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Alone and I Polizeipräsidium Frankfurt am Main,
etwa eine Stunde später

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Nach fast zwanzig Minuten waren die Kollegen endlich gekommen: zwei Streifenwagen mit Sirene und Blaulicht, dann ein dunkler Opel vom Kriminaldauerdienst und zuletzt der Kleinbus der Spurensicherung. Katharina hatte dem leitenden Beamten knapp Bericht erstattet, dann war sie gebeten worden, für eine ausführlichere Aussage ins Polizeipräsidium zu fahren.

Dort herrschte Hochbetrieb: Der erneute Schneefall hatte Frankfurt im Verkehrschaos versinken lassen. Die Beamten hetzten von Einsatz zu Einsatz, niemand beachtete Katharina.

Zunächst hatte sie im Flur gewartet, im KK 11, ihrer Abteilung. Ihrer ehemaligen Abteilung, korrigierte sie sich. Polanski hatte schließlich eine uniformierte Beamtin gebeten, Katharina in ein Vernehmungszimmer zu bringen. Dort sollte sie auf ihn warten. Und auf den leitenden Ermittler des Falls.

Jetzt saß Katharina also im Vernehmungszimmer, vor sich einen Becher Kaffee, den ihr die uniformierte Beamtin gebracht hatte. Sie hatte Katharina aufmunternd zugenickt und sie dann wieder sich selbst überlassen.

War der Mann mit den Eukalyptuspastillen ihretwegen ermordet worden? Eine kleine, hoffnungsvolle Stimme in Katharina flüsterte, dass das ja auch ein Zufall gewesen sein konnte. Der Mann mit den Eukalyptuspastillen hatte sicher viele Feinde. Vielleicht war Katharina einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen.

Unsinn! Sie war mit dem Mann mit den Eukalyptuspastillen – wie war noch sein Codename? Koala? – verabredet gewesen. Und es war ganz sicher kein Zufall, dass er ausgerechnet an ihrem Treffpunkt erschossen worden war. Katharina erinnerte sich, dass sie auf dem Weg zum Westendplatz Knallgeräusche gehört hatte, gedämpft durch den Schnee. Sie hatte sie für Fehlzündungen gehalten. Vermutlich hatten die Anwohner des Westendplatzes genauso gedacht wie sie. Und so war ein Mensch direkt vor ihrer Haustür erschossen worden, ohne dass sie es bemerkt hatten. Die Freuden der Großstadt.

Doch woher wusste der Täter von ihrem Treffen? Die einfachste Erklärung war natürlich, dass er sein Opfer beschattet hatte. Doch je länger Katharina darüber nachdachte, umso unwahrscheinlicher erschien es ihr. Der Mann mit den Eukalyptuspastillen war ein erfahrener … Ja, was eigentlich? Geheimdienstler? Bestimmt war er mindestens ebenso paranoid wie die meisten Menschen dieses Berufsstandes und hätte einen Verfolger bemerkt und abgeschüttelt.

Ihr konnte der Mörder auch nicht gefolgt sein. Sonst wäre er ja mit oder nach ihr am Treffpunkt eingetroffen. Blieb also nur eine einzige Möglichkeit: Ihr Telefonat war abgehört worden.

Aber wie? Ihr neues Handy war in der Lage, Gespräche zu verschlüsseln. Von dieser Möglichkeit hatte der Mann mit den Eukalyptuspastillen Gebrauch gemacht. Und das wiederum ließ nur einen einzigen Schluss zu, der Katharina einen eiskalten Schauer über den Rücken jagte: Sie selbst war abgehört worden. Ihre Wohnung war verwanzt. Und das bedeutete, dass der Täter rechtzeitig über ihre Spur zum Mörder ihrer Eltern informiert worden war. Aber wer hatte die Überwacher überhaupt auf ihre Spur gebracht? Irgendjemand musste mit irgendjemandem gesprochen haben, absichtlich oder nicht. Andreas Amendt? Nein, sie hatte fast den ganzen Tag mit ihm verbracht. Mit wem hatte sie noch geredet? Mit Kurtz, mit Polanski, mit Gerhard Schönauer, dem Ballistik-Experten des BKA. Und natürlich mit Wolfgang Froh, dem paranoiden Kriminologen.

Kurtz konnte sie wohl ausschließen. Den Kriminologen auch. Blieben noch Polizeipräsidium oder BKA. Katharinas Bauchgefühl sagte ihr eigentlich, dass sie Polanski und Schönauer trauen konnte. Doch beide mussten Berichte verfassen. Kollegen informieren. Und …

Und Polanski war in ihrer Wohnung gewesen. Als er ihre Dienstwaffe an sich genommen hatte. Hatte er die Wanze angebracht? Schwer vorstellbar. Aber vielleicht hatte er ja aus gutem Willen gehandelt. Um über ihre Rückkehr informiert zu sein und sie zu schützen. Und die Abhördaten waren in die falschen Hände geraten. Katharina schüttelte ärgerlich den Kopf. Nein, nicht Polanski. Aber …

Bevor sie in Afrika untergetaucht war, hatte sie auf Polanskis Anweisung hin unter dem Personenschutz des BKA gestanden. Waren die Beamten etwas zu übereifrig gewesen, hatten die Wohnung verwanzt und vergessen, ihre Gerätschaften wieder mitzunehmen?

Was hatte der Mann mit den Eukalyptuspastillen gesagt? »Trauen Sie niemandem!«

Katharina hatte das auf seine berufliche Paranoia geschoben. Aber wie sagt man doch: Nur weil du paranoid bist, heißt das nicht, dass sie nicht hinter dir her sind.

Katharinas Eingeweide ballten sich zu einem eisigen Klumpen zusammen. Warum hatte der Mörder nicht einfach auch auf sie gewartet? Sie gleich mit erledigt? Natürlich, sie hatte die Leiche finden sollen. Nur warum?

***

Die Tür des Vernehmungszimmers sprang auf, Polanski kam herein.

Ihm folgte Berndt Hölsung. Katharinas Todfeind. Dass ausgerechnet der schlechteste Ermittler des KK 11 diesen Fall leiten sollte, konnte kein Zufall sein. Vermutlich würde er mit der ihm eigenen Mischung aus Inkompetenz und Gemeinheit versuchen, ihr diesen Mord anzuhängen.

Katharina dachte an die Visitenkarte des Mannes mit den Eukalyptuspastillen und die SD-Speicherkarte. Beides steckte noch in ihrer Jacke, aber eigentlich war sie entschlossen gewesen, ein einziges Mal in ihrem Leben auf Polanski zu hören und ihm die Fundstücke zu übergeben.

Und nun ausgerechnet Hölsung. Es half nichts. Wenn sie wirklich die Wahrheit herausfinden wollte, würde sie doch auf eigene Faust ermitteln müssen. Sie würde also die beiden Beweisstücke behalten. Das war zwar eine Straftat, aber besser im Gefängnis als tot und begraben.

Polanski und Hölsung nahmen ihr gegenüber Platz. Katharinas und Hölsungs Blicke trafen sich; einen Moment lang starrten sie sich unverwandt an. Katharina lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. Sollte Hölsung doch versuchen, ihr den Mord anzuhängen. Im Zweifelsfall würde sie einfach die Aussage verweigern und einen Anwalt verlangen.

Doch sie war fast enttäuscht von Hölsungs Vernehmungsstil. Er fragte sachlich, systematisch und mit der Fantasie eines gestressten Buchhalters. Auffinde-Situation, Uhrzeiten, etwaige Beobachtungen: Standardfragen. Katharina antwortete, so gut sie konnte. Frage um Frage, Antwort um Antwort schleppte sich die Vernehmung dahin. Genau war Hölsung ja, das musste sie ihm lassen. Zeitverschwendend genau. Es wäre viel einfacher gewesen, Katharina einen normalen Bericht schreiben zu lassen. Als sie Hölsung dieses Angebot machte, schüttelte er schlecht gelaunt den Kopf: Sie sei keine Beamtin das KK 11 mehr und somit als ganz normale Zeugin zu behandeln.

Irgendwann gingen Hölsung die Fragen aus und er wollte die Vernehmung schon beenden, als sich Polanski endlich einmischte. Er hatte schon geraume Zeit nervös mit den Fingern auf seinem Oberschenkel getrommelt: »Ich hätte da noch ein paar Fragen. Sie gestatten doch, Herr Kollege?«

Diese Frage war natürlich reine Höflichkeit. Polanski war Hölsungs Vorgesetzter. Also wartete er dessen Antwort gar nicht erst ab.

»Konnten Sie den Toten identifizieren?«, begann er.

»Nein.« Das war die Wahrheit, soweit es Katharina betraf. Sie kannte den Namen des Mannes mit den Eukalyptuspastillen nicht. Hartmut Müller – der Name auf der Visitenkarte – war vermutlich ein Alias. Wenn die Visitenkarte überhaupt dem Toten gehörte.

Polanski war mit dieser Antwort nicht zufrieden: »Nein? Sie wissen aber, wer er war? Sie sind ihm schon begegnet?«

Katharina unterdrückte ein Aufstöhnen: »Natürlich. Er hat mich ja in meiner Anhörung verteidigt. Aber er hat mir nie seinen Namen gesagt. Ihnen vielleicht?«

Polanski schüttete schlecht gelaunt den Kopf: »Nein. Aber das spielt jetzt auch keine Rolle. – Keine Brieftasche, kein Handy, keine Schlüssel, sein Aktenkoffer leer … Haben Sie irgendetwas davon an sich genommen?«

»Nein«, sagte Katharina mit Nachdruck. »Ich habe die Leiche praktisch so belassen, wie ich sie aufgefunden habe. Nur seinen Puls gefühlt habe ich. Und seine Taschen vorsichtig durchsucht. Nach einem Handy. Ich hatte meines nicht dabei.«

»Soso.« Polanski beugte sich vor und stützte seine Ellbogen auf den Tisch: »Was haben Sie überhaupt am Westendplatz zu suchen gehabt?«

Was sollte sie darauf antworten? Am besten die Wahrheit: »Er hat mich angerufen und um ein Treffen dort gebeten.«

»Wusste sonst noch jemand von der Verabredung?«

»Nein, zumindest nicht von mir. Ich bin direkt nach dem Anruf aus dem Haus gegangen.«

»Und Sie haben mit niemandem gesprochen? Auch, zum Beispiel, mit Doktor Amendt nicht?«

»Natürlich nicht.«

»Wo ist Doktor Amendt jetzt?«

»Keine Ahnung. Vermutlich zu Hause. Seinen Jetlag ausschlafen.«

Polanski fischte mürrisch ein Stofftaschentuch aus seinem Jackett und putzte seine Brille. Dann endlich stellte er die richtige Frage: »Warum wollte sich Koala mit Ihnen treffen?«

Koala? Das Alias, mit dem sich der Mann mit den Eukalyptuspastillen auch am Telefon gemeldet hatte. Woher kannte Polanski das? Und warum hatte er sie eben angelogen? Warum hatte er gesagt, dass er keinen Namen wüsste? Eine kleine Stimme in Katharina mahnte, ihre Paranoia vielleicht besser im Zaum zu halten. Ein Alias war kein Name. Andererseits war Polanski das Alias allzu leicht über die Lippen gegangen.

»Katharina, ich warte«, drängte Polanski. »Warum wollte er sich mit Ihnen treffen?«

Nun, vielleicht gelang es Katharina ja, Polanski aus der Reserve zu locken. Also sagte sie die Wahrheit: »Er wollte mir Unterlagen geben, die den Mord an meiner Familie betreffen.«

»Hatte ich Ihnen nicht ausdrücklich gesagt«, brauste Polanski auf, »dass Sie sich da raushalten sollen? Dass Sie den ganzen Fall kompromittieren, wenn Sie sich einmischen?«

»Das hatte ich auch nicht vor. Aber ich hatte den Eindruck, dass die Unterlagen wichtig waren. Und Ihnen direkt hat er sie ja nicht gegeben. Daher dachte ich …«

»Sie dachten was?«

»Ich dachte, ich nehme die Unterlagen an mich und gebe sie dann bei Ihnen ab. Und ja, das ist durchaus im Rahmen unserer Vorschriften.«

»Sie wollten also die Unterlagen bei mir abliefern? Und warum haben Sie mich dann nicht gleich über dieses Treffen informiert?«

»Ich habe, ehrlich gesagt, nicht daran gedacht.«

Diese Antwort machte Polanski noch wütender: »Sie haben nicht daran gedacht? Haben Sie unser Gespräch von heute Morgen schon vergessen? Wir hätten vielleicht zusammen –«

»Zusammen zum Treffen gehen können?«

»Oder ich hätte jemanden schicken können. Zu Ihrem Schutz.«

»Ich kann ganz gut auf mich selbst aufpassen, herzlichen Dank. Außerdem … Meine Güte, ist es schon so lange her, dass Sie mit einem Informanten umgehen mussten, Chef? Wenn die Unterlagen so wichtig waren und er sie Ihnen nicht direkt gegeben hat: Das spricht nicht gerade dafür, dass er Ihnen vertraut hat.«

Polanski überhörte ihre letzte Bemerkung: »Sie wollten zum Treffpunkt gehen, die Unterlagen abholen und sie anschließend mir übergeben?«

»Ja. Zu meinem Patenonkel gehe ich doch auch alleine, wenn er einen Tipp für uns hat. Das hat Sie bisher jedenfalls nie gestört.«

»Nun gut.« Polanski wirkte nicht gerade, als würde er ihr bedingungslos glauben. »Hat er Ihnen Unterlagen gegeben?«

Katharina glaubte, den kleinen Speicherchip in der Brusttasche ihrer Lederjacke pochen zu fühlen. Aber wenn Polanski nicht mit der ganzen Wahrheit herausrückte, dann würde sie das auch nicht tun. Also schüttelte sie energisch den Kopf: »Nein, natürlich nicht. Er war schon tot, als ich angekommen bin.«

Polanskis Finger trommelten nervös auf der Tischplatte: »Hat Koala Ihnen sonst noch irgendetwas gesagt?«

Sonst noch irgendetwas? Natürlich! Katharina hatte die Warnung des Mannes mit den Eukalyptuspastillen völlig verdrängt. Jetzt fiel sie ihr wieder ein: »Er hat mich gewarnt. Angeblich ist ein neuer Profikiller in Frankfurt angekommen. Mit dem Codenamen S/M.«

»Essem?«

»Nein, S Schrägstrich M. Sie wissen schon, wie Sadomasochismus.«

»Und der ist hinter Ihnen her?«

Das hatte der Mann mit den Eukalyptuspastillen auch befürchtet. Andererseits hatte Katharina keine Lust, schon wieder den Personenschutz des BKA auf dem Hals zu haben. »Er wusste es nicht. Meinte, es könnte vielleicht ein Zufall sein.«

»Oder dieser S/M war hinter Koala her?«

»Möglich. Er wird wohl mehr als genug Feinde gehabt haben.«

Polanski räusperte sich: »Vielleicht sollten wir Sie sicherheitshalber unter Personenschutz –«

»Nein, das wird nicht nötig sein«, fiel ihm Katharina energisch ins Wort. »Wenn S/M wirklich hinter mir her wäre, dann hätte er vorhin genügend Gelegenheit gehabt, mich gleich mit zu erledigen.«

»Aber woher hat dieser S/M von Ihrem Treffen gewusst? Haben Sie wirklich mit niemandem darüber gesprochen?«

»Das habe ich Ihnen doch schon gesagt. Ich bin direkt nach dem Telefonat aus dem Haus gegangen. Ich nehme an, der Täter ist dem Toten gefolgt. Auf jeden Fall würde ich den Wagen gründlich nach Wanzen absuchen lassen. Aber das ist ja nicht meine Ermittlung.«

»Ganz richtig«, antwortete Polanski. »Es ist nicht Ihre Ermittlung. – Und da wir gerade dabei sind: Ich hätte gerne die Akte.«

»Welche Akte?«, fragte Katharina, obwohl sie genau wusste, was Polanski meinte: die Kopie der Akte zur Ermordung ihrer Familie. Sie würde den Teufel tun und sie rausrücken. Aber es war besser, sie blieb diplomatisch: »Die habe ich nicht dabei. Ich bringe Sie Ihnen morgen vorbei, wenn es recht ist.«

»Aber wirklich! Sonst komme ich und hole sie!«

»Mich?«

»Die Akte. Und Sie gleich mit. Wenn es nötig sein sollte.«

***

Hölsung hatte Katharina ausdrücklich darauf hingewiesen, in näherer Zukunft die Stadt nicht zu verlassen, ohne sich abzumelden. Was für ein Klischee! Dann hatten er und Polanski sie gehen lassen.

Katharina war in den Aufzug gestiegen, ins Erdgeschoss gefahren und wollte gerade durch die hintere Tür auf den Mitarbeiterparkplatz gehen, als ihr zwei alte Bekannte entgegenkamen.

Man konnte die eineiigen Zwillinge, die sich nur durch das Muster ihrer Karo-Hemden unterschieden, leicht unterschätzen. Doch Alfons und Bertram Horn waren die besten Spurenkundler, die das Polizeipräsidium Frankfurt zu bieten hatte. Im Präsidium hießen sie A-Hörnchen und B-Hörnchen oder kurz die Hörnchen.

Sie schoben einen großen, mit Laborgeräten beladenen Handwagen vor sich her und mühten sich, den Wagen in einem Stück durch die Glastür zu bekommen.

Katharina schlängelte sich an ihnen vorbei und hielt ihnen die Tür auf. Die Hörnchen schoben dankbar den Wagen hindurch, dann verneigten sie sich tief vor Katharina: »Habt Dank, Meisterin … ,« – »… Chefin in spe und frischgebackene Kriminaldirektorin!«

Die Hörnchen teilten alles, was sie sagten, unter sich auf. Wenn sie Vorgesetzte zur Weißglut treiben wollten, sprachen sie sogar in Reimen. Katharina bekam sofort bessere Laune: »Wo wollt ihr denn hin?«

»In unser neues Labor!« – »Das ist so cool!« – »Wir haben eine ganze Etage für uns!« – »Und das neueste Equipment!« – »Und das alles deinetwegen!« – »Darum habt Dank, große Meisterin!«

Die meisten anderen Ermittler im Präsidium kamen mit den Hörnchen nicht zurecht, aber Katharina mochte sie. Deswegen hatte sie sich die beiden Spurensicherungsexperten als Mitarbeiter ausbedungen, als ihr der Innenminister die Leitung der neuen Sonderermittlungseinheit angetragen hatte. Offiziell war das zwar ein großer Verlust für das Polizeipräsidium, aber Katharina hatte Polanski selten so erleichtert gesehen.

»Ist irgendwas? Ein neuer Fall?« – »Du hast diesen Blick«, fragten die Hörnchen im neugierigen Duett.

Ein neuer Fall? Ja, den hatte Katharina. Den Mord an ihrer Familie. Sie würde selbst weiterermitteln. Wieder ganz von vorne beginnen. Aber immerhin hatte sie jetzt einen Anhaltspunkt. Es war ein Auftragsmord gewesen. Und ein Auftragsmord hatte – Binsenweisheit – einen Auftraggeber. Und der hatte einen Grund für sein Handeln. Finde den Grund, finde den Täter. Eine banale Erkenntnis aus dem Grundkurs für Ermittlungsstrategien, ebenso wie: Der Weg zum Täter führt immer über das Opfer und den Tatort. Dort würde sie also beginnen: im Haus ihrer Eltern. Die Hilfe von zwei erfahrenen Spurenkundlern käme dabei sicher sehr gelegen.

Die Hörnchen mussten ihre Gedanken gelesen haben. »Ha! Hab ich’s doch gesagt!« – »Dürfen wir mitspielen?«

»Na ja, es ist nicht offiziell«, begann Katharina, doch die Hörnchen ließen sie gar nicht erst weiterreden: »Und wenn schon!« – »Offiziell ist sowieso langweilig.« – »Das kann doch jeder.« – »Und außerdem: Wenn wir das ganze Zeug drüben im neuen Gebäude haben … ,« – »… dann sind wir erst mal auf Urlaub gesetzt.«

Urlaub? Das war das Schlimmste, was man den Hörnchen antun konnte. Doch eigentlich wollte Katharina nicht das Leben und die Karriere von noch mehr Menschen riskieren: »Ach, ich will euch da nicht mit reinziehen. Das kann eine Menge Ärger geben.«

»Katharina, du weißt doch … ,« – »… wir lieben Ärger.« – »Und du bist doch die große Meisterin …« – »… und Chefin in spe!«

Wenn sie sich so aufdrängten … Katharina nickte: »Kann sein, dass ich euch morgen anrufe. Aber zu niemandem ein Wort. Schon gar nicht zu Polanski.«

»Schon klar!« – »Und Polanski sagen wir überhaupt nichts mehr … ,« – »… der hat uns nämlich diesen Zwangsurlaub eingebrockt.« – »Also, Katharina … ,« – »… wir harren des Anrufs der großen Meisterin!«

Die Hörnchen verneigten sich noch einmal tief. Dann packten sie vergnügt den Griff ihres Handwagens und schoben ihn über den Innenhof des Gebäudes davon.

***

Katharina ging langsam zum Papamobil. Ihr Nacken begann zu kribbeln. Wurde sie verfolgt? Sie sah sich um. Der Parkplatz war ruhig. Kein Mensch zu sehen. Aber das mochte nichts heißen. Zwischen den parkenden Autos gab es genug Deckung. Schnell stieg sie ein, startete den Motor, setzte aus der Parklücke und fuhr zur Ausfahrt. An der Schranke warf sie einen Blick in den Rückspiegel. Huschte da nicht ein Schatten zwischen den Autos hindurch?

Katharina ließ den Wagen fast im Leerlauf auf die Straße rollen, den Rückspiegel weiterhin fest im Blick. Tatsächlich, da startete ein Auto in einer Parklücke am Straßenrand. Ein Verfolger?

Sie würde ihn auf jeden Fall abschütteln, bevor sie nach Hause fuhr.

Nach Hause? War das wirklich eine gute Idee? Sie musste abgehört worden sein. Es gab gar keine andere Möglichkeit. Jemand war in ihre Wohnung eingedrungen und hatte sie verwanzt. Und wenn das einmal möglich war …

Sie brauchte Hilfe. Von jemandem, der sich mit so etwas auskannte. Ihrem Patenonkel. Doch sie konnte nicht einfach zu ihm fahren. Nicht mit einem Verfolger im Nacken.

Kurzentschlossen nahm sie die Eschersheimer Landstraße stadtauswärts. Was sie brauchte, war ein halbwegs sicheres Telefon. Eine Telefonzelle. Zum Glück hatte sie eine gute Idee, wo sie eine der letzten Vertreterinnen dieser Art in der Stadt finden würde. Wenn all das hier vorbei war, würde sie eine Bürgerinitiative zur Rettung der Münzfernsprecher gründen.

Drei Kreuzungen später war der Wagen noch immer hinter ihr. Nun gut, das konnte Zufall sein.

Sicher war sicher. Als sie zu ihrer Rechten ihr Ziel auftauchen sah, das Gebäude der Postbank, trat sie ein wenig aufs Gas, als würde sie daran vorbeifahren. Erst in letzter Sekunde riss sie das Steuer herum und fuhr schlitternd auf den Gehweg vor dem Gebäude. Ihr Verfolger – wenn es denn einer war – schoss an ihr vorbei.

***

Am Eingang der Postbank standen tatsächlich zwei Münzfernsprecher. Katharina wählte den, von dem aus sie den besten Blick auf die Straße hatte, und durchsuchte ihre Taschen nach Kleingeld.

Unwillkürlich musste sie an Harry Markert denken, ihren Ausbilder und ersten Partner. »Hab immer ein Taschenmesser, einen Dauerlutscher, ein Feuerzeug und ein paar Münzen dabei«, hatte er ihr damals beigebracht. »Du weißt nie, wann du etwas durchschneiden, ein Kind trösten, jemandem Feuer geben oder einen Anruf tätigen musst.«

Katharinas Finger schlossen sich um ihre Notfall-Münzen. Sie fütterte den Münzfernsprecher und wählte.

»Pronto?«, schallte es ihr nach dreimaligem Klingeln entgegen. Antonio Kurtz war stolz auf seine sizilianische Herkunft. Deshalb hatte er sich einen italienischen Akzent zugelegt, der jeden Operettenbuffo hätte vor Scham im Boden versinken lassen.

»Ich bin es, Katharina.«

»Katharina! Was ist los?«

»Ich stecke in Schwierigkeiten.« Sie berichtete hastig.

»Ich habe es ja gesagt, dieser Eukalyptusfresser bedeutet nichts als Ärger. Selbst im Tod noch.« Kurtz’ Ton wurde befehlend: »Also, du fährst heute Abend keinesfalls in deine Wohnung zurück. Ich schicke gleich ein paar Leute los, die sich auf die Suche nach den Wanzen machen. Am besten, du nimmst dir ein Hotelzimmer. Irgendwo außerhalb. Sieh aber zu, dass du nicht verfolgt wirst. Und keine Extratouren, verstanden?«

»Ja, natürlich«, antwortete Katharina.

»Und du kehrst erst zurück, wenn deine Wohnung wieder sicher ist. Ich melde mich bei dir.«

»Ich … Ich habe mein Handy nicht dabei.«

»Dann ruf mich morgen früh an. Und pass auf dich auf!«

Damit war das Telefonat beendet. Katharina hängte den Hörer ein und ging zu ihrem Wagen zurück. In welchem der Frankfurter Vororte konnte sie wohl ein Hotelzimmer finden? Kriftel? Hofheim? Oder am Flughafen?

Ach verdammt, das war wie bei ihrer Flucht nach Afrika. Sie war wieder allein. Auf sich gestellt. Und es war zu viel passiert an diesem Tag.

Sie musste mit jemandem reden. Jemandem, der in der Lage war, das Chaos ihrer Gedanken aufzuräumen.

Es gab nur einen Menschen, der das konnte. Der ihr zuhören würde. Dem sie vertraute. Den sie als Freund betrachtete.

***

Dolphin Dance

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