Читать книгу Kapellensinfonie - Helmut Frevel-Gerhartz - Страница 11
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Оглавление„Wann machst du endlich Nägel mit Köpfen und sagst es deiner Frau“, regte sich Heidi Weißkirch zum x-ten Mal über Davids Untätigkeit auf. Die Dorfkrug-Wirtin lag rauchend auf ihrem Bett, hatte den linken Arm hinter dem Kopf verschränkt, schaute mit vom Sex noch leicht gerötetem Gesicht zur Decke und haderte mit ihrer Situation. „Ich habe es so satt, immer wieder vertröstet zu werden. Lange mache ich das nicht mehr mit. Langsam muss ich sehen, wo ich bleibe. Ich bin nicht mehr die Jüngste und das Leben ist kurz. Deine Feigheit stinkt zum Himmel. Seit Jahren erzählst du mir, dass du nur mich liebst und deine Frau verlassen wirst, aber nichts geschieht. Die Liste deiner Ausreden ist inzwischen länger als der Sommerfahrplan der Deutschen Bahn.“
Sie nahm einen tiefen Zug, schnippte die Asche ihrer Zigarette ab, drehte sich zu David hin und sagte dann mit frustriertem Lächeln: „Irgendwie kann ich dich sogar verstehen. Das ist ja auch bequem, hierhin ohne jede Verpflichtung zum ..., zum ..., wie soll ich sagen, zum Vögeln zu kommen und zu Hause den liebevollen Ehemann und Vater zu spielen.
So geht dein beschauliches Leben seinen geregelten Gang und das Bild des angesehenen Schulleiters und treu sorgenden Familienvaters erhält keine Kratzer. Prima. Aber was ist mit mir? Das scheint dich einen Dreck zu scheren.“
Sie richtete sich auf, blitzte ihren Liebhaber, der sich umständlich in seine Hose zu zwängen versuchte, wütend an, rüttelte mit beiden Händen so heftig am Hosengürtel, dass ihre Brüste in Schwingung gerieten, und rief erbost: „Hörst du mir überhaupt zu? Was würdest du sagen, wenn ich diese so sorgsam gehütete bürgerliche Fassade einreiße und alle Welt, insbesondere deine sogenannten Parteifreunde, über dein Doppelleben informiere? Dann kannst du dein Saubermann-Image mit Sicherheit in den Wind schreiben – und deine Parteikarriere auch.“
David Zelter, achtundvierzig, knapp eins achtzig groß, mit leichtem Bauchansatz, Glatze mit silbrigem Haarkranz, der in einen wuchernden, angegrauten Vollbart übergeht, hatte natürlich nicht zugehört. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, seine Hosenbeine zu entflechten und an einer wasserdichten Ausrede für seine erhebliche Verspätung zu feilen. Seine Frau würde ihm die Hölle heiß machen, wenn ihm nichts wirklich Überzeugendes einfiel.
Das unerwartete, energische Rütteln an seinem Gürtel brachte ihn in die Realität zurück. Der Anhang ‚und deine Parteikarriere auch‘, hatte ihn hellwach werden lassen. Er setzte sich mit seinem gewinnendsten Lächeln auf die Bettkante, wohlwissend, dass Heidi seine Lachfältchen so sehr mochte, beugte sich über die Geliebte, griff mit der rechten Hand in ihr langes schwarzes Haar und bog ihren Kopf leicht zurück. Während er mit der linken ihre Taille umschlang, küsste er zärtlich ihr Gesicht, ließ seine Zunge über Kinn und Hals zu ihren nur allzu willig sich versteifenden Brustwarzen wandern und war sich im gleichen Augenblick sicher, dass seine Liebkosungen ihre Wirkung nicht verfehlen würden.
„Ich verstehe dich ja und ich verspreche dir, wir werden eine Lösung finden. So schnell wie möglich.“ Er war selbst überrascht, wie überzeugend das klang. „Lass mir Zeit bis Weihnachten, dann mache ich reinen Tisch.“ Nach einem letzten leidenschaftlichen Kuss löste er sich sachte von ihr, kam endlich in seine Hosen und war in einer Minute draußen. Das ihm nachgeschleuderte ‚Schweinehund’ erreichte ihn noch so eben, das als Flugobjekt missbrauchte Kopfkissen musste sich mit dem Griff der ins Schloss fallenden Tür begnügen.
Ohne nach rechts oder links zu schauen, hetzte er zu seinem Wagen, den er wie immer neben der Sankt-Anna-Kapelle geparkt hatte, weil er dort vom Dorfkrug weit genug entfernt und von der Straße nicht einzusehen war.
Schon an der Parkplatzeinfahrt entriegelte er das Fahrzeug, öffnete die Fahrertür – und hatte dem Druck des kräftigen Angreifers, der ihn von hinten mit der ganzen Masse seines Körpers gegen das Fahrzeug presste, nichts entgegenzusetzen. Während ihm der linke Arm des schweigenden Unbekannten die Luft abdrückte, hielt ihm der rechte einen chloroformierten Wattebausch unter die Nase, der ihm in Sekunden das Bewusstsein raubte. Die beiden Arme, die unter seine Achseln griffen und ihn sanft zu Boden gleiten ließen, verspürte er nicht mehr.
Als er aus seiner Bewusstlosigkeit erwachte, fand er sich auf dem schneenassen Boden wieder, lehnte mit dem Rücken an seinem Fahrzeug, hatte die halbgeöffnete Fahrertür vor der Nase und fragte sich, was mit ihm passiert war. Ein Blick auf seine Uhr sagte ihm, dass nur wenige Minuten vergangen sein konnten. Mit beiden Armen drückte er die Tür auf, stand behutsam auf, sah an sich hinunter, tastete Kopf und Körper ab und musste zu seinem Erstaunen feststellen, dass er offenbar keine Verletzung davongetragen hatte. Angespannt schaute er sich um, doch so sehr sich seine Augen auch mühten, das Dunkel des schneegetrübten frühen Novemberabends zu durchdringen, er konnte keine Menschenseele entdecken. ‚Was sollte das denn?’, fragte er sich verwundert, stieg ein, steckte den Schlüssel ins Schloss und wollte starten, als es ihm langsam dämmerte.
Hastig durchsuchte er seine Taschen und stellte mit Schrecken fest, dass man ihn beraubt hatte: Portemonnaie weg, Papiere weg. Zum Glück hatte der Dieb wenigstens nicht die Autoschlüssel und das Handy mitgehen lassen.
Mit hochrotem Kopf stieg er aus, stampfte wütend mit beiden Füßen auf und hatte fast das komplette Register seiner umfangreichen Flüchekollektion gezogen, als es ihm wie Schuppen von den Augen fiel. ‚Ich Idiot’, schlug er sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. ‚Was Besseres hätte mir doch gar nicht passieren können! Gab es einen perfekteren und glaubwürdigeren Grund für seine Verspätung als diesen Raubüberfall? Eleganter und vor allem überzeugender hätte man ihm nicht aus der Patsche helfen können.‘ Mit dieser unverhofft positiven Fügung, das war vorhersehbar, kam zu Hause die Wende: Anstelle von wüsten Beschimpfungen würde ihm ehrliches Mitgefühl entgegengebracht, anstelle von tief empfundener Abneigung konnte er freundliches Entgegenkommen erwarten und anstelle von üblichem Liebesentzug gab es vielleicht ... Das Leben bot doch die überraschendsten Momente. ‚Danke, Dreckskerl, wer immer du sein magst’, grinste er in sich hinein, fuhr zur Schule, warf Handy und Autoschlüssel ins Gebüsch, knöpfte fröstelnd seine Jacke zu, schlug den Kragen hoch und bahnte sich mit in den Taschen vergrabenen Händen gutgelaunt seinen Weg durch die Novembernässe.
*
Der Mittwochmorgen unterschied sich in nichts vom Dienstag: wieder Schnee, wieder Kratzen, wieder Stau, wider Erwarten pünktlich im Präsidium. Katharina hatte wohl ihren guten Vorsatz vom Vortag, zeitig zu kommen, in die Tat umgesetzt und erwartete ihn schon.
„Gab’s gestern noch was, was ich wissen müsste?“, fragte er beiläufig, nachdem er sie begrüßt und Platz genommen hatte.
„Nein, nichts. Ich habe übrigens kurz nach dir das Haus verlassen. Gerade eben habe ich die Mails durchgesehen. Aber auch hier nichts Wichtiges. Allerdings hatten wir heute Morgen schon zwei Anrufe. Frau Greber kündigte ihr Kommen an und Harald will uns im Laufe des Vormittags die Kapuze bringen, da die kriminaltechnische Untersuchung abgeschlossen ist.“
„Hat er eine Andeutung gemacht, ob sie etwas gefunden haben?“
„Nein, dazu kam er gar nicht. Um mich nicht seinen dämlichen Witzen auszusetzen, habe ich das Gespräch sofort beendet.“
„O.K., dann machen wir Folgendes: Wir warten auf Frau Greber und fahren im Anschluss an die Identifizierung nach Pleiserhohn. Die Kapuze kann warten.“