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Palm Grease Eine Autobahnraststätte auf halbem Wege zurück in das Finanzzentrum Deutschlands

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Katharina hatte stumm neben Andreas Amendt im Auto gesessen und gewartet. Irgendwann hatte er zu reden begonnen.

»Ich habe nie um Susanne geweint!« Der Schock, die Festnahme, die U-Haft, die Vernehmungen, die medizinischen und psychologischen Untersuchungen … Und dann natürlich das nagende Gewissen. Amendt konnte sich einfach nicht mehr daran erinnern, was an dem Tag passiert war. In einem Moment hatte ihm Susanne die Haustür geöffnet, im nächsten Moment hatte er sich nackt unter einer viel zu heißen Dusche wiedergefunden. Er hatte gefroren, obwohl ihm das Wasser fast die Haut verbrühte.

»Alles deine Schuld!« Das hatte die laute Stimme in seinem Kopf immer wieder gesagt, geschrien, gebrüllt: Er hatte Susanne und ihre Familie erschossen. Wer sonst sollte es gewesen sein?

Und jetzt, auf einmal, war das alles nicht mehr wahr. Einfach so. Durch drei kleine Metallkugeln. Beweise logen nicht. Doch was war dann wahr? Ministro war ein Werkzeug – mehr nicht. Jemand hatte ihn beauftragt. Wer?

Endlich war Amendt in Schweigen versunken.

»Hören Sie«, hatte Katharina behutsam begonnen. »Wenn Sie sich aus der ganzen Geschichte zurückziehen wollen –«

Mit einem Ruck hatte Amendt sich aufgesetzt. Zorn war in seinen Augen aufgeblitzt. »Zurückziehen? Aufgeben? Jetzt? Nein! Auf keinen Fall! Wie haben Sie das gesagt? Vorhin, auf dem Flughafen? Wir bringen das jetzt zu Ende! Sie und ich! Ein für alle Mal!«

***

Die Gründerzeitvilla nahm sich zwischen den sie umgebenden Bankgebäuden aus wie ein kostbarer antiquarischer Schrank in einem IKEA-Schlafzimmer.

»Was wollen wir denn hier? Ich dachte, wir fahren zu Ihrem Patenonkel?«, fragte Andreas Amendt, als sie vor dem großen Eingangsportal aus dunklem Holz standen.

»Sie werden schon sehen.« Katharina drückte auf die Klingel unter dem altmodisch dezenten Messingschild mit der Aufschrift »Koestler Asset Management«. Als Katharina die Villa zum ersten Mal betreten hatte, vor vielen Jahren, hatte dort noch »Arthur v. Koestler – Treuhänderische Anlagenwertführung« gestanden.

Ein Diener in Livree öffnete die Tür und bat sie mit einer Geste seiner weiß behandschuhten Hand herein. Er geleitete sie stumm zu einem Empfangstresen in der großen Eingangshalle der Villa. Schwere Teppiche, dunkle Holztäfelung – bedrückende Gediegenheit.

Die Dame am Empfang war jung, sah aber so aus, als hätte der Architekt des Hauses sie bereits mit entworfen: zeitloses, graues Kostüm, weiße Bluse, eine schmale Perlenkette um den Hals, die aschblonden Haare sorgfältig frisiert und hochgesteckt. Sogar ihre Stimme klang dezent: »Sie wünschen?«

»Mein Name ist Katharina Klein und ich möchte gerne mit Herrn von Koestler sprechen.«

»Aber natürlich, Frau Klein. Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie nicht sofort erkannt habe. – Herr von Koestler ist gerade noch in einer Besprechung, die aber gleich zu Ende sein sollte. Bitte nehmen Sie doch einstweilen im Salon eine Tasse Tee.« Die Empfangsdame nickte dem Diener zu, der schweigend hinter ihnen gewartet hatte. Er wies ihnen den Weg in einen großen Salon: schwere, mit Leder bezogene Sofas und Sessel, zerbrechlich wirkende Beistelltischchen, an zwei Wänden Bücherregale bis zur Decke, gefüllt mit in Leder gebundenen Bänden.

Katharina und Andreas Amendt nahmen in zwei Sesseln Platz. Der Diener verschwand durch eine Tapetentür und kehrte gleich darauf mit einem Tablett mit Teegeschirr aus feinem Porzellan zurück. Er schenkte ihnen ein, dann zog er sich mit einer leichten Verneigung zurück.

Als sie allein waren, beugte sich Andreas Amendt zu Katharina und fragte ehrfürchtig flüsternd: »Wo sind wir hier?«

Katharina war zu oft in dieser Villa gewesen, als dass sie noch Respekt vor den Räumlichkeiten gehabt hätte. Sie antwortete mit Zimmerlautstärke: »Koestler verwaltet das Vermögen meiner Familie. Also mein Vermögen. Ich denke, wir werden Geld brauchen, und ich will nur eben sicherstellen, dass es zur Verfügung steht.«

In diesem Augenblick trat auch schon der Diener in den Salon. »Herr von Koestler kann Sie jetzt empfangen.«

***

Holztäfelung, poliertes Mahagoni-Parkett, Bücherregale aus dem gleichen Holz, Samtvorhänge, eine lederbezogene Sitzgruppe, der moderne Computer auf dem großen Schreibtisch aus dunkel gebeizter Eiche ein widerwilliges Zugeständnis an moderne Zeiten – auch der Besitzer des Büros, der jetzt um seinen Schreibtisch herumkam, um seine Gäste zu begrüßen, verbreitete altmodische Gediegenheit: das sorgsam frisierte Haar, der buschige Schnauzer, der bleigraue Dreiteiler, die Uhrkette auf der Weste, der Vatermörderkragen – ein Bild der Sehnsucht nach den besseren Zeiten eines früheren Jahrhunderts. Koestler leitete die Vermögensverwaltung jetzt schon in der fünften Generation. In der Eingangshalle hingen Gemälde seiner Ahnen. Antonio Kurtz – auch ein Klient von Koestler – scherzte gerne, sie alle zeigten den gleichen Mann: Koestler sei ein Untoter und mehr als tausend Jahre alt.

Koestler begrüßte Katharina und Andreas Amendt freundlich und bat sie, in der Sitzgruppe Platz zu nehmen. Dann reichte er Katharina einen in Leder eingebundenen schmalen Hefter: »Ihr Jahresbericht. Gerade gestern fertig geworden. Sie werden sehr zufrieden sein.«

Katharina schlug den Hefter auf und überflog die erste Seite mit der Zusammenfassung. Die Summe am Fuß der Seite verschlug ihr fast den Atem: 63.536.249 Euro und 17 Cent. Ihr Vermögen.

»Nicht eingerechnet sind, wie auch schon in den letzten Jahren, Ihr Elternhaus und die Kunstsammlung Ihres Vaters«, erklärte Koestler. »Sie sollten sie wirklich schätzen lassen – und sei es nur für die Versicherung. Und bei den anderen Immobilien sind natürlich nur die Verkehrswerte in die Berechnung eingeflossen. Der eigentliche Wert dürfte deutlich höher liegen.«

Katharina deutete auf die Summe: »Das ist ein ganz schöner Anstieg, oder?«

»In der Tat. In etwa zwanzig Prozent. Ich war so frei, im letzten Jahr Ihr Portfolio gründlich umzuschichten. Sie haben ja sicher mitbekommen, dass sich in den USA eine Immobilien- und Kreditkrise zusammenbraut. Deshalb habe ich in Rohstoffe und Gold investiert und unterbewertete, aber zukunftsträchtige Aktien gekauft. Vor allem im Biotechnologiebereich. Mein Großvater wäre begeistert: Investitionen in die Landwirtschaft. Das war immer sein Steckenpferd. – Aber Sie sollten sich wirklich einmal etwas gönnen, Frau Klein. Vielleicht einen Ihrem Status angemessenen Wohnsitz.«

Katharina zuckte mit den Schultern: »Ich wohne in einer Vierzimmerwohnung im Westend. Mehr Platz, als ich wirklich brauche. – Und Sie wissen ja, ich habe mir –«

»Ich weiß, Frau Klein. Sie wollen Ihr Vermögen erst anrühren, wenn der Mord an Ihrer Familie aufgeklärt ist.«

»Oder es zur Aufklärung einsetzen.« Katharina musste sich kurz sammeln, bevor sie weitersprach: »Und dieser Zeitpunkt ist jetzt vielleicht gekommen.«

Koestler legte ihr eine Hand auf den Arm: »Wirklich?«

»Ja. Ich glaube, ich weiß, wer meine Familie umgebracht hat.«

»Wer?«

»Darüber möchte ich noch nicht sprechen.«

»Sicher. Wie kann ich helfen?« Koestler lehnte sich in seinem Sessel zurück und legte die Fingerspitzen aneinander.

»Ich brauche Geld, vermutlich eine größere Summe.«

»Haben Sie schon eine Vorstellung von der Größenordnung?«

»Ich denke, nicht mehr als zehn Millionen.«

»Und wann?«, fragte Koestler so ruhig, als hätte ihn Katharina um zwanzig Cent zum Telefonieren gebeten.

»Ich bin mir noch nicht sicher. Irgendwann in den nächsten vierzehn Tagen.«

»Das sollte kein Problem sein. Ich habe ohnehin gerade eine größere Summe Ihres Vermögens auf einem Tagesgeldkonto zwischengeparkt. – Wissen Sie schon, wie Sie das Geld brauchen werden?«

Da stellte Koestler die richtige Frage: Wie wurde ein Profi wie Ministro eigentlich bezahlt? In bar? In Gold? Über ein Nummernkonto in irgendeinem Land mit niedrigen Steuern und strengem Bankgeheimnis?

»Ich weiß es leider noch nicht«, antwortete Katharina. »Kann in bar sein. Kann eine Überweisung ins Ausland sein …«

»Lassen Sie es mich einfach wissen. Für Bargeld brauche ich allerdings ein paar Tage. Die Überweisung sollte aber kein Problem darstellen. Jedoch sollten wir gemeinsam daran denken, den Betrag in möglichst viele Teilsummen aufzusplitten. Sonst wird die Bankenaufsicht misstrauisch.«

»Wollen Sie gar nicht wissen, wofür ich das Geld brauche?«, fragte Katharina, ob der Nonchalance von Koestler misstrauisch geworden.

»Nein. Diskretion und Service werden in meinem Hause großgeschrieben. Und für den Fall, dass Sie vorhaben, sich in einer rechtlichen Grauzone zu bewegen, darf ich es auch gar nicht wissen. Ich könnte Sie und mich selbst nur unnötig belasten.«

»Haben Sie Erfahrungen mit so etwas?«

»Man sieht Klienten nicht unbedingt an, wie sie ihr Geld verdienen. Pecunia non olet, wie es der römische Kaiser Vespasian schon gesagt hat. Geld stinkt nicht.«

Schon wieder hallte Ministros Satz durch Katharinas Kopf: »Ich töte keine Unschuldigen.« Daher fragte sie: »Und mein Vater damals?«

»Ihr Vater?«

»Nun, ich hoffe, er war keiner Ihrer ›Pecunia non olet‹-Klienten?« Katharina zwang sich zu einem Lächeln, als hätte sie einen Witz gemacht.

Koestler schluckte den Köder nur halb: »Also, Frau Klein, da kann ich Sie wirklich beruhigen. Ihr Vater hat sein Vermögen auf ehrliche Art und Weise verdient. Und er wollte nicht mal Geld in Steueroasen unterbringen, obwohl das damals völlig legal gewesen wäre. Nein, keine Sorge. Ihr Vermögen ist ehrlich erworbenes Geld. Das kann Ihnen keiner wegnehmen.«

***

Dolphin Dance

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