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Steppin’ in It Polizeipräsidium Frankfurt am Main,
eine enervierende Autofahrt durch morgendlichen Schneefall später

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Der Besucherparkplatz des Polizeipräsidiums war natürlich voll und Katharina hatte ihren Ausweis für den Mitarbeiterparkplatz nicht dabei. Sie musste also den Block dreimal umrunden, bis sie endlich eine Parklücke fand, die groß genug war für das Papamobil – in einer Nebenstraße, zwischen zwei großen Bergen schmutzig-grauen Schneematsches.

Sie und Andreas Amendt stapften und schlitterten über die noch nicht gekehrten Gehwege zum Haupteingang des Präsidiums. Die Beamtin an der Pforte erkannte Katharina zum Glück und ließ sie und Amendt durch die Sperre. Am Fahrstuhl warteten sie schweigend.

Endlich erklang das erlösende »Ping!« des ankommenden Aufzugs. Ungeduldig drängte Katharina in die Kabine. Sie wollte gerade das Stockwerk anwählen, als eine schrill-quäkige Stimme rief: »Halt! Warten!«

Die Stimme kam hinter einem vollgepackten Putzwagen hervor, der auf die Aufzugtür zuraste. Katharina musste zur Seite springen, der Bügel ihrer Handtasche verfing sich am Handgriff des Putzwagens, der Wagen stellte sich quer. Um den Knoten zu lösen, mussten sie alle wieder aussteigen.

»Passense doch auf!«, schnauzte die Reinigungskraft Katharina an. Ihr Körper war unter einem zu weiten Putzkittel verborgen, ihr Haar steckte unter einem Kopftuch. Ihre blauen Augen blitzten wütend: »Mussisch machen meine Arbeit auch!«

Katharina wollte etwas Giftiges erwidern, doch Andreas Amendt legte beruhigend die Hand auf ihren Arm.

Als sie endlich das gewünschte Stockwerk erreicht hatten, ließen sie der Putzfrau mit ihrem Wagen den Vortritt. Leise verärgert vor sich hin murmelnd verschwand sie im Gewirr der Gänge.

***

»Ich weiß, wer meine Eltern umgebracht hat!«

Kriminaldirektor Polanski blieb ob dieses Satzes, den Katharina ihm statt einer Begrüßung entgegenschmetterte, auf halbem Wege um seinen Schreibtisch herum stehen: »Und ich sehe, Sie haben den Täter gleich mitgebracht!« Er deutete mit dem Kopf in Richtung Andreas Amendt, der hinter Katharina Polanskis Büro betreten hatte.

»Was? Nein. Doktor Amendt ist unschuldig. Er hat versucht, Susanne das Leben zu retten.« Ohne Polanski Zeit für eine Erwiderung zu lassen, sprudelte sie weiter: »Erinnern Sie sich an den Priester, der Sie damals begleitet hat, als Sie mich vom Flughafen abgeholt haben?«

»Dunkel. Was ist mit –?«

»Das war Ministro!«

»Der Killer?« Polanski blinzelte ein paar Mal. Dann ging er wieder um seinen Schreibtisch herum und ließ sich in seinen Sessel fallen. Er öffnete sein Schreibtischschränkchen, schloss es jedoch gleich wieder. Es war wohl doch noch zu früh für einen Cognac. »Setzen Sie sich besser«, sagte er. »Und erzählen Sie von Anfang an.«

***

Nachdem Katharina ihren Bericht beendet hatte, nahm Polanski seine Lesebrille ab und putzte sie mit seiner Krawatte. »Dass Doktor Amendt versucht hat, seiner Verlobten das Leben zu retten, ist ja noch schlüssig. – Aber der Rest?«

»Was ist damit?« Katharinas Frage klang schärfer, als sie es beabsichtigt hatte.

»Haben Sie sich mal zugehört? Die Morde sollen von genau dem Killer begangen worden sein, der – ganz zufällig – sechzehn Jahre später auch auf Sie angesetzt ist? Der es, wie auch immer, schafft, Sie aufzuspüren? Und der Sie dann laufen lässt, weil er Sie für einen guten Menschen hält? – Ist es nicht eher wahrscheinlich, dass Ihnen Ihre Fantasie da einen Streich gespielt hat? Ich meine, ich kann ja verstehen, dass Sie nach dem Stress der letzten Zeit –«

»Ich kann es sogar beweisen!«, fiel Katharina ihm schroff ins Wort. Dann fügte sie zögernd hinzu: »Glaube ich.«

»Und wie?« Polanski klang nicht gerade überzeugt.

Katharina zog den kleinen Stoffbeutel aus der Innentasche ihres Mantels und legte ihn vor Polanski auf den Tisch: »Damit.«

Polanski drehte den Beutel zwischen den Fingern. »Was ist das?«

»Drei Geschosse aus Ministros Pistole.«

Polanski sah überrascht auf: »Wo haben Sie die denn her? Ich dachte, er hätte Sie laufen lassen?«

»Hat er. Aber vorher hat er dreimal in mein Bett geschossen. Und dann hat er gesagt: ›Diese Kugeln waren für Sie bestimmt. Schon immer.‹«

»Ach, und Sie denken, er meinte –«

»Was soll er sonst gemeint haben?«

»Eben. Genau diese Frage sollten Sie sich stellen.«

»Vielleicht …«, wollte Katharina widersprechen.

»Genau. Vielleicht«, griff Polanski ihren angefangenen Satz auf. »Vielleicht wollte er Sie auch nur auf eine falsche Fährte führen. Ein wenig mit Ihnen spielen. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht?«

»In jedem Fall sollten wir –«

»Nicht wir! Ich!«, schnitt ihr Polanski das Wort ab. »Sie sind für so was nicht mehr zuständig.«

»Aber –«

»Kein Aber. Vor allem, wenn Sie recht haben sollten, dürfen Sie nichts, aber auch gar nichts mit den weiteren Ermittlungen zu tun haben. Wie Sie eigentlich genau wissen. Sie sind Angehörige.«

»Aber –«

»Und überhaupt: Ermittlungen sind nicht Ihre Aufgabe. Nicht mehr!«

Dieser Satz ernüchterte Katharina schlagartig. »Warum das denn?«

»Weil Sie jetzt Kriminaldirektorin sind.«

»Was soll das denn heißen?«

»Mein Gott, haben Sie eigentlich unsere Dienstvorschriften und Regularien überhaupt jemals gelesen? Sie gehören jetzt zum Führungspersonal. Ihre Aufgabe besteht darin, Ihre Einheit zu führen.«

»Ich darf also nicht mehr ermitteln? Überhaupt nicht mehr?«

»Willkommen im Club!«

»Als der Innenminister mich befördert hat, da haben Sie gesagt –«

»Ich weiß, was ich gesagt habe!«

Katharina spürte Zorn in sich aufsteigen: »Sie haben mich angelogen?«

»Weil ich verhindern wollte, dass Sie dem Innenminister an die Gurgel springen.«

»Aber –«

»Das war die einzige Möglichkeit, Ihren Kopf zu retten. Ein verärgerter Innenminister … Vermutlich säßen Sie jetzt in U-Haft. Es gibt immer noch genug Leute, die Ihren Kopf wollen.«

»Hölsung?« Berndt Hölsung, ein Kollege aus ihrer ehemaligen Abteilung, war Katharinas Todfeind.

»Der auch, ja. Nehmen Sie sich vor dem in Acht.«

»Er spielt mit dem Innenminister Golf, ich weiß.«

»Und er ist stinksauer. Hat sich selbst Hoffnungen auf Beförderung gemacht.«

»Aber er ist doch gerade befördert worden. Für seinen …« Katharina malte Anführungszeichen in die Luft, »… ›erfolgreichen Schlag gegen den Drogenhandel‹.«

Dieser »erfolgreiche Schlag« – das war die Schießerei gewesen, in der Katharina Miguel de Vega getötet hatte. Und in der Katharinas Team-Partner Thomas ums Leben gekommen war.

»Das wurde wieder rückgängig gemacht. Irgendjemand hat der Presse gesteckt, was wirklich abgelaufen ist.«

Katharina konnte nicht umhin, sich zufrieden zurückzulehnen. »Und was geschieht jetzt?«

»Sie bereiten sich in aller Ruhe auf Ihre neue Aufgabe vor.«

»Und Ministro? Die Kugeln?«

Polanski musterte sie über den Rand seiner Lesebrille hinweg. »Das Beste wäre, Sie vergessen sie einfach.«

»Was?«, brauste Katharina auf.

»Vergessen Sie die Kugeln. Ich meine das ernst.«

»Und warum sollte ich das tun?«

Polanski antwortete bedächtig: »Weil Sie die Kugeln in keinem Fall weiterbringen. Zum einen ist es unwahrscheinlich, dass ein professioneller Killer eine Tatwaffe zweimal benutzt – wie Sie eigentlich wissen sollten –, zum anderen: Selbst, wenn die Kugeln aus der Waffe stammen, mit der Ihre Eltern getötet worden sind: Was wäre mit dieser Erkenntnis gewonnen?«

»Nun, wir hätten eine Spur –«

»Die uns schnurstracks ins Leere führt. Wenn Sie recht haben sollten, ist dieser Ministro bereits seit mehr als sechzehn Jahren im Geschäft. Und so lange hält man sich nur, wenn man weiß, was man tut. Es dürfte also absolut unmöglich sein, seiner habhaft zu werden. Und selbst wenn uns dieses Kunststück gelingen sollte, wissen wir immer noch nichts über seine Auftraggeber.«

»Die kriege ich schon aus ihm heraus!«

»Haben Sie mir nicht zugehört? Sie halten sich da raus!«, bellte Polanski zornig. »Sie kompromittieren sonst den ganzen Fall.«

»Aber –«

»Kein Aber! Das ist eine offizielle Anweisung! Und ich meine das auch nicht augenzwinkernd.«

»Augenzwinkernd?«

»Sie wissen schon: Ich schaue weg, und Sie tun, was Sie wollen. Das kommt einfach nicht mehr infrage. Und schon gar nicht in diesem Fall. – Haben wir uns da verstanden?«

Polanski hatte recht. Wenn herauskäme, dass sie sich eingemischt hatte, würde selbst der unfähigste Verteidiger den Fall so lange mit seinen paragrafenbeschmierten Fingerchen zerpflücken, bis nur noch das Konfetti für die Feier anlässlich des Freispruchs seines Klienten übrigblieb.

»Aber die Kugeln? Lassen Sie die wenigstens untersuchen?«, fragte Katharina kleinlaut.

Polanski wollte antworten, sein Kopfschütteln deutete bereits das »Nein!« an, als sich Andreas Amendt einmischte: »Meinen Sie nicht, dass Sie dieser Spur wenigstens ansatzweise nachgehen sollten? Vielleicht führen die Kugeln Sie ja auch zu einem ganz anderen Fall.«

»Wie meinen Sie das?«

»Wenn Frau Klein sich irrt, muss es einen anderen Grund gegeben haben, aus dem dieser Ministro ihr die Kugeln hinterlassen hat. Vielleicht wollte er –«

»Für so ein ›Vielleicht‹ setze ich nicht mein Kapital beim BKA aufs Spiel. Eine ballistische Untersuchung, die höchstwahrscheinlich ins Leere führt: Dafür habe ich wieder den Etat noch das politische Standing.«

Amendt legte die Fingerspitzen zusammen. »Dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig. Ich werde spontan mein Gedächtnis wiederfinden.«

Polanski sah ihn verblüfft an: »Wie meinen Sie das?«

»Ich schlage Ihnen einen Handel vor: Sie lassen die Kugeln untersuchen und wenn sie weder zum Mord an Frau Kleins Familie noch zu einem anderen Verbrechen führen, unterschreibe ich Ihnen ein volles Geständnis.«

»Haben Sie den Verstand verloren?«, fuhr ihn Katharina an.

»Absolut nicht. Ich vertraue einfach Ihren Instinkten, Frau Klein. Da bin ich bisher ganz gut mit gefahren.«

Polanski hatte ein gefährliches Glitzern in den Augen. »Verstehe ich Sie richtig, Doktor Amendt? Ich lasse die Kugeln untersuchen und im Gegenzug dazu unterschreiben Sie mir ein Geständnis?«

»Genau.«

»Das Sie nicht widerrufen?«

»Nein.«

»Und Sie lassen sich freiwillig wegen Mordes verurteilen?«

Andreas Amendt zuckte mit den Schultern: »Verminderte Schuldfähigkeit. Ich verbringe vermutlich den Rest meiner Tage in einer geschlossenen psychiatrischen Abteilung. Es gibt ohnehin eine Menge Leute, die der Meinung sind, dass ich da hingehöre.«

»Aber das ist doch totaler Wahnsinn!«, mischte sich Katharina ein. »Was ist, wenn ich mich wirklich irre? Dann sitzen sie unschuldig hinter Gittern.«

Amendt lächelte schmal: »Dann wäre jetzt ein guter Zeitpunkt für Sie, sich nicht zu irren. – Deal?« Er reichte Polanski die Hand.

Polanski schlug ein. »Deal!«

Katharina schüttelte verzweifelt den Kopf. Wenn das schiefging … Irgendetwas sagte ihr, dass Amendt sich nicht freiwillig einsperren lassen würde. Eher würde er sich das Leben nehmen.

Polanski verpackte eine der Kugeln in ein Plastiktütchen und schob den Stoffbeutel mit den beiden anderen zu Katharina. »Die verwahren Sie besser.«

Unschlüssig schob Katharina den Beutel zurück in ihre Manteltasche. Polanski war aufgestanden und zu seinem Büroschrank gegangen. Er schloss umständlich einen darin eingebauten Tresor auf, dem er eine kleine, durchsichtige Plastikschachtel entnahm.

»Was ist das?«, fragte Katharina.

»Eine der Kugeln, mit denen Ihre Familie getötet wurde.«

Katharina schluckte: »Die bewahren Sie in Ihrem Büro auf?«

»Ich hatte Ihnen doch gesagt: Die Akte bleibt offen, bis der Fall gelöst ist.« Polanski setzte sich an seinen Schreibtisch, nahm aus einer anderen Schublade ein Formular und begann es sorgfältig auszufüllen. Katharina und Andreas Amendt schauten ihm schweigend zu.

Endlich war er fertig und steckte die beiden Kugeln zusammen mit dem Formular in einen braunen Umschlag.

»Und jetzt?«, fragte Katharina.

»Jetzt warte ich auf die Resultate. Das kann aber ein paar Wochen dauern.«

»Warum denn so lange?«

»Ein sechzehn Jahre alter Fall hat beim BKA eben keine besonders hohe Priorität.«

»Können Sie nicht –?«

»Nein! Ich kann das nicht beschleunigen. Und ich werde es auch nicht versuchen.«

»Und was machen wir inzwischen?«

»Sie machen überhaupt nichts! Haben Sie nicht gehört, was ich eben gesagt habe? Sie müssen sich raushalten. Sie gefährden sonst den ganzen Fall, verstanden?«

Polanski sah Katharina streng in die Augen. Endlich senkte sie den Blick und nickte: »Verstanden.«

»Also gut: Nutzen Sie die Zeit und bereiten Sie sich stattdessen in aller Ruhe auf Ihre neue Aufgabe vor. Unterschätzen Sie das nicht.«

»Was soll ich nicht unterschätzen?«

»Mitarbeiterführung, Organisation, Papierkrieg … Sie werden gut beschäftigt sein.«

»Und ich darf überhaupt nicht mehr ermitteln?«

»Sie werden schlicht keine Zeit dafür haben. Vor allem, da Sie diese Ermittlungseinheit völlig neu aufbauen müssen.«

»Aber Ermitteln ist das, was ich am besten kann.«

»Ich weiß, Katharina. Sie wissen, dass ich Ihre Talente sehr schätze. Aber meine erste Wahl für die Leitung der Sonderermittlungseinheit wären Sie nicht gewesen.«

»Sie haben mich also ins offene Messer laufen lassen.«

»So schlimm ist es ja nun auch nicht.« Polanski hob beschwichtigend die Hände. »Immerhin haben Sie noch einen Job. Und Sie sitzen nicht im Gefängnis. Sie werden das Kind schon schaukeln. – Apropos: Das bringt mich hierzu.« Polanski ging erneut zu seinem Büro-Safe und entnahm ihm eine Pistole: »Ihre Dienstwaffe.«.

Er legte die Pistole vor sich auf den Schreibtisch. Eine Heckler & Koch P2000 mit verbessertem Visier und modifiziertem Abzug, der auf Katharinas kleine Hände eingestellt war.

Katharina wollte danach greifen, aber …

Ihre Dienstwaffe? Die hatte ihr Polanski doch bereits zurückgegeben. Nach der Schießerei, in der sie Miguel de Vega erschossen hatte, musste sie die Pistole vorschriftsgemäß der Spurensicherung übergeben. Doch nach der Anhörung hatte sie sie von Polanski zurückbekommen. Und dann? Ja, was hatte sie dann mit der Waffe gemacht? Sie sah sich selbst, wie sie den kleinen Safe in ihrem Wohnzimmer öffnete, um die Pistole hineinzulegen. Im Safe hatte sie die Akte zur Ermordung ihrer Familie entdeckt. Ihr war eingefallen, dass es der Todestag ihrer Familie gewesen war, der dritte Dezember. Sie war anschließend zum Haus ihrer Eltern gefahren. Aber was hatte sie mit der Pistole gemacht? Sie hätte schwören können …

»Was ist?«, unterbrach Polanski ihre Gedanken.

»Wie kommt die Pistole hierher? Die haben Sie mir doch schon zurückgegeben.«

»Ja, aber irgendwie scheint mein Büro sie magisch anzuziehen.« Polanski lächelte schief. Katharina hatte schon öfter »von der Dienstwaffe Gebrauch gemacht«, als ihm lieb war. Und jedes Mal wurde die Waffe kurzfristig zur ballistischen Untersuchung eingezogen. Die Strafpredigten, die Polanski Katharina hielt, wenn er ihr die Waffe zurückgab, waren länger und länger geworden.

»Wie kommt die Pistole hierher?«, wiederholte Katharina drängend ihre Frage.

»Die lag im Regal in Ihrem Wohnzimmer. Ganz offen. Da habe ich sie besser an mich genommen, bevor jemand Unsinn damit anstellt.«

Regal. Wohnzimmer. Über die Akte musste sie ihre Pistole völlig vergessen und einfach beiseitegelegt haben. Verdammt, wie leichtsinnig. Gut, dass Polanski … Aber …

»Wie kommen Sie denn in meine Wohnung?«

Polanski zuckte mit den Achseln. »Ich bin kurz nach Weihnachten bei Ihrem Haus vorbeigekommen, da habe ich Licht gesehen. Ich dachte, Sie wären entgegen allen Warnungen schon wieder zurückgekommen, also bin ich hoch. Waren aber nur Ihr Patenonkel und zwei seiner Spießgesellen.«

»Was haben die denn da gemacht?«

»Ich will es nicht beschwören, aber ich glaube, sie haben die Vorhänge gewaschen. Zumindest waren Kurtz und seine beiden Leibwächter gerade dabei, sie wieder aufzuhängen.«

Ach ja, natürlich. Sie hatte Antonio Kurtz ihren Wohnungsschlüssel gegeben, damit er in ihrer Abwesenheit nach der Post sah. Vorhänge zu waschen: Das sah ihm ähnlich.

»Und da habe ich die Pistole entdeckt. Dachte, ich nehme sie besser an mich. Ich meine, Kurtz kann man trauen, aber seinen Spießgesellen? – Wollte ja nicht, dass Sie nach Ihrer Rückkehr gleich wieder in Schwierigkeiten geraten, weil Ihre Pistole auf dem Schwarzmarkt aufgetaucht ist. Oder bei einer Straftat.«

Katharina räusperte sich: »Danke.«

Sie wollte nach der Waffe greifen, doch Polanski legte seine Hand auf die Pistole: »Als Kriminaldirektorin haben Sie keinen Anspruch auf eine Dienstwaffe. Also müssen Sie die hier noch offiziell abgeben.«

»Was? Und wie soll ich mich dann verteidigen?«

»Ganz einfach: gar nicht. Aber ich kann Sie beruhigen: Wenn Sie erst mal hinter einem Schreibtisch sitzen, nimmt die Anzahl der physischen Bedrohungen ganz schnell ab.« Polanski legte das Rückgabeformular vor sie hin. »Bitte unterschreiben Sie das.«

Nun denn, Katharina war mit der Waffe ohnehin nie wirklich warm geworden. Zudem besaß sie immer noch ihre Stockert & Rohrbacher Modell 1: eine handgefertigte Pistole, die ihr Patenonkel ihr zum Geburtstag geschenkt hatte.

Polanski musste Katharinas Gedanken erraten haben: »Die Waffen in Ihrem privaten Besitz können Sie natürlich behalten. Allerdings dürfen Sie sie nicht mehr führen.«

Das hätte sie sich denken können. Allerdings würde sie dieses Verbot bis auf Weiteres ignorieren. Das brauchte Polanski aber nicht zu wissen.

Katharina hatte gerade das Formular unterschrieben, als die Tür zu Polanskis Büro aufgerissen wurde. Ein großer Putzwagen wurde klappernd hereingeschoben.

»So, muss ich putzen dann hier!« Schon wieder diese keifende Putzfrau aus dem Fahrstuhl.

Polanski stand auf: »Nicht jetzt! Sehen Sie nicht, dass ich arbeite?«

»Ich arbeiten auch! Kann nicht immer warten! Krieg ich nicht bezahlt!« Die Putzfrau stürmte vor, einen Lappen und einen Eimer Wasser in der Hand.

Polanski stellte sich ihr in den Weg: »Ich sagte doch, nicht jetzt!«

Die Putzfrau ließ sich nicht beirren: »Aber dann beschweren! Weil alles so schmutzig! Und wer wieder gewesen?« Die Frau stieß Polanski ihren Putzlappen vor die Brust. »Wenigstens Müll ich muss mitnehmen, sonst stinken!«

Polanski seufzte tief: »Na meinetwegen. Aber bitte beeilen Sie sich.«

Die Putzfrau schob umständlich ihren Putzwagen weiter in den Raum hinein. Dabei drängte sie Polanski gegen seinen Schrank. Er nahm es schicksalsergeben hin.

Katharina sah aus den Augenwinkeln auf den braunen Umschlag mit den Kugeln im Postausgangskorb. Vielleicht konnte sie das Ganze ja ein wenig beschleunigen? Sie vergewisserte sich, dass Polanski abgelenkt war, und ließ den Umschlag in ihrer Handtasche verschwinden.

Unterdessen hatte die Putzfrau umständlich Polanskis Mülleimer unter dem Schreibtisch hervorgefischt, ein paar zerknüllte Taschentücher von Polanskis Schreibtisch genommen, und wollte gerade anfangen, die Tischplatte mit ihrem Putzlappen zu säubern, als Polanski ein Machtwort sprach: »Ich sagte doch, Sie brauchen meinen Schreibtisch nicht zu putzen.«

»Ist doch völlig dreckig!«

»Oder Sie machen es morgen«, sagte Polanski mit seiner sanftesten Stimme. »Dann bin ich nicht im Büro.«

Die Putzfrau sah ihn mit wütend blitzenden Augen an, fügte sich aber endlich. Sie leerte den Papierkorb in eine große Mülltüte und stellte ihn mit lautem Klappern wieder unter Polanskis Schreibtisch zurück. Dann wendete sie umständlich ihren Putzwagen. Dabei rammte sie Polanskis Schienbein.

Endlich hatte sie den Wagen aus dem Raum hinausgeschoben. Die Tür hatte sie natürlich offen gelassen. Polanski schloss sie mit Nachdruck. Er humpelte, als er zurück zu seinem Schreibtisch ging: »Und das ist einer der Gründe, warum Kriminaldirektoren keine Schusswaffen führen. Das Risiko ist einfach zu hoch.«

Katharina sah ihren Chef erstaunt an: »Was für ein Risiko?«

»Renitente Putzkräfte, Mitarbeiter, die machen, was sie wollen, permanente Einmischungen … Sie werden schon sehen.« Polanski konnte sich ein sarkastisches Grinsen nicht verkneifen. »Ich glaube, das nennt man Karma.« Das Lächeln verschwand. »Dennoch, ich muss Sie noch einmal warnen. Ihre neue Einheit ist –«

»Eine Weglobe-Einheit, ich weiß«, setzte Katharina seinen Satz fort. »Die am besten möglichst rasch und kostengünstig scheitern soll. Aber nur über meine Leiche.«

»Na ja, wenigstens haben Sie Ihren Kampfgeist noch. – Aber da wir gerade davon sprechen: Sie sollten dringend den Rest Ihres Teams benennen. Sonst nutzt das Innenministerium die Gelegenheit, alle renitenten, schwierigen Beamten, die die schon immer loswerden wollten, zu Ihnen zu versetzen.«

»Sie meinen Beamte wie mich?«

»Bock zum Gärtner«, murmelte Andreas Amendt und nahm Polanski damit das Wort aus dem Mund.

»Ganz recht, Doktor Amendt«, antwortete er begeistert. »Bock zum Gärtner. Aber vielleicht ist das ja ganz gut so. – Ich erwarte jedenfalls, dass Sie sich verdammte Mühe geben, Katharina. Und bis Ende der Woche will ich Vorschläge zur weiteren Besetzung Ihres Teams hören.«

»Werden Sie! Habe ich es jemals an Arbeitseinsatz mangeln lassen?«

»Nein, aber Diplomatie ist nicht Ihre Stärke. Das müssen Sie zugeben.«

Das musste sich Katharina wirklich eingestehen. Sie warf einen Blick auf ihre Handtasche. Nun denn, sie würde gleich damit anfangen, ihre diplomatischen Fähigkeiten zu trainieren, wenn sie die Sachverständigen beim BKA davon überzeugte, die Kugeln möglichst sofort zu untersuchen. Sie stand auf: »Also gut, Chef, dann gehen wir uns mal auf unsere große Aufgabe vorbereiten. Und ich hoffe, Sie halten mich trotzdem auf dem Laufenden.«

Polanski sah sie fragend an: »Worüber?«

»Über das Untersuchungsergebnis natürlich. Und das dürfen Sie mir sagen, obwohl ich Angehörige bin. So gut kenne ich unsere Dienstvorschriften dann doch.«

»Natürlich. Aber Sie müssen mir versprechen, dass Sie nichts auf eigene Faust unternehmen werden, egal, wie das Ergebnis aussieht.« Polanski reichte Katharina die Hand.

Katharina schüttelte sie: »Versprochen!«

Auch Amendt war aufgestanden und hatte sich zur Tür gewandt, aber Polanski stellte sich ihm in den Weg: »Und Sie denken an unseren Deal!«

»Natürlich denke ich daran.«

»Na, dann ist ja gut.« Polanski konnte den Triumph in seiner Stimme nicht ganz verbergen.

Katharina und Amendt waren schon fast an der Tür, als Polanski sie noch einmal aufhielt: »Ach, Katharina? Eines noch!«

Er kam um den Schreibtisch herum und hielt ihr eine grüne, eingeschweißte Karte hin: »Ihr neuer Dienstausweis.«

Katharina wollte nach der Karte greifen, doch Polanski zog sie noch einmal weg: »Aber keinen Unfug damit anstellen. Haben wir uns verstanden?«

»Versprochen, Chef!«

»Dann herzlichen Glückwunsch, Frau Kollegin.« Feierlich überreichte ihr Polanski den Dienstausweis.

»Katharina Klein, leitende Kriminaldirektorin«, las Katharina halblaut. Der Ausweis würde ihr einige Türen öffnen. Doch auch das musste Polanski ja nicht unbedingt wissen.

***

Katharina wartete ab, bis Polanski seine Bürotür hinter ihr und Amendt geschlossen hatte, dann ging sie mit schnellen Schritten auf den Aufzug zu. »Kommen Sie, Doktor Amendt? Wir machen einen kleinen Ausflug nach Wiesbaden.«

»Was wollen wir denn da?«

»Was wohl? Die Untersuchung etwas beschleunigen.« Sie zeigte ihm verstohlen den braunen Umschlag mit den Kugeln in ihrer Handtasche.

»Aber Polanski hat doch gesagt –«

»Ich weiß, was Polanski gesagt hat. Aber solange es kein offizielles Untersuchungsergebnis gibt, kann er mich auch nicht daran hindern, mich weiter mit der Sache zu beschäftigen. – Außerdem will ich Sie nicht hinter Gittern sehen. Also, auf nach Wiesbaden!«

***

Dolphin Dance

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