Читать книгу Kapellensinfonie - Helmut Frevel-Gerhartz - Страница 7
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ОглавлениеZehn Minuten später quälte sich Peter durch Bonns zäh fließenden winterlichen Verkehr und dachte über das Telefonat mit Voller nach, denn wider Erwarten verhielt dieser sich erstaunlich zuvorkommend und war ohne Umschweife zu einem Treffen bereit. Kein vorgeschobenes geschäftliches Meeting, keine sonstwie gearteten Ausflüchte, nein, reine Konzilianz. Das überraschte und Peter war sehr gespannt darauf, diesen Mann kennenzulernen.
Nach einer knappen halben Stunde stand der Kommissar im ehemaligen Regierungsviertel am Eingang eines der nach der Wiedervereinigung entstandenen Glaspaläste vor dem dezenten Messingschild: Voller & St. Antonius-Kapelle in Etscheid Partners, Anlageberatung und Immobilien – 10. Stock.
„Landstuhl, Kripo Bonn-Beuel“, wies sich Peter bei der freundlichen Vorzimmerdame im salonartigen Empfang aus. „Herr Voller erwartet Sie schon, Herr Landstuhl. Gleich hier rechts, Zimmer zehn-null-zwo.“
‚Alle Achtung’, pfiff der Kommissar anerkennend durch die Zähne, als er das nobel ausgestattete Chefbüro betrat, das, zu drei viertel verglast, einen atemberaubenden Blick auf die Stadt Bonn und das Rheintal bot. Den Mittelpunkt des Raumes bildete ein völlig überdimensionierter aus feinstem Kirschbaumholz gefertigter Schreibtisch mit zwei farblich abgestimmten Besucherstühlen davor und einem imposanten Chefsessel dahinter, dessen ausladende, aufwendig gestaltete Rückenlehne dem Thron eines türkischen Sultans zur Ehre gereicht hätte. Ein einsames goldenes Schreibset und die traurige, an Rodins ‚Kuss’ erinnernde Bronzeskulptur eines sich umarmenden und küssenden Paares waren die einzigen Gegenstände, die die riesige Platte belebten und sich aus purer Langeweile in ihr spiegelten. Keine Blume, kein Foto, nicht mal das kleinste Stäubchen leistete ihnen Gesellschaft. Nirgendwo eine Sprechanlage, nirgendwo ein Laptop – das komplette Kommunikationssystem hatte man für den Besucher unsichtbar in dieses Ungetüm integriert.
Alles übrige, farblich auf dieses monströse Möbelstück abgestimmte Interieur, ein bis zur Decke reichendes und die gesamte Eingangswand einnehmendes Schrank- und Regalsystem sowie eine unauffällige Sitzgruppe mit René Magrittes berühmtem surrealistischem Pfeifengemälde ‚Ceci n’est pas une pipe‘ darüber, befand sich geschickt im Rücken des Eintretenden, sodass dessen Aufmerksamkeit gezielt auf die beeindruckende Raummitte gelenkt wurde. Der edle Parkettboden und eine hochmoderne in die Decke eingelassene Beleuchtungsanlage vervollständigten das Bild von Exklusivität oder besser – von exklusivem Protzertum im Stile eines Klaus Greber.
‚Wenn das keine Pfeife ist‘, lächelte Peter, als sein Blick das Bild erneut streifte, und war wieder einmal froh darüber, seit beinahe zehn Jahren mit einem Laster weniger zu leben.
„Voller – guten Tag, Herr Landstuhl“, riss ihn eine angenehm männliche Stimme aus seinen Gedanken. Ein smarter Mittvierziger – mittelgroß, blondes, gegeltes Haar, kantige, energische Gesichtszüge, die Augen hinter einer getönten Cartier-Brille, eingefrorenes Lächeln, grauer maßgefertigter Nadelstreifenanzug, diamantenbesetzte Cartier-Uhr am Handgelenk, handgefertigte Business-Schuhe – kam auf den Kommissar zu und reichte ihm die Hand. „Wir haben miteinander telefoniert und Sie sagten mir, dass Sie mich wegen des Mordes an Klaus Greber sprechen möchten. Heute Morgen waren ja die Zeitungen voll davon, dass man, ich glaube in Oberpleis, eine enthauptete Leiche gefunden hat. Erst durch Sie erfuhr ich dann, dass es sich bei dem Toten um Klaus Greber handelt. Sehr tragisch. – Aber setzen wir uns doch“, wies er auf die Sitzecke hin. „Kaffee, Tee, Saft?“
„Kaffee, bitte.“
„Frau Miesbach, für Herrn Landstuhl einen Kaffee und mir das Übliche. Und in der nächsten halben Stunde keine Störungen bitte“, gab er der Sekretärin seine Anweisungen. „So, wie kann ich Ihnen nun helfen?“
„Herr Voller, wie Sie richtig bemerkten, wurde Ihr Geschäftspartner in Oberpleis ermordet, genauer gesagt in der St.-Anna-Kapelle im Ortsteil Pleiserhohn“, und in groben Zügen schilderte der Kommissar die ungewöhnlichen Todesumstände. „Um seinen Mörder fassen zu können, versuchen wir herauszufinden, was für ein Mensch Klaus Greber war, und zwar im privaten wie im geschäftlichen Bereich.“
„Ich bin mir nicht sicher, ob ich der richtige Ansprechpartner für Sie bin, denn Herr Greber ist schon seit längerem aus der Firma ausgeschieden und privat hatten wir kaum Kontakte. Dazu müssten Sie “
„Uns geht es in erster Linie um die Geschäfte, die er in der Zeit tätigte, als er noch Ihr Partner war“, wurde er unterbrochen.
„... mit seiner Familie sprechen, die ich ebenfalls kaum kenne“, führte Voller seinen Satz zu Ende. „Wir beide, Greber und ich, begannen mit unserem Geschäft kurz nach dem Regierungsumzug. Die Konversion hatte es uns angetan. Klaus war für die Anlageberatung zuständig und ich für den Immobilienverkauf.“ Er unterbrach seine Ausführungen, bis die Getränke serviert waren, und nachdem er an seinem Saft genippt hatte, nahm er das Gespräch wieder auf: „In der zweiten Hälfte der neunziger und in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends waren wir so erfolgreich, dass wir schnell expandierten und nach und nach unsere Beziehungen globalisierten. Dadurch konnten wir wesentlich komplexere, gewinnträchtigere Geschäfte tätigen. Vor drei Jahren setzte sich Klaus dann zur Ruhe.“
„Wie, einfach so?“
„Einfach so. Er sagte mir, er habe genug verdient, um sorglos leben zu können und erwähnte in diesem Zusammenhang noch, dass er in Oberpleis gebaut habe. Da er nicht umzustimmen war, musste ich seine Entscheidung respektieren. Kurze Zeit danach wurde sein Ressort neu besetzt. Inzwischen sind wir zu dritt und unsere Firma wurde von Voller & Greber in Voller & Partners umbenannt.“
„Dann kann ich davon ausgehen, dass Sie über keine geschäftlichen Unterlagen von Herrn Greber mehr verfügen?“
„Sehr richtig. Alle Unterlagen, die seine Transaktionen betrafen, hat er seinerzeit mitgenommen.“
„Haben Sie eine Vorstellung, wer aus welchen Gründen auch immer ein Interesse an seinem Tod gehabt haben könnte und somit als Täter infrage käme?“
„Absolut nicht. In all den Jahren kam es nie zu größeren Unstimmigkeiten und ich kann mich auch an keinen Kunden erinnern, der sich übervorteilt gefühlt und unsere Geschäftspraktiken explizit moniert hätte. Jedenfalls fällt mir niemand ein, der zu einer solchen Tat fähig wäre.“
„Ich möchte Ihre Zeit nicht über Gebühr in Anspruch nehmen“, kam der Kommissar zum Ende. „Deshalb meine letzte Frage: Sie wissen, dass es sich dabei um reine Routine handelt und ich diese Frage stellen muss. Wo waren Sie am Sonntagabend zwischen zweiundzwanzig Uhr und vier Uhr morgens?“
„Sonntagabend? Normalerweise bleibe ich sonntags zu Hause. Die Woche ist meist so anstrengend, dass ich froh bin, mich ausruhen zu können. An diesem Sonntag war ich ausnahmsweise mit Freunden zum Essen verabredet und bis gegen halb elf in einem Restaurant in der Innenstadt. Danach habe ich mich auf den Heimweg gemacht. Ich wohne in Bad Godesberg, sodass ich gegen elf spätestens zu Hause war. Ich bin wie immer noch mit meinem Hund am Rhein entlanggelaufen und habe mich gegen Mitternacht ins Bett gelegt. Leider kann niemand diese Angaben bestätigen, da ich allein lebe.“
„Herr Voller, das ist zunächst alles. Ich danke Ihnen für dieses Gespräch und hoffe, dass ich mich, sofern sich noch Fragen ergeben, wieder an Sie wenden kann. Sollte Ihnen noch etwas einfallen, bin ich jederzeit für Sie erreichbar. Hier ist meine Karte mit Dienst-, Handy- und Privatnummer. Sollten Sie dienstlich kein Glück haben, versuchen Sie es bitte auf dem Handy oder hinterlassen Sie mir eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Ich melde mich dann bei Ihnen.“
Der Immobilienmakler erhob sich. „Auf Wiedersehen, Herr Kommissar. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg und hoffe, dass Sie den Täter möglichst schnell dingfest machen.“
„Auf Wiedersehen und nochmals vielen Dank“, verabschiedete sich Peter, schloss die Tür und ging in Richtung Fahrstuhl.
Auf der Rückfahrt zum Präsidium, eingebettet in die Fahrzeugschlange des winterlichen Nachmittagsverkehrs, bekam er hinreichend Gelegenheit, über das Gespräch nachzudenken und sich zu fragen, was er von dem Mann halten solle, der sich ihm gegenüber ungewöhnlich höflich, zuvorkommend und konziliant gezeigt und so bereitwillig Auskunft gegeben hatte. Ein unbestimmtes Gefühl sagte ihm, dass da irgendetwas nicht stimmen konnte. Voller trat höflich auf – aber irgendwie ein bisschen zu höflich. Er trat zuvorkommend auf – aber irgendwie ein bisschen zu zuvorkommend. Er trat konziliant auf – aber irgendwie ein bisschen zu konziliant. Um wirklich authentisch zu sein, bot er irgendwie von allem ein bisschen zu viel. Und weil er so perfekt wahrgenommen werden wollte, kam Peter zu dem Schluss, einem undurchsichtigen Geschäftemacher gegenübergesessen zu haben, hinter dessen gestylter Fassade es einiges zu verbergen galt. Seine Beschreibung Grebers jedenfalls war das genaue Gegenteil von dem, was dessen Frau über ihren Mann aussagte. Voller hatte ihm, mit welcher Absicht auch immer, einen Wolf als Schaf verkaufen wollen.
Diesem Mann wird er sicher noch einmal einen Besuch abstatten müssen.