Читать книгу Mitgefühl kann tödlich sein - Henning Marx - Страница 17

Kapitel 13

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Er stand hinter seinem Schreibtisch, dessen Glasplatte Dimensionen erreichte, die der Größe mancher Angestelltenbüros nahekam. In Händen hielt er ein Dokument, das ihm sein rundlicher Besucher mitgebracht hatte, der sichtlich unwohl in einem schicken Ledersessel eines Lounge-Ensembles mit Blick auf die Frankfurter Skyline saß.

Zunächst zeigte der gut aussehende Büroinhaber keine Reaktion, als er die wenigen Blätter kurz überflog. Anschließend wedelte er damit in der Luft herum und kam rasch auf seinen Besucher zu. »Was soll das hier sein?«, fragte er mit unterdrücktem Ärger in der Stimme.

Der Angesprochene schluckte. »Das ist die Zusammenfassung des Quartalsberichts, wie abgemacht.«

»Das sehe ich selbst«, kommentierte sein Freund das Offensichtliche, »aber wo sind die anderen?«

»Gibt es nicht.« Am liebsten wäre er in seinem Sessel versunken oder einfach abgehauen. Er spürte, wie sein Gegenüber ihn musterte und zu verstehen versuchte, welche Rolle er in diesem Moment spielte.

»Wieso nicht?«, kam es nach einer Weile knapp. »Ich habe geliefert.«

»Die sagen, dass sie nie mit einer solchen Maßnahme gerechnet hätten. Daher bestünde keine Vereinbarung«, quetschte er mühsam heraus.

»Habt ihr sie nicht mehr alle?«, wurde er aus nächster Nähe angeblafft. »Ich habe mich da reingehängt, hatte Ausgaben ... Letztlich habe ich euch einen riesigen Gefallen getan.« Der maßlos erzürnte Büroinhaber wandte sich von seinem Besucher ab und starrte aus dem Fenster.

Der Andere begann in seinem Ledersessel spürbar zu schwitzen und registrierte aus den Augenwinkeln, wie die Sekretärin unauffällig die gepolsterte Tür zu ihrem Vorzimmer schloss. Irgendwie fühlte er sich endgültig so, als wäre er mit einer Raubkatze in einem Käfig eingesperrt. Hilflos versuchte er den Verärgerten zu besänftigen. »Deshalb habe ich dir ja auch meine Unterlagen mitgebracht.«

»Was soll ich auf Dauer damit!«, wurde die Skyline aufgeklärt, »du weißt genau, dass ich mehrere brauche, wenn es sich lohnen soll, und damit das im Laufe der Zeit nicht auffällt.« Nur Augenblicke später drehte sich der gereizte Anleger um und ließ sich ebenfalls in einen seiner exklusiven Sessel fallen. Irgendwie erschöpft rieb er sich das Gesicht, um besser nachdenken zu können.

»I need a hero. I´m holding out for a hero ´til the end of the ...«, wurde er von seinem Telefon unterbrochen. Blitzschnell war er aufgesprungen, hatte das Smartphone von seinem Schreibtisch genommen, die Nummer gesehen und ohne Zögern den Anrufer angebrüllt: »Habe ich nicht ausdrücklich gesagt, ich möchte in der nächsten Stunde auf keinen Fall gestört werden! Bin ich heute nur von Deppen umgeben!« Er unterbrach die Verbindung, ließ sich wieder in den Sessel fallen und warf das Telefon verärgert auf die neben ihm befindliche Couch.

»Was ist denn mit dir los?«, wunderte sich sein Besucher, der inzwischen begriffen hatte, an diesem Tag nicht der einzige Überbringer schlechter Nachrichten gewesen zu sein, und der hoffte, mit dem Themenwechsel den Zorn seines Freundes in andere Bahnen kanalisieren zu können.

Der sah ihn innerlich schäumend an. »Venezuela ist pleite«, antwortete er ohne weitere Erklärung mit nachdenklicher Miene.

»Und weiter?«

»Und weiter? Willst du mich auf den Arm nehmen?«, lachte der Gequälte sarkastisch. »Mein Hedgefonds ist dort sehr stark investiert. Das werden meine Anleger wahnsinnig zu schätzen wissen.«

»Wo wird der Schnitt liegen?«

»So wie die informelle Nachrichtenlage aussieht, reden wir von einer Größenordnung zwischen siebzig und neunzig Prozent.«

»Das ist viel«, pflichtete ihm der Rundliche bei. »Warum dermaßen hoch?«

Sein angeschlagener Freund schnaufte verächtlich. »Die meisten Gläubiger sind der Ansicht, das Land könne nur wenig dafür. Absoluter Quatsch. Demnächst werden das dann alle für sich reklamieren, die sich übernommen haben: Oh, ich konnte ja nichts dafür, dass ich meinen Job verloren habe. Obwohl der seinen Kredit für das neue, zu große Auto erst aufgenommen hat, als bereits der Insolvenzverwalter bei seinem Arbeitgeber vor der Tür stand«, wurde er zynisch.

»Warum hast du das Geld nicht vorher abgezogen?«

»Weil ich nicht damit gerechnet habe, dass China so schnell so viel weniger Öl braucht, die Saudis weiterhin den Markt fluten, um das Fracking in den USA unrentabel zu machen, die aber von einem überraschenden Technologiesprung profitieren und ... Erspar mir das Weitere. Der Ölpreis ist dermaßen schnell unter zwanzig Dollar gerauscht, da wäre nichts mehr zu verkaufen gewesen, weil jeder inzwischen wusste, wie es um die Staatseinnahmen Venezuelas stand.«

»Nicht unbedingt dein Tag«, musste der Rundliche nach dieser Schilderung zugeben. Für einen Moment gab er sich der Hoffnung hin, sein eigenes Anliegen abgebogen zu haben.

»Besser hätte ich das nicht formulieren können. Nun aber zu unserer Angelegenheit zurück«, bekam sein Gegenüber eine granitharte Miene. »Ich hätte gerne einen Namen deiner werten Herren.«

»Wofür?«, schwante ihm nichts Gutes.

»Das muss dich nicht interessieren. Aber so geht niemand mit mir um«, beschied ihm sein Freund trocken.

»Das kann ich nicht machen.«

Der Andere schaute ihn lange prüfend an. Er hielt dem Blick nur wenige Sekunden stand und musste wegschauen. Es wurde immer noch schlimmer, ging es ihm durch den Kopf. Wo sollte das am Ende hinführen? Nie hätte er geglaubt, durch die ganze Aktion zwischen zwei Fronten zu geraten. Alles hatte perfekt ausgesehen. Sein Schritt in die Selbständigkeit hatte zu einem prosperierenden IT-Unternehmen geführt. Er wurde gerne gesehener Gast auf diversen Unternehmertreffen, Kontakte hatten sich ergeben und schließlich hatte einer dieser Kontakte ihn in den Herrenclub schlechthin eingeführt. Damit hatte er Zugang zu den Mächtigen in der Republik bekommen. Davon hatte er immer geträumt. Aber was hatte er jetzt davon? Die Finger hatte er sich gewaltig verbrannt und stand am Rande eines Abgrunds.

»Du bist entweder für oder gegen mich«, riss ihn eine kalte Stimme aus seinen zum Selbstmitleid neigenden Gedanken.

Egal, was kommen würde, er wollte das sicherlich nicht. Aber die anderen hatten letztlich auch ihn ausgebootet. Sein Freund hingegen hatte seinen Teil der Abmachung eingehalten. »Konrad Brandner.«

»BASF ... Wo wohnt der?«

»Heidelberg, Bergstraße 65.«

»Wann geht der morgens los?«

»Weiß ich nicht. Sicherlich deutlich früher als du.«

Nachdem er seinen alten Studienfreund zur Tür gebracht hatte, kam er zur Sitzecke zurück, um sein Telefon zu holen. Dabei sah er, dass der Sessel seines Besuchers stellenweise ganz feucht glänzte. Wie kann man nur so fett sein, schüttelte er verständnislos den Kopf. Er stand inzwischen total unter Strom. Mit wenigen Worten erledigte er ein Telefonat, um das Notwendige in die Wege zu leiten. Danach überlegte er, wie er sich eine angemessene Ablenkung verschaffen konnte. Ihm fiel wieder das letzte Mal bei Ekaterina ein. Die Erinnerung, wie sie es nicht gewagt hatte, sich seinem sehr groben Verhalten zu entziehen, törnte ihn nach den Tiefschlägen dieses Vormittags absolut an. Er wollte Macht und seine Phantasie ausleben, wie er sich das seit Längerem immer öfter vorstellte. Ein Plan wuchs, während er in den Kalender schaute. Entschlossen wählte er ihre Nummer.

»Das ist aber eine schöne Überraschung«, begrüßte Ekaterina ihn, als ob sie seit Tagen auf keinen anderen Anruf gewartet hätte.

»Ich würde gerne mit dir Silvester verbringen«, eröffnete er ihr mit betörend sonorer Stimme.

Sie stutzte kurz, ließ aber, ohne zu zögern, das übliche Programm ablaufen. »Ich wollte eigentlich mit meiner Freundin ein paar Tage wegfahren ...«, begann sie, weil sie ihm den Eindruck vermitteln wollte, sich für ihn freizumachen.

»Das ist aber sehr schade. Ich saß heute Morgen in meinem Büro und habe darüber nachgedacht, wie ich im neuen Jahr ankommen möchte, jenseits aller üblichen Verpflichtungen. Da bist nur du mir eingefallen, mein Häschen«, blieb er weiterhin ungewöhnlich charmant.

Sie lachte überrascht. »Wenn das so ist, kann ich natürlich nicht anders. Ich fühle mich geschmeichelt und freue mich.« Er konnte wirklich galant sein. Es hatte sich doch gelohnt, bei ihrem letzten Treffen die Zähne zusammenzubeißen. »Was hast du dir vorgestellt?«

»Ich komme um zehn und bleibe so lange, wie ich nicht von dir lassen kann.«

»Das hört sich aber vielversprechend an«, hauchte sie ihm digital ins Ohr. Sein diabolisches Grinsen wurde leider digital nicht übertragen.

Mitgefühl kann tödlich sein

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