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2.3 Wahrnehmung unserer Innenwelt

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Das gewöhnliche Denken und das wache Beobachten geschieht auf unterschiedlichen Ebenen – Gerald Hüther spricht von der Stufenleiter der Wahrnehmung. Besonders deutlich wird dies in der Meditation. Unter Meditation ist hier eine Aktivität gemeint, die zum einen zum Erlebnis der Stille führt und zum anderen den wachen Beobachter schult. Mithin handelt es sich weder um einen Dämmerzustand noch um einen gezielt herbeigeführten Traum- oder Gefühlszustand.

Der wache Beobachter wird gestärkt, indem man sich einen Fokus gibt, an den man seine Aufmerksamkeit hängt. Dies kann der Atem sein, das Zählen des Atems oder ein umfassendes, hellwaches Körperbewusstsein. Auch das offene Hineinhorchen in die Stille ist möglich. So fordert der Zenmeister und Benediktinerpater Willigis Jäger dazu auf, die Stille hinter der Stille wahrzunehmen, um zu erfahren, dass die Stille mehr ist als nur die Abwesenheit von Lärm – sie besitzt eine gewisse Qualität.8 Die Stille bekommt also in der Meditation eine Tiefe. Eine ungeheure Lebendigkeit wird spürbar, die sich als die Quelle allen Lebens erweist. Willigis Jäger nennt sie „hintergründige Wirklichkeit“.

Die Begegnung mit dieser Stille ist nur die eine Seite der Meditation. Die andere ist ein Entwicklungsprozess, der durch sie angestoßen wird. Dieser erfordert Übung, denn er ist wie jeder Lernprozess verbunden mit einem Anpassungsprozess im Gehirn und kann nach Gerald Hüther als der allmähliche Aufstieg auf der Stufenleiter der Wahrnehmung angesehen werden. Diese Seite der Meditation bringt nicht nur angenehme Erfahrungen mit sich, denn es können uns Denk- und Gefühlsmuster bewusst werden, die uns unangenehm berühren und die wir oft nur ungern als Teil von uns akzeptieren. Außerdem wird uns auf diesem Wege bewusst, wie viele Gedanken uns ständig durch den Kopf gehen und wie weit entfernt von einer inneren Stille wir oftmals leben.

Wenn wir anfangen, unsere Gedanken wahrzunehmen, bemerken wir auch, dass das wache Bewusstsein, das den Strom der Gedanken bewusst anschaut, eher mit der tiefen Stille im Hintergrund verbunden ist als mit der Ebene, auf der der Gedankenstrom fließt. Ist der Beobachter – die Achtsamkeit in uns – hellwach, so wird unsere Gedanken- und Gefühlswelt beleuchtet. Statt von ihr hin- und hergerissen zu sein, können wir sie von einer höheren Warte aus betrachten. Dies gelingt allerdings nur, wenn wir einfach auf das innere Geschehen schauen, ohne es zu bewerten, und dabei wie ein Fels in der Brandung sind. Dadurch können wir eine tiefe Stille in uns zumindest erahnen. Dies lässt den brausenden Strom der Gedanken und Gefühle abebben.

Beim Meditieren lässt sich auch am besten erfahren, wie Gedanken und Gefühle – in unserem meist vorherrschenden Bewusstseinszustand weitgehend unbemerkt – eine Art Eigenleben in uns führen. Sie scheinen größtenteils unbewusst fast ohne Unterbrechung zu fließen. Dies scheint ein Widerspruch zu sein, denn zum Denken gehört Bewusstsein. Doch folgende Erfahrungen hält die Meditation für jeden, der es probieren möchte, bereit:

Nachdem wir uns eine Weile bemüht haben, unsere Aufmerksamkeit durch einen Fokus wach zu halten, geschieht irgendwann etwas, das dem Einschlafen vergleichbar ist. Der wache Zustand geht allmählich verloren, unbemerkt setzt der Strom der zerstreut dahinfließenden Gedanken ein. Plötzlich werden wir gewahr, dass wir in träumende Gedanken geraten sind, schrecken auf, wie nach einem kurzen Einnicken, und wenden uns wieder unserem Fokus zu. Der Unterschied zwischen der hellwachen Aufmerksamkeit und dem alltäglichen, träumenden Vor-sich-hin-Denken kann dabei eindrucksvoll erlebt werden.

Nehmen wir das Zählen des Atems als Fokus, so lautet die „Spielregel“, dass wir das Ausatmen zählen und nach zehn Atemzügen wieder bei eins anfangen. Wenn wir während des Zählens allerdings abschweifende Gedanken bemerken, gehen wir direkt auf eins zurück und beginnen erneut von vorn. Üben wir einige Zeit in dieser Weise, so bemerken wir während des Zählens vielleicht, dass wir uns bereits seit einer Weile wieder in Gedanken verstrickt haben. Denn oft registrieren wir erst mit einer gewissen Verzögerung, dass wir in den Gedankenstrom zurückgefallen sind.

Unser gewöhnliches Denken scheint also, wenn auch nicht völlig ohne Bewusstsein, so doch selten in einem hellwachen Bewusstseinszustand zu geschehen. Vielmehr scheint es sich in einem halb bewussten Dämmerzustand abzuspielen, aus dem gelegentlich markante und emotional geladene „wichtige“ Gedanken hervorleuchten. Diese bestimmen dann unser Handeln. Dasselbe gilt für Gefühle, welche meist an Gedanken gekoppelt sind. Daher sind wir viel häufiger die „Opfer“ unserer Gedanken als deren Lenker.

Bringen wir mehr Licht ins Dunkel unserer Gedankenwelt, so können wir unsere Muster erkennen und leichter in Kontakt mit der inneren Stille kommen. Daraus entstehen Gedanken und Gefühle einer neuen Qualität. Sie besitzen mehr Frische und Tiefe und drehen sich nicht halb bewusst und der Gewohnheit folgend wie ein Karussell immer nur im Kreise. Ein Mensch, der in dieser Weise seine eigene Tiefe erfährt, hat den Zugang zu wahrer Kreativität und einer natürlichen Urlebendigkeit gefunden.

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