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Kapitel 14

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Heiko hatte mit Susanne vor drei Tagen Thomas und Lene am Flughafen abgeholt. Das war für sie kein Problem gewesen, weil das Sportinstitut der Universität Weihnachtsferien hatte. Sie waren sehr beeindruckt von der gesunden Bräune gewesen, die die beiden Urlauber in das nasskalte Heidelberg mitgebracht hatten. Hinsichtlich Silvester hatten sie Lene und Thomas darüber in Kenntnis gesetzt, was sie mit den anderen bereits vor Weihnachten beschlossen hatten: Treffpunkt war um acht Uhr bei Susanne und Heiko. Der Plan sah vor, etwas zusammen zu kochen und bei entsprechendem Wetter vielleicht das Feuerwerk vom Philosophenweg aus anzuschauen.

Die ersten Arbeitstage waren glücklicherweise recht harmlos für die beiden Kommissare verlaufen. Allerdings hatte es sie beträchtliche Mühe gekostet, morgens im Dunkeln erst das Bett und schließlich auch noch die Wohnung zu verlassen. Dunkelgrau hingen die Wolken dicht über den Dächern der Weststadt. Es war unmöglich vorherzusehen, ob es mal wieder regnete oder vielleicht Schneefall einsetzen könnte. Dieser Morgen war besonders unerfreulich: leichter Schneeregen, der eine feine Schicht auf dem Gehsteig hinterließ, auf der es sich ganz schnell mal ausrutschen ließ.

»Mein Gott!«, entfuhr es Thomas, dem die Füße unvermittelt nach vorne weggerutscht waren. Weil ihn Lene reaktionsschnell am Arm gefasst hatte, konnte er sich zu seiner Erleichterung mit viel Mühe doch noch auf den Beinen halten.

»Du wolltest nicht fluchen«, erinnerte Lene ihn – immerhin schmunzelnd.

Schuldbewusst sah er sie an, aber schon blitzte etwas in seinen Augen, das allerdings nur schwer bei dem trüben Laternenlicht zu sehen gewesen wäre. »Aber ich habe doch gar nicht geflucht.«

»Hmmh, sondern?«

»Ich habe den lieben Gott darum bitten wollen, die Gehsteige nicht so glatt werden zu lassen. Leider wurde ich in dem Satz unterbrochen, als ich beinahe hingeschlagen wäre«, sah er sie treuherzig an.

»Und da ging es dir natürlich nur darum, mich vor einem Sturz zu bewahren«, vermutete Lene mal so.

»Absolut. Du bist eine zarte Frau, ...«

»... die der Hilfe bedarf und beschützt werden muss«, setzte Lene selbst fort.

»Du nimmst mir die Worte aus dem Mund.«

»Dann lass ich dich das nächste Mal eben fallen«, erwiderte sie trocken. »Eine zarte Frau ist ohnehin nicht in der Lage, ihren starken Beschützer aufzufangen. Du fällst ja derzeit ohnehin weicher.«

Sie überquerten schräg die Straße, auf der es auch nicht angenehmer zu laufen war.

»Das ist gut gegen die Kälte«, reagierte Thomas ausnahmsweise nicht empfindlich bei dem Thema. »Ich werde aber wieder mehr darauf achten«, zeigte er sich zudem einsichtig.

Während Thomas seiner Frau die Tür zum Eingangsbereich des Polizeipräsidiums aufhielt, drängte sich Horst Jung noch schnell an seinem Chef vorbei.

»Rüpel«, murrte der nur halb im Ernst.

Der junge Mann lachte nur. »Danke vielmals. Wenn ich eine Frau wäre, hättest du jetzt ›gern geschehen‹ gesagt.«

»Stimmt«, konnte Thomas das kaum leugnen, während Lene sich über die jungsche Schlagfertigkeit amüsierte.

»Kommt ihr heute Abend mit ins ›Peppers‹?«, wollte ihr Kollege noch von Lene wissen, als diese sich mit einem Kuss von Thomas verabschiedet hatte, um im ersten Stock zu ihrem Büro abzubiegen.

»Ich dachte schon. Wie sieht es mit dir aus?«, fragte sie zur Bestätigung bei ihrem Mann nach.

Der nickte kurz. »Vielleicht gehen wir einfach direkt und essen dort noch eine Kleinigkeit?«, schlug er Lene wie Horst vor.

»Gerne«, zeigte der sich erfreut, weil er sich weitere Urlaubsgeschichten erhoffte.

»Da gibt es durchaus auch Salat«, stellte Lene nebenbei ihre Sicht zu Thomas´ Speiseplan dar, drehte sich um und winkte mit der rechten Hand nach hinten.

Thomas schaute ihr noch einen Augenblick nach, bis Horst Jung lachte und seinen Chef die nächsten Stufen hochschob. »Du bist immer noch so paralysiert wie am ersten Tag«, spöttelte sein Mitarbeiter.

»Ist sie nicht einfach ein Traum?«

»Sei froh, dass sie aus Fleisch und Blut ist, sonst wäre das wohl eher so platonisch-vegetarisch«, witzelte er weiter.

Manchmal fragte Thomas sich, wie dieser teilweise noch etwas unreif wirkende Mann zu dem Entschluss gekommen war, seine Freundin zu heiraten. Aber er hatte ihn von Anfang an nicht nur wegen seiner Aufmerksamkeit, sondern auch wegen seiner meist ansteckenden Fröhlichkeit gemocht.

Der Tag war für alle recht ereignislos verlaufen. Zu dritt saßen sie deshalb sehr zeitig im »Peppers«. Thomas hatte sich zu Lenes Verwunderung tatsächlich einen Salat bestellt. Er schaute aber schon ein wenig neidisch auf Horsts Teller, von dem ihm Pommes und ein riesiger Burger eine Nase drehten. Flugs hatte er sich einen französischen Kartoffelschnitz stibitzt.

»Hey, Finger weg!«, protestierte der Beklaute wenig nachdrücklich, grinste breit und stopfte sich noch drei in den Mund. »Wirklich lecker heute. Soll ich dir auch eine Portion bestellen?«

»Elender Blö...«, brach Thomas gerade noch rechtzeitig ab. Das war aber wirklich zu gemein. Der zog ihn ganz absichtlich auf und er konnte nicht einmal zurückschimpfen, weil ihm dann seine liebe Frau sofort wieder im Nacken saß. So hockte er schließlich mit gesenktem Kopf vor seinem Salat, der durchaus ein gutes Dressing hatte. Man konnte sich auch alles schönreden. Oh, da kam doch gerade Beatrice mit einem appetitlich aussehenden Teller Pommes vorbei – direkt an ihm vorbei, das war hart. Vielleicht sollte er einfach nach Hause flüchten?

Bea beugte sich zu ihm herunter. »Einmal Pommes rot-weiß für unseren unglücklichen Herrn Kommissar«, lächelte sie ihn aufmunternd an, während sie ihm den Leckerbissen direkt neben seinen Salatteller stellte. »Geschenk des Hauses, ist ja quasi noch Weihnachten.« Sie zwinkerte. »Lass es dir schmecken.«

Thomas schaute sie vollkommen entgeistert an und wusste überhaupt nicht, wie ihm gerade geschah. »Danke. Womit ...« Aber Bea war bereits weiter und hörte ihn gar nicht mehr. »... habe ich das jetzt verdient?« Es war zwar allgemein bekannt, dass die Barfrau einen siebten Sinn für die Wünsche ihrer Gäste hatte, aber ... Naja, einem geschenkten Gaul schaut man erst ins Maul, wenn sichergestellt ist, dass er einem nicht wieder abhandenkommt. Während er die Fritten noch zögerlich auf die Gabel spießte, linste er misstrauisch zu seiner Frau, die allerdings keine Miene verzog. »Warst du das?«, wollte er dann doch von Lene wissen.

»Wie sollte ich! Ich saß schließlich die ganze Zeit hier«, wiegelte sie unschuldig ab, bevor sie sich wieder einer inzwischen dazugekommenen Kollegin zuwandte.

Er würde Bea fragen müssen. Kurz darauf glaubte er, seinen Augen nicht zu trauen. An diesem Abend gab es eine Überraschung nach der anderen.

Heiner hatte das »Peppers« betreten. Kurz kam er an den Tisch, um alle zu begrüßen, trollte sich aber ganz schnell an die Bar, um sich einen Cocktail zu bestellen, wie er vorgab.

Verwundert schaute Thomas zu Horst. »Was ist denn mit dem los? Der hat sich ja umgezogen? Habe ich etwas verpasst?«

Horst schmunzelte. »Pass auf. Gleich bringt Bea ihm eine ›Abendsonne‹.«

»Was soll das sein?«

»Warte!«

Kurze Zeit später stellte die Barfrau einen fliederfarbenen Cocktail vor Heiner ab.

»Ein Frauencocktail?«, war Thomas ziemlich erstaunt, während Horst ihm die ganze Geschichte dazu erzählte. Außerdem berichtete er seinem Chef, dass Heiner seither immer schick ins »Peppers« kam, fast die gesamte Zeit am Tresen verbrachte und in der Regel der Letzte war, der ging.

»Ist Bea nicht zu jung für den?«, war der nicht auf Anhieb von der Idee überzeugt. »Aber gut, sie ist schlagfertig, einfühlsam, sehr hübsch, hmmh.«

Unvermittelt mischte sich der spät gekommene Franz ein, der sich abrupt aus einer anderen Gruppe ausklinkte, der er eben noch die Vorzüge seines neuen Portemonnaies mit eingearbeitetem Aluminium erläutert hatte, um seine Bankkarten besser gegen Manipulation zu schützen. »Wissen wir überhaupt, ob Bea solo ist?«

Die drei Männer schauten sich etwas ratlos an. Keiner wusste dazu etwas. Keiner hatte bisher gesehen, dass Bea von einem Mann abgeholt worden wäre. Keiner hatte sie je von einem Mann sprechen hören. Keiner hatte sie bisher mit einem Mann in der Stadt getroffen.

»Welche schwerwiegenden Probleme versuchen denn unsere Herren hier wieder zu lösen?«, wollte Lene wissen.

»Wir fragen uns, ob Bea vergeben ist. Heiner scheint ein Auge auf sie geworfen zu haben, nachdem sie vor Wochen mit einem Cocktail seine Stimmung aus dem Keller ins Dachgeschoss katapultiert hat«, erklärte Horst auch ihr.

»Das passt doch überhaupt nicht«, stellte Lene klar, bevor sie zur Toilette ging. »Bea braucht trotz ihrer elfenartigen Erscheinung etwas ... ja was? ... Eine Person, bei der sie ihre manchmal auch herbe Dominanz aufgeben kann.«

Die drei Herren runzelten kollektiv die Stirn, während sie beobachten konnten, wie Heiner mit Bea scherzte und ihr wohl zum wiederholten Mal ein Kompliment machte.

»Habt ihr verstanden, worauf Lene hinauswollte?«, fragte Thomas die anderen zwei.

»Wenn du schon deine Frau nicht verstehst«, witzelte Franz, »wie sollen wir das dann können?«

Bevor Lene wieder zurück war, gesellte sich Thomas zu Heiner an die Bar.

»Na, du siehst hier aber ganz fröhlich aus, mein Lieber. Möchtest du dich nicht ein wenig zu uns an den Tisch setzen? Wir vermissen dich.«

»Nur kein Neid, Herr Kommissar. Der ist auch bei mir ganz gut aufgehoben«, zwinkerte Bea im Vorbeigehen den beiden zu. Thomas entging dabei nicht, wie sich ein Glänzen auf Heiners Augen einstellte.

»Setz dich auf ein Bier«, schlug Heiner Janetzky vor. »Euch sehe ich doch den ganzen Tag und hier habe ich sooo nette Gesellschaft«, flötete er der Barfrau hinterher.

Sie unterhielten sich angeregt über die anstehende Vierschanzentournee. Beatrice hatte ein Pils für Heiner gebracht, Thomas hatte sich für ein Alt-Cola entschieden.

Er hatte überhaupt nicht bemerkt, wie kurzweilig sich ihr Gespräch entwickelt hatte, bis sich Lene zärtlich an seinen Rücken schmiegte. Dezent machte sie ihn darauf aufmerksam, dass es Zeit für den Heimweg war.

»Ich komme«, entgegnete er. »Ich muss nur Bea schnell noch etwas fragen.«

Während Lene sich zu Heiner wandte, rief er Bea zu sich, auch um zu zahlen. Nachdem das geklärt war, brach sich seine Neugier umgehend Bahn. »Sag mal: Wem habe ich denn eigentlich die Pommes zu verdanken?«

»Sagte ich doch: ein Geschenk des Hauses«, lachte sie ihn an.

Aber er hatte in seinem Augenwinkel gesehen, wie Lene ganz unmerklich den Kopf geschüttelt hatte. Aha. Er wusste zwar nicht, wie die beiden das geschafft hatten, aber er ließ es gut sein, weil er etwas anderes viel dringender wissen wollte.

»Wenn du mir das schon nicht ehrlich beantwortest ... Kann ich dich mal was fragen?«, wurde er leiser und lehnte sich zu Bea über den Tresen.

»Solange ich entscheiden kann, ob ich antworten will«, flüsterte sie ihm zu und hielt ihm ihr Ohr hin, nachdem sie ihre blonden Haare dahintergeklemmt hatte.

»Hast du eigentlich einen Mann?«

»Du erinnerst dich, dass du erst geheiratet hast?«, kam es genauso leise zurück.

Das Frauen nicht einfach mit »ja« oder »nein« antworten konnten. Er schielte kurz zu Heiner und Lene, aber die beachteten ihn gar nicht. »Ich frage eher wegen Heiner«, klärte er sie auf.

»Ach so«, flüsterte sie verschwörerisch zurück. »Ich passe schon auf, dass der sich nicht verrennt.«

»Danke, ... aber hast du jetzt einen Mann?«, konnte er es nicht lassen.

»Behältst du die Antwort für dich?«

»Logisch.«

»Nein, mein Guter.« Dann lachte sie auf und fragte auch Lene und Heiner, ob sie noch einen Amaretto oder Ähnliches wollten. Thomas und Lene lehnten dankend ab und ließen Heiner mit einem Grappa bei Bea im »Peppers« zurück.

Sie gingen die Plöck herunter, weil es da um diese Zeit am ruhigsten war.

»Was wolltest du vorhin von Bea?«, erkundigte sich Lene beiläufig.

»Sag ich dir nur, wenn du mir verrätst, wie ich zu meinen Pommes gekommen bin«, hatte Thomas sich eine aus seiner Sicht vielversprechende Taktik zurechtgelegt.

»Du willst deine eigene Frau erpressen?«, war Lene empört.

»Ja.«

»Dann behalte es halt für dich«, beschied sie ihm trocken und sprach kein Wort mehr, während sie in die Nadlerstraße abbogen. Auch nachdem sie die Friedrich-Ebert-Anlage überquert hatten, schien sie sich weiterhin einer Auskunft verweigern zu wollen.

Folglich blieb ihm keine andere Wahl, als es mit einer Vorleistung zu versuchen: »Ich habe Bea gefragt, ob sie einen Mann hat«, erklärte er ihr, gerade als sie am Adenauerplatz an der Fußgängerampel waren.

»Du hast was?« Lene konnte es nicht fassen und blieb mitten auf der Straße stehen. »Und?«

Thomas nahm ihre Hand und zog sie auf die andere Seite, weil die Ampel eigentlich Rot zeigte. »Sie hat keinen Mann«, eröffnete er ihr. »Sie hat mir aber versichert, auf Heiner aufzupassen.«

»Das hätte mich andernfalls auch schwer gewundert«, war sich Lene sicher.

»Jetzt du!«, forderte er sie auf, bekam aber keine Antwort. Erst als sie die Gaisbergstraße bereits zur Hälfte bis nach Hause gelaufen waren, erlöste sie ihn doch noch. »Bea hat deine Miene gesehen und ich habe ihr zu verstehen gegeben, dass das eine gute Idee ist.«

Verblüfft hakte Thomas nach: »Aber wie habt ihr das gemacht?«

»Kein Kommentar. Das bleibt ein Frauengeheimnis«, gab sie sich sofort wieder zugeknöpft und nahm ersatzweise seine Hand.

»Das war aber sehr fürsorglich«, freute er sich lieber an seiner Frau und drückte ihre Hand zärtlich.

»So bin ich.«

Mitgefühl kann tödlich sein

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