Читать книгу Kapellensinfonie - Helmut Frevel-Gerhartz - Страница 8
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ОглавлениеSobald Katharina ihre Eintragungen vorgenommen hatte, wählte sie Klara Grebers
Handy-Nummer, die sie sich einschließlich der Adresse von der Mutter besorgt hatte.
„Ja?“ „Frau Greber? Klara Greber?“
„Ja, Klara Greber.“
„Frau Greber, Katharina Rudzinska von der Polizeidirektion Bonn-Beuel. Wir sind für die Aufklärung des Mordes an Ihrem Vater zuständig und ich möchte Sie in diesem Zusammenhang gerne – wenn möglich – noch heute sprechen.“
„Heute ist kein Problem, Frau ... Wie war noch Ihr Name?“
„Rud-zins-ka“, silbierte Katharina ihren Nachnamen, „Rudzinska, ein polnischer Name.“ „Frau Rudzinska“, wiederholte Klara Greber den Nachnamen, „nur im Moment geht’s nicht. Ich bin Studentin und dienstags habe ich noch bis zwölf Uhr Vorlesung. Aber ab zwölf Uhr dreißig bin ich zu Hause.“
„Das passt mir. Dann bin ich um halb eins bei Ihnen.“
*
Der Kommissar war kaum im Fahrstuhl, da versuchte Voller mehrmals vergeblich, Klara Greber übers Handy zu erreichen. Verärgert über das ständige Besetztzeichen, wollte er gerade seinen Geschäftspartner aufsuchen, als Klara sich meldete:
„Hallo Dirk, ich habe gesehen, dass du mich sprechen wolltest. Du weißt doch, dass ich gleich in die Vorlesung muss.“
„Hi Klara. Gut, dass du anrufst. Ich wollte mich nur erkundigen, ob bei dir alles in Ordnung ist. Auch wenn er ein perverses Schwein war und den Tod verdient hatte, war er doch dein Vater.“
„Ja, ja, alles okay. Wenn ich daran denke, was er mir angetan hat und wie er Mutter behandelte, könnte ich jetzt noch laut schreien. Er war ein Schwein und ich weine ihm keine Träne nach.“
„Das wollte ich hören. Pass mal auf. Gerade war jemand von der Polizei bei mir, um mich zu dem Mord zu befragen und ich gehe davon aus, dass in absehbarer Zeit auch bei dir ein Beamter aufkreuzen wird. Deshalb müssen wir unsere Angaben abstimmen, damit die Aussagen im Wesentlichen identisch sind. Verstehst du?“
„Ja, klar. Übrigens hat sich schon jemand für heute Mittag angekündigt. Deshalb war auch bei mir besetzt.“
„Der Kommissar hat’s aber eilig“, staunte Voller nicht schlecht.
„Wieso Kommissar? Bei mir hat sich eine Polizistin angemeldet.“
„Eine Polizistin? Umso besser. Die ist bis dahin sicher noch nicht über das Gespräch informiert. Auf drei Punkte musst du achten:
Erstens: Klaus und ich waren zwar langjährige Geschäftspartner, zu ihm und seiner Familie unterhielt ich aber keinerlei private Kontakte. Unsere Beziehung müssen wir ja erst mal nicht jedem auf die Nase binden.
Zweitens: Sollte die Sprache auf die geschäftlichen Aktivitäten deines Vaters kommen, dann weißt du davon rein gar nichts.
Drittens: Sonntagabend warst du zur fraglichen Zeit zu Hause.
Alles klar?“
„Ja, ja. Ich bin ja nicht blöd.“
„Noch ein Letztes: Ich glaube, dass es das Beste ist, wenn wir uns ein paar Tage nicht sehen und auch nicht telefonieren. Mittwoch oder Donnerstag nächster Woche fahre ich nach Oberwinter, um nach dem Boot zu schauen. Vielleicht hast du ja Lust mitzufahren. Überleg es dir. Ich rufe dich Anfang der Woche an, um zu hören, wie du dich entschieden hast.“
*
Katharina und Peter trafen nahezu zeitgleich im Präsidium ein und tauschten während des leicht verspäteten Mittagessens in der Kantine ihre Gesprächseindrücke aus.
„Klara Greber“, begann Katharina, während sie in der schier unergründlichen Tiefe ihrer Handtasche nach dem Notizblock suchte, „ist eine Frau, die auffällt: fünfundzwanzig, blendend aussehend, mit mittellangem blondem Haar, tiefblauen Augen und einem perfekten, präzise auf ihre modische Kleidung abgestimmten Make-up. Ich bin mir sicher“, lächelte sie, „sie würde dir gefallen.
Und sie pflegt einen, für jeden sichtbar, äußerst aufwendigen Lebensstil. Sie trägt auffallend teuren Schmuck und bewohnt im vornehmen, gewiss nicht preiswerten Bonner Talweg eine gediegene, mindestens achtzig Quadratmeter große, komplett restaurierte, hochwertig eingerichtete Drei-Zimmer-Wohnung mit Küche und Bad. Ergo, eine Wohnung, die von den finanziellen Möglichkeiten einer Studentin so weit entfernt ist wie der Mond von der Erde. Wenn ich da so an meine dürftigen Geldmittel denke…“
„Wie poetisch!“, spöttelte Peter und nachdenklicher fügte er hinzu: „Da hat wohl der Papa einiges in sein Töchterlein investiert.“
„Möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. War ihre Erzählung zu Beginn noch von Nüchternheit und Sachlichkeit geprägt, so verlor sie im Verlauf des Gesprächs mehr und mehr ihre Fassung und ließ kein gutes Haar an ihrem Vater. Auffallend häufig betonte sie, ihre Mutter nur noch in seiner Abwesenheit besucht und den Umgang mit ihm auf das Allernötigste beschränkt zu haben. Im Wesentlichen bestätigte sie Hiltrud Grebers Angaben. Dabei zeigte sie nicht nur, genau wie ihre Mutter, keinerlei Trauer, sie veränderte auch ihr Wesen. Sie nahm eine andere, steifere Körperhaltung ein und ihre eben noch so weichen Gesichtszüge wurden hart und kantig, so als schlüpfe sie in eine andere Person. Irgendetwas ging in ihr vor, dass mit ihrem Vater zu tun haben musste und ihr seit Jahren auf der Seele brannte. Sie scheint diesen Mann abgrundtief zu hassen. Nach meiner Einschätzung dürfte es deshalb ziemlich unwahrscheinlich sein, dass sie von ihrem Vater Geld annahm. Sie muss eine andere Geldquelle haben!“
„Was meinst du mit ‚eine andere Geldquelle’? Willst du damit andeuten, dass sie einem lukrativen Nebenjob nachgeht, sich etwa als Edelnutte verdingt, oder dass ihre Mutter die Mäzenin sein könnte?“
„Nein, nein, ich glaube weder, dass sie als Prostituierte arbeitet noch dass ihre Mutter sie – wohlgemerkt bei einem solchen Mann – so hätte unterstützen können. Ich denke eher an einen betuchten Lover, der sie sporadisch besucht, von dem sie sich aushalten lässt und der aus gutem Grund anonym bleiben möchte.“
„Stellt sich die interessante Frage, wer das sein könnte. Hast Du eine Ahnung?“
„Nein, habe ich nicht. Wie auch? Es gibt ja nicht den geringsten Hinweis auf diesen Mann. Auf jeden Fall aber deutet Klaras Verhalten auf ein starkes Motiv hin und deshalb dürfen wir dieses Pärchen nicht aus den Augen verlieren und müssen möglichst schnell die Identität des mysteriösen Unbekannten klären.“
„Hat sie denn Vermutungen geäußert, wer den Mord begangen haben könnte?“
„Nein, dazu hat sie kein Wort verloren, keinerlei Andeutung, gar nichts. Sie betonte lediglich, dass sie sich niemanden vorstellen könne, der ihren Vater hätte umbringen wollen. Als ich nachfragte, ob sie sich denn vielleicht an einen besonderen Vorfall erinnern könne, erwähnte sie nach kurzem Nachdenken eine einige Wochen zurückliegende Beobachtung. Sie habe ihre Mutter besuchen wollen und wäre um ein Haar auf ihren verhassten Vater getroffen, der mit zwei ihr unbekannten Männern ost- oder südosteuropäischen Aussehens lautstark stritt. Durch die halb geöffnete Haustür sei sie unfreiwillig Zeugin dieser heftigen Auseinandersetzung geworden. Der Disput habe die drei so beschäftigt, dass sie unbemerkt das Haus verlassen konnte.“
„Was hältst du davon? Erfindung?“
„Schwer einzuschätzen. Tonfall und Gestik jedenfalls machten auf mich den Eindruck, dass sie die Wahrheit sagte.“
„Hast du sie zu Voller befragt?“
„Ja. Sie gab an, ihn zu kennen, da sie in der Firma ein Praktikum absolviert habe. Privat jedoch habe sie so gut wie keinen Kontakt zu ihm.“
„Welche Angaben hat sie zum Mordtag gemacht? Hat sie ein Alibi?“
„Da bestätigt sie die Aussage ihrer Mutter. Tagsüber sei sie, wie fast jeden Sonntag, mit ihr zusammen gewesen. Abends habe sie sich ununterbrochen in der Wohnung aufgehalten und zum Tatzeitpunkt geschlafen. Bestätigen könne das allerdings niemand, da sie allein gewesen sei.“
„Resultat: Sie hat offenbar ein gewichtiges, uns noch unbekanntes Motiv und – ebenso wie ihre Mutter – kein Alibi.“, stellte Peter fest, während er Katharinas und sein Geschirr zusammenräumte, um es zum Abstellwagen zu bringen.
„Schon, aber wer hat auch im Normalfall, insbesondere wenn er alleine lebt, für die Zeit zwischen Mitternacht und zwei ein Alibi?“
„Ich hole uns noch schnell einen Kaffee“, stand Peter auf, ohne auf Katharinas rhetorische Frage einzugehen. „Dann reden wir über Voller.“
„Also zu Voller!“, begann er, als er zurück war. „Gut aussehend, das muss der Neid ihm lassen; Mitte vierzig, teures Habit, sehr distinguiert, sehr entgegenkommend, auskunftsfreudig. Beschreibt Greber als guten und redlichen Geschäftsmann, der sich vor drei Jahren zur Ruhe setzte. Unterlagen, die Greber betreffen, seien nicht mehr vorhanden. Privat hätten sie kaum Kontakte gepflegt. Mein Eindruck: Voller wirkt zu glatt, um so sauber zu sein, wie er sich gibt.“
„Es würde doch wunderbar passen, wenn er Klaras großer unbekannter Mäzen wäre“, war Katharinas nicht ganz ernst gemeinter Kommentar.
„Sollte dies tatsächlich der Fall sein, bliebe uns sicherlich einiges an Arbeit erspart. Welchen Grund könnten denn beide haben, ihre Liaison geheim zu halten und zu behaupten, sich kaum zu kennen? Voller hat nicht mal Klaras Praktikum erwähnt.“
„Er möchte bestimmt nicht, dass diese Beziehung in der Firma publik wird und Klara wollte wohl nicht, dass ihr Vater davon erfährt. Möglicherweise verschweigt sie uns einen festen Freund, dem sie weismachte, ihr Vater würde sie finanzieren. Oder ...“
„Deine Fantasie in allen Ehren. Das klingt ja alles nicht unvernünftig, aber bevor wir unsere Zeit mit wilden Spekulationen vergeuden und dadurch Wesentliches übersehen, sollte unsere Aufmerksamkeit lieber der Faktenlage gelten, so dürftig sie auch sein mag. Wir wollten ja noch nach Pleiserhohn fahren, um mit Frau Rheinbach und der Wirtin vom Dorfkrug zu sprechen.“
Mit einem kritischen Blick auf das von Blues in Rock and Roll übergehende Schneetreiben meinte er dann: „Ich glaube, das hat sich erledigt. Schau mal nach draußen. Es gibt doch keinen vernünftigen Grund, warum wir uns das bei diesem Sauwetter antun sollten. Folglich verschieben wir die Fahrt nach Pleiserhohn auf morgen. Das kommt mir sowieso sehr gelegen bei der vielen aufgelaufenen Büroarbeit. Und den Chef muss ich ja auch noch informieren.“
„Okay. Das gibt mir Gelegenheit, meine Aufstellung zu ergänzen und mich um die Herkunft des Rosenkranzes und die Bedeutung des ‚mea culpa’ zu kümmern. Vielleicht ergibt sich ja eine brauchbare Spur.“