Читать книгу Mitgefühl kann tödlich sein - Henning Marx - Страница 5
Kapitel 1
ОглавлениеLene Huscher lag sehr bequem in einem Liegestuhl und konnte durch ihre schicke Sonnenbrille das Meer betrachten, auf dessen blauen und in Strandnähe türkisfarbenen Wellen die Sonne glitzerte. Es war kaum ein Wölkchen am Himmel, die Temperatur lag fast zwanzig Grad über der in Deutschland. An diesem Ort konnte sie es sehr gut aushalten.
Nach gut einem Jahr hatte sie Thomas Sprengel einen Antrag gemacht, den dieser offensichtlich nicht hatte ablehnen können. So hatten sie am Samstag vor dem ersten Advent standesamtlich geheiratet und waren anschließend in die Flitterwochen geflogen. Manchmal musste sie noch daran denken, wie Thomas sie bei ihrer ersten Begegnung in einer Weise beleidigt hatte, nach der wohl kaum einer der an diesem Abend Anwesenden jemals damit gerechnet hätte, dass sie ein Paar werden würden. Im Laufe ihrer ersten gemeinsamen Ermittlungen hatte sich Thomas dann doch noch von seiner besseren Seite gezeigt und sie davon überzeugen können, ein Mann mit Potenzial zu sein. Nur gut, dass sie beide damals, wenn auch nur knapp, den Kopf noch aus der Schlinge hatten ziehen können. Lene lachte kurz auf. Erstens waren es ihre Füße gewesen und zweitens durfte sie die Hilfe durch ihren jungen Kollegen Horst nicht unterschlagen.
»Mir wurde gesagt, dass eine hinreißende Dame auf ihren Cocktail wartet«, wurde sie von einer charmanten Männerstimme aus ihren Gedanken wieder in die Gegenwart geholt. Lene Huscher schaute amüsiert auf und erwischte zwei braune Augen, deren warmer Blick ungeniert über ihren Körper wanderte. »Suchen Sie gerade einen Platz zum Abstellen?«, fragte sie knapp, während sie über den Rand ihrer Sonnenbrille linste. Sie hatte bereits eine leicht gebräunte Haut. Der Schnitt ihres dunkelgrünen Bikinis betonte ihre schlanke Figur und dessen Farbe passte perfekt zu ihren rot leuchtenden Haaren.
Ihr Mann lächelte sie an: »Wenn wir hier nicht am Strand wären, würde ich dieses verführerische Geschenk auf der Stelle auspacken.«
»Soso, dann wollen wir dem Herrn doch noch ein wenig Vorfreude gönnen. Wo ist nun mein Cocktail?« Elegant streckte sie einen Arm nach ihm aus und ergriff das Glas. »Danke.«
Thomas Sprengel legte sich ebenfalls wieder in seinen Liegestuhl, während seine Frau an ihrem Getränk nippte, das angenehm erfrischend wirkte.
»Du solltest aber nicht zu lange in der Sonne bleiben«, gab er sich noch nicht geschlagen.
»Ich weiß es durchaus zu schätzen, dass du mich anziehend findest, mein Lieber«, schmunzelte sie, während sie seine Haare kraulte.
»Schau mal, wie der Segler dahinten schön am Wind liegt«, machte Lene Thomas auf ein großes Segelboot aufmerksam, dessen eleganter Rumpf und Segel in der Sonne schneeweiß leuchteten. Die Yacht glitt bei halbem Wind nur etwa eine halbe Meile lautlos vor ihrem Strand entlang.
»Sieht schon schick aus«, musste er ihr zustimmen. »Vielleicht sollten wir das auch mal ausprobieren?«
»Ja, wenn ich mir das so überlege, warum nicht? Segeln ist bestimmt nett«, nahm Lene den Gedanken gerne auf.
»Ich werde mal nach einer Segelschule suchen, wenn wir wieder zu Hause sind. Wäre das eine Idee?«, wollte Thomas sich über die Sinnhaftigkeit seines Tuns versichern.
»Super«. Lene nippte erneut an ihrem Cocktail, während sie die Yacht fasziniert beobachtete. Auf Deck konnte sie zwei Personen ausmachen – und eine ihr bestens bekannte Flagge am Heck. »Schau mal, der segelt unter deutscher Flagge. Meinst du, der ist über den Atlantik gekommen?«
Thomas wandte den Blick wieder dem Segler zu. »Kann schon sein. Da hätten die aber eine ordentliche Strecke hinter sich. Ich weiß nicht, ob das etwas für mich wäre – so lange auf hoher See.«
»Naja, wir müssen ja nicht als Erstes eine Weltumsegelung starten. Ich dachte zunächst eher an einen schönen See oder eine romantische Bucht«, präzisierte Lene ihre Vorstellungen.
Sie konnten sehen, wie eine der Personen auf dem Boot eine Kiste öffnete, aus der sie einen großen Ballon hervorholte.
»Ja, wir sollten klein anfangen«, stimmte Thomas ihr mit einem lausbübischen Grinsen zu.
Auch ihm schien die Wärme der Karibik sehr gut zu tun, befand Lene. Thomas hatte ständig nur Unsinn im Kopf. »Was?«, spielte sie auf sein Unfug verratendes Lächeln an.
»Wenn wir selbst segeln, dann haben wir kein so schönes Leuchtfeuer, das uns auf Untiefen aufmerksam macht«, erklärte er mit einem verliebten Blick.
Seine Frau musste lachen. Seit ihrer ersten Nacht hatte er sie wegen ihrer Haarfarbe sein »Leuchtfeuer« genannt. Lene zog ihn zu sich herüber, um ihm einen zärtlichen Kuss zu geben. »Ich liebe dich.« Und besonders mochte sie auch, wenn er Komplimente in einem subtileren Humor verpackte.
»Ich liebe dich, mein Leuchtfeuer«, flüsterte Thomas ihr ins Ohr. »Aber meinst du nicht, dass ich dich noch mal eincremen sollte, damit du keinen Sonnenbrand bekommst?«, schaute Thomas sie nun wieder gänzlich unschuldig an.
»Du kannst es nicht lassen, oder? Vielleicht hast du sogar recht.«
Thomas beugte sich zu ihrer Tasche und holte die Sonnenmilch heraus. Während er die Flasche öffnete, wies Lene erneut auf den Segler. »Schau mal, die haben die Gummiballons an die Reling gehängt. Ich glaube, die wollen hier in den nächsten Hafen einlaufen.«
»Stimmt.« Thomas verteilte etwas Sonnenmilch auf Lenes Bauch und begann diese sanft einzureiben. Dabei näherte sich seine Hand stetig weiter Lenes Bikinihöschen, bis seine Fingerspitzen immer wieder vorwitzig unter dessen Rand verschwanden.
»Du hast doch nicht etwa Hintergedanken, mein Lieber?«, fragte Lene mit hochgezogenen Augenbrauen und sich keineswegs anmerken lassend, wie angenehm ihr seine sanften Bewegungen waren. Vielleicht lag sie doch bereits zu lange in der Sonne?
»Wie kommst du denn ...«
Thomas Sprengel wurde von dem lauten Knall einer Explosion unterbrochen, der von der See zu ihnen herüberschallte. Erschrocken schauten beide – wie alle anderen am Strand und im Wasser um sie herum – aufs Meer. Mit Entsetzen mussten sie feststellen, dass es einen Teil des Bootshecks weggerissen hatte und sich Feuer auf der Segelyacht auszubreiten begann.
»Ich sehe keinen an Bord«, stellte Thomas fest. »Du?«
»Nein.«
Die Flammen fraßen sich langsam nach vorne. Auch unter Deck glaubten sie es hinter dem Fenster achtern lodern zu sehen. Die anderen Strandbesucher schienen noch wie paralysiert auf das Inferno zu starren, als Thomas und Lene gleichzeitig aufsprangen.
»Ich laufe zur Rezeption«, rief sie ihm zu, während sie bereits die ersten Meter zurückgelegt hatte.
»Ist gut.« Thomas sprintete ans Wasser, requirierte kurzerhand ein Schlauchboot inklusive eines verdutzt dreinblickenden Jungen, nahm dem die Paddel ab und war schon mehrere Meter in Richtung offene See gerudert, bevor der Vater des Knaben überhaupt im Ansatz hatte protestieren können. Die Explosion und unmittelbar darauf folgend die Kaperung des Schlauchbootes samt Sohn war wohl zu viel für die Verarbeitungskapazität seines Gehirns. Der Junge schien das eher spannend zu finden.