, die Flüchtlinge von ihrem Land »abtrennten«: »Es gibt nichts mehr und keinen Ort, an den man zurückkehren kann.« In diesem »Prozess« gab es, so Morris abschließend, eine enge Kollaboration zwischen dem »Volk« und der Regierung auf der Basis sowohl persönlicher als auch politischer Interessen.

Palästinensische Analysen würden der Interpretation, dass es keinen Ort mehr gab, an den sie hätten zurückkehren können, sicher widersprechen.

Die ganzen 1950er-Jahre über sind Versuche von palästinensischen Flüchtlingen, in ihre Heimat, in ihre Dörfer und Städte zurückzukehren, ihre Ernte einzufahren, Eigentum zu holen etc. dokumentiert. Immer wieder führten eben diese Versuche zu »Strafeinsätzen« durch die israelische Armee, vor allem durch die berüchtigte Einheit 101, angeführt damals von Ariel Sharon, später israelischer Premierminister. Am eindrucksvollsten widerlegt Salman Abu Sitta25 die Interpretation von Morris. Abu Sitta hat die Hoffnung auf Rückkehr nie aufgegeben und er weiß genau, wohin er zurückkehren wird.

Ein faszinierendes Projekt ist »Auf der Suche nach Miska« (Tracing Miska), das mit der Methode des »critical participatory action research« arbeitet. 2010 traf sich in Tel Aviv eine Gruppe von Aktivisten, fünf Palästinenser und acht Israelis. Es ging um das 1948 zerstörte Dorf Miska und die Aktivisten wollten eine Rückkehr der Vertriebenen durch »Counter-Mapping Return ermöglichen«. Ziel war es, die Rückkehr aller Vertriebenen zu garantieren und gleichzeitig Koexistenz mit den jüdischen Nachbarn herzustellen.26

Kein Frieden für Palästina

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