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Mr. PC Donnerstag, 29. November 2007
Оглавление»Elfie hat mich geküsst.«
Lutz war spät von seinem Rendezvous zurückgekommen und hatte sich sofort schweigend auf seine Matratze zurückgezogen. Am nächsten Morgen war er nicht viel gesprächiger. Am liebsten hätte er sich wohl sofort in den Wälzer versenkt, der vor ihm auf dem Küchentisch lag, doch Hans ließ nicht locker: »Und? Wie war’s?«
»Verwirrend.«
»Nun lass dir doch nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen, Lutz. Erzähl schon.«
»Gibt nichts groß zu erzählen. Elfies Ex-Mann ist aufgetaucht. Hab ihm die Hand gebrochen.«
»Die Hand gebrochen?«, fragte Katharina – nicht ohne Genugtuung.
»War Notwehr. Hat mich angegriffen.«
»Und weiter?«
»Nichts weiter. Ist weggelaufen. Und Elfie hat mich geküsst.«
»Ja, und dann?«, drängelte Hans.
»Bin ich nach Hause gegangen.«
»Aber du hast dich mit ihr verabredet?«
»So halb und halb. Für später. Wenn nicht mehr so viel zu tun ist.«
Und damit versenkte er sich wieder in sein Buch. Hans schwieg, für ihn völlig ungewohnt. Schließlich murmelte er »Feigling!«, stand auf und ging zur Küchentür.
Lutz blickte auf: »Hm?«
»Ich sagte ›Feigling‹.« Damit ging Hans hinaus auf den Flur. Sie hörten ihn mit seiner Familie telefonieren, ihnen zärtlich »guten Morgen« wünschen.
***
Als Hans zurückkam, fragte Lutz: »Wieso Feigling?«
»Weil du mal wieder davonläufst, du Feigling!«
»Bin kein …«
»Was Frauen angeht, schon. Wann immer es halbwegs ernst wird, läufst du davon.«
»Will halt keinen Ärger.«
»Jaja.« Hans rührte mürrisch in seiner Kaffeetasse und schwieg.
»Nur weil du eine Frau und zwei Kinder hast, ist das doch nicht –«, platzte es aus Lutz heraus.
»Bist du glücklich?«, fiel Hans ihm ins Wort.
»Was?«
»Bist du glücklich?«
»Was hat das denn damit zu tun? Natürlich bin ich –«
»Ach, lüg dir nicht in die Tasche. Ich bin doch Tag und Nacht mit dir zusammen; immer nur deine Bücher, dein muffliges Schweigen.«
»Nur weil ich nicht rede wie ein Wasserfall –«
»Ich rede zu viel, ich weiß. Na und? Ich bin glücklich.«
Katharina sah sich genötigt, einzugreifen, bevor der Streit weiter eskalierte: »Hör mal, Hans, nicht für jeden sind Familie und Kinder das Richtige.«
»Genau«, ergänzte Lutz. »Und dann das Risiko in unserem Beruf …«
»Ja, ja, ja. Es könnte ja was passieren. Aber mal im Ernst gefragt: Wie viele Polizisten und Leibwächter sind denn im letzten Jahr zu Schaden gekommen? Einer? Zwei? Und –«
»Einer davon war mein Partner«, unterbrach ihn Katharina wütend.
Hans schwieg und vertiefte sich wieder in Kalle Blomquist.
Katharina notierte sich in Gedanken, dass sie Polanski dringend fragen musste, wann eigentlich Thomas' Beerdigung war.
***
»Warum hast du denn eine Rose gekauft?«, wollte Laura von Lutz wissen.
Lutz hatte Hans gebeten, vor einem Blumengeschäft zu halten. Wenige Minuten später war er mit einer einzelnen Rose wieder aus dem Laden gekommen. Hans trommelte vergnügt mit den Fingern auf dem Lenkrad, bis Lutz ihn anschnauzte: »Sendepause!«
Lauras Frage wollte Lutz auch nicht beantworten. Doch da kannte er das kleine Mädchen schlecht. »Die Rose?«, bohrte sie dreimal nach.
»Ist für Elfie«, ließ sich Lutz endlich zu einer Antwort herab.
»Ist die Elfie jetzt deine Freundin?«
»Nein«, grummelte Lutz.
»Doch«, sagte Hans über die Schulter.
»Das ist schön.« Laura wandte sich an Katharina: »Bringst du dem Andreas auch eine Rose mit?«
»Nein«, knurrte Katharina.
»Warum denn nicht?«
»Weil … weil … weil man das nicht so macht. Blumen schenkt man nur Menschen, die man sehr mag.«
»Magst du den Andreas nicht?«
Nicht schon wieder! »Doch!«
»Aber dann kannst du –«
»Nein. Und ich will jetzt auch nichts mehr davon hören.«
Laura schmollte und schwieg.
***
Katharina wusste nicht recht, was sie sich unter einem Institut für Gendiagnostik vorgestellt hatte. Vielleicht die gleiche Stahl- und Glas-Kühle wie in der Abteilung von Henthen. Auf jeden Fall keine geräumige, etwas plüschige Etage einer Gründerzeit-Villa auf dem Klinikgelände.
Das Wartezimmer war völlig leer. Katharina, Lutz und Hans nutzten die Gelegenheit, noch einmal ihre Rollenverteilung durchzusprechen. Lutz und Katharina würden die kritischen Journalisten spielen, während Hans den Fotografen gab.
Ihre kleine Unterredung wurde jäh unterbrochen.
»Mein Gott, Sie sind aber gut gelungen!«
Durch die Tür des Wartezimmers steuerte eine kleine, dralle Frau in einem Arztkittel zielstrebig auf Katharina zu. Ihr graues Haar war zu einem Dutt hochgesteckt, und sie trug eine altmodische Nickelbrille. Sie streckte Katharina die Hand hin: »Halb kaukasisch, halb … Nein, sagen Sie es nicht. Koreanisch! Mutter Koreanerin, Vater Deutscher!«
Das war keine Frage, sondern eine – erschreckend korrekte – Feststellung.
»Was für eine schöne Mischung!«, schwärmte die Frau weiter. »Sie müssen mir erlauben, Sie zu fotografieren. Für meine Sammlung. – Verzeihung, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt: Ich bin Erika Fischer-Lause. Sie sind die Journalisten?«
Katharina bejahte und stellte Hans und Lutz vor. Die Frau musterte Lutz streng. »Gute Muskulatur. Leider eine latente Neigung zur Fettleibigkeit. Da müssen Sie aufpassen, junger Mann.« Zu Hans sagte sie nichts, aber ihr Blick sprach Bände. Kein gutes Genmaterial, übersetzte Katharina für sich. Das konnte ja heiter werden.
***
Das Büro von Professorin Fischer-Lause mochte gut und gerne fünfzig Quadratmeter haben. Zur Hälfte war es ein verkramtes Gelehrtenzimmer aus dem neunzehnten Jahrhundert: schwerer Eichenschreibtisch, über und über mit Büchern und Akten bedeckt; deckenhohe Bücherregale, zum Bersten gefüllt; ein Skelett an einem Ständer.
Die andere Hälfte war eine Mischung aus modernem Untersuchungszimmer und Fotostudio. In diese Hälfte lenkte die Professorin Katharina, während sie Lutz und Hans, der den emsig knipsenden Fotoreporter gab, zwei große Sessel zuwies; selbst Lutz wirkte in seinem unscheinbar.
»Na, dann wollen wir mal.« Die Professorin verschanzte sich hinter einer monströsen Großbild-Digitalkamera. »Erst mal den Kopf! Fragen Sie einfach; ich fotografiere derweilen. Bitte geradeaus schauen!«
Katharina blickte in die Kamera: »Wir haben uns intensiv mit Ihren Theorien aus ›Gute Gene‹ beschäftigt.«
»Ja? Bitte mal nach links drehen ins Profil.«
Katharina tat, wie ihr befohlen: »Wir fragen uns nun, ob es möglich ist, das ideale Kind künstlich zu erzeugen?«
Die Professorin sah erstaunt hinter ihrer Kamera hervor: »Wozu das denn?«
»Künstliche Befruchtung und Samenbanken sind doch das Thema zurzeit. Halten Sie nichts davon?«, fragte Katharina erstaunt.
»Nichts davon halten ist zu viel gesagt. Ist aber aufwendig. Und die Risiken sind so hoch, dass sich der Aufwand meist nicht lohnt.«
»Risiken?«
»Nun, erst mal muss die zukünftige Mutter hohe Dosen von Hormonen nehmen. Und selbst dann gibt es keine Garantie, dass ihr Körper den Embryo auch annimmt.«
»Und was macht man dagegen?«
»Das Übliche. Man pflanzt drei ein, in der Hoffnung, dass einer angenommen wird. Oft genug mit dem Resultat, dass die Mutter entweder doch kein Kind bekommt. Oder Drillinge.«
»Sie lehnen künstliche Befruchtung also ab.«
»Nein. Nicht direkt. Ich bin nur der Meinung, dass sie der letzte Ausweg sein sollte.«
»Und was wäre die Indikation?«
»Wenn einer der Partner erblich vorbelastet ist, zum Beispiel. Mit künstlicher Befruchtung kann man dann auf fremdes Erbgut zurückgreifen.«
»Mit einer Samenspende?«
»Genau. Aber auch das regelt sich in den meisten Fällen von selbst.«
»Wie meinen Sie das?«
»Nun ja, pater semper incertum est. Es kommt doch recht häufig vor, dass der rechtliche Vater nicht der biologische ist, nicht wahr? Und mit etwas Glück beweist die Mutter dann bei der Erzeugerwahl den richtigen Instinkt.«
»Aber wäre es nicht gerechter, wenn der Vater –«
»Gerechter ja. Aber umständlicher. Und nicht immer ist der beste Versorger auch der beste Erzeuger.«
»Aber mit künstlicher Befruchtung …«
Die Professorin lachte: »Sie sollten mit meinem Kollegen Henthen sprechen. Er ist der Meinung, dass künstliche Befruchtung der beste Weg ist. Mit dem ganzen Brimborium, das er sich so wünscht.«
»Brimborium?«
»DNA-Banken, Embryo-Selektion, Genchirurgie. Optimierte Gene für eine optimierte Rasse.«
»Und Sie teilen diese Auffassung nicht?«
»Ich halte diese Anstrengungen schlicht für überflüssig. Die Menschheit ist auch so ein gutes Stück vorangekommen, nicht wahr? – Mein Gott, Sie sind wirklich gut gelungen. Noch mal nach vorn bitte. Mit geschlossenen Augen.«
Katharina drehte sich gehorsam in die gewünschte Richtung: »Und was wäre Ihre Vision?«
»Meine Vision? Die Menschen sollten endlich wieder lernen, sich die richtigen Partner auszusuchen. Und für den Rest hat uns die Schöpfung den Sex geschenkt.«
»Und was wären die richtigen Partner?«
»Beide gesund, frei von Erbkrankheiten und Risikofaktoren. Und möglichst unterschiedliche Gene. Wie bei Ihren Eltern zum Beispiel. Jetzt einmal mit dem Rücken zu mir, bitte.«
»Und wie finden sich die richtigen Partner?«
»Meistens auf dem natürlichen Weg. Entkleiden Sie sich bitte.«
»Was?«
»Runter mit den Klamotten! So eine Figur muss doch dokumentiert werden.«
Lutz und Hans hatten sich in ihren Sesseln vorgebeugt. Fischer-Lause bemerkte die Bewegung: »Ach so, Verzeihung.«
Rasch zog sie einen Vorhang zu, der den Raum in der Mitte teilte. Katharina hörte Hans »Das ist unfair« murmeln. Etwas unsicher streifte sie ihren Rollkragenpullover über den Kopf. Schließlich stand sie nur noch in Unterwäsche vor der Professorin, die sie wohlwollend musterte: »Sehr geschmackvoll. Runter mit dem BH!«
»Was?«
»Erstens brauchen Sie keinen, zweitens verfälscht die schwarze Seide die Farbwerte.«
»Schwarze Seide?«, rief Hans durch den Vorhang.
Was hatte der denn gedacht, was sie trug? Sportunterwäsche? Also gut, wenn es der Wahrheitsfindung diente.
»Perfekt. Die richtige Größe in der richtigen Form an der richtigen Stelle«, sagte die Professorin begeistert. »Wo waren wir stehen geblieben?«
»Wie sich die richtigen Partner finden.«
»Ach ja. Voraussetzung ist natürlich, dass sich die Partner auf ihre Instinkte verlassen. Leider sind viele Menschen heutzutage verblendet von seltsamen Schönheitsidealen.«
»Ach ja?«
»Ja. Wenn sich immer nur große, blonde, blauäugige Menschen paaren, kann ja nur Inzucht dabei rauskommen. Diversität! Darauf kommt es an. Wie bei Ihnen.«
»So, so. Mischungen also.«
Die Professorin sah erneut hinter ihrer Kamera hervor: »Mischungen? Das klingt ja fast rassistisch!«
»Aber läuft es nicht darauf hinaus? Gute Gene für die ideale Rasse?«
»Darüber kann man geteilter Meinung sein. – Bitte mal die Arme spreizen!«
»Sie sind nicht dieser Meinung?«
»Nein, das ist eher das Gebiet von Kollege Henthen.«
Kollege Henthen? Das klang ja nicht gerade nach großer Sympathie.
»Arbeiten Sie nicht mit ihm zusammen?«
»Doch, aber deswegen muss man die Theorien des anderen ja nicht mögen. Eigentlich streiten wir uns meistens.«
»Und das gemeinsame Buch?«
»Eine Publicity-Idee der Universität.« Die Professorin beschäftigte sich wieder mit ihrer Kamera.
»Wenn man nun die richtigen Partner hätte …«, fragte Katharina vorsichtig. »Wie stellt man dann die optimale Genkombination sicher?«
»Meistens regelt sich das natürlich.«
»Man kann also nicht nachhelfen?«
»Ach, darauf wollen Sie hinaus. Das wäre dann wieder das Gebiet von Henthen. Künstliche Befruchtung. Embryo-Selektion. Genchirurgie.«
»Und das wäre möglich?«
»Möglich? Darüber kann man geteilter Meinung sein. Es ist nicht so einfach, wie es sich anhört. Man kann nicht einfach beliebig Gene zusammenschneiden.«
»Nicht?«
Die Professorin schüttelte den Kopf. »Drehen Sie sich bitte einmal um. – Um Ihnen ein Beispiel zu geben: Sie wollen ein großes Kind? Dann macht es keinen Sinn, nur die Wachstumsgene zu manipulieren. Sondern Sie müssen das Wachstum auch begrenzen. Sonst wächst Ihnen das Kind in den Himmel und stirbt vermutlich schon, bevor es volljährig ist. Außerdem sind solche Prozederes Gott sei Dank illegal. Noch!«
»Noch?«
»Sie kennen ja sicher die Litanei: Forschungsstandort Deutschland! In Timbuktu ist man weiter. Das muss ich mir vom Kollegen Henthen ja permanent anhören. Und wenn ich dann so seine Ideen sehe, hoffe ich, dass der Gesetzgeber ein letztes Quäntchen Vernunft besitzt …« Die Professorin hielt inne, während sie die Linse des Objektivs polierte.
»Was würde Henthen denn bei so einem Idealpaar machen? Wenn sich nicht alles natürlich regeln sollte, meine ich?«
»Künstliche Befruchtung. Den optimalen Embryo auswählen. Hoffen, dass er angenommen wird. Theoretisch.«
»Theoretisch?«
»Die Genanalyse von Embryos ist extrem schwierig und nicht ganz frei von Risiken. Sie müssten sie sehr viel länger außerhalb der Mutter aufbewahren.«
»Wäre das möglich?«
»Nun ja, die Präimplantationsdiagnostik ist schon recht weit fortgeschritten. Aber in dem Umfang, in dem Henthen sich das wünscht, ist das ein ziemliches Risiko für den Embryo. Ideal wäre eine Analyse aus einer einzelnen Zelle, um den Embryo nicht unnötig zu belasten.«
»Und ist das machbar?«
»Nun, man forscht dran.«
»Wo?«
»Genau genommen? Hier. Ein Doktorand von mir forscht über die Genanalyse aus einer einzigen Zelle. Wenn er auch vermutlich eher darüber nachdenkt, das Ganze für die forensische Genetik einzusetzen, seitdem er im Institut für Rechtsmedizin sitzt. – Unser Genlabor ist uns weggenommen und in die Rechtsmedizin gesteckt worden. Ein echter Skandal! Darüber sollten Sie schreiben.«
»Das Kompetenzzentrum DNA …«, begann Katharina vorsichtig.
»… ist eigentlich unser Labor. Jetzt dürfen wir es nur noch gelegentlich benutzen. – Ach, sind Sie schön! Sie sind bestimmt sehr selten krank, nicht wahr?«
»Ja, eher selten.«
»Kurz- oder weitsichtig?«
»Nein.«
»Irgendwelche Erbkrankheiten oder Diabetes in der Familie?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Ihre Eltern sind wohlauf?«
»Nein. Sie sind gestorben.«
»Das tut mir leid. – Darf ich fragen, woran?«
»Bei einem Verkehrsunfall«, log Katharina rasch.
»Gott sei Dank. Ich meine, das ist schrecklich, aber Schicksal. Was gäbe ich für Ihr DNA-Profil! – Haben Sie Kinder?«
»Nein, ich –«
»Na, dann aber los!« Die Professorin musterte sie streng. »Sie sind doch für Männer empfänglich?«
»Sie wollen wissen, ob ich heterosexuell bin?« Katharina verkniff sich ein Aufstöhnen. »Natürlich.«
»Wenigstens das. Alles andere wäre Verschwendung. Aber nicht verheiratet?«
»Nein.«
»Liiert?«
Katharina schwieg.
»Single?«, fragte die Professorin empört. »Nehmen Sie es mir nicht übel, aber das ist ein Skandal. So eine Vergeudung!«
»Es hat sich wohl noch nicht der Richtige –«
»Weil Sie sich nicht genügend Mühe geben!«
»Was?«
»Schauen Sie sich doch an: Ihre Kleidung! Ihre Frisur!«
Katharina war gerade dabei, sich wieder anzuziehen: »Was ist damit?«
»Die Unterwäsche stimmt. Aber damit hat es sich auch. Jeans! Rollkragenpullover! Lederjacke! Turnschuhe! Pferdeschwanz!« Die Professorin spuckte die Wörter aus. »Das schreit doch alles ›Rühr mich nicht an‹! Und dann diese Körperhaltung. Als würden Sie permanent Kampfsport machen. Völlig unweiblich. So eine Verschwendung. Sie tragen auch eine Verantwortung den Genen kommender Generationen gegenüber. Oder wollen Sie eine Welt voller bulimischer Models?«
Wider Willen lachte Katharina schallend.
»Sehen Sie?«, sagte die Professorin versöhnlich.
»Und mein richtiger Partner? Wie wäre der?«, fragte Katharina schließlich, während sie sich die Schuhe zuband.
»Das werden Sie wissen. Das ist uns genetisch so einprogrammiert.«
»Ernsthaft?«
»Ja! Wenn Sie einen Mann unbedingt küssen wollen, küssen Sie ihn! Folgen Sie Ihrem Begehren!«
»Küssen?«
»Ja. Denn die Schöpfung hat uns Geschmacks- und Geruchssinn gegeben. Und wenn der Partner gut schmeckt und angenehm riecht …«
Katharina fiel unwillkürlich ein, wie Andreas Amendt sie vor fast einer Woche aufgefangen hatte. Sie verdrängte den Gedanken gleich wieder.
»Wenn der Kuss perfekt ist, ist der Partner perfekt«, resümierte die Professorin.
»Leider sind perfekte Küsse nicht so häufig.«
»Ja, leider. – Aber so, wie Sie genetisch strukturiert sind, ist die Chance, einen passenden Partner zu finden, recht hoch.«
»Wenn Sie meinen.«
»Ja, meine ich. Also: Gehen Sie hin und paaren Sie sich!«
***
Auf dem Weg in die Rechtsmedizin kicherten Lutz und Hans ununterbrochen wie zwei Pennäler.
»Gehe hin und paare dich«, murmelte Hans.
»Minirock«, ergänzte Lutz.
»Stöckelschuhe.« – »Make-up.« – »Aber die Unterwäsche stimmt.« – »Wenigstens etwas.« – »Jazzdance. Aerobic.«
»Genug!«, raunzte Katharina die beiden an. »Das war völlig vergeudete Zeit.«
»Nicht ganz«, sagte Lutz, immer noch grinsend.
»Fang nicht schon wieder an!« Katharina wirbelte herum, willens, ein paar Knochen zu brechen.
Doch Lutz hielt ihr eine CD hin: »Die Akten über Melanie Wahrig und Alexandra Taboch. Ich war so frei. Frau Fischer-Lause war netterweise eingeloggt.«
Katharina wollte nach der CD greifen. Lutz zog sie weg: »Und wir wissen jetzt von deiner schweren Verantwortung den Genen kommender Generationen gegenüber.«
Katharina trat ihm vors Schienbein.
»Das war gemein.«
Katharina grinste boshaft: »Ja, das war es. – Aber was haltet ihr von Frau Fischer-Lause?«
»Süßes Ömchen«, murmelte Lutz. »Predigt freie Liebe und natürliche Fortpflanzung.«
»Freie Liebe?«
»Sie hat doch gesagt, du sollst Männer küssen, was das Zeug hält. – Davon steht aber wenig in ›Gute Gene‹.«
»Ich mutmaße mal, dass der Henthen da federführend war«, sagte Katharina.
»Glaub ich nicht. Der ist zu dumm.«
»Zu dumm?«
»Das Buch beginnt mit einem Zitat von Peter Singer. Aber der Name sagte ihm überhaupt nichts. Wette, der hat das Buch von einem Assistenten schreiben lassen. Kommt vor. Und –«
»Was hast du gerade gesagt?«
»Dass das Buch nicht von den beiden stammt. Ist das wichtig?«
Katharina hatte sich an das Gespräch mit Paul Leydth erinnert. An den potenziellen Unbekannten: »Vielleicht.«
»Apropos Kuss«, fragte Hans Lutz nach einer Weile des gemeinsamen Schweigens. »Wie war denn der Kuss mit Elfie?«
Lutz’ Wangen röteten sich. »Gut.«
»Dann gehe hin und paare dich!«
***
Kaum hatte Katharina Andreas Amendts Vorzimmer betreten, fand sie sich in einer Umarmung wieder. Der Arzt presste sie fest an sich. Katharina erstarrte.
Endlich ließ er Katharina los und stellte sie auf ihre Beine, sie immer noch sanft an den Schultern haltend. »Entschuldigung«, sagte er leise. »Aber ich habe mir Sorgen gemacht.«
Katharina machte einen raschen Schritt zurück: »Schon gut.« Ihre Wangen glühten.
»Wenn Ihnen und Laura etwas passiert wäre – Was?«, bellte er. Katharina erschrak, doch er meinte nicht sie, sondern Jeannie, die das Kinn in die Hände gestützt hinter ihrem Schreibtisch saß und verträumt lächelte.
»Nichts«, sagte sie rasch und widmete sich wieder ihrem Computer.
»Jeannie glaubt, wir wären das ideale Paar«, erklärte Andreas Amendt entschuldigend.
»Gehe hin und … Aua!« Lutz hatte Hans unsanft daran gehindert zu Ende zu sprechen. Das war auch besser so.
Glücklicherweise klingelte in diesem Moment Katharinas Handy: Frank Grüngoldt. Er hatte einen Systemadministrator von der Uni aufgetrieben.
***
Neben dem schlaksigen Frank Grüngoldt wirkte Gabor Weininger noch massiver. Der Systemadministrator war so groß wie Lutz und mindestens ebenso schwer, allerdings war der Großteil seiner Masse Körperfett. Er schnaufte angestrengt: »Wo brennt’s denn?«
Frank gab ihm Ausdrucke der E-Mails, die sie auf dem Rechner von Melanie Wahrig gefunden hatten.
»Hm. Stammt wirklich vom Universitätsgelände. Das da ist einer von unseren Routern.« Gabor Weininger deutete auf eine Zahl.
»Und der Absenderrechner?«, fragte Katharina.
»Moment! Ich darf mal?« Ohne die Antwort abzuwarten, wuchtete er sich hinter Andreas Amendts Rechner und begann zu tippen. Endlich schnaufte er wie ein zufriedenes Walross.
»Ziemliches High-End-Teil. Hat alles, kann alles. Spezialanfertigung bei uns aus der Werkstatt.«
»Das können Sie so direkt sagen?«, fragte Katharina erstaunt.
»Klar. Bei uns haben alle Rechner eine feste IP. Unser System ist ziemlich organisch gewachsen. Dynamische Vergabe wäre fast nicht mehr möglich. Alles Kraut und Rüben.«
»Können Sie auch sagen, wo der steht?«
»Klar. Institut für Reproduktionsmedizin, Raum F.«
»Henthen«, stellte Andreas Amendt mäßig überrascht fest.
»Steht hier nix von. Aber wenn Sie das sagen …«
»Und wie kommen wir jetzt da ran? Das Institut ist ziemlich abgesichert.«
»Das ist kein Problem«, sagte Gabor Weininger vergnügt.
***
Der Systemadministrator riss die Stahltür zum Institut für Reproduktionsmedizin auf. Mit großen Schritten stapfte er auf die Glaskanzel zu. Er knallte seinen Uni-Ausweis auf den Tresen. »Einer eurer Rechner hat einen verfickten Virus! Legt uns das ganze Teilnetz hier lahm. Wir müssen in Raum F.«
Die Schwester in der Glaskanzel war erschrocken zurückgefahren. »Aber –«
»Nix aber! Tür auf! Wir konnten das Ding gerade noch vor der Intensivmedizin abfangen. Wissen Sie, was das heißt?«
Die Schwester schüttelte ängstlich den Kopf.
»Das heißt, dass heute beinahe jemand krepiert wäre, weil irgendein Depp hier seinen Schwanz nicht in der Hose lassen konnte und ungesichert auf einer Porno-Seite gesurft ist.«
Die Schwester lief rot an.
»Also Tür auf!«
Der Summer ertönte. Gabor Weininger wuchtete sich durch die Tür.
»Raum F?«, bellte er.
»Geradeaus, die fünfte Tür links.«
»Ist offen?«
Ängstlich streckte ihm die Schwester eine Code-Karte hin. Er riss sie ihr aus der Hand.
***
Raum F hatte kein Türschild. Gabor Weininger stieß die Tür auf: Der Raum war leer bis auf ein paar Kartons in einer Ecke. Offenbar hatte hier noch nie jemand gearbeitet. Selbst die Leitungen waren neu, die Steckdosen noch versiegelt. Und wo war der Rechner?
Gabor Weininger machte auf dem Absatz kehrt und walzte mit dem Tempo und der Lautstärke einer überhitzten Dampflokomotive zurück zum Eingang des Instituts. Bedrohlich lehnte er sich über die Schwester: »Wo sind die Rechner aus Raum F?«
»Ich … ich weiß nicht. Ich arbeite erst seit einem halben Jahr hier. Der Raum war immer leer.«
»Und wer weiß es?«
»Da müssten Sie Professor Henthen fragen.«
»Und wo steckt der?«
»Auf einer Konferenz in Barcelona. Bis Sonntag. Ich kann aber eine Nachricht –«
»Vergessen Sie’s! Ich reiße ihm am Montag selbst den Kopf ab.«
***
»So ein Mist!« Kaum waren sie in Andreas Amendts Büro zurückgekehrt, hatte sich Gabor Weininger wieder hinter den Rechner geworfen. Katharina blickte ihm über die Schulter. »Was ist?«
»Die blöde Kiste ist im Netz und aktiv. Lässt sich problemlos anpingen.«
»Lässt sich was?«, fragte Andreas Amendt.
»Anpingen«, wiederholte der Systemadministrator genervt.
»Man schickt ein Probesignal an die Adresse des Rechners und schaut, ob der Empfang bestätigt wird«, erklärte Katharina. »Anpingen ist doch gut, oder? Mit ’nem Traceroute …«
»Du kennst dich aus, was? Tja, Asia-Chicks! Normalerweise würde ich sagen, klar. Wir gucken einfach, an welchem Switch die Kiste hängt.«
»Er meint so eine Art Stellwerk«, sagte Katharina, bevor Andreas Amendt fragen konnte. »Aber?«, wandte sie sich wieder an Gabor Weininger.
»Das Netz der Uniklinik ist vor Kurzem erneuert worden.«
»Und?«
»Der übliche Mist. Erst warten wir monatelang auf die Freigabe, und dann muss alles an einem Wochenende geschehen. Wir haben die Kisten am Fließband programmiert; dann sind wir durch die Gegend gerast und haben sie eingebaut. Dabei hat natürlich niemand die Standorte aufgeschrieben. Wir wollten das immer nachholen, hatten aber bisher nicht die Zeit dazu.«
Andreas Amendt räusperte sich: »Aber es muss doch irgendwo stehen, wofür der Rechner ursprünglich mal gedacht war.«
»Nicht bei uns. Wir kriegen die Anforderung, bauen das Ding zusammen und liefern aus. Und die hier …«, er deutete auf den Bildschirm, »… waren besonders paranoid. Keine Installation. Wurde hausintern gemacht. Auch die ganze Software.«
Katharina hatte einen Einfall: »Bei uns im Polizeipräsidium können sich die Admins von ihrem Arbeitsplatz aus in die Rechner einloggen, wenn es Probleme gibt.«
»Gute Idee. Du bist wirklich ’ne Bulette und keine Technikerin?« Der Systemadministrator tippte emsig auf der Tastatur. Dann schlug er mit der Faust auf den Tisch. »Was für ein Arschloch! Aber begabt. Die Fernwartung ist nicht nur deaktiviert, das Ding sitzt hinter einer eigenen Firewall, die ich hier noch nie gesehen habe. Da hat aber einer wirklich was zu verbergen.«
»Und wer könnte das sein?«
»Keine Ahnung. Die Mediziner hier sind eigentlich alle paranoid, wegen Vertraulichkeit der Patientenakten und so. Außerdem findet hier ziemlich viel Forschung statt.«
»Der Rechner könnte also überall stehen.«
»Ja. Und dahinter sitzt jemand, der besser ist als ich«, knurrte Gabor Weininger mit dem Ton eines mordsüchtigen Tyrannen und starrte wieder auf den Bildschirm.
»Ich glaube, ich muss Sie noch mehr frustrieren.« Andreas Amendt berichtete von den manipulierten Patientenakten, von den gelöschten Daten in der Radiologie. Gabor Weininger hörte zu, mit den Zähnen auf den Knochen eines unsichtbaren Feindes mahlend. Dann dreht er sich wieder zum Rechner um: »Geht Kaffee trinken oder ein paar Tote aufschneiden. Das hier dauert ’ne Weile.«
***
Sie hatten sich um Jeannies Schreibtisch versammelt, um Gabor Weininger in Ruhe arbeiten zu lassen. Katharina berichtete von ihrem Besuch bei Fischer-Lause. »Ich denke, wir können sie getrost von unserer Verdächtigenliste streichen.«
»Sehe ich auch so«, stimmte Andreas Amendt zu, der sich die CD mit den Patientenakten angesehen hatte. »Beide sind nur regulär von Fischer-Lause untersucht worden. Vorbeigeschickt von Henthen. Bei Melanie Wahrig steht allerdings der Vermerk ›Ehepartner erblich vorbelastet‹. Und ›Wünscht künstliche Befruchtung. Keine medizinischen Einwände‹.«
Lutz fragte unsicher: »Meinst du, die Fischer-Lause hat ihr auch die …?«
»Die was?«, fragte Katharina.
»Du weißt schon.«
Katharina verstand endlich: »Doch. Möglich ist es.«
»Möglich ist was?«, fragte Andreas Amendt.
Wie formulierte Katharina das jetzt am unverfänglichsten? »Nun, sie hält viel davon, dass –«
»Dass man küssen soll, was das Zeug hält«, fiel Hans ihr ungeduldig ins Wort. »So findet man den richtigen Partner. Das hat sie zumindest Katharina empfohlen.«
Nun ja, es war raus, dachte Katharina. »Wenn sie Melanie Wahrig Ähnliches geraten hat …«
»Sie meinen, ob Fischer-Lause unser Unbekannter ist? Glaube ich nicht, ehrlich gesagt. Eine nette ältere Dame. Nicht gerade der Typ für eine Fortpflanzungsverschwörung.«
***
Endlich sprang die Tür zu Andreas Amendts Büro auf.
»Koffein!«, stöhnte ein schweißnasser Gabor Weininger. Jeannie drückte ihm eine große Tasse in die Hand, die er mit gierigen Schlucken austrank. »Das war nötig. – Also, der Typ war echt raffiniert. Hat sich über eine Administratorenhintertür ins Zentralsystem eingeloggt. Dann hat er die beiden Akten wieder auf lebendig gesetzt und in der Radiologie einen Totalausfall simuliert. Sogar die Back-ups hat er bearbeitet. Hat das Ganze nach Fehlbedienung oder Stromausfall aussehen lassen. Ziemlich gut und gründlich, der Typ.«
»Wissen Sie, wer es war?«
»Er hat zwar alle Logs im System verändert, aber das Portal, durch das er reingekommen ist, hat er vergessen. Es ist wieder unser Rechner, der eigentlich im Raum F stehen sollte.«
Katharina überlegte: »Warum gehen wir eigentlich immer von einem Mann aus?«
»Das ist ein Kerl. Ganz bestimmt. Wenn die Frau hier an der Uni wäre und so gut hacken kann, dann würde ich sie kennen. Hacker-Chicks sind selten.«
Andreas Amendt fragte: »Warum sollte es eine Frau sein?«
Katharina berichtete von ihrem Gespräch mit Paul Leydth.
»Eine lesbische Hacker-Chick? Was für eine Verschwendung«, grummelte Gabor Weininger. »Was für eine Verschwendung. – Ich hab Hunger.«
***
Vielleicht war Hunger nicht ganz das richtige Wort. Gabor Weininger hatte das Büfett der Krankenhaus-Cafeteria leer gekauft: Sein Tablett war mit zahlreichen belegten Brötchen, einem Wiener Schnitzel, mehreren Puddings, zwei Milchgetränken sowie einer Literflasche Cola beladen.
»Bin nicht gewohnt, so herumzurennen«, sagte er entschuldigend. »Muss die Kalorien wieder auffüllen.«
»Nur zu.« Andreas Amendt wandte sich von dem Schauspiel ab, das Gabor Weininger bot, als er nicht ohne Eleganz Nahrungsmittel um Nahrungsmittel verschwinden ließ, und sagte zu Katharina: »Ich glaube, Sie könnten mir einen Gefallen tun. Ich muss morgen früh wieder meine Vorlesung halten. Leichenschau für Dummies. Und ich habe keinen Toten, an dem ich irgendwas zeigen könnte. Da dachte ich, wir könnten eine kurze Lektion einschieben über die polizeiliche Arbeit. Sie wissen schon: Warum eine gründliche Leichenschau wichtig ist, worauf Sie als Polizistin achten, wie man Spuren möglichst wenig verwischt und so weiter.«
»Klar, gerne.« War ihre Stimme immer schon so hoch gewesen? Egal! Katharina nickte. »Kommen Sie doch einfach heute Abend zum Essen vorbei. Dann können wir alles durchsprechen.«
In diesem Moment klingelte Katharinas Handy. Frauke, die verliebte Staatsanwältin: »Ich komme gerade von diesem Henthen. Kann ich heute Abend vorbeikommen, um zu berichten?«
***
Zähneknirschend hatte Andreas Amendt akzeptiert, dass auch Frauke zu ihrer Runde stieß. Er war deshalb etwas früher gekommen, um während des Kochens mit Katharina die Vorlesung durchzusprechen. Gemeinsam hatten sie ein schönes Sammelsurium von doch nicht so ganz »natürlichen Todesfällen« zusammengetragen. Es würde hoffentlich lehrreich, aber auf jeden Fall unterhaltsam werden. Katharina ertappte sich dabei, sich auf die Vorlesung und auf die schockierten Gesichter der armen Studenten zu freuen.
Frauke war zu ihnen gestoßen, sie hatten gegessen. Dann hatten sich Hans, Lutz und Laura ins Wohnzimmer gesetzt, um Bambi zu schauen.
Die Staatsanwältin wollte endlich mit ihrem Bericht loslegen, doch Katharina plagte eine ganz andere Frage: »Ich dachte, der Henthen wäre gar nicht im Haus. Die Sekretärin hat uns also angelogen.«
»Was hat sie noch mal gesagt?«, fragte Andreas Amendt.
»Er wäre auf einer Konferenz in Barcelona.«
Der Arzt lachte auf: »Ach, das bedeutet nur, dass der Gesuchte zwar da ist, aber nicht behelligt werden will. Eine Standardausrede. – Jeannie schickt mich übrigens immer auf die Malediven. Sie meint, etwas mehr Sonne würde mir guttun.«
Andreas Amendt würde ein leicht gebräunter Teint wirklich gut stehen. In ihrem Kopf hörte Katharina Fischer-Lause sprechen: Ihn küssen? Einfach so? Gut, dass Frauke weiter berichtete.
»Mein Gott, war das gruselig. Wenigstens hat er auf eine Untersuchung verzichtet. Diese Wurstfinger …« Die Staatsanwältin schüttelte sich. »Also gut. Ich hab ihm das Übliche erzählt, von wegen biologischer Uhr und so. Und dass ich mir ein Kind wünsche. Außerdem habe ich diskret fallen lassen, dass Männer nicht so mein Ding sind. Da wollte er erst das Gespräch beenden, bis ich gesagt habe, was ich mache. Und dass ich bereit bin, gut zu zahlen. Das Geld schien ihm nicht so wichtig, aber eine Oberstaatsanwältin? Dachte mir, dass er so einen Kontakt brauchen kann.
Dann habe ich ihm erzählt, wie mein Wunschkind sein soll. Er meinte, mit einer guten Samenspende wäre da schon einiges zu machen. Ich müsste mich aber einer Hormonbehandlung unterziehen, und das Risiko, das Kind zu verlieren, sei sehr hoch. Dann habe ich gefragt, ob man die Eigenschaften eines Kindes eigentlich genau bestimmen kann. Da hat er etwas von Zufallsfaktor erzählt. Gene könne man nicht genau manipulieren. Noch nicht. Ich habe ein bisschen gebohrt: Dann ist er mit der Sprache rausgerückt. Die Technik sei eigentlich so weit. Durch die Art der Befruchtung, die Auswahl des richtigen Embryos und ein bisschen Manipulation käme man ziemlich dicht an das Idealbild heran. Aber er dürfe so etwas leider noch nicht. Die Gesetze würden jedoch bald geändert werden, auch auf seine Anstrengungen hin. Und dann sei der Weg frei für Kinder mit optimalen Genen.«
Genau, was Paul Leydth vermutet hatte: Henthen betrieb Lobby-Arbeit.
»Die Fischer-Lause wird hellauf begeistert sein«, sagte Katharina.
»Nach ihr habe ich ihn auch gefragt. Er ist gar nicht gut auf sie zu sprechen. Sagt, sie seien Wissenschaftler und kein Partner-Vermittlungsinstitut. Wie dem auch sei, ich habe bei Henthen Melanie Wahrig als Referenz angegeben. Der Name schien ihm nichts zu sagen. Oder er ist ein extrem guter Pokerspieler.«
Katharina kramte in ihrem Gedächtnis: Was hatte Lutz gesagt? Henthen spielte oft im Goldtaler? Also eher nicht.
»Bei Melanie Wahrig können wir ihn, glaube ich, von der Liste der Verdächtigen streichen«, fasste Andreas Amendt zusammen.
Katharina stimmte ihm zu: »Und so wenig, wie sein Computer abgesichert war, ist er bestimmt auch kein begnadeter Hacker.«
Damit blieb nur einer der potenziellen Väter. Oder der große Unbekannte. Schon wieder eine Sackgasse.
Katharina wurde durch einen leichten Tritt gegen ihr Schienbein aus ihren Gedanken gerissen. »Katharina, kann ich dich mal kurz unter vier Augen sprechen?«, fragte Frauke. »Wegen deiner Anhörung?«
***
Etwas widerwillig wollte Katharina die Oberstaatsanwältin in das Gästezimmer lotsen. Doch Frauke nahm sie bei der Hand, zog sie ins Badezimmer und schloss die Tür leise ab. »Du hast mich doch gestern um einen Gefallen gebeten? Weißt du noch?«, flüsterte sie.
Natürlich. Andreas Amendt und seine Verbindung zu Polanski. Die Staatsanwältin sprach schnell und leise: »Andreas Amendt ist mal festgenommen worden und saß in U-Haft.«
»Weswegen?«
»Ich weiß es nicht. Die Akte ist nicht bei uns, und die Computereinträge sind lückenhaft. Aber Polanski war der zuständige Sachbearbeiter. Das Ganze war eine Angelegenheit vom KK 11.«
KK 11? Das hieß Mord oder Totschlag.
»Und weiter?«
»Wenn ich die paar Informationen, die ich finden konnte, richtig interpretiere, war Andreas Amendt der Hauptverdächtige. Die Akte ist noch offen. Und wann hast du je erlebt, dass Polanski sich bei seinen Festnahmen geirrt hätte?«
***
Katharina ging zurück in die Küche. Ihre Beinmuskeln fühlten sich an wie Gelee. Polanski irrte sich in der Tat selten. Hatten vielleicht nur die Beweise nicht für eine Anklage ausgereicht? War Andreas Amendt ein …? Sie weigerte sich, die Frage zu Ende zu denken. Mit Schwung setzte sie sich wieder auf ihren Platz.
»Danke dir, Frauke. – Für deine Recherche.«
»Nichts zu danken. Es hat wirklich Spaß gemacht, Detektiv zu spielen. Zum Ermitteln komme ich ja viel zu selten«, sagte Frauke munter. »Aber eine Frage: Darf ich mal mit auf den Schießstand?«
In diesem Augenblick kam Laura panisch in die Küche gelaufen: »Du musst ganz schnell kommen. Hans und Lutz …«
»Bleib in der Küche, Laura. Und macht die Tür zu.«
Katharina blickte in den Flur. Nichts. Verdammt, wo war ihre Waffe? Handtasche, richtig. Durchladen. Entsichern. Vor der Wohnzimmertür blieb sie stehen. Was würde sie erwarten? Egal. Hans und Lutz waren ihre Freunde. Sie trat die Wohnzimmertür auf und sprang hinein, die Waffe im Anschlag.
Hans und Lutz starrten sie erschrocken an. Ihre Gesichter waren … feucht? Sie weinten?
Katharina ließ die Waffe sinken. Dann warf sie einen Blick auf den Fernseher. Bambis Mutter war eben vom bösen Jäger erschossen worden. Waidmanns Heil.
Laura kam hinter ihr ins Zimmer gedüst: »Die heulen ganz doll«, schloss sie ihre Botschaft ab.
Katharina atmete kräftig durch, zählte im Geiste bis zehn, ging gemessenen Schritts in ihr Schlafzimmer, schloss die Tür und zog ihre Schuhe aus. Dann ließ sie sich auf ihr Bett fallen und lachte so lange, bis ihre Bauchmuskeln den Dienst verweigerten und ihr die Tränen über die Wangen liefen.
***