Читать книгу Aufenthalt bei Mutter - Hellen Scheefer - Страница 7
Beth. eins.
ОглавлениеDas Tor war verschlossen. Sie standen beide davor und ärgerten sich über die Leute vom Studentenclub. Sonst um diese Uhrzeit konnte man ungehindert ein- und ausgehen. Aber heute gab es keine Chance. Der Club war hoffnungslos überfüllt. Die Session hatte begonnen. Beth wand den Blick und sah auf den Jungen neben sich. Der war kein ‚Junge’ mehr, in der Art, wie sie sich noch als Mädchen empfand. Er war ganz offensichtlich älter als sie. Vielleicht schon am Ende des Studiums? Sie hatte erst in diesem Herbst damit begonnen. Er war ein richtiger Mann. Er wusste was von der Welt. So jedenfalls erschien er Beth. Sie hatte sich ihm zugewandt und ihre Blicke trafen sich zugleich. Auch er hatte sich ihr zugedreht. Sie sah ihm tief in die Augen. Das tat sie bei allen Männern so. Warum, wusste sie nicht. Er hielt ihrem Blick stand. Kein Lächeln, aber auch kein Flackern oder Ausweichen. Ein Brennen war da, das zwischen ihnen hin und her sprang. Sehnsucht?
Das Tor blieb verschlossen. Scheinbar gelassen gingen sie Jeder seiner Wege. Sein brennender Blick war ihr bis ins Herz gedrungen. Später, als sie zu einander gefunden hatten, gestand er ihr, wie tief ihn diese Begegnung berührt hatte. Von diesem Moment an hatte er sie gesucht. Er hatte sie leicht gefunden. Sie wohnten ihm gleichen Haus, belegten dieselbe Fachrichtung. Er war nur zwei Jahre weiter als sie. Seit ihrer Begegnung am Tor hatte er ihre Wege beobachtet. Doch er sprach sie niemals an. Er war kein Jäger, aber auch nicht wählerisch. Er nahm schnell ein Mädchen mit in sein Bett. Doch es blieb beim One-Night-Stand. Er achtete diese Mädchen nicht, weil sie sich ihm so leicht hingegeben hatten. Er kannte Beth nicht. Doch zu seinen Freunden sagte er: „Die Kleene da drüben, seht ihr die? Der könnte ich treu sein.“ Sie liefen sich nicht wieder über den Weg. Das Wohnheim war ein Hochhaus und hier wohnten Hunderte von Studenten. So ging das wohl ein halbes Jahr. Die Sommerpause nahte. Beth war ungeduldig geworden. Sie spürte oft seine Blicke, sah ihn am Fenster nach ihr schauen, aber nie ergab sich die Gelegenheit, einander zu sprechen. Dann, endlich, eines Abends zur Disko, entdeckte sie ihn inmitten seiner Kumpels. Wieder trafen sich ihre Blicke, sie beobachteten einander, umkreisten sich wie Katzen. Doch eigentlich war Beth diejenige, die kreiste, ihn umkreiste, die Gruppe junger Männer ansteuerte, währenddessen er sicher im Kreis der Gruppe verharrte, sie aber nie aus den Augen verlor. Nichts. Beth hatte einen weiten Bogen um die Männer geschlagen, aber Er hatte sich nicht herausbewegt, nicht von der Stelle gerührt. Beth zog sich verwirrt zurück. Hatte sie sich geirrt? Hatte sie der ganzen Sache zuviel Bedeutung beigemessen? Wollte er doch nichts von ihr? Beth wandte sich ihren Kommilitonen zu. Versuchte, die Sache zu vergessen. Beth tanzte eine Weile, in ihre Gedanken versunken. Nein. Einen Versuch musste sie noch starten. Sie wollte wissen, woran sie ist. War er ihr zugetan oder war er es nicht? Sie ging zum Diskjockey, bat um einen Musikwunsch, hielt für einen Moment lang den Finger an die Tonbandspule, sodass die Musik jaulte, lachte laut auf, warf den Kopf in den Nacken und steuerte geradewegs auf die Gruppe junger Männer zu. Sie ging ganz dicht an ihm vorbei, sodass er sie hätte greifen können. Sie ging, nichts geschah, sie wand sich ab. Da! Im letzten Moment spürte sie, wie jemand sie packte und an sich heran zog. Er war es! Karl. „Jetzt hab ich dich aber gefangen. Beinahe wärst du mir wieder entwischt!“ Er lachte.