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He Who Lives in Fear »Puccini«, ein italienisches Restaurant
auf der Eschersheimer Landstraße,
gerade rechtzeitig für ein gutes Mittagessen

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Es hatte gar keinen Sinn, auf der Eschersheimer Landstraße überhaupt eine Parklücke finden zu wollen, schon gar keine, die groß genug für das Papamobil war. Daher fuhr Katharina mit Schwung vor die Toreinfahrt neben dem »Puccini«, dem Restaurant ihres Patenonkels Antonio Kurtz.

Sie wollte gerade aussteigen, als die Tür des »Puccini« aufgerissen wurde. Hans und Lutz, Antonio Kurtz’ Leibwächter, kamen herausgestürmt.

»Langsam, langsam. Ich bin es nur«, hielt Katharina sie in ihrem beruflichen Eifer auf.

Hans und Lutz entspannten sich, aber nicht ohne noch einmal ihren Blick aufmerksam über die Umgebung schweifen zu lassen. Dann kamen sie zu Katharina und umarmten sie fest.

»Du bist zurück«, stellte Hans, der Kleinere der beiden, vergnügt fest.

Lutz, groß, kahlköpfig und meist sehr schweigsam, musterte sie sorgfältig von oben bis unten, um dann in seiner gewohnt präzisen Art festzustellen: »Sogar in einem Stück.«

Hans und Lutz waren ein ungewöhnliches Gespann, aber man durfte sie nicht unterschätzen. Sie waren gute Kämpfer und jederzeit bereit, für die Person, die sich ihnen anvertraute, eine Kugel zu fangen.

»Nicht sicher hier«, knurrte Lutz mit einem Blick auf den Wagen.

»Ja, lass ihn uns nach drinnen bringen«, bestätigte Hans.

Antonio Kurtz hatte das Hinterhaus des »Puccini« entkernen und die so entstandene Halle mit Stahlbeton verstärken lassen. So war eine Garage und Lagerhalle entstanden, die man über die unscheinbare Einfahrt erreichen konnte, vor der Katharina geparkt hatte. Hans beeilte sich, das Tor zu öffnen.

Der Cayenne passte gerade eben durch die Einfahrt. Katharina stellte den Wagen in einer freien Parkbucht ab; sie und Andreas Amendt stiegen aus. Hans und Lutz führten sie in das Refugium von Antonio Kurtz: Neben der offiziellen Küche des Restaurants hatte sich Katharinas Patenonkel noch eine gemütliche Wohnküche in italienischem Stil einbauen lassen – rustikale Holzmöbel, Rauputz an den Wänden, ein altmodischer Gasherd.

***

Kurtz stand an einer Anrichte und schnitt Möhren, als sie hereinkamen. Er blickte auf, legte rasch das Messer weg und kam mit großen Schritten um die Anrichte herum, um seine Patentochter zu begrüßen. Er wollte sie umarmen, doch Katharina wehrte ihn höflich ab: »Wir müssen reden!«

Kurtz konnte seine Enttäuschung zwar nicht ganz verbergen, doch er setzte ein breites Lächeln auf: »Aber erst wird gegessen!«

***

Wenn Antonio Kurtz nicht gerade den »Paten von Frankfurt« gab – er kontrollierte große Teile des Geschäfts mit Prostitution und Glücksspiel in der Mainstadt –, war er ein leidenschaftlicher, wenn auch experimenteller Koch. Während Katharinas Abwesenheit hatte Kurtz seine italo-asiatische Phase abgeschlossen und damit begonnen, »die deutsche und die süditalienische Küche miteinander zu versöhnen«. Das Ergebnis war eine zarte Rinderroulade in Chianti-Soße mit Püree aus jungen Kartoffeln und einer Auswahl mediterranen Gemüses. Zum Nachtisch gab es Mousse au Chocolat, von dem Katharina zweimal nachnahm. Sie war süchtig nach allem, was mit Schokolade zu tun hatte, und so viel Zeit musste sein.

Endlich waren sie gesättigt. Kurtz hatte Espresso gemacht und sie saßen um den runden Tisch aus poliertem Eichenholz. Katharina berichtete zum dritten Mal an diesem Tag. Ihr Mund fühlte sich allmählich fusselig an.

Als sie endlich geendet hatte, starrte Kurtz lange in seine leere Espressotasse. Dann sagte er: »Ministro also.« Und versank wieder in Schweigen.

»Hast du eine Idee, wer ihn beauftragt haben könnte?«, fragte Katharina ungeduldig.

»Nein. Nicht wirklich. Außer … Es war ja allgemein bekannt, dass ich mit deinem Vater befreundet war. Das Einzige, was ich mir vorstellen könnte … Aber nein, das passt nicht.«

»Was passt warum nicht?«

»So einen Mord am besten Freund: Der wird veranstaltet, um ein Exempel zu statuieren. Und du weißt genau, wer es war, ohne es beweisen zu können. Dafür sorgen die dann schon. Aber damals? Nichts. Keine versteckte Drohung, keine anonymen Nachrichten.«

Katharina wusste, dass sie die nächste Frage stellen musste, doch gleichzeitig spürte sie die Panik vor der falschen Antwort in sich aufsteigen. »Sag mal, Antonio, hältst du es irgendwie für möglich, dass Papa …« Sie musste schlucken, bevor sie weitersprechen konnte. »Dass Papa in krumme Geschäfte verwickelt gewesen ist?«

Antonio Kurtz sprang auf. Seine Hand holte aus und für einen Moment sah es so aus, als würde er Katharina tatsächlich schlagen. »Sag so etwas nie wieder!«

Katharina hob schützend die Hände vor ihr Gesicht: »Du weißt, dass ich das fragen muss.«

Kurtz setzte sich wieder und sprach beschwörend auf sie ein: »Katharina! Du kanntest doch deinen Vater! Glaubst du im Ernst, er hätte sich auf krumme Touren eingelassen? Nein, da lege ich meine Hand für ihn ins Feuer.«

»Und unwissentlich?«, bohrte Katharina weiter.

Statt zu antworten, stand Kurtz auf, ging zu einer Anrichte mit Flaschen und Gläsern, goss sich einen Grappa ein und stürzte ihn hinunter. Er schenkte nach, setzte sich wieder und begann, das Glas nervös zwischen seinen Fingern hin- und herzuschieben. »Unwissentlich? Darüber habe ich damals auch lange nachgedacht. Sah ja viel zu sehr nach Auftragsmord aus, das Ganze. Und es war auch die Zeit, in der Kriminelle entdeckten, dass sie mit Kunstwerken Geld waschen und transportieren konnten. Aber ich habe damals den üblichen Verdächtigen unmissverständlich klargemacht, was mit ihnen passiert, wenn sie auch nur versuchen, Diether in sowas reinzuziehen.«

»Und andere Player? Vielleicht welche, die einfach nur ihr Geld vor der Steuer in Sicherheit bringen wollten?«

»Ach, Katharina, du kanntest doch das Verhältnis deines Vaters zum Finanzamt. Glaubst du im Ernst, er hätte sich auf so etwas eingelassen?«

Katharinas Vater war stets so überkorrekt gewesen, dass ihn das Finanzamt permanent im Visier hatte: Wer so gesetzestreu war, konnte nur Böses im Schilde führen. Praktisch jedes Jahr hatten sie ihn geprüft. Ohne Ergebnis. Ihr Vater hatte sich stets einen Spaß daraus gemacht, die Prüfer mit Kaffee und Kuchen zu empfangen.

»Außerdem«, fuhr Kurtz fort, »ab einer gewissen Größenordnung hat dein Vater nichts mehr ohne notariellen Vertrag gemacht, um sich genau gegen so was abzusichern. Dieser … wie hieß er doch gleich? Ach ja, richtig! Dieser Schmitz muss sich dabei eine goldene Nase verdient haben.«

»Schmitz?« Der Name sagte Katharina nichts.

»Na, der Anwalt und Notar deines Vaters.«

»Aber irgendjemand muss Ministro beauftragt haben«, warf Andreas Amendt ungeduldig ein.

Kurtz stützte den Kopf in die Hände: »Natürlich. Ich habe nur keine Ahnung, wer. Und wenn es jemand wissen müsste, dann doch Katharinas Gangster-Onkel.«

Am liebsten hätte Katharina Kurtz in den Arm genommen, um ihn zu trösten. Aber das war jetzt nicht der rechte Zeitpunkt: »Dann hilft alles nichts«, sagte sie schließlich. »Wir müssen uns Ministro krallen.«

Kurtz hob den Kopf: »Und wie willst du das machen? Ministro arbeitet normalerweise nicht in Deutschland. Felipe de Vega muss ihm ein gigantisches Honorar geboten haben.«

»Dann machen wir das Gleiche. Geld genug habe ich ja.«

»Und auf wen wollen Sie ihn ansetzen?« Amendts Frage war berechtigt: Der Plan war ja nicht ganz risikofrei.

Kurtz räusperte sich: »Gibt nur eine Möglichkeit. Auf mich.«

»Aber das kann ich nicht von dir –«, wollte Katharina widersprechen.

»Oder kennst du sonst irgendjemanden, den du glaubwürdig als Ziel eines Auftragsmordes verkaufen kannst?«

»Aber –«

»Keine Sorge, Katharina. Unkraut vergeht nicht. Wenn es so weit ist, werde ich mich in meinem Haus verschanzen und eine halbe Armee um mich herum haben.«

»Ministro weiß von der Verbindung zwischen uns. Glaubst du nicht, dass er die Falle riecht?«

»Vielleicht. Aber einen Versuch ist es wert. – Und eine andere Möglichkeit sehe ich nicht, außer du willst einen völlig Unschuldigen aus dem Telefonbuch heraussuchen.«

Kurtz hatte natürlich recht. Trotzdem behagte es Katharina nicht, ihn als Zielscheibe für einen der besten Killer der Welt zu missbrauchen. Ihr Patenonkel legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter: »Nun mach dir deswegen kein Kopf, Katharina. Ist nicht das erste Mal, dass ein Preis auf mich ausgesetzt ist. Und bis jetzt bin ich immer mit heiler Haut davongekommen.«

Es blieb trotzdem noch ein Problem. »Jetzt müssen wir nur noch Ministro kontaktieren. Hast du eine Ahnung, wie das geht?«, fragte Katharina.

»Nein«, antwortete Kurtz missmutig. »Dienste wie die von Ministro brauche ich nicht.«

»Sonst irgendeine Idee, wer es wissen könnte?«

»Nein. Leider. Absolut nicht. Habe ich schon ausgelotet, als ich erfahren habe, dass Ministro auf dich angesetzt ist. Dachte, ich kann den Kontrakt vielleicht aufkaufen und ihn so aufhalten. Aber ich war nicht erfolgreich. Leute wie Ministro kann man nicht einfach anrufen. Da sind Mittelsmänner zwischengeschaltet. Sogenannte Agenturen. Aber welche das sein könnten …«

Wie aufs Stichwort klingelte in diesem Moment Amendts Handy. Er gab das Telefon an Katharina weiter: »Für Sie!«

Es war Schönauer, der Ballistik-Experte: »Ich hatte Ihnen doch versprochen, mich wegen Ministro noch ein wenig umzuhören.«

Katharina fragte nervös: »Und? Wissen Sie jetzt, wie man ihn erreichen kann?«

»Nicht direkt. Aber ich kenne jemanden, der es vielleicht weiß. Haben Sie was zu schreiben?«

Schönauer diktierte Katharina eine lange Telefonnummer. Die Vorwahl kam Katharina bekannt vor: »Ein Satellitentelefon? Jemand im Ausland?«

»Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, wo er sich aufhält. Er lebt versteckt.«

»Wer ist es denn?«

»Vielleicht haben Sie den Namen schon mal gehört: Doktor Wolfgang Froh.«

»Der Kriminologe?« Wolfgang Froh hatte mehrere Standardwerke zum Thema »organisierte Kriminalität« verfasst.

»Genau. In den letzten Jahren hat er vor allem auf dem Gebiet der Kommunikation in der organisierten Kriminalität geforscht. Dabei muss er wohl ein paar Quellen auf die Füße getreten sein. Auf jeden Fall musste er untertauchen. – Wenn Sie jemand auf die Spur von Ministro bringen kann, dann er.«

Katharina bedankte sich.

»Gern geschehen. Ich würde mich freuen, wenn ich dabei helfen kann, Ministro aus dem Verkehr zu ziehen. – Ach, noch eines: Ministro ist ein ausgezeichneter Scharfschütze. Ich habe hier in meinen Unterlagen wenigstens drei Fälle, bei denen er aus einer Entfernung von mehr als zweihundert Metern geschossen hat. Das sollten Sie bei Ihrem Plan einkalkulieren. – Und, nur um in Erinnerung zu bleiben: Ich schieße noch besser. Ich hoffe, Sie besinnen sich darauf.«

Schönauer legte auf, ohne sich zu verabschieden. Katharina gab Andreas Amendt das Handy zurück und sah zu Kurtz. »Können wir dein Konferenz-Telefon benutzen?«

Kurtz nickte zu Hans, der aus einem Schränkchen ein kreisrundes Gerät holte, das er mit einer Telefonbuchse verband und auf den Tisch stellte.

»Wen willst du anrufen?«, fragte Kurtz.

»Doktor Wolfgang Froh, den Kriminologen. Angeblich soll er uns dabei helfen können, Ministro zu finden.«

»Der Froh?«

»Wieso? Kennst du ihn?«

»In meinem Metier kennt ihn fast jeder. Hat eine Menge Feinde. Und er ist ein wenig … Nun ja, mach dir lieber selbst einen Eindruck.«

Katharina wählte die Nummer, die Schönauer ihr gegeben hatte. Stille und elektronisches Rauschen. Dann eine elektronisch generierte Stimme: »Ihr Standort wird bestimmt. Bitte bleiben Sie in der Leitung.«

Endlich läutete es. Einmal, zweimal, dreimal … Katharina wollte schon aufgeben, da knackte es in der Leitung und eine vom Stress quäkige Stimme meldete sich: »Antonio Kurtz! Warum rufen Sie mich an? Und woher haben Sie diese Nummer?«

»Doktor Wolfgang Froh?«, fragte Katharina.

»Wer sind Sie denn?«, quäkte es zurück.

»Mein Name ist Katharina Klein. Antonio Kurtz ist mein –«

»Patenonkel! Ich weiß! Ich weiß, wer Sie sind.«

»Dann ist ja gut.«

»Gut? Was soll daran gut sein? Sie sind die Frau, die Miguel de Vega weggepustet hat. Wissen Sie eigentlich, was Sie damit angerichtet haben? Haben Sie in letzter Zeit mal die Zeitung gelesen?«

»Nur insoweit, dass es auch Miguels Vater erwischt hat, Felipe de Vega.«

»Ganz richtig. Ahnen Sie auch nur ansatzweise, was das bedeutet? Einen neuen Krieg um Kokain. Mit Felipe de Vegas Tod ist ein Machtvakuum entstanden, das jetzt eine ganze Menge Leute füllen wollen. – Bitte sagen Sie mir, dass Sie nicht auch noch Felipe de Vega auf dem Gewissen haben.«

»Nein. Habe ich nicht.« Katharina ertappte sich dabei, dass sie das Gefühl hatte zu lügen. Ministro hatte vermutlich Felipe de Vega ermordet, um einen Racheakt zu verhindern: Der kolumbianische Drogenboss dürfte nicht sehr begeistert gewesen sein, als er gehört hatte, dass Ministro Katharina hatte laufen lassen.

»Na, dann ist ja gut«, sagte die Stimme aus dem Telefon sarkastisch. »Was wollen Sie? Und von wem haben Sie meine Nummer?«

»Gerhard Schönauer vom BKA hat sie mir gegeben.«

»Ach, der Schönauer. Gut. Also, was wollen Sie?«

»Ich müsste wissen, auf welchem Wege man einen hochrangigen Auftragsmörder kontaktieren und engagieren kann.«

»Wozu um Himmels willen brauchen Sie denn einen Auftragsmörder?«

»Es ist nur für eine Recherche und –«

»Lügen Sie mich nicht an. Ich habe hier ein Gerät mitlaufen, das Stimmstressmuster analysiert.«

Also gut, dann die Wahrheit: »Das muss aber absolut unter uns bleiben.«

»Selbstverständlich. Glauben Sie, ich will noch mehr Ärger?«

»Ich will einen Killer namens Ministro in eine Falle locken. Ich muss von ihm erfahren, wer ihn vor sechzehn Jahren für einen Mord engagiert hat.«

»Ministro?« Frohs Stimme überschlug sich. »Mit Verlaub: Sind Sie so naiv, dass Sie eigentlich nicht unbeaufsichtigt herumlaufen dürften? Oder einfach lebensmüde? – Ministro wird Sie kaltmachen, noch bevor Sie Gelegenheit haben, Ihre Waffe zu ziehen. Wenn Sie ihn überhaupt engagieren können. Und seinen Auftraggeber werden Sie niemals aus ihm herauskriegen.«

»Ich bringe ihn schon zum Reden«, mischte sich Kurtz ein.

»Ja und? Das nützt Ihnen so was von gar nichts.«

»Warum?«, fragte Katharina.

»Weil Ministro seine Auftraggeber nicht kennt, natürlich, Sie Dummerchen. – Sie haben echt keine Ahnung, wie so was abläuft, oder? Sie können jemanden wie Ministro nicht einfach anrufen und bestellen. Das läuft über Mittelsmänner – und zwar so viele, bis sich jede Spur verliert. Kein Profi der Gewichtsklasse Ministro weiß, wer ihn engagiert hat. Eine Sicherheitsmaßnahme.«

Katharina dachte nach: Richtig, Ministro hatte sie in ihrer finalen Konfrontation auf Mafia Island überhaupt erst dazu befragt, warum Felipe de Vega sie töten lassen wollte. Und wenn sie sich recht erinnerte, war sie es gewesen, die Ministro verraten hatte, wer ihn auf sie angesetzt hatte.

»Sind Sie noch da?«, quäkte die Stimme aus dem Konferenztelefon.

»Ja, natürlich. Dennoch wüsste ich gerne, wie man Ministro engagiert.«

»Ganz einfach: gar nicht!«, kläffte die Stimme. »Er arbeitet nicht in Deutschland.«

»Dann hat er aber für Felipe de Vega eine Ausnahme gemacht.«

»Felipe de Vega?«

»Er hatte Ministro auf mich angesetzt.«

»Oha! Da muss ihm de Vega eine Stange Geld geboten haben. Und wozu wollen Sie Ministro dann engagieren? Sie brauchen nur zu warten. Ministro findet Sie schon.«

»Das hat er bereits. Und er hat mich laufen lassen. Weil er mich für unschuldig hält.«

Längeres, von elektronischem Rauschen untermaltes Schweigen aus dem Telefon. Endlich sagte Dr. Froh: »Dann sind die Gerüchte also wahr. Ministro ist bei der Annahme seiner Aufträge sehr wählerisch. Und eine Menge Leute sagen, dass er nur Menschen tötet, die es auch wirklich verdient haben.«

Katharina durchlief ein eiskalter Schauer. Aber sie würde jetzt nicht über die Konsequenz dieses Satzes nachdenken. »Können Sie mir nun sagen, wie ich Ministro kontaktieren kann?«

»Nein«, kam die einsilbige Antwort.

»Sie können nicht? Oder Sie wollen nicht?«

»Beides. Selbst, wenn ich es wüsste, würde ich Ihnen die Information nicht geben. Nicht bei jemandem wie Ministro. Ich hänge an meinem Leben, herzlichen Dank!«

»Aber Sie wissen ohnehin nicht, wie man ihn kontaktieren kann?«

»Nein. Wenn es in Deutschland überhaupt jemand weiß, dann …« Die quäkige Stimme machte eine dramatische Pause. »Der Staufer!«

»Der Staufer?« Katharina unterdrückte nach Kräften das Lachen, das aus ihrem Bauch aufstieg und mit Macht nach draußen wollte. »Soll das ein Witz sein? Oder ist gerade Märchenstunde?«

»So etwas verbitte ich mir«, kam es gekränkt zurück. »Der Staufer ist höchst real. Und dass die Polizei seine Existenz leugnet, ist nicht nur dumm, sondern auch gefährlich. Merken Sie sich meine Worte.«

»Das werde ich. Dann danke ich Ihnen für die Hilfe. Und, ach ja, wenn Sie ins Freie gehen, denken Sie immer schön an Ihren Aluminiumfolienhut.«

»Aluminiumfolienhut? Was soll das denn heißen?«

»Na, gegen die kosmischen Gedankenlenker-Strahlen.«

»Gedankenlenker-Strahlen? Halten Sie mich etwa für verrückt? Und im Übrigen hilft gegen psychotrope Strahlung keine Aluminiumfolie. Da brauchen Sie bleiverkleideten Stahlbeton.«

»Wenn Sie das sagen.«

Statt einer Erwiderung kam aus dem Konferenztelefon nur ein beleidigtes Knacksen, dann das Besetztzeichen. Katharina drückte die rote Taste zum Auflegen. Und dann war es um ihre Fassung geschehen. Sie wurde von einem hysterischen Lachanfall geschüttelt. Antonio Kurtz fiel in das Lachen ein.

»Der Staufer!«, stießen sie immer wieder hervor.

»Der Staufer?«, fragte Andreas Amendt dazwischen, aber er drang nicht durch die immer neuen Lachsalven von Kurtz und Katharina. Er wartete, bis sie sich halbwegs beruhigt hatten, dann fragte er noch einmal: »Wer ist der Staufer?«

»Nichts. Niemand«, antwortete Katharina, immer noch mit dem Lachen kämpfend. »Ein Märchen, das Unterweltler ihren Kindern erzählen, wenn sie nicht artig sind. Sei schön brav, sonst kommt der Staufer und holt dich.«

Antonio Kurtz, der sich inzwischen mithilfe eines Grappas halbwegs beruhigt hatte, erbarmte sich und klärte den immer noch ratlosen Amendt auf: »Der Staufer war in den Achtzigern und frühen Neunzigern ein ganz heißes Thema. Angeblich jemand, der im Auftrag von Kunden große Verbrechen einfädelt: Morde, Raubüberfälle, Einbrüche und so weiter. Wann immer irgendetwas passiert ist, was man nicht erklären konnte und wo es Schwierigkeiten bei der Aufklärung gab, hat man es dem Staufer in die Schuhe geschoben. Aber wie schon gesagt: Niemand, den ich kenne, ist ihm je begegnet. Er war halt eine bequeme Erklärung und ein guter Sündenbock. In einigen Kreisen hält sich das Gerücht vom Staufer noch immer.«

»Im Polizeipräsidium ist das ein echter Klassiker«, ergänzte Katharina. »Wenn Verdächtige im Verhör mit dem Rücken zur Wand stehen, sagen sie gerne mal: Das war ich nicht, das war der Staufer. Mich hat der Staufer beauftragt. Und solche Dinge.«

***

Endlich hatten sie sich beruhigt. Kurtz hatte noch eine Runde Espresso gemacht.

»Und jetzt?«, stellte Andreas Amendt die offensichtliche Frage.

Eine kleine Stimme in Katharina jubelte begeistert: Jetzt könne man das Ganze doch einfach zu den Akten legen, abwarten, zur Tagesordnung übergehen. Wo die Spur zu Ministro doch ins Leere verlaufen war … Doch dann sah Katharina Andreas Amendts Augen. Sie waren noch immer gerötet. Und was hatte sie selbst gesagt? »Wir bringen das jetzt zu Ende!«

Wenn sie nur wüsste, wie.

***

Dolphin Dance

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