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Ausblick 2 Bewusstsein – Achtsamkeit

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Das Erwachen aus einem halb bewussten Alltagsbewusstsein zu einem umfassenderen Bewusstsein geschieht normalerweise nur für kurze Zeitspannen. Es ließen sich wahrscheinlich Stufen des Bewusstseins angeben, die von der zaghaften Freude an den leuchtenden Farben einer Blume oder dem Erkennen unerwünschter Gefühle in uns – wie Neid, Stolz oder Ärger – zu einem allumfassenden Wahrnehmen reichten, einem Gefühl der Verbundenheit und Einheit. Doch betrachten wir in diesem Ausblick lieber einige der unterschiedlichen Bereiche, in denen sich ein solches bewusstes Sein zeigen kann.

Es handelt sich dabei um einen Entwicklungsprozess, dessen Verlauf von kleinen Sprüngen gekennzeichnet ist. Wir fallen dabei in einen Zustand größerer Wachheit und gleiten nach einer gewissen Zeit wieder zurück. Je öfter wir dies erleben, umso leichter geschieht es, umso vertrauter wird uns dieser wache Zustand. Im Laufe eines solchen Prozesses treten dann häufiger Zustände immer umfassenderer Wachheit auf. Nur in Ausnahmefällen, meist verbunden mit großem Leiden, geschieht ein gewaltiger Sprung in einen anderen Zustand, der einem dauerhaften Erwachen gleicht. Offensichtlich hat Eckhart Tolle so etwas erlebt.1

In uns zeigt sich ein wachsendes Bewusstsein als die Fähigkeit, Gedanken und Gefühle wahrzunehmen. Zunächst mag es nur ein gelegentliches Erkennen vertrauter Muster sein, mit denen wir normalerweise so sehr identifiziert sind, dass wir sie nicht bemerken. Je deutlicher wir solche Muster wahrnehmen, desto eher können wir uns von ihnen lösen. Indem wir erkennen, dass wir einen Gedanken haben oder ein Gefühl in uns auftaucht, sind wir das Feld des Bewusstseins, in dem sich ein Geschehen abspielt. Es ist, als hätten wir die zweidimensionale Welt des Agierens und Reagierens verlassen und könnten als dreidimensionale Wesen diesem Geschehen in uns folgen.

Die Methode des Voice Dialogue2 arbeitet beispielsweise mit der Entwicklung eines solchen „dreidimensionalen Beobachters“. Er wird dort „Aware Ego“ genannt, ist jedoch keine Teilpersönlichkeit, sondern einfach ein Prozess der Achtsamkeit und des Gewahrseins. Je mehr sich dieser Beobachter in uns entwickelt, desto leichter können sich unsere Verhaltensweisen ändern. Bereits sein erstes Auftreten kann unsere Reaktion ändern, denn die Situation ist dann eine andere: Wir haben für einen Moment eine neue Dimension hinzugewonnen. Wichtig ist, dieses auftauchende Bewusstsein nicht durch Bewertung zu belasten und sich zum Beispiel über unerwünschte Gefühle zu ärgern. Wir werden später erkennen, wie sehr uns solche Bewertungen einschränken.

Als durchgehend angenehm können wir das wachsende Bewusstsein im Kontakt mit der Natur erleben. Sei es die tiefe Harmonie, die sich in der Natur zeigt, besonders wenn sie nicht vom Menschen „bearbeitet“ worden ist, sei es das Fehlen eines unruhigen menschlichen Verstandes in Steinen, Pflanzen und Tieren: Auf eine geheimnisvolle Weise wirkt die Natur „heilsam ansteckend“ auf uns. Was sich dabei überträgt, ist wohl die Stille, das Einfach-nur-da-Sein, das die Natur auszeichnet. So wie wir an einem unruhigen Arbeitsplatz oder in einem betriebsamen Einkaufszentrum leicht ein ausgeglichenes Dasein verlieren und Teil der uns umgebenden Unruhe werden, geschieht etwas mit uns, wenn wir eine Weile in der Natur sind. Wir werden zum Teil der gedankenfreien Ruhe und Harmonie um uns herum.

Natürlich kann es uns geschehen, dass wir voll von Gedanken in die Natur gehen und eine halbe Stunde später der Zustand innerer Unruhe noch immer andauert. Dann sind wir im halb bewussten Vor-uns-hin-Denken fast wie Schlafwandler unterwegs gewesen, ohne unsere Umgebung wahrzunehmen. Ist uns jedoch ein wacher Geisteszustand vertraut, wird es uns selbst bei einem sehr unruhigen Verstand leichter möglich, zu einer offenen Wahrnehmung der Umgebung zu gelangen. Dann vor allem entfaltet die Natur ihre Wirkung auf uns.

Je mehr uns das Wahrgenommene zum Staunen bringt, desto kräftiger wirkt es auf uns. Das kann eine weite Aussicht von einem Berg, ein einsames Tal mit rauschendem Fluss oder auch nur eine einzelne Blüte oder ein uralter Baum sein. Je häufiger wir dies erleben, desto leichter wird selbst ein einzelner Grashalm uns in einen Zustand staunender Präsenz versetzen. Denn in diesem Zustand werden selbst die alltäglichsten Dinge zu lebendigen Wundern. So erfährt ein wachsendes Bewusstsein immer mehr Freude im Betrachten seiner Umgebung.

Wenn wir noch etwas tiefer schauen, so stellen wir fest, dass sich das wachsende Bewusstsein sogar an der Stille, am Nichts erfreuen kann. Vielleicht ist es diese Essenz aller Dinge, die uns auch in der Natur anspricht. In der Meditation, in der uns nur das reine Dasein bleibt, ist es vor allem diese Qualität, die uns Freude und ein tiefes Erleben schenkt. Wenn die Formen der Welt, seien es Dinge oder Gedanken, zurücktreten, bleiben die Stille und ein waches Bewusstsein, das erkennt, dass es Teil dieser Stille ist.

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