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Unterricht

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Lisa ist noch ganz mit den Erinnerungen an dieses kuriose Frühstück behaftet, als sie im Lehrerzimmer Kurt sieht. Sofort wird sie rot. Natürlich hat er keine Ahnung und weiß nichts von ihren Phantasien. Dennoch schämt sie sich. Sie will sich nichts anmerken lassen und wendet sich ab.

„Fräulein Hollstein“, spricht er sie an. „ich hatte Sie schon gefragt. Nächste Woche ist in der Akademie die Veranstaltung zum Thema Klassische Moderne. Das könnte Sie doch interessieren.“

„Klassische Moderne? Ich dachte, es geht um Neue Kunst.“

„Eher geht es um beides.“ Kurt lächelt sehr kryptisch.

„Also einen Vergleich?“

„Könnte man so sagen.“

Lisa wundert sich über die wenig konkrete Formulierung, will aber nicht weiter nachhaken. „ Ja natürlich. Nächste Woche? Das hängt natürlich davon ab, ich meine…“ Lisa gibt sich einen Ruck. Es wäre doch dämlich, wenn er ihre Verlegenheit bemerken würde. „Wann ist es denn genau?“ Eigentlich ist ihr der genaue Termin egal, sie möchte ihn auf jeden Fall wahrnehmen. Denn sie ist zu neugierig, warum sich der Kerl in ihre Phantasien einschleicht.

Noch ganz in Gedanken betritt sie das Klassenzimmer. Die Schülerinnen erheben sich und es ist mucksmäuschenstill. Das hat Lisa schon anders erlebt. Etwas liegt in der Luft. Nach der Begrüßung holt Lisa die Hefte mit den Schülerarbeiten hervor. Sie merkt, dass besonders Birgit und Eva sie erwartungsvoll beobachten, kann sich aber keinen Reim darauf machen und beginnt den Unterricht.

„Meine Damen, ich habe ihre Ausführungen zur Rolle der Frau in der Gesellschaft mit Interesse studiert …“

Eva und Birgit stecken die Köpfe zusammen, tuscheln und Eva macht daraufhin eine beschwichtigende Handbewegung. Einige Schülerinnen kichern.

Lisa ist nicht amüsiert: „Vielleicht habe ich da etwas nicht mitbekommen, aber ich bitte um Ruhe!“

„Ruhe hat Frau Hollstein gesagt!“, unterstützt sie Eva und die Klasse wird sofort still. Lisa ahnt, dass Eva die dominierende Schülerin in der Klasse ist und sie ihr wahrscheinlich auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist.

„Nun“, fährt Lisa fort. „Wir müssen uns, um das Thema Gleichberechtigung zu vertiefen, in der Historie noch einmal zurückbewegen. Birgit, würden Sie bitte diesen Text aus dem preußischen Vereinsgesetz von 1851 an die Tafel schreiben.“

„Ich?“

„Haben wir noch eine Birgit?“

„Das kann die Iris machen. Nein, die Marion, die ist neu.“

Lisa klappt das Klassenbuch auf. „Soll ich Sie eintragen?“

„Na gut, ich mach es. Warum …?“

„Warum was?“

„Schon gut!“ Birgit steht in der Tat auf und bewegt sich schleppend zur Tafel. „Normalerweise …“, setzt sie an.

„Normalerweise haben Sie Ihre Lakaien dafür, wollten Sie sagen?“

„Was habe ich? Lakaien? Das ist eine Beleidigung!“

Die Klasse lacht und Birgit schmeißt die Kreide, die sie gerade in die Hand genommen hatte, auf das Pult. „Ich lass mich doch nicht beleidigen.“

Auch Lisa lacht. „Das müssen Sie auch nicht. Wer kann denn erklären, was ein Lakai ist?“

Natürlich können das einige Schülerinnen und Lisa ahnt, dass sie sich Birgit zum Feind gemacht hat. Sie nimmt sich vor, es wieder gut zu machen.

Für Deutsch sollten die Schülerinnen ihr Wissen über die ‚Deutsche Klassik’ niederschreiben.

„Kommen wir zu Ihren Ansichten – nur so kann man es nennen über die ‚Deutsche Klassik‘“, beginnt Lisa. „Die entbehren jeder Grundlage. Was haben Sie eigentlich im Unterricht gemacht? Hier z.B.: (schlägt ein Heft auf) Ich zitiere: ‚Und dann haben Goethe und andere entdeckt, dass die Kunst der alten Römer und Griechen mit deutschen Idealen zu vereinbaren ist und haben die Klassik zu ihrem Leitbild erhoben‘. Oder ein anderes Zitat: ‚Im Bemühen um Veredelung des deutschen Kulturgutes, stieß Goethe auf die Klassik, in der sich wie in keiner anderen Stilrichtung, die deutschen Ideale wieder fanden.‘ “

Lisa schlägt das Heft zu und blickt in die Runde. „Meine Damen, diese Ansichten können Sie bei Goethe nicht finden, vielmehr in der Ideologie des Nationalsozialismus, den Goethe – Gott sei Dank – nicht kennen lernen musste. Er würde sich im Grabe rumdrehen. Ich dachte, dieses Gedankengut sei längst überwunden.“

Ulla zeigt auf.

„Ja, Ulla!“

„Aber Herr Dr. Kronen hat uns immer wieder eingetrichtert, dass Goethe ein großer Deutscher war und erkannt hat, wie sehr die Römer und Griechen Vorbilder für die Deutschen waren.“

„Langsam! Goethe hat die Klassik mitentscheidend wiederbelebt, aber er hat sie nicht in Verbindung mit so genannten deutschen Idealen, sondern als allgemeinen Wert gesehen. Es ging ihm in erster Linie um Wahrheit und Schönheit, nicht um Deutschtümelei. Uns bleibt nichts übrig, als noch einmal von vorne zu beginnen. Das tun wir, indem wir Goethes ...“

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