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Kapitel 8
ОглавлениеLene und Thomas hatten nach einem ausgedehnten Frühstück den Bus nach Bridgetown genommen. In der Nähe des Hafens waren sie ausgestiegen und die letzten Meter zu Fuß gegangen, bevor sie das kleine Hafenbecken erreichten. Es war ein weiterer Schönwettertag, der ihren Flitterwochen würdig war.
»Sieh doch mal! Hier kann man eine Fahrt mit einem Tauchboot machen«, wies Thomas Lene auf die entsprechenden Schiffe an einer Mole hin. »Würde dich das interessieren?«
»Und dich? Spannend ist das bestimmt, falls genügend zu sehen sein sollte. Die Zeiten dafür können ja nicht immer gleich gut sein«, stellte Lene etwas zweifelnd fest.
»Da hast du wohl recht«, stimmte er zu. »Wir könnten uns mal erkundigen. Aber nur wenn du auch Lust hättest.«
»Mach das, Liebling. Aber jetzt schauen wir doch erst einmal, wo das havarierte Boot liegt. Sind wir überhaupt sicher, dass wir an diesem Kai richtig sind?«, wollte Lene sich vor dem Suchen versichern.
Thomas zuckte mit den Schultern und blickte etwas unschlüssig. »Der nette Mitarbeiter an der Rezeption hat extra telefoniert und mir anschließend erklärt, dass es nicht im Fischereihafen läge und demnach hier irgendwo auf dem Trockenen zu finden sein sollte. Lass uns einfach mal um das Becken herumgehen. Da hinten stehen ganz viele Boote, auch abgetakelte. Vielleicht ist es dort dabei.«
Gemütlich schlenderten die beiden an der Mole entlang. Lene hatte ihre dichten Haare mit einem dunkelgrünen Tuch aus dem Nacken gebunden, damit es ihr nicht zu warm wurde. Dazu trug sie eine ebenfalls dunkelgrüne Leinenhose sowie ein gelbes Leinenhemd, so dass es ihr selbst in der Sonne aufgrund der leichten Brise angenehm luftig war.
»Was schaust du so?«, erkundigte sich Thomas, als er bemerkte, wie Lene ihn musterte.
»In der Hose siehst du ganz hervorragend aus«, lächelte sie ihn verliebt an, wobei sie wie zur Bestätigung ihrer Worte die knackige Rückseite kurz testete.
Seine steinfarbene Stoffhose saß zugegebenermaßen wie maßgeschneidert. Er schaute sie trotz des Kompliments allerdings eher misstrauisch an. Nur falls er Glück hatte, kam jetzt nichts weiter.
»Was guckst du denn so skeptisch?«, wollte sie ganz harmlos wissen.
»Ich kenne dich doch«, grummelte Thomas bereits prophylaktisch.
An ihren Lippen konnte er sehen, wie sie sich ein freches Grinsen verkniff. Er wusste genau, was sie in diesem Moment dachte: ... und dein etwas weiteres Polo-Shirt verdeckt ganz prima das Resultat deiner Schwelgerei beim Frühstück.
Es gab noch einen Klaps auf den Hintern. »Wir suchen eine kaputte Yacht. Lass uns mal zu dem Häuschen gehen. Wir fragen dort.« Rasch war sie mehrere Schritte vor ihm. Er liebte diesen leichten Hüftschwung, den er selbst in ihrer legeren Leinenhose noch bewundern konnte.
Als Thomas sie wieder eingeholt hatte, befand sich Lene bereits in einem Gespräch mit einem Einheimischen, der seinem T-Shirt zufolge Angestellter der »Silvermoon Catamaran Cruises« war. Der führte die beiden schließlich an einer ganzen Reihe von aufgebockten Booten vorbei, bis sie im Schatten einer Halle zu der verunglückten Yacht gelangten. Zuerst einmal machten sie nur große Augen und betrachteten ungläubig das Heck.
»Das mit dem Segeln sollten wir uns vielleicht noch einmal genauer überlegen«, merkte Lene der Höflichkeit halber auf Englisch an.
Thomas schnaufte zuerst nur geistesabwesend, weil er sich wieder daran erinnerte, wie er die junge Frau aus den Flammen gezogen hatte. »Kommt so etwas häufiger vor?«, wandte er sich an den Angestellten, der beim Anblick der Schäden bisher nur ununterbrochen mit dem Kopf genickt hatte, während er die Lippen aufeinandergepresst hielt.
Von Thomas angesprochen schüttelte er energisch den Kopf. »So etwas habe ich noch nie gesehen. Eigentlich kann das gar nicht sein«, wirkte der Mann ein wenig schockiert.
»Wieso nicht?«, verlangte Thomas eine ausführlichere Erklärung.
»Was soll da explodieren?«, war ihr Gesprächspartner ratlos. »Die Gasflasche ist auf der anderen Seite – unversehrt. Die Maschine war nicht in Betrieb, soweit mir erzählt wurde. Also was? Ich weiß es nicht. Vielleicht ist unter Deck etwas Gas ausgetreten, aber in dem Fall wäre die Explosion nicht nur so weit hinten gewesen. Ich bin gespannt, was bei der Untersuchung herauskommt.«
Lene wollte sich überhaupt nicht vorstellen, was alles hätte passieren können, falls die Gasflasche explodiert wäre, als Thomas noch an Bord gewesen war ...
Sie gingen mit dem freundlichen Angestellten wieder zum Häuschen am Eingang des Geländes zurück.
»Wie lange wird das dauern? ... Mit der Untersuchung meine ich«, wollte Thomas noch wissen, bevor sie sich verabschiedeten.
»Keine Ahnung, eine, vielleicht zwei Wochen?«, spekulierte sein Gegenüber.
Nachdem sie sich von dem Schreckensbild der zerstörten Yacht erholt hatten, schlenderten Thomas und Lene gemächlich am »Kensington Oval« und später an den »Parliament Houses« vorbei, bevor sie sich zum »Queen Elizabeth Hospital« aufmachten. An der Rezeption hatten sie sich nach der Zimmernummer der jungen Frau erkundigt und standen wenig später vor dem Zimmer von Magdalena Himmelreich. Sie schauten sich noch einmal an, atmeten beide durch, dann klopfte Thomas nicht zu laut, aber bestimmt.
»Ja, bitte?«, schallte es durch die Tür. Lene runzelte etwas die Stirn, weil sie diese reife und volle Stimme nicht von der jungen, zart wirkenden Verletzten erwartet hätte. Ihre Verwunderung ließ sofort wieder nach, als sie das Zimmer betraten. Neben dem Bett stand eine Frau, die etwas älter sein durfte als sie selbst, vielleicht Ende vierzig. Die Ähnlichkeit zu der jungen Frau Himmelreich war unverkennbar. Sowohl die Haarfarbe als auch die Augen- und Mundpartie glichen sich. Nur war die Ältere nicht mehr ganz so schmal im Gesicht und trug eine Kurzhaarfrisur. Fragend schaute sie die beiden Hereinkommenden an.
»Guten Tag, ich bin Thomas Sprengel, dies ist meine Frau Lene Huscher. Wir waren an der Rettung Ihrer, ich nehme einmal an, Tochter beteiligt und wollten uns nach ihr erkundigen. Falls wir stören, gehen wir aber auch gleich wieder«, war er sehr zurückhaltend, weil er nicht einschätzen konnte, wie es den Frauen ging, die den Tod von Ehemann respektive Vater verarbeiten mussten. Er konnte auf dem Gesicht von Frau Himmelreich keinerlei emotionale Anzeichen erkennen. Die Tochter hingegen hatte vor nicht allzu langer Zeit noch geweint, wie an den geschwollenen Augenlidern ablesbar war.
»Wie kommen Sie darauf, Sie könnten stören. Ich hätte Sie noch ausfindig gemacht. Ich bin Ihnen zutiefst dankbar, dass Sie meiner Tochter das Leben gerettet haben«, antwortete die gefasste Mutter, während sie den beiden die Hand reichte. »Es ist alles schon schlimm genug, aber ich mag mir gar nicht vorstellen, was wäre, wenn ich gleichzeitig auch noch meine Lena verloren hätte.« Für einen Augenblick konnte Lene das Leiden in den Augen der Frau ausmachen, bevor diese sich wieder auf einen Stuhl auf der anderen Seite des Bettes setzte. »Nehmen Sie doch bitte einen Augenblick Platz.«
Thomas und Lene gaben der im Bett Liegenden die Hand und zogen sich zwei weitere Stühle heran.
»Ich möchte Ihnen natürlich ebenfalls ganz herzlich danken. Auch wenn Sie mein Lieblingsshirt zerrissen haben«, versuchte sich Lena Himmelreich in einem Scherz, brach aber sofort in Tränen aus, die ihre Gefühlslage wohl treffender widerspiegelten.
Ihre Mutter ergriff ihre Hand und streichelte sie zärtlich. Thomas lief knallrot an. Lene konnte in diesem Moment beobachten, wie die Trauer der Tochter die Fassade bei Frau Himmelreich ins Wanken zu bringen drohte. Sie musste eine sehr beherrschte Person sein. Lene empfand großen Respekt, war sich aber nicht sicher, ob ein derartiges Verhalten wirklich gesund war. Sicherlich wollte sie ihre verletzte Tochter nicht zusätzlich belasten.
Wortlos hatten sie gewartet, bis Lena wieder ruhiger wurde. Thomas Sprengel nahm den Ball auf: »Mir war keine Wahl geblieben. Das tut mir leid. Das alles tut mir sehr leid für Sie. Ich hätte Sie lieber unter anderen Umständen kennengelernt.«
Himmelreichs Tochter nickte leicht. »Sie können gerne ›du‹ zu mir sagen. Ich heiße Magdalena, für gute Freunde Lena.« Ihr Blick schweifte ins Leere. »Ich könnte versucht sein, Sie als meine zweiten Eltern zu betrachten.«
»Wenn das so ist«, war die Kommissarin gerührt, »dann gilt das auch für dich. Helene, aber bitte immer nur Lene.« Sie deutete auf ihren Mann. »Das ist ab sofort Thomas.«
Der setzte umgehend zur Bekräftigung sein Sonntagslächeln auf.
Magdalenas Kopf wandte sich den beiden zu. Es dauerte eine Weile bis sich ihr Blick wieder fokussierte. Lena hatte große, braune Augen, denen Lene trotz des Schleiers, der über ihnen lag, ansehen konnte, eine normalerweise offene und warmherzige Person vor sich zu haben. »Das ist lieb«, gelang der Bekümmerten nur ein schwaches Lächeln.
»Was machen denn deine Beine«, versuchte Lene, sie von ihrem psychischen Schmerz abzulenken.
Die junge Frau seufzte. »Alles nicht so schlimm. ... Thomas hat mich offensichtlich sehr schnell aus den Flammen gezogen. Man wird sehen, was zurückbleiben wird.« Erneut liefen ihr Tränen über die Wangen, still aber stetig.
Lene stand auf und streichelte ihr sanft über die Wange. »Es gibt nichts, was ich dir in diesem Moment sagen könnte, um deinen Schmerz zu erleichtern. Aber ich sehe, wie sehr dich deine Mutter liebt. Das ist ein Geschenk, das dir helfen wird.«
»Ich weiß«, erwiderte Magdalena. Aber ihr Blick, der nur unendlich große Trauer ausdrückte, zerriss Lene fast das Herz.
»Lena, Frau Himmelreich, wir lassen Sie dann besser wieder alleine. Wenn du möchtest, kommen wir dich noch einmal besuchen, bevor wir abreisen müssen«, bot sie Lena zum Abschied an.
»Ihr seid jederzeit willkommen. Ich habe das vorhin durchaus ernst gemeint«, antwortete sie aufrichtig, bevor sie wieder in den Tiefen ihres Inneren verschwand.
Auch Thomas drückte ihr leicht die Hand, nachdem er die Stühle wieder zurückgestellt hatte. »Ich bin froh, dass ich dir helfen konnte. Bis bald.«
Frau Himmelreich war ebenfalls aufgestanden. »Ich komme noch kurz mit auf den Gang.«
Sie schloss die Tür behutsam hinter sich und begleitete Thomas Sprengel und Lene Huscher bis zum Fahrstuhl. »Es ist schwer für das Mädchen. Sie hatten ein sehr inniges Verhältnis. Er war aber auch ein wunderbarer Vater ... und Ehemann ...« Frau Himmelreich stockte bei dieser Bemerkung und hatte sichtlich Mühe, ihre eigenen Tränen zurückzuhalten. »Sie macht sich zu allem Überfluss auch noch Vorwürfe, weil die Explosion genau in dem Moment stattfand, als sie die Backskiste hatte zufallen lassen. Aber davon fliegt nichts in die Luft«, begann Frau Himmelreich mit ihrem Schicksal zu hadern.
»Da haben Sie recht«, stimmte ihr Thomas Sprengel zu, der sich noch erinnerte, wie jemand an Bord einen Ballon aus einer Kiste geholt hatte. »Sie wird das noch begreifen. Vielleicht kann die Untersuchung des Vorgangs dazu beitragen, ihr diese Selbstvorwürfe zu nehmen.«
Frau Himmelreich nickte nachdenklich.
»Ich bin überzeugt, dass Ihre Tochter das schaffen wird«, wollte Lene Huscher sie ein wenig trösten.
Magdalenas Mutter schnaufte schwer. »Danke für Ihre Anteilnahme und für alles, was Sie auf sich genommen haben.«
»Keine Ursache. Wir sind froh, dass wir wenigstens etwas tun konnten«, wehrte Thomas ab.
»Ich würde Sie gerne zur Beerdigung meines Mannes einladen«, hatte sich Frau Himmelreich von einer Sekunde auf die andere wieder völlig im Griff. »Es würde mich sehr freuen, wenn Sie das einrichten könnten. Ich erstatte Ihnen selbstverständlich auch die Reisekosten.«
Lene und Thomas schauten sich etwas unsicher an. »Das ist sehr freundlich von Ihnen. Wo wird denn die Beisetzung stattfinden?«, erkundigte sich Lene mit einem Gefühl, als laufe sie auf rohen Eiern.
»Wir leben in Heidelberg«, ergänzte Thomas.
Ungläubig schaute Frau Himmelreich die beiden an. »Die Welt ist doch manchmal klein«, murmelte sie mehr zu sich selbst, gab sich dann aber schnell erneut einen Ruck. »Da kommen wir auch her. Hätten Sie vielleicht eine Adresse für mich, falls wir uns doch nicht mehr sehen sollten?«, bat sie geradeheraus.
Ohne in diesem Moment weiter auf diesen Zufall einzugehen, gab Lene Huscher ihr eine Karte, auf deren Rückseite sie ihre gemeinsame private Adresse wie Telefonnummer notiert hatte. Das »Pling« des Aufzugs war zu hören und dessen Tür schob sich langsam auf.
»Vielen Dank, Frau Huscher. Ihnen auch nochmals in ganz besonderer Weise, Herr Sprengel. Es war sehr nett, dass Sie bei Lena vorbeigeschaut haben.«
»Wir werden uns bestimmt von Lena und Ihnen verabschieden, bevor wir abreisen«, entgegnete Lene Huscher, während sie mit Thomas in den Aufzug stieg. Kurz bevor sich die Türen schlossen, konnte sie gerade noch sehen, wie sich die Miene von Frau Himmelreich veränderte und die Witwe sich, wie mit einer schweren Last beladen, umwandte.
Schweigend, wohl auch ein wenig bedrückt, gingen Thomas und Lene zum »Brownes Beach«, wo sie sich ein kleines Restaurant suchten, in dem sie zu Abend aßen. Von dort machten sie noch einen Spaziergang zum nahe gelegenen »Needhams Point«. Direkt hinter den alten Kanonen hatten sie ein Bänkchen gefunden, von dem aus sie die Sonne beobachteten, die langsam im Meer versank. Lene schmiegte sich an Thomas, der sie zärtlich in den Arm nahm.
»Du musst mir versprechen, immer auf dich aufzupassen«, flüsterte Lene mehr, kaum lauter als das Rauschen der Wellen, die leicht an das Ufer brandeten.
Thomas schaute sie an: »Du aber auch. Ich möchte keineswegs in eine Situation wie die der Himmelreichs geraten.«
Sie gaben sich einen Kuss, der mehr ausdrückte als jedes Versprechen. Danach sahen sie glücklich und doch ein wenig melancholisch der Sonne zu, wie diese endgültig verschwand und den Tag beendete.