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Good Question Flughafen Frankfurt am Main,
in den frühen Morgenstunden des 15. Januar 2008
ОглавлениеDie Welt hatte stillgestanden.
Eine Stunde? Eine Minute? Den Bruchteil einer Sekunde?
Lange genug. Katharina hatte sich erinnert.
An damals. An den Ankunftsbereich. Polanski – an der Absperrung auf sie wartend. In seiner Begleitung ein Priester. Warme graue Augen. Schwarzes Haar.
Sechzehn Jahre später hatte sie den Priester wiedergetroffen. In Tansania. Auf Mafia Island. Dorthin war sie geflohen. Vor einem Auftragskiller namens Ministro.
Sie hatte den Priester zunächst nicht wiedererkannt: Sein Haar war grau geworden. Doch seine Augen waren noch immer warm und sanft. Er hatte vor ihr gesessen und sie wieder so angeschaut wie damals. Diesmal allerdings über den Lauf einer Pistole hinweg. Ministro: das spanische Wort für Priester.
Felipe de Vega, ein kolumbianischer Drogenboss, hatte ihn beauftragt, Katharina zu töten, weil sie seinen Sohn Miguel erschossen hatte. Doch Ministro hatte den Auftrag nicht ausgeführt: Er töte keine Unschuldigen. Und er halte Katharina für einen guten Menschen. Das hatte er zumindest gesagt: »Die Welt ist mit Ihnen besser dran als ohne Sie.«
War das die ganze Wahrheit gewesen?
***
»Geht es Ihnen nicht gut, Frau Klein? Sie sind totenblass.« Die Worte drangen kaum zu Katharina durch.
»Was? Ich …« Ihre eigene Stimme klang weit entfernt. Dumpf. Die Wörter schmerzten.
Zwei Hände nahmen sie behutsam an den Schultern. Schoben sie. Setzten sie hin. „Lehnen Sie sich nach vorne. Den Kopf zwischen die Knie.« Die Hände führten sie. Katharina hatte keine Kraft, sich ihnen zu widersetzen. »Ja, so«, fuhr die Stimme fort. »Und tief durchatmen. – Ich hole Ihnen einen Kaffee aus dem Automaten da.«
Die Hände ließen sie los. Katharina sah auf. Alles wirkte verschwommen. Nur der Mann vor ihr nicht. Andreas Amendt.
»Nein, warten Sie. Ich …« Ihre Stimme kratzte im Hals. »Ich weiß, wer meine Familie umgebracht hat.«
Amendt packte ihre Hände so stark, dass es wehtat: »Was? Wer?«
Katharina erzählte. Leise. Hastig. Von ihrer Ankunft damals. Von dem Polizisten, der sie abgeholt hatte. Von seiner Begleitung. Einem Priester. »Und ich habe mich die ganze Zeit gefragt, woher ich ihn kenne. Jetzt weiß ich es. Der Priester damals, das war er.«
»Wer?«
»Ministro. Javier.«
»Sind Sie sicher?«
»Ja.«
»Aber wer sollte einen Killer auf Ihre Eltern ansetzen? Und auf Susanne?« Amendt ließ ihre Hände los. Sank auf die Knie.
»Das ist die Frage, oder nicht?«
Andreas Amendt sah zu Boden. Dann wieder zu ihr. Seine Worte kamen stockend: »Und was ist, wenn Sie sich irren?«
Ja, was? Ministros Augen … Die Augen des Priesters von damals …
Irrte sie sich? Spielte ihre Fantasie ihr einen Streich? Katharina musste eine Entscheidung treffen. Jetzt.
»Ich irre mich nicht.« Sie zog den Reißverschluss des Vorderfachs ihrer Reisetasche auf. Sie steckte die Hand in das Fach, halb erwartend, dass der kleine Stoffbeutel nicht mehr dort war. Aufgelöst im Nichts eines bösen Traumes.
Doch er war noch da. Katharina spürte das Metall der drei Geschosse durch den Stoff, schloss ihre Finger um den Beutel und zog ihn hervor.
Dreimal hatte Ministro in ihr Bett geschossen. Die Kugeln hatte er als Memento mori zurückgelassen.
»Die waren für Sie bestimmt. Schon immer«, hallte Ministros Stimme in ihrem Kopf. Das also hatte er gemeint. Oder nicht?
»Und ich kann es sogar beweisen.« Katharinas Stimme klang nicht ganz so fest, wie sie es sich gewünscht hätte. Ihre Hand umklammerte den kleinen Stoffbeutel mit den Geschossen, als könne sie die Wahrheit aus ihnen herauspressen.
»Beweisen? Wie?«
Katharina ignorierte Amendts Frage. Konnte das alles wirklich sein? War das Schicksal wirklich so grausam gewesen, ihr ausgerechnet den Killer auf den Hals zu hetzen, der ihre Eltern auf dem Gewissen hatte? Und warum hatte Ministro sie verschont? In Tansania. Und damals. Denn wozu sonst hätte er sie zur Rechtsmedizin begleiten, die Beerdigung besuchen sollen, außer, um auch das letzte Kind der Familie Klein zu beseitigen?
Und was war auf Mafia Island geschehen? »Ich töte keine Unschuldigen.« War das wirklich die ganze Wahrheit? Bildete sie sich alles andere nur ein?
Sie öffnete ihre Hand und sah auf den kleinen Stoffbeutel. So klein und doch so wichtig. Kurzerhand steckte sie den Beutel in die Innentasche ihres Mantels. Dann stand sie auf und klemmte sich ihre Handtasche fest unter den Arm. Ihre Beine standen stabil auf dem Boden.
Das Gesetz der Schwerkraft galt also noch. Die Welt stand nicht still und drehte sich auch nicht rückwärts.
Zwei tiefe Atemzüge später schaltete Katharinas Hirn in den Planungsmodus: Was war jetzt zu tun?
Erst einmal einen fahrbaren Untersatz besorgen. Dann …
Dann Ministro zum Schein engagieren, in eine Falle locken und so lange ausquetschen, bis er den Auftraggeber von damals verriet. Eigentlich ganz einfach.
»Kommen Sie, Doktor Amendt. Auf uns wartet Arbeit.«
Katharina befahl sich, loszugehen. Einen Fuß vor den anderen. Doch nach ein paar Metern stoppte sie wieder. Irgendetwas fehlte. Nur was? Nein! Wer!
Andreas Amendt saß noch immer auf dem Boden vor dem Gepäckkarren. Katharina ging zurück und streckte ihm die Hand hin, um ihm aufzuhelfen: »Kommen Sie?«
Er reagierte nicht, fuhr sich nur nervös mit der Hand durch sein lockiges, schwarzes Haar. Endlich sah er auf. Auch Amendt hatte graue Augen. Mit einem Schuss Blau. »Was ist, wenn Sie sich irren?«
Katharina setzte sich wieder auf den Gepäckwagen, um mit Amendt auf Augenhöhe zu sein. »Sie glauben noch immer, dass Sie es gewesen sind, oder?«
Amendt starrte schweigend auf den Boden, als würde der sich jeden Augenblick öffnen und ihn verschlucken.
»Was muss ich eigentlich noch tun, um Sie endlich vom Gegenteil zu überzeugen?«, brauste Katharina auf. Das war ja zum Verrücktwerden mit diesem Kerl!
»Immerhin war ich –«
»Zur Tatzeit am Tatort, ja. Und Ihre Mutter war schizophren. Das haben wir ja jetzt oft genug durchgekaut!«
»Und wenn –?«
»Die sorgfältig beseitigten Spuren? Die Blutflecken auf Ihrer Kleidung, die nur den einen einzigen Schluss zulassen: Dass Sie versucht haben, meine Schwester wiederzubeleben?«
»Ich könnte –«
»Ich weiß! Sie sind für einen kurzen Moment zur Vernunft gekommen. Dann haben Sie praktischerweise den Verstand wieder verloren und alle anderen Spuren beseitigt.«
»Sie wissen genau –«
»Ach ja, richtig. Sie sind … was sind Sie noch mal? Ach ja: Eine multiple Persönlichkeit. Stecken mit dem Mörder zusammen in einem Körper. Und das alles klingt für Sie nach einer brauchbaren Theorie? Verdammt noch mal, Sie sind einer der besten Rechtsmediziner des Landes. Wenn jemand mit so einem Hirngespinst bei Ihnen auflaufen würde, würden Sie ihm ins Gesicht lachen.«
»Und Ihre Theorie?« Amendts Augen funkelten wütend. »Der große Unbekannte? Der Profi? Der aus dem Nichts auftaucht? – Ich dachte, Sie mögen keine Krimis.«
»Ach, und dass Sie ohne jedes Motiv morden, weil Sie ja eine multiple Persönlichkeit sind? Und diese andere Persönlichkeit in Ihnen schießt nicht nur wie der Teufel, sondern ist auch ein derartiger Profi in Spurenkunde, dass sie nicht nur alle Spuren verwischt, sondern auch noch den Verdacht auf Ihr anderes Ich lenkt? ›Liebling, ich habe einen Superbösewicht verschluckt‹? – Meine Theorie hat wenigstens keine Löcher, durch die man einen Laster fahren könnte!« Katharina hatte die Sätze abgefeuert wie ein Maschinengewehr. Jetzt war sie außer Atem und musste tief Luft holen.
Amendt sprang auf. »Eine Theorie, für die Sie keine Beweise haben. Nur eine vage Erinnerung an einen Priester, der Ministro gewesen sein könnte. Und den Sie jetzt auf einmal, nach sechzehn Jahren, wiedererkannt haben wollen.«
»Besser als nichts.« Katharina erhob sich gleichfalls. »Kommen Sie endlich?«
»Wohin?«
Katharina wirbelte zu ihm herum: »Zur nächsten Autovermietung. Und dann bringen wir das hier zu Ende. Sie und ich. Ein für alle Mal.«
Sie wandte sich ab und marschierte los. Mit einem Blick über die Schulter sah sie, dass Amendt ihr endlich folgte. Langsam, als sei die Schwerkraft ein fast unüberwindliches Hindernis. Doch gleich blieb er wieder stehen und fragte: »Und was, wenn ich doch –?«
»Wenn Sie doch der Täter sind? Nun, in dem Fall schieße ich Ihnen eine Kugel in den Kopf. Das habe ich Ihnen ja versprochen.«
***
»Hatten Sie reserviert?«
Oh nein, nicht schon wieder. Das war jetzt bereits die vierte Autovermietung, bei der sie anfragten. Immer waren Katharina und Andreas Amendt freundlich, aber bestimmt abgewiesen worden.
»Nein«, antwortete Katharina also verdrossen. Die junge Frau mit dem verunglückten brünetten Langhaarschnitt sah Katharina und Amendt an, als hätten sie gerade nach dem nächsten Raumschiff zum Mond gefragt.
»Oh, ich fürchte … Aber lassen Sie mich mal schauen«, sagte die Frau schließlich mit professioneller Freundlichkeit und wandte sich ihrem Computer zu. Nach ein wenig Klickerei hellte sich ihre Miene auf: »Sie haben Glück. Wir haben noch genau einen Wagen. – Allerdings aus unserem Oberklasse-Tarif. Einen Porsche Cayenne GLS.«
»Iiih!«, entfuhr es Katharina, bevor Andreas Amendt ihr den Ellbogen in die Seite stoßen konnte. Er lehnte sich vor: »Der Wagen hat doch Winterreifen?«
»Aber natürlich«, antwortete die Frau begeistert. »Und acht Airbags. ABS. Einparkhilfe. Abstandswarner. ESP. Absolut sicher.«
»Hervorragend. Den nehmen wir«, sagte Amendt rasch, bevor Katharina ihm widersprechen konnte.
»Sehr schön!« Die Frau gab Amendt ein Klemmbrett mit Formularen, das er an Katharina weiterreichte.
Katharina wollte sich ans Ausfüllen machen, doch der Kugelschreiber, der mit Bindfaden am Klemmbrett befestigt war, schrieb natürlich nicht. Also fischte sie einen Stift aus ihrer Handtasche.
Wow! Wo hatte sie den denn mitgehen lassen? Katharina drehte den edel metallisch-roten, dicken Kugelschreiber in ihren Händen, aber er trug keinen Firmenaufdruck. Na, da würde sich aber jemand ärgern.
Ihr fiel ein, dass sie ja immer noch mit falschen Papieren unterwegs war; ihre echten lagen in dem kleinen Safe in ihrem Wohnzimmer. Nun gut, dann würde also noch etwas länger »Zoë Yamamoto, Halbjapanerin, Geschäftsfrau« bleiben. Ihre Mutter, die immer stolz auf ihre koreanische Herkunft gewesen war, würde sich im Grabe umdrehen. Als Katharina mit dem Ausfüllen fertig war, schob sie das Klemmbrett über den Tresen. »Nun denn, ein Porsche Cayenne. Mir bleibt auch nichts erspart.«
»Wieso? Der Wagen ist doch genau der Richtige für uns! Winterreifen. Acht Airbags. Und viel Blech um uns herum«, widersprach Amendt begeistert.
Die Frau hinter dem Tresen zwinkerte Katharina verschwörerisch zu: »Machen Sie sich nichts draus. Genau wie mein Mann. Werdende Väter sind so.«
Katharina zuckte zurück, als hätte sie einen Stromschlag bekommen: »Werdende Väter?«
Die Frau sah sie erschrocken an: »Ach, sind Sie nicht …? Ich dachte nur … Sie leuchten so von innen.«
»Nein, ich bin nicht schwanger«, blaffte Katharina.
Die Frau musterte sie mit Bedauern: »Nicht aufgeben. Nicht verzweifeln. Das klappt schon.«
»Was? Ach so. Nein. – Wir sind kein Paar.«
»Oh!« Mit leicht geröteten Wangen begann die Frau übereifrig, die Daten von den Formularen in den Computer zu übertragen. Zwischendrin fragte sie: »Wie lange denken Sie, dass Sie den Wagen brauchen?«
Eine gute Frage. Katharinas eigenes Auto, ein alter, von ihr selbst restaurierter Mini Monte Carlo, war von einer Bombe zerrissen worden. Vom Polizeidienst war sie momentan beurlaubt; sie würde also keinen Dienstwagen zur Verfügung haben. Und die Großzügigkeit ihres Patenonkels wollte sie auch nicht mehr beanspruchen als unbedingt nötig. »Na ja, zwei Wochen, würde ich sagen«, antwortete sie schließlich.
»Kein Problem. Nun bleibt noch die Frage der Kaution. Dazu bräuchte ich …«
Katharina hatte schon ihre Handtasche geöffnet und zog ein Bündel Geldscheine hervor.
»Tut mir leid, Bargeld kann ich nicht akzeptieren. Ich bräuchte eine Kreditkarte. Aus Versicherungsgründen.«
Katharina hatte keine, zumindest nicht auf den Namen Zoë Yamamoto. Doch Andreas Amendt hatte schon seine Brieftasche hervorgezogen. »Nehmen Sie meine.« Lässig warf er eine American Express Platinum Card auf den Tresen.
»Was ist?«, fragte er, als er Katharinas erstaunten Blick bemerkte. »Als Chefarzt bekommen Sie so was hinterhergeworfen.«
»Ach, Sie sind Arzt?«, fragte die Frau neugierig. Wenn sie jetzt irgendetwas von »guter Partie« sagte, würde Katharina über den Tresen springen und sie zwingen, die Computertastatur zu verspeisen.
»Ja, Rechtsmediziner.«
Die Frau schluckte. »Aha!« Sie nahm die Karte und schob sie in das Lesegerät.
»Aber wenn ich den Wagen abgebe, kann ich bar bezahlen, oder?«, fragte Katharina.
»Natürlich! Die Kreditkarte ist nur für die Versicherung. Und für die Kaution. – Also fahren Sie schön vorsichtig! Damit Sie Ihren … Bekannten nicht in die Pleite treiben.«
Die Frau reichte Amendt seine Karte zurück und schob ein prall gefülltes Plastikmäppchen über den Tresen. »Der Wagen steht in unserem Transportation Convenience Center im Parkhaus gegenüber von Terminal 1.«
»Transportation … was?«
»Im Transportation Convenience Center«, wiederholte die Frau so beglückt, als würde der Wagen frisch vom Papst gesegnet im Petersdom auf Katharina warten. »Sie können unsere Firmenschilder praktisch nicht übersehen. Ich wünsche Ihnen eine gute Fahrt.«
***
Porsche Cayenne! Katharina stapfte missmutig neben Andreas Amendt her, der artig den Gepäckwagen vor sich herschob. Und was hatte die Frau gedacht? Dass sie schwanger war? Weil sie so »von innen leuchtete«? Schwachsinn! Wovon sollte sie überhaupt schwanger sein? Sie hatte keinen Sex mehr gehabt seit …
Katharinas Magen drehte sich um. Sie ließ Amendt stehen und rannte zur nächsten Toilette. Sie schaffte es gerade noch rechtzeitig in eine Kabine. Dann erbrach sie sich. In immer neuen Schüben. Endlich versiegte der Brechreiz. Katharina spülte und ließ sich auf den Toilettensitz sinken. Kalter, klebriger Schweiß stand ihr auf der Stirn.
Hatte sie wirklich mit Ministro geschlafen? Dem Mörder ihrer Eltern? So sehr Katharina sich anstrengte: Sie konnte sich nicht erinnern. Sie wusste nur, dass er sie zu ihrem Bungalow begleitet hatte. In der Lodge auf Mafia Island. An Heiligabend. Vor ihrer Tür hatte er sie geküsst. Es war ein schöner Kuss gewesen. Sanft. Da war er für sie noch Javier gewesen. Priester Javier. Ein hilfsbereiter katholischer Geistlicher. Natürlich, der Reiz des Verbotenen!
Das Nächste, woran sie sich erinnerte, war, dass sie an einen Stuhl gefesselt aufgewacht war. Ministro hatte vor ihr gesessen. Mit einer Pistole in der Hand.
Hatte er das Spiel wirklich so weit getrieben? Waren sie miteinander im Bett gewesen? Aber selbst wenn … Der Griff zum Kondom war Katharina doch in Fleisch und Blut übergegangen. Sie hatte es noch nie vergessen. Noch nie!
Aber Ministro hatte sie unter Drogen gesetzt. Gefügig gemacht. Hatte er sie also … vergewaltigt?
Bei dem Gedanken musste Katharina schon wieder würgen. Sie zwang sich, tief und gleichmäßig zu atmen, bis der Brechreiz nachließ. Noch ein Grund mehr, Ministro aufzuspüren. Ihn zu stellen. Und ihn dann …
»Frau Klein? Geht es Ihnen gut?«, holte sie eine männliche Stimme in die Realität zurück. Andreas Amendt. Katharina kam aus ihrer Toilettenkabine.
»Sie sehen furchtbar aus. Das Flugzeugfrühstück?«, fragte Amendt. Dann musterte er sie noch einmal: »Sie sind doch nicht wirklich –?«
»Nein, ich bin nicht schwanger! Wovon denn? Flugsamen? – Und jetzt raus aus der Damentoilette!«
Amendt gehorchte. Katharina ging zum Waschbecken. Sie wollte sich Gesicht und Hände waschen. Doch dann überkam sie erneut die Übelkeit. Sie stürzte zurück in die Kabine, würgte, doch es kam nur noch Galle.
Sie spülte und setzte sich wieder auf den Toilettensitz. Ihre Beine zitterten, ihr Gesicht fühlte sich eiskalt an. Sie schloss die Augen, atmete tief ein und zählte langsam bis zehn. Ihr Puls beruhigte sich. Ganz mit der Ruhe! Wann hatte sie zuletzt ihre Tage gehabt? Das war … Sie sah vor ihrem inneren Auge, wie ihr eine Frau ein paar Tampons in die Hand drückte. Sandra Herbst, eine gute Freundin von Andreas Amendt, die er in Afrika besucht hatte. Katharina hatte Kopfschmerzen gehabt. Und dann auch noch … Klar! Das war am ersten Januar gewesen! Neujahr! Sie hatte einen Kater gehabt. Dann kamen auch noch ihre Tage. Und keine Tampons zur Hand. Sandra Herbst hatte ihr ausgeholfen. Erster Januar! Acht Tage nach ihrer Begegnung mit Ministro! Sie war also definitiv nicht schwanger. Wenigstens etwas! Die Stirn an die kühle Holztür der Toilettenkabine gelehnt, blieb sie sitzen, bis sie sich kräftig genug fühlte, um aufzustehen.
***
»Na Klasse! Ein schwuler Löschzug!«
»Na kommen Sie, Frau Klein. So schlimm ist es auch nicht.«
Nicht so schlimm? Reichte es nicht, dass sie die nächsten vierzehn Tage in einem Cayenne unterwegs sein würden? Musste er auch noch in diesem krassen Lila lackiert sein, das im Prospekt bestimmt »lavender-metallic« hieß?
»Außerdem sieht der Wagen eher wie ein Papamobil aus«, bemerkte Andreas Amendt.
Gut. Papamobil. Damit hatte der Wagen seinen Spitznamen weg.
Katharina war schlecht gelaunt um den unübersehbar violetten, hochbeinigen Pseudo-Geländewagen herumgewandert, während Andreas Amendt das Gepäck in den – zugegeben – geräumigen Kofferraum lud.
Nun denn, Amendt hatte das Papamobil ja unbedingt nehmen wollen. Also sollte er die Konsequenzen tragen. Katharina drückte ihm den Autoschlüssel in die Hand: »Sie fahren!«
Andreas Amendt ließ beinahe den Schlüssel fallen: »Ich … also Sie sind doch als Fahrerin eingetragen und …«
»Nun haben Sie sich nicht so! Sie haben es doch gehört: Airbags. ABS. EBS. – Also, was ist?«
»Ich …« Langes Zögern. »Ich kann nicht Auto fahren.«
»Sie können was nicht?«
»Autofahren. Ich habe keinen Führerschein.« Amendt hielt ihr trotzig den Autoschlüssel hin. »Ich habe Angst in Autos, okay?«
»Okay, okay.« Katharina nahm den Schlüssel und stieg ein. Zugegeben, die Ledersitze waren schon bequem. Andreas Amendt kletterte auf den Beifahrersitz und schnallte sich umständlich an.
»Sie können wirklich nicht Auto fahren?«, fragte Katharina noch einmal. »Sie haben keinen Führerschein?«
»Nur für Motorräder.«
Katharina hatte den Wagen bereits anrollen lassen, doch sie trat noch einmal auf die Bremse: »Was? Sie haben Angst in Autos, aber Sie fahren diese Organspenderschleudern?«
Amendt starrte aus der Windschutzscheibe: »Wenn Sie es genau wissen wollen: ja. Dann ist es wenigstens gleich vorbei. Und ich verbrenne nicht eingeklemmt in einem Wrack.«
Das war natürlich ein Argument. Katharina steuerte den Wagen schweigend aus dem Parkhaus hinaus in den in großen Flocken auf die Windschutzscheibe klatschenden Schnee. Na prima! Das bedeutete Verkehrschaos. Wären sie doch noch in Tansania geblieben.
***