Читать книгу Aufenthalt bei Mutter - Hellen Scheefer - Страница 10

Elli. zwei.

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„Du kriegst aber nicht die Murmel. Das ist meine!“ Elli ist außer sich. Sie schreit. Dauernd hat der Bruder so blöde Ideen. Irgendwie ärgert er sie immer nur. Nie kann er mal so spielen, wie sie das möchte. „Klatsch!“ Das hat ‚gesessen’. Der Bruder ist halt älter und somit stärker als Elli. Seine Ohrfeige hat Elli erschrocken und nun hat er doch die Murmel an sich gerissen. Die Tür geht auf. Die mittlere Schwester flüchtet vor dem Krach aus dem Zimmer. „Mutti, die streiten schon wieder.“ Mutter bügelt gerade die Wäsche. „Vati, geh du doch mal.“ Wieder geht die Tür auf. „Klatsch!“ und noch einmal „Klatsch!“ Jetzt schreien beide Kinder. Der Vater packt sie bei den Händen. „Hausschuhe anziehen!“ befiehlt er. Sie gehorchen beide. Inzwischen war der Vater auf den Hausflur gegangen und hatte den Fahrstuhl geholt. Sie wohnen nämlich in einem großen Haus. Ein Neubaublock. Acht Stockwerke hoch über dem Erdgeschoss. Und auf jeder Etage wohnen drei Familien. Aber nur wenige Familien haben so viele Kinder wie ihre. Sie sind vier Kinder. Und das ist sehr viel. Zuviel, sagen die Eltern. Vater muss immer Vorträge halten, wenn er sich mal eine neue Hose kaufen möchte. Sagt er.

Nun kommt der Vater zurück und bestimmt den Kindern mitzukommen. Sie fahren in den Keller. Das Haus hat viele Keller. Zwei Etagen voller Kellern. Vater hat viele Schlüssel für die Keller. Die muss er haben, er ist doch der Hausobmann. Und der muss doch immer überall Zugang haben. Sagt Vater. Vater jedenfalls hat überall Zugang und er kennt Keller, die sonst keiner kennt. Heute sperrt er Elli in den Wäscheraum. Aber in den Anderen, für den sonst niemand einen Schlüssel hat. Er öffnet das Vorhängeschloss, schickt Elli in den fensterlosen Raum, löscht das Licht und geht. Die Eisentür schlägt zu, der Schlüssel dreht im Schloss. Der Bruder wird in einen anderen Keller gesperrt.

Die Dunkelheit ist das schlimmste. Inzwischen hat Elli sich schon ein bisschen gewöhnt. Diese Strafmaßnahme macht Vater schon seit längerem. Anfangs hat sie geweint und geschrien, bis der Vater sie wieder aus dem Keller geholt hatte. Inzwischen hat sie gelernt, in die Dunkelheit zu hören. Wenn man ganz genau hinhört, kann man ein bisschen sehen. Das Holzgatter zum Beispiel. Bevor man durch die Eisentür ins Treppenhaus geht, muss man erst das Gatter öffnen. Hat es nicht eben aus dieser Richtung geknackt? Kommt da etwa jemand? Das wäre peinlich. Jemand würde das Licht anmachen und Elli hier sitzen sehen. Er würde sie fragen, was sie hier mache. Und Elli müsste zugeben, dass sie unartig war. Nein, dann schon lieber allein im Dunkeln sitzen.

Elli weint wieder. Sie hat Angst und irgendwie findet sie alles ungerecht.

Da! Wieder knackt es. Ein Schlüssel klappert, dreht im Schloss. Die Eisentür geht auf. Elli bebt. Wenn das ein Fremder ist... Die Schritte kommen näher, das Schloss am Holzgatter wird geöffnet. Das muss Vater sein, nur er hat den Schlüssel. Das Licht bleibt aus. Es ist Vater. Er macht nie Licht, wenn er sie holen kommt. Jedenfalls nicht sofort. Erst nach einer Weile. Er findet sie weinend. Er tröstet Elli auf seine Art. Solange wie ‚Es’ ihm Spaß macht. Elli kann sich nicht mehr erinnern, wie es ihr anfangs ‚Damit’ ging. Inzwischen hört sie manchmal auf, dabei zu weinen. Sie weiß, dass dann der ganze Spuk gleich ein Ende haben wird. Wenn Vater zufrieden ist, wird er das Licht anmachen und sie wieder nach oben führen.

Dann kann sie endlich weiter mit den Murmeln spielen.

Aufenthalt bei Mutter

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