Читать книгу Aufenthalt bei Mutter - Hellen Scheefer - Страница 11

Beth. vier.

Оглавление

Beth studierte sehr ernsthaftig. Das Fach interessierte sie. Die naturwissen­schaftlichen Aufgaben stachelten ihren Ehrgeiz an. Sie genoss es, die Zusammenhänge zu verstehen, und die statischen Berechnungen, das Ermitteln von Bauteilgrößen oder Lastannahmen zu beherrschen. Ihr fielen gute Noten zu, ohne dass sie sich sonderlich anstrengte. Wichtiger aber noch als das Studium waren ihr die Hobbys. Sie sang leidenschaftlich gern und gut, manchmal malte sie und ihre Kleider nähte sie meist selbst. Mit ihren Kommilitonen kam sie gut aus. Mitunter war sie ausgelassen lustig. Manchmal träumte sie selbstvergessen vor sich hin. Dann nahm sie niemanden um sich herum wahr. Die meisten Leute ihrer Seminargruppe mochte sie ganz gut leiden, war aber mit Niemandem enger befreundet. Mit Karl änderte sich das. Er war der einzige Mensch, der für Beth wirklich wichtig war. Sie wollte so viel wie möglich Zeit mit ihm verbringen, am liebsten immer um ihn sein. Wenn er mehrere Tage lang nicht in ihrer Nähe war, überfiel sie Eifersucht. Sie war stolz auf ihn. Durch ihn und neben ihm war sie Wer. Er war schön. Manches Mädchen beneidete sie um ihn. Sein dunkles Haar umrahmte sein kantiges Gesicht. Die Augen blinkten wie blauer Stahl. Sein muskulöser Körper schritt kräftig und mit hartem Tritt aus.

Beth wurde schnell schwanger. Schneller als ihr lieb war. Sie kannten sich kaum ein Jahr lang. Angst packte sie. Wie sollte es nun weitergehen? Wenn das Kind geboren würde, hätte sie erst die Hälfte ihres Studiums absolviert. Sie wollte auf keinen Fall ihr Studium aufgeben. Sie wollte später arbeiten, in einem Beruf, der sie forderte und ihr Spaß machte. Sie wollte wirtschaftlich unabhängig sein. Passte das alles zusammen?

Sollte sie das Kind abtreiben? Was war, wenn ihr Körper daran Schaden nehmen würde? Sie war kein Sonderfall, und die meisten Ärzte taten diesen Job ungern. Sie würden es ihr einfach absaugen, und mitunter nahm die Gebärmutter bei diesem Eingriff dauerhaften Schaden. Sie mochte Kinder. Sie wollte später einmal unbedingt Kinder haben. Mindestens zwei. Oder mehr. Nur vier, so viele wie sie damals zu Hause gewesen waren, waren zu viel. Beinahe täglich hatte ihr Vater gestöhnt, dass vier Kinder eines zu viel seien. Beth war das vierte, das Jüngste gewesen.

Also zwei, oder vielleicht drei Kinder. Unbedingt. Ohne Kinder ist das Leben sinnlos!

Beth weinte. Sie hatte Angst und sie konnte sich nicht entscheiden. Aber nach vier Wochen Grübeln siegte ihre Liebe zu Kindern. Sie entschied sich, das Kind auszutragen. Irgendwie würde es schon gehen. Sie würde einen Krippenplatz bekommen. Als alleinstehende Studentin hatte sie vorrangigen Anspruch darauf. Sie konnte die meisten Prüfungen vorziehen, andere nachholen. Wenn das Kind krank würde, konnte ihre Mutter ihr helfen und es betreuen.

Mit diesem Entschluss wurde Beth jeden Tag glücklicher. Dieses Kind in ihrem Bauch gab ihrem Leben eine Wendung, ihrem Dasein einen tiefen Sinn.

Beth begann zu organisieren. Prüfungstermine verlegen, ein Zimmer mit Platz für das Baby, eine Tagesmutter, wenn sie nach der Entbindung wieder an den Vorlesungen teilnehmen würde.

Karl hatte inzwischen sein Studium beendet und war in seine Heimat zurückgekehrt. Dort war ihm als Absolvent ein Arbeitsplatz zuordnet worden. Beinahe einen ganzen Tag lang musste man mit dem Zug fahren und beim Umsteigen auf Bahnhöfen gelangweilt warten, um die Entfernung zwischen ihnen zurückzulegen. Karl konnte Beth bei allem nicht helfen.

Beth und Karl planten zu heiraten. Sie brauchten auch eine Wohnung für einander. Bei seinen Eltern konnten sie nicht leben. Da war zwar Platz, aber kein Raum für so ein eigenes junges Leben. Es war keine Frage, dass Beth ihm in den Norden folgen würde. Obwohl, hier am Ort der Universität hatte sie Aussichten auf einen erfolgreichen Berufsweg. Es war auch keine Frage, dass sie heiraten würden. Beth wollte es. Sie wollte mit dem Vater ihres Kindes leben und sie wollte das allen Leuten zeigen.

Erst Jahre später fragte sich Beth, ob denn Karl eigentlich auch hatte Vater werden und heiraten wollen. Oder hatte er aus Angst vor seinem Vater in alles eingewilligt, weil der Vater es nicht ertrug, wenn seine Söhne uneheliche Kinder in die Welt setzten?

Es war schwierig, für sie zu Dritt eine Wohnung zu finden. Durch das Kind waren sie zwar bevorteilt, aber die Warteliste war lang und die Wohnungen für junge Leute in schlechtem Zustand. Als sie endlich an der Reihe waren, gab es keine Auswahl. Die Wohnung war klein, kalt, eine der Außenwände war voller Schimmel. Aber es war ihr eigenes Reich und allemal besser, als bei seinen Eltern, vor allem mit Karls Vater, unter einem Dach leben zu müssen. So jedenfalls meinte Karl.

Als Karl die Wohnung endlich bezog, hatten Nachbarn den transportablen Ofen geklaut. Die waren Mangelware. Der Winter war hart, brachte langen und starken Frost und in der Küche gefror das Wasser am Boden.

Dennoch waren sie glücklich miteinander. Vor der Entbindung reiste Beth zu Karl. Die Wohnung war frisch tapeziert und gestrichen, ein neuer Ofen in Aussicht, das Waschbecken heil. Sie hatten Platz für das Baby und sie konnten jeden Tag zusammen sein.

Das Baby kündigte sich am Abend an Beths Geburtstag an. Ein bisschen vor der Zeit. Blasensprung. Die Geburt musste künstlich eingeleitet werden und: die Wehen waren hart. Beth erschrak an der Gewalt der Schmerzen. Aber alles verlief schnell und gut und noch in der Nacht hielt sie ein gesundes Mädchen im Arm.

Zehn lange Wochen waren Beth und Karl in ihrem neuen Heim einander nah, und mitten drin: ihr Baby. Es war von freundlichem, ausgeglichenen Wesen, schlief fiel und gedieh gut. Ein Sonntagskind halt. Es sollten die glücklichsten Wochen ihres gemeinsamen Lebens werden.

Als das Kleine zwei Monate alt war, kehrte Beth in ihr Studium zurück. Wenn sie Hilfe brauchte, konnte sie auf ihre Mutter zählen. Karl kam jedes zweite Wochenende zu Besuch. Häufiger konnte er nicht, der Weg war zu lang. Karl sah keine Probleme. Sollte Beth einmal ernsthaft krank werden, dann konnte doch ihre Mutter helfen. Die wohnte doch ganz in der Nähe.

Beth fand den Anschluss an die Vorlesungen. Tags war sie in der Universität, nachmittags holte sie die Kleine von der Tagesmutter ab, erledigte den Haushalt und war für das Kleine da. Nachts lernte sie.

Beth blieb keine Zeit für Geselligkeiten, gemeinsame Abende mit Freunden, tanzen gehen. Sie hatte dafür auch nicht die Kraft. Sie unterwarf sich streng ihrem selbstgewählten Tagesablauf. Und sie erreichte gute Abschlüsse. Ihr kleines Mädchen gedieh prächtig. Es habe das passende Gemüt für ein Studentenkind, meinte Beths Mutter. Bei aller Härte und Konzentration im Alltag war Beth glücklich. Sie bestimmte ihren Tagesablauf selbst. Wählte aus, welche Fächer sie in der Universität direkt hörte und welche sie im Selbststudium am Abend nachholte. Beth plante und entschied für zwei Leben. Unbemerkt für sich selbst veränderte sie sich.

Aufenthalt bei Mutter

Подняться наверх