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„Frau Rheinbach, erzählen Sie bitte noch einmal ganz genau, wann und wie Sie die Leiche von Herrn Greber fanden.“

Katharina und Peter hatten sich nach der Identifizierung der Leiche durch Frau Greber unverzüglich auf den Weg gemacht und saßen nun in der engen, aber sehr gemütlichen Küche. Mit ihrem siebziger Jahre Mobiliar bildete sie den passenden Rahmen für die kleine rundliche Frau mit ihrem altmodischen Dutt, ihren warmherzigen Augen, ihrer geblümten Kittelschürze und den Kamelhaarpantoffeln.

Nachdem die alte Dame Kaffee eingeschenkt und eine Schale mit Plätzchen auf den Tisch gestellt hatte, begann sie zu erzählen: „Ich bin alleinstehend, müssen Sie wissen. Mein Mann ist vor einigen Jahren gestorben und seitdem kümmere ich mich um die Kapelle und helfe auch Pfarrer Oppner, wenn er in Oberpleis oder hier in Pleiserhohn ist.“

„Ach, dann wohnt der Pfarrer gar nicht hier am Ort?“, wurde sie von Peter unterbrochen.

„Nein, nein, Pfarrer Oppner wohnt in Königswinter und ist auch für die dortige Gemeinde zuständig. Nur weil wir keinen eigenen Seelsorger mehr haben, betreut er unsere Pfarrei mit. Der Personalmangel, verstehen Sie? Die Kirche spart, wo sie kann.“

„Kennen Sie denn die Adresse von Herrn Oppner?“, fragte Katharina und nahm ihren Notizblock zur Hand. „Ihn möchten wir nämlich auch noch sprechen.“

„Ja, ja, schon. Die Adresse kann ich Ihnen geben. Aber da werden Sie kein Glück haben. Der Pfarrer ist nämlich gar nicht zu Hause. Er ist zurzeit mit einer Reisegesellschaft in Rom und kommt erst Ende nächster Woche zurück.“

„Na, da haben wir aber Glück, dass wir zuerst zu Ihnen gekommen sind, sonst hätten wir dort vor der verschlossenen Tür gestanden“, lächelte Katharina.

„Vor der verschlossenen Tür wohl nicht. Maria Klein, seine Haushälterin, hätte Ihnen sicher aufgemacht. Sie betreut das Haus, wenn der Pfarrer weg ist. Das Pfarramt können Sie gar nicht verfehlen. Es ist das schiefergedeckte Bruchsteingebäude direkt neben der Kirche. Möchten Sie noch einen Kaffee?“ Ohne die Antwort ihrer Gäste abzuwarten, schenkte sie nach und nahm dann das Gespräch wieder auf: „Was haben Sie noch gefragt? Ach ja, wie ich den armen Herrn Greber gefunden habe. Das war ja so ein herzensguter Mensch. Und dem muss so was Schlimmes passieren. Können Sie das verstehen? Also am Montagmorgen wollte ich wie jeden Morgen die Kapelle aufschließen und wunderte mich, dass die Tür nur angelehnt war. Zuerst dachte ich, ich hätte am Sonntagabend vergessen abzuschließen. Aber dann fiel mir ein, dass ich an dem Abend noch bei einer Bekannten war und auf dem Rückweg abgeschlossen hatte. Ich öffnete die Tür und da sah ich schon den verschmierten Altar und den Körper auf den Stufen.“

„Wie spät war es denn, als Sie die Kapelle aufschließen wollten?“, fragte Peter.

„Wie spät? Na ja, wie immer. So gegen acht schließe ich gewöhnlich auf und gegen sieben Uhr wieder ab.“

„Was haben Sie gemacht, als Sie die Leiche fanden?

„Sie können sich meinen Schreck vorstellen. Als ich mich gefasst hatte, bin ich rausgelaufen, um Hilfe zu holen. Zufällig ging draußen Matthias, der Sohn meines Nachbarn, vorbei. Der hat dann mit seinem Handy die Polizei gerufen und ich habe die Kapelle bis zum Eintreffen Ihrer Kollegen abgeschlossen.“

„Mein Kompliment. In dieser Ausnahmesituation haben Sie aber sehr umsichtig gehandelt. Das hätte nicht jeder gekonnt“, drückte Peter seine Anerkennung für so viel Umsicht aus und kam dann auf den Toten zu sprechen. „Kannten Sie eigentlich Herrn Greber näher?“

„Nein, näher kannte ich ihn nicht. Ich traf ihn lediglich schon mal sonntags in der Kirche. Soweit ich das aber sagen kann, war er im ganzen Ort beliebt. Er war sehr wohlhabend und spendete oft für soziale Zwecke.“

„Wenn ich Sie richtig verstanden habe, schließen Sie jeden Abend gegen sieben die Kapelle ab. Am Montagmorgen jedoch fanden Sie die Kapellentür offen vor“, kam Katharina noch einmal auf die Schlüsselfrage zu sprechen. „Der Täter muss also im Besitz eines Schlüssels gewesen sein. Haben Sie eine Vorstellung, wie der Schlüssel in die Hand des Mörders gekommen sein könnte?“

„Nein. Es gibt nur zwei Schlüssel. Der eine befindet sich im Pfarrhaus in Königswinter und dient nur als Ersatzschlüssel. Den anderen habe ich. Meinen Schlüssel gebe ich nur aus, wenn jemand die Kapelle an Tagen besichtigen möchte, an denen sie offiziell geschlossen ist. Das ist zum Beispiel montags der Fall, weil ich dann sauber mache.“

„Hat denn in der letzten Zeit irgendjemand den Schlüssel ausgeliehen, um die Kapelle zu besichtigen?“

„Da muss ich nachdenken. Nein, ich wüsste nicht“, und nach einer kurzen Pause: „Nur Paul, der kleine Junge von Weißenbachs, holte vor kurzem den Schlüssel. Draußen wäre jemand, der die Kapelle besichtigen möchte. Gar nicht lange, da brachte der Junge den Schlüssel zurück.“

„Wissen Sie noch, wann das in etwa war?“, fragte Katharina nach.

„Na, so vor zwei oder drei Monaten, denke ich.“

„Vielen Dank, Frau Rheinbach. Sie haben uns sehr geholfen. Würden Sie uns noch bitte sagen, wo wir Paul finden können.“

„Der Junge wohnt nur wenige Häuser entfernt.“

Sie ließen sich die genaue Adresse geben und standen zwei Minuten später vor dem gesuchten Haus. Da sich auf ihr Läuten niemand meldete, meinte Peter: „Wie denkst du darüber, was essen zu gehen. Ich habe langsam Hunger.“

„Prima Idee. Gehen wir doch in den Dorfkrug. Dann können wir in einem mit der Wirtin reden.

*

Der Dorfkrug, eine typische eichengetäfelte Gaststätte der Region, hatte für ein Speiselokal um diese Zeit auffallend wenige Gäste. Ein verliebtes Pärchen in der Ecke und zwei schon offensichtlich angetrunkene Gestalten an der Theke, die sich in Slowmotion anlallten und schon keine Notiz mehr von ihnen nehmen konnten, waren die einzigen Gäste. „Das trifft sich gut“, kommentierte Peter die gähnende Leere. „Bei dem ‚Betrieb‘ hat die Wirtin wenigstens ausreichend Zeit, unsere Fragen zu beantworten.“

Sie suchten sich einen Tisch in der Nähe des Fensters und hatten kaum Platz genommen, als auch schon die Wirtin am Tisch erschien. Eine dralle Endvierzigerin, pechschwarzes, mittellanges Haar, freundliche Gesichtszüge, hochhackige Pumps, mit kurzem Rock und viel zu engem, weit ausgeschnittenem Pulli, stellte sich vor und erkundigte sich nach ihren Wünschen.

„Kripo Bonn-Beuel. Meine Kollegin und ich ermitteln im Mordfall Greber, Frau Weißkirch. Wir haben erfahren, dass sich das Mordopfer am Sonntagabend hier in Ihrer Gaststätte aufhielt und möchten uns deshalb mit Ihnen unterhalten“, antwortete Peter.

„Das stimmt. Herr Greber war am Sonntagabend hier. Ich weiß zwar nicht, wie ich Ihnen helfen kann. Aber da im Moment sowieso nichts los ist und wir von vierzehn bis siebzehn Uhr geschlossen haben, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung. Am besten ...“

„Nicht ganz so schnell“, wurde sie von Katharina unterbrochen. „Wir haben nämlich Hunger. Wenn es Ihnen recht ist, würden wir gerne zuerst etwas essen und danach mit Ihnen sprechen.“

„Sehr gern. Kein Problem. Ich wollte nur sagen, am besten setzen wir uns in unser Hinterzimmer. Da sind wir weitgehend ungestört.“

Eine knappe Stunde später hatte das Pärchen die Gaststätte verlassen und während die beiden Zecher noch immer den Tresen festhielten, eröffnete Peter im Nachbarraum das Gespräch: „Frau Weißkirch, Sie haben uns ja eben schon bestätigt, dass Herr Greber den Sonntagabend bei Ihnen zugebracht hat. Wir möchten nun wissen, wie lange und mit wem Herr Greber an besagtem Abend hier im Dorfkrug war.“

„Das kann ich Ihnen ziemlich genau sagen, da Klaus Greber fast jeden Sonntagabend zwischen acht und zwölf bei uns verbracht hat. Er gehörte nämlich zum Stammtisch und spielte zudem regelmäßig mit denselben Leuten Skat. Meist kam er gegen acht und ging um zwölf. Am Sonntag nahmen Gregor Dähler, der Ortsbürgermeister, Wilfried Kessler, dem gehört die Metzgerei in Oberpleis, der Leiter der Sparkasse, Walter Lengen, David Zelter, der Leiter der Grundschule, und Albrecht Vogt, der hiesige Chorleiter, am Stammtisch teil. Nachdem Kessler und Lengen so gegen zehn gegangen waren, spielte Klaus Greber mit den anderen noch etwa zwei Stunden Skat.“

Sie unterbrach sich, um nach ihren Gästen zu sehen, und kehrte, nachdem das Pärchen bezahlt und die beiden Männer an der Theke mit Getränken versorgt waren, zurück.

Katharina, die alle Namen notiert hatte, sah von ihrem Block auf: „Ich gehe davon aus, dass Sie die genannten Personen gut kennen. Unterhalten Sie denn auch geschäftliche Verbindungen zu ihnen, die über den Besuch Ihrer Gaststätte hinausgehen?“

Ein kurzes Zögern, das weder Katharina noch Peter entging, eine kaum merkliche Veränderung ihrer Gesichtszüge, dann hatte sie sich wieder im Griff: „Natürlich kenne ich meine Stammgäste. Sie stellen ja in dieser Jahreszeit im Wesentlichen mein Geschäft dar. Privat habe ich allerdings kaum Kontakt zu Ihnen. Was meine geschäftlichen Beziehungen anbelangt, um auf Ihre Frage zurückzukommen, so besteht durch die Sparkasse ausschließlich zu Herrn Lengen eine Verbindung, wohingegen Herr Greber lediglich Gast meines Lokals war.“

„Noch eine letzte Frage“, ließ Peter die Aussage unkommentiert stehen. „Können Sie uns etwas über den Menschen Klaus Greber sagen?“

„Entschuldigen Sie“, unterbrach Katharina und stand auf. „Würden Sie mir bitte sagen, wo ich die Toilette finde?“

„Sie gehen zurück zum Schankraum, links an der Theke vorbei und dann sehen Sie schon die Tür mit der Aufschrift WC.“

Die Assistentin entschuldigte sich und verließ den Raum. Außer den beiden Männern an der Theke befand sich niemand mehr in der Gaststätte. Sie bog um den Tresen, geriet ins Straucheln, weil sie gegen irgendetwas gestoßen war, und konnte ihren Sturz nur durch einen reaktionsschnellen Griff an eine Tischkante verhindern. Erst durch das hämische Lachen der beiden Thekentypen wurde ihr bewusst, dass ihr einer von beiden ein Bein gestellt haben musste. Jetzt erst nahm sie die Männer in Augenschein: beide dunkelhaarig mit südeuropäischem oder südosteuropäischem Teint, teurer Markenkleidung, protzige Hals- und Armketten.

„Na, Bullentussi, zu blöd zum Gehen?“, und wieder folgte ein aufreizendes Grinsen.

„Ich bitte Sie, diese Beleidigungen zu unterlassen. Trinken Sie Ihr Bier und lassen Sie mich in Ruhe“, reagierte Katharina vollkommen ruhig und wähnte die Sache damit erledigt.

„Hab dich nicht so, Bullentussi. Zeig uns lieber deine Titten“, hörten die beiden nicht auf zu provozieren und untermauerten Ihre Aufforderung mit einer Drohung. „Oder willst du, dass wir dir Beine machen?“

Mühsam ihre Empörung verbergend, war die Polizistin versucht, auf die unverhohlene Drohung zu antworten, überlegte es sich dann aber anders. Äußerlich vollkommen ruhig erwiderte sie freundlich lächelnd: „Ja, sehr gerne.“ Ohne das Pärchen aus den Augen zu lassen, trat sie einen Schritt zurück und zog aufreizend langsam, aufmerksam begleitet von den Stielaugen und den offenen Mündern ihrer Gegenüber, die Uniformjacke aus.

Dann ging alles so schnell, dass die beiden Thekenhocker nicht einmal mehr die Zeit bekamen, den Mund zu schließen, geschweige denn noch einen Laut von sich zu geben.

Katharina explodierte: ein Tritt gegen den Barhocker des am nächsten Sitzenden, das hochgezogene Knie zum Kinn und ein zielsicherer Handkantenschlag gegen die Halsschlagader – schachmatt.

Aus einer blitzschnellen Drehung um hundertachtzig Grad ein rückwärtiger Tritt, der zweite Barhocker entfernte sich, den linken Ellbogen gegen den Solarplexus und mit der Rechten den effizienten Schlag gegen die Halsschlagader.

Mit einem verschmitzten Lächeln zückte sie ihre Handschellen, band die beiden an die Fußauflage des Tresens, durchsuchte sie, rückte die Barhocker zurecht, zog ihre Jacke an, suchte die Toilette auf, um ihr doch etwas derangiertes Äußere zu richten und war wenige Minuten später wieder im Hinterzimmer.

„Mensch, Katharina, wo bleibst du denn? Frau Weißkirch hat mir inzwischen schon den gesamten aktuellen Dorfklatsch über Grebers erzählt“, wunderte sich Peter.

„Nichts Besonderes. Ich hatte nur noch eine etwas intensivere Unterhaltung mit den beiden Herren an der Theke. Vielleicht konnte man hier hören, dass dabei zwei Barhocker umfielen.“

„Ach Gott, die habe ich ja völlig vergessen. Die wollte ich doch schon vor einer halben Stunde rauswerfen“, machte die Wirtin Anstalten, sich zu erheben, um in den Schankraum zu gehen.

„Sie können sitzen bleiben, Frau Weißkirch. Zurzeit sind die beiden nicht in der Lage, sich entfernen zu können.“

„Was war denn los?“, fragte Peter.

„Die Kerle haben mich auf übelste Weise beschimpft, beleidigt und bedroht, so dass mir keine andere Wahl blieb, als sie für eine Weile ruhig zu stellen“, erklärte Katharina lächelnd. „Sie sitzen, angebunden an die Fußauflage, friedlich schlafend vor der Theke. Unser kurzes und von meiner Seite sehr hitzig geführtes Gespräch hat sie doch sehr mitgenommen.“

„Was?“, machte Peter große Augen, „Du hast die zwei Typen an der Bar allein außer Gefecht gesetzt?“

„Und dabei ging nicht mal ein Glas zu Bruch“, lächelte Katharina.

Als sie den Schankraum betraten, pfiff der Kommissar anerkennend durch die Zähne. „Saubere Arbeit, die sehen ja nicht gerade schwächlich aus. Scheinen Jungs aus dem Milieu zu sein. Wäre möglich, dass sie in unserer Kartei vertreten sind. Hast du sie durchsucht?“

„Ohne Ergebnis. Keine Waffen, keine Papiere.“

„Wenn du einverstanden bist, lassen wir sie von unseren Kollegen abholen und die können sie, sofern du keine Anzeige erstatten möchtest, nach Überprüfung und gründlicher Befragung wieder laufen lassen.“

„Nein, nein, die haben ihre Lektion bekommen und das genügt.“

„Und mit denen habe ich mich den ganzen Morgen unterhalten. Dass ich mich so täuschen konnte!“, war die Wirtin fassungslos.

Sie warteten noch, bis der angeforderte Streifenwagen seine inzwischen erwachte und wüst schimpfende Fracht abtransportiert hatte, verabschiedeten sich von Frau Weißkirch und verließen dann die Gaststätte, um festzustellen, dass das Schneetreiben noch dichter geworden war.

„Sie hat uns mit Sicherheit nicht die ganze Wahrheit gesagt“, kam Peter auf die Unterredung mit der Wirtin zu sprechen, während er fröstelnd seine Jacke schloss und den Kragen hochstellte. „Hast du ihr Befremden bemerkt, als wir auf die geschäftlichen Beziehungen zu sprechen kamen? Sie hat was zu verbergen. Die Frage ist nur ,was‘!“

„Die Veränderung in ihrem Gesicht war ja schwerlich zu übersehen, auch wenn sie sich nichts anmerken lassen wollte. Ich habe so ein Gefühl, dass die Befragung der Stammtischbrüder möglicherweise ein bisschen Licht in das Aussagedunkel der Wirtin bringen könnte.“

„Da könntest du recht haben. Dieser Gedanke kam mir auch schon. Warten wir’s ab. Noch eins, Katharina, in Zukunft bitte keine Alleingänge mehr. Da hätte ja sonst was passieren können.“

Die in seiner Stimme unüberhörbar mitschwingende Sorge wurde von der Assistentin mit sichtlicher Freude registriert und tat ihr gut. „Willst du damit andeuten, du hättest Angst um mich?“

„Keineswegs. Ich wollte dir lediglich vor Augen führen, dass ich ohne Assistentin völlig allein ermitteln müsste und damit doppelte Arbeit auf mich zukäme.“

Der liebevolle Stoß in die Rippen tat ihm nun wieder gut.

„Es ist noch früh am Nachmittag. Wir könnten noch einmal versuchen, mit dem Jungen zu sprechen. Jetzt müsste er doch zu Hause sein. Und sicher bleibt auch noch Zeit, mit dem einen oder anderen der Stammtischteilnehmer zu reden. Was meinst du?“

„Ich denke auch, dass wir das schaffen“, blätterte Katharina in ihrem Notizblock. „Die Metzgerei und die Sparkassenzweigstelle befinden sich nicht weit voneinander entfernt in derselben Straße in Oberpleis. Und falls der Bürgermeister heute Sprechstunde hat, schaffen wir vielleicht auch noch ein Gespräch mit ihm.“

Dieses Mal hatten sie Glück. Die Mutter des Jungen öffnete ihnen und nachdem sie ihr den Sachverhalt erläutert hatten, war sie auch mit einer Befragung ihres Sohnes einverstanden. Allerdings kam nichts dabei heraus. Der Junge bestätigte zwar, den Schlüssel der Kapelle für jemanden geholt zu haben, konnte sich aber an seinen Auftraggeber kaum erinnern. Er wusste lediglich, dass der Mann einen Hut, eine große Brille und einen Mantel trug. Besondere Merkmale wie Haarfarbe, Schnurrbart oder Ähnliches waren ihm nicht aufgefallen und auch zum Auto des Mannes konnte er keine Aussage machen.

„Eigentlich habe ich nichts anderes erwartet“, meinte Katharina auf dem Weg zum Fahrzeug. „Der Täter inszeniert einen aufs Genaueste geplanten Mord und ist dann so blöd, sich durch einen solchen Patzer überführen zu lassen. Das passt einfach nicht ins Bild.“

„Und widerspricht seiner überlegten Vorgehensweise. Wer sich die Mühe einer solch dramatischen Darstellung macht, der achtet auch in der Vorbereitung auf jede Kleinigkeit. Der Mann will Aufsehen erregen, aber er will nicht gefasst werden.“

„Mag sein. Aber der Kerl ist so von sich eingenommen, dass er nicht der Erste wäre, dem seine Überheblichkeit zum Verhängnis werden könnte. Hybris ist ein gefährlicher Ratgeber und es sollen schon Täter durch viel geringfügigere Fehler überführt worden sein.“

Die kurze Fahrt nach Oberpleis gestaltete sich wegen des heftigen Schneetreibens und der einsetzenden Straßenglätte als gefährliche Blindfahrt, die das gesamte Können des Fahrers verlangte. Nicht nur die unermüdlichen Scheibenwischer drohten ihren Dienst zu versagen, auch Scheinwerfer und Straßenlaternen verzweifelten ob ihrer wetterbedingten Hilflosigkeit. Ihr tapfer kämpfendes Licht sah keine Chance, die milchigtrübe Wand der unaufhörlich gegen sie anstürmenden Schneeflocken zu durchdringen. Nur den majestätischen Eichen, die zu beiden Seiten den Straßenrand säumten, schien der starke Schneefall nichts anhaben zu können. Die Gelassenheit ihres Alters ließ sie die auf sie einprasselnde weiße Last einfach ignorieren. Ungeachtet der winterlichen Widrigkeiten breiteten sie, wie man es von ihnen gewohnt war, ihr schon etwas schütteres Blätterdach über den winterweißen Asphalt aus.

Peter chauffierte sie vorsichtig durch die Schneewand zum Parkplatz der Metzgerei. Sie stellten ihr Fahrzeug ab und fanden Wilfried Kessler im hellgrauen Schlachterdress mit weißer Lackschürze im Hinterhofgebäude des Geschäftshauses.

„Guten Tag, Herr Kessler“, begrüßte Peter den Metzger, nachdem sie den Slalom um etliche Schweinehälften erfolgreich absolviert hatten, „ Kripo Bonn-Beuel. Wir ermitteln im Mordfall Greber und möchten von Ihnen wissen, in welcher Beziehung Sie zu Herrn Greber standen. Frau Weißkirch erwähnte, dass Sie mit zur sonntäglichen Stammtischrunde gehören.“

„Einen Moment bitte.“ Wilfried Kessler legte das martialisch anmutende Beil zur Seite und hielt seine blutverschmierten Hände hoch. Er wischte sie grob an seiner weißen Kunststoffschürze ab und reinigte sie dann gründlich mit Kernseife, bevor er dem Kommissar und seiner Assistentin die Hand reichte. „Da haben Sie aber Glück, dass Sie mich antreffen. Mittwochnachmittags sind auf den Dörfern die Geschäfte geschlossen und deshalb nutze ich diesen Tag entweder für Besorgungen oder zum Schlachten. Wir schlachten nämlich noch komplett selbst, müssen sie wissen. Heute kauft meine Frau ein, weil wir eine unerwartet große Lieferung an Schlachtvieh erhalten haben. Aber warum erzähle ich Ihnen das? Sie wollten ja wissen, in welcher Beziehung Klaus Greber und ich standen“, kam er zur Sache. „Schreckliche Sache, das mit Klaus. Haben Sie denn schon eine Spur?“, und als niemand antwortete, fuhr er mit dem Hauch eines Lächelns fort: „Ich kenne ihn schon als Kunde, seit er mit seiner Familie hierhin zog. Durch die gemeinsame Parteiarbeit und den Stammtisch im Dorfkrug entwickelte sich nach und nach eine recht enge Freundschaft.“

„Unterhielten Sie auch geschäftliche Beziehungen zu Herrn Greber?“, unterbrach ihn Katharina.

Ein kurzes Räuspern, ein Moment der Unsicherheit: „Nein, wie auch. Wir hatten ja keine gemeinsamen geschäftlichen Interessen, er als ehemaliger Makler und ich mit meiner Metzgerei. Ich glaube auch nicht, dass er sich überhaupt noch geschäftlich betätigte. Er war gut betucht und hatte das bestimmt nicht nötig.“

„Wann haben Sie denn am Sonntagabend den Stammtisch verlassen?“, ging Peter auf seine Erklärung nicht näher ein.

„Am Sonntagabend? Das muss so gegen zehn gewesen sein. Ich hatte nämlich meiner Frau versprochen, früher nach Hause zu kommen.“

„Und Ihre Frau kann das bestätigen?“

„Selbstverständlich. Wir haben noch ein Glas Wein getrunken und sind dann ins Bett gegangen.“

„Herr Kessler, das war’s. Wir möchten Sie nicht weiter von Ihrer Arbeit abhalten und danken Ihnen für das Gespräch. Sollten sich für uns in diesem Fall neue Fragen ergeben, müssten wir Ihre Zeit noch einmal in Anspruch nehmen“, formulierte Peter seinen Abschlusssatz übertrieben höflich.

„Jederzeit, gern. Auf Wiedersehen.“

„... müssten wir Ihre Zeit noch einmal in Anspruch nehmen“, spöttelte Katharina, als sie ins Auto stiegen. „Meinst du nicht, dass diese Formulierung etwas zu dick aufgetragen war?“

„Das war pure Absicht, um ihn in Sicherheit zu wiegen“, verteidigte sich Peter. „Sein kurzes Zögern, als du nach der geschäftlichen Beziehung zu Greber fragtest, bewies mir, dass er uns zumindest nicht die ganze Wahrheit gesagt hat.“

„Dieses kurze Zögern ist mir natürlich auch nicht entgangen“, bestätigte Katharina Peters Eindruck. „So gesehen war die Wortwahl nicht schlecht. Sie signalisierte ihm tatsächlich, dass wir ihm Glauben schenken.“

„Ob Kessler wenigstens eine kleine Leiche im Keller hat, werden wir wohl erst wissen, wenn wir uns seine Buchhaltung genauer angesehen haben.“ Und nachdenklich fügte Peter hinzu: „Mehr und mehr kristallisiert sich heraus, dass wir unbedingt Grebers Festplatte brauchen.“

„Und was machen wir jetzt? Fahren wir ins Präsidium?“, beendete Katharina Peters Überlegungen.

„Zurück zum Präsidium? Unter gar keinen Umständen. Ich schlage vor, dass wir uns noch, wenn wir nun schon mal hier sind, die Versionen von Dähler und dem anderen Fuzzy anhören.“

„Wen meinst Du mit ‚anderen Fuzzy’? Zelter, Lengen oder Vogt?“, grinste Katharina.

„Den Grundschulleiter.“

„Zelter also“, konstatierte Katharina.

„Lengen und Vogt heben wir uns für morgen oder übermorgen auf. Vielleicht hat sich bis dahin ja auch das Wetter gebessert.“

„Okay, fangen wir bei Zelter an. Zu dem können wir zu Fuß gehen. Der wohnt hier ganz in der Nähe“, öffnete Katharina wegen des Schneetreibens vorsichtig die Wagentür. Es half nichts. Eine heftige Bö schlug ihr die Tür aus der Hand und trieb unbarmherzig eine kräftige

Schneewolke ins Innere des Fahrzeugs. Peters Fluch drang nur noch dumpf zu ihr, denn so schnell es die Umstände erlaubten, hatte sie den Wagen verlassen und die Tür zugeschlagen.

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