Читать книгу Kapellensinfonie - Helmut Frevel-Gerhartz - Страница 9
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ОглавлениеPeter saß seinem Chef gegenüber und informierte ihn über den Stand der Ermittlungen. „Ich hatte ja gestern schon angedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit, durch den Zettel oder den Rosenkranz eine brauchbare Spur zu finden, sehr gering ist. Diese Annahme hat sich inzwischen bestätigt: keine Fingerabdrücke, keine DNA-Spur – nichts, was wir brauchen könnten. Beide Gegenstände sind komplett sauber.“
„Was ist mit der Maske?“
„Kapuze, Chef. Das Ding hat weder Augen noch eine Mundöffnung.“
„Na meinetwegen, Kapuze.“
„Über die wissen wir noch nichts. Sie ist noch bei den Kollegen der Kriminaltechnik. Ich glaube allerdings nicht, dass sich durch sie eine nennenswerte Spur ergibt. Der Täter wird uns nicht den Gefallen getan und ausgerechnet auf der Kapuze seine DNA hinterlassen haben.“
„Da mögen Sie wohl recht haben. Was haben Sie ansonsten bisher unternommen? Sie haben sicher mit der Witwe gesprochen? Wie hat Sie auf die Nachricht vom Mord an ihrem Mann reagiert?“
„Nicht nur mit Frau Greber haben wir ein Gespräch geführt. Wir haben auch mit ihrer Tochter und Grebers Geschäftspartner Voller gesprochen. Um mit Frau Greber zu beginnen: Der Tod ihres Mannes lässt sie vollkommen kalt. Und wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, was sie uns über ihren Mann sagte, dann ist ihre Reaktion mehr als verständlich. Er hat sie offenbar behandelt wie der letzte Dreck und sie ihre Abhängigkeit von ihm ständig spüren lassen.“
„Damit hat sie ein Motiv.“
„Genau wie ihre Tochter. Aus deren Äußerungen ging hervor, dass sie ihren Vater hasste und jeden Kontakt zu ihm seit langem abgebrochen hatte. Sie kam nur noch nach Hause, wenn sie sicher sein konnte, ihn nicht anzutreffen. In diesem Zusammenhang erwähnte sie einen Vorfall, der für uns von Interesse sein könnte. Vor einigen Wochen habe sie bei einem Besuch zu ihrem Ärgernis feststellen müssen, dass ihre Mutter nicht allein war. Ihr Vater disputierte aufs Heftigste mit zwei Männern ost- oder südosteuropäischen Aussehens. Sie habe dann, ohne dass man sie bemerkte, unverzüglich das Haus verlassen.“
„Kennen Sie denn den Grund für das Verhalten der Tochter?“
„Nein, den kennen wir nicht. Noch nicht! Wir müssen unbedingt an ihr dranbleiben. Es gibt nämlich in deren Leben so einige Ungereimtheiten. Ihr Lebensstil liegt weit über dem einer normalen Studentin. Irgendjemand muss sie finanzieren und wir wüssten gern, wer dieser mysteriöse Gönner ist.“
„Ihr Vater? Ein Lover?“, fragte sich der Dezernatsleiter.
„Wer weiß! Ihr Vater wohl nicht. Bei dem angespannten Verhältnis der beiden sehr unwahrscheinlich. So verächtlich wie sie von ihm sprach, hätte sie vermutlich von dem nicht mal ’ne Scheibe Brot genommen. Ein Liebhaber schon eher. Voller vielleicht.
Er sieht gut aus und hat das nötige Geld. Nach ihm befragt, behauptete sie allerdings, ihn nur flüchtig zu kennen und das, obwohl sie in seiner Firma ein mehrwöchiges Praktikum absolvierte. Wieder so eine Ungereimtheit!“ Und nach einer kurzen Pause: „Ich denke, um uns Klarheit zu verschaffen, sollten wir sie abhören oder beschatten.“
„Abhören, nein!“, schüttelte Herr Petry den Kopf. „Allein auf Vermutungen hin, das brauche ich Ihnen nicht zu sagen, bekommen wir keine richterliche Erlaubnis. – Beschatten, ja!“, und fügte hinzu, nachdem er einen Blick auf den Einsatzplan geworfen hatte, „das können Ernst Rauhen und Wolfgang Scheller übernehmen. Weisen Sie sie bitte ein, sie können sofort anfangen. – Nun noch zu Voller. Was ergab sich da?“
„Voller ist für mich ein Phänomen. Ich halte ihn für einen aalglatten Trickser. Wenn man ihn hört, dann weiß er vom Privatleben der Grebers so gut wie nichts. Angesichts der Tatsache, dass Greber und er rund zwei Jahrzehnte Partner waren, schwer zu glauben. Und auch seine Aussagen zum Geschäftsleben kaufe ich ihm nicht ab. Dazu befragt, haben die beiden mit Immobilien und Anlageberatungen besonders in den Neunzigern viel Geld gemacht, aber immer sauber und korrekt. Kein Wort von dubiosen Geschäften, die Grebers Frau andeutete. Er behauptete auch, dass sein Partner bei seinem Ausscheiden alle ihn betreffenden Unterlagen mitgenommen habe. In der Firma ‚sei nichts mehr verblieben‘, wie er sich ausdrückte.“
„Haben Sie denn bei Greber irgendetwas gefunden, was Vollers Angaben bestätigen könnte?“
„Nein, nichts. Laut Aussage von Frau Greber wurden bei einem Einbruch während ihres Urlaubs der komplette Safe-Inhalt und der Laptop ihres Mannes gestohlen. Bis heute ist nichts davon wieder aufgetaucht.“
„Ziemlich mysteriös.“
„Finden wir auch. Wir haben schon Kontakt zum Einbruchsdezernat aufgenommen und bleiben auf alle Fälle mit den Kollegen in Verbindung.“
„In der Tat, diese Sache, da teile ich Ihre Meinung, lässt Voller in keinem guten Licht erscheinen.“
„Er gibt vor aller Welt den Saubermann, wirkt aber dabei für meinen Geschmack einen Tick zu clean, um nicht doch Dreck am Stecken zu haben. Frau Rudzinska und ich, wir werden uns bestimmt noch eingehend mit ihm beschäftigen müssen“, beendete Peter seine Einschätzung und stand auf.
„In Ordnung. Machen Sie, was Sie für nötig erachten, aber ich möchte über jeden Ihrer Schritte unterrichtet werden“, erhob sich auch Herr Petry und brachte ihn zur Tür.
„Nur noch eins, Herr Landstuhl, ehe Sie mir entwischen. Wie entwickelt sich denn die kleine Rudzinska? Sie wissen doch, dass ich ihren Vater kenne und der möchte ab und zu eine Rückmeldung, wie sich seine Tochter bei uns macht.“
Peter ließ die Türklinke los. „Katharina Rudzinska? Ich bedauere jetzt schon, dass sie uns im nächsten Jahr wieder verlassen wird, um ihr Jura-Studium fortzusetzen. Sie ist klug, gewissenhaft, zuverlässig und erstaunlich gut informiert. Sie bewährt sich im Team und arbeitet auch, sofern es erforderlich ist, vollkommen selbstständig. Zurzeit ist sie damit beschäftigt, die Herkunft des Rosenkranzes zu ermitteln. Alles in allem: Sie ist eine hervorragende Mitarbeiterin, die unsere Abteilung ideal ergänzt.“
*
Als Peter das Büro betrat, tippte Katharina gerade wie wild auf der Tastatur ihres Rechners herum. „Na, Katharina, was macht der Rosenkranz? Hat er dich zu einer gläubigen Christin gemacht?“
„Unterbrich mich nicht! Zwei Minuten noch und die letzte Mail ist raus.“
Peter setzte sich, legte gemütlich die Füße auf seinen Schreibtisch, kippte den Stuhl leicht nach hinten, um in seine geliebte, äußerst bequeme halb liegende Position zu kommen, ließ die Arme baumeln und schaute versonnen zum Fenster hinaus.
„Der Chef hat grünes Licht für die Observation von Klara Greber gegeben. Ich habe gerade die beiden Kollegen informiert, die er für diese Aufgabe eingeteilt hat: Ernst Rauhen und Wolfgang Scheller. Vielleicht kennst du sie ja. Sie haben sich auf der Homepage der Firma ein Bild von Voller besorgt und sind schon unterwegs.“
„Endlich fertig!“, stöhnte Katharina, fuhr sich mit den Händen durch die Haare, verschränkte auf dem Kopf ihre Finger, sodass sie mit Armen und Oberkörper eine Art Trapez bildete, lehnte sich zufrieden zurück und rückte den Stuhl zur Seite, um Peter besser sehen zu können. „Mein lieber Chef“, spöttelte sie, „ahnst du überhaupt, was du mir mit dieser Rosenkranzrecherche angetan hast?“ Und nach einer kurzen Pause: „Was hast du eben gesagt? Ernst Rauhen und Wolfgang Scheller beschatten Klara Greber? Na prima, dann kannst du jetzt ja aufhören, auf die Schneeflocken zu starren und mir zuhören.
Hast du eigentlich eine vage Vorstellung davon, wie viele Devotionalienhändler es gibt?“, und als keine Antwort kam, „in ganz Deutschland sind es sicher hunderte. Allein hier im Köln-Bonner Raum konnte ich über zwanzig ausmachen. Niemand von denen hat jedoch einen solchen Rosenkranz im Online-Angebot.“
„Das muss ja noch nichts heißen. Es ist fraglich, ob die Firmen ihr gesamtes Sortiment auf der Homepage präsentieren.“
„Das habe ich mir auch gedacht. Also verfasste ich ein Anschreiben und schickte allen ein Foto und eine detaillierte Beschreibung des Rosenkranzes mit der Bitte, uns zu informieren, falls sie zu Art oder Herkunft dieser Devotionalie eine Aussage machen könnten. Ich kann nur hoffen, dass das funktioniert. Sollten wir keine positive Rückmeldung erhalten, müssen wir notgedrungen unseren Kreis erweitern, unter Umständen alle Firmen anschreiben oder eine andere Informationsquelle anzapfen. Aber ehrlich gesagt weiß ich im Moment nicht, wer uns da helfen könnte.“ Die Aussicht auf den in diesem Fall zu erwartenden Berg von Arbeit bereitete ihr sichtlich Unbehagen.
„Wieso zur Art?“, wunderte sich Peter, der weiterhin der Faszination ‚Schneeflocke‘ erlag.
„Ich hab’s schon mal gesagt. Du könntest mich ruhig anschauen, wenn ich mit dir rede“, wies sie ihn zurecht und wartete, bis er sich ihr zuwandte.
„Ich war auch perplex, was es da alles gibt. Von herstellerspezifischen Formen bis Massenware, von exotischen Holzarten über diverse Kunststoffe bis zu den verschiedensten Steinarten, von preiswert bis unverschämt teuer, von sakralem Kitsch bis sakraler Kunst – alles vorhanden. Devotionalien in jeder Form stellen einen äußerst lukrativen Markt dar – nicht nur für Klöster, Wallfahrtsorte und dergleichen.“
Peter konnte nur mühsam sein Gähnen unterdrücken.
„Vielleicht haben wir ja Glück und es meldet sich jemand. Irgendwie sagt mir mein Gefühl, dass unsere Chancen gar nicht so schlecht stehen“, versuchte er ihre Zweifel zu zerstreuen.
„Und was hast du über unser ‚mea culpa’ herausgefunden?“
„Erstaunliches. Zum einen ist ‚mea culpa’ ein Teil des ‚Confiteor’, eines in der katholischen Liturgie seit Jahrhunderten zu Messebeginn öffentlich geäußerten Sündenbekenntnisses. Es geht in diesem ‚Confiteor‘ darum, dass man seine in Gedanken, Worten und Werken begangenen Sünden bekennt und bereut. Dafür verwendete man nach dem lateinischen Ritus das dreimalige Schuldeingeständnis ‚mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa’. Bedingt durch die rituelle Änderung spricht man dieses Bekenntnis heute in Deutsch: durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine übergroße Schuld.
Da du katholisch bist ...“,
„War. Ich bin schon lange ausgetreten.“
„... katholisch warst“, korrigierte sich Katharina und vollendete mit bierernster Miene unbeirrt ihren Satz, „hättest du das eigentlich wissen müssen.“
„Höre ich da einen Vorwurf? Und was bitte ist mit dir? Du bist doch noch katholisch!“, hielt Peter Ihr grinsend entgegen.
„Stimmt, aber nur auf dem Papier. Meine Eltern waren nicht sonderlich religiös und haben mir in Sachen Religion völlig freie Hand gelassen. Ich habe nach meiner Kommunion so gut wie nie mehr an einer Messe teilgenommen.“
„Reine Schutzbehauptung“, knurrte Peter.
„Zum anderen“, schloss sie unbeirrt Ihre Erklärung, ohne auf seinen Kommentar weiter einzugehen, „hat der Begriff ‚mea culpa’ Eingang in die Umgangssprache gefunden und dient des Öfteren, das solltest du dir unbedingt merken, als Entschuldigung.“
„Danke für den Hinweis. Lass uns Schluss machen für heute. Ich kann die Augen kaum noch aufhalten.“
Er stand auf und ging in Richtung Tür. „Tschüs, bis morgen. Übrigens, gute Arbeit - und einen Effekt hatte deine Aktion ja auch schon. Kaum einer kennt sich jetzt mit Rosenkränzen und Schuldbekenntnissen so gut aus wie du.“