Читать книгу Mitgefühl kann tödlich sein - Henning Marx - Страница 8
Kapitel 4
Оглавление»Gefällt es dir so, mein Lieber?«, hauchte Ekaterina, während sie ihrem Besucher tief in die Augen schaute. Nur ganz sanft stützte sie sich mit beiden Händen auf dessen Brust ab. Der Angesprochene antwortete ihr wie meistens nicht. Selbst seinem Gesichtsausdruck konnte sie nicht entnehmen, wie es ihm gefiel. Lediglich seine Hände streichelten die Innenseiten ihrer Oberschenkel. Nachdem er allerdings über die letzten Jahre immer wieder für ganze Nächte große Summen gezahlt hatte, konnte sie wohl auch an diesem Abend davon ausgehen, dass er keinen Grund zur Klage haben dürfte. Insgesamt gefiel ihr dieser Mensch einigermaßen: Er war gebildet und hatte kultivierte Umgangsformen. In der Regel behandelte er sie, als sei sie eine Dame des gesellschaftlichen Lebens. Sie hätte sich allzu gerne eingebildet, aus seinem Verhalten auf eine gewisse Wertschätzung schließen zu können. Wenn sie ehrlich war, traf das jedoch nicht zu. Es waren immer wieder Situationen aufgetreten, in denen er ihr gegenüber unmissverständlich ausgedrückt hatte, was er tatsächlich über sie dachte. Manchmal waren es nur kleine Nebensätze, in denen er betonte, dass sie zu gehorchen habe. Ganz selten hatte er sich rücksichtslos gezeigt und Dinge getan, die ihr Schmerzen bereitet hatten. Das eine oder andere Mal, wenn ihrem Gesicht diese Schmerzen anzusehen gewesen waren, hatte er das nur abfällig grinsend mit »das Arbeitsleben ist nicht immer ein Zuckerschlecken, mein Häschen« kommentiert und sie zur Professionalität ermahnt. Aber im Großen und Ganzen wollte sie sich nicht beklagen. Ihr ging es immer noch bedeutend besser als Kolleginnen, die in billigen Bordellen oder auf dem Straßenstrich arbeiten mussten. Auch hielt sich bei ihr bisher die Zahl der Herren in Grenzen, die aufgrund der Höhe ihres Honorars der Ansicht waren, alles ausleben zu können, was ansonsten keine Frau erdulden würde. Zum Glück hatte ihr – anders als bei ihrer Freundin May Lin – bisher noch nie jemand ernsthafte Verletzungen zugefügt.
Die Melodie eines Mobiltelefons holte sie aus ihren Gedanken zurück. Die gehörte allerdings nicht zu ihrem. Ihr Besucher machte Anstalten, sich zu erheben, doch sie schob ihn sanft, aber bestimmt wieder auf das Bettlaken zurück.
»Nicht aufstehen! Du hast gesagt, ich soll den Ton angeben«, klang ihre Stimme etwas barsch, um dann einschmeichelnd fortzufahren. »Du fühlst dich gerade so gut an, Liebster.«
In dem Moment, in dem sie den Satz ausgesprochen hatte, war ihr klar geworden, einen Fehler begangen zu haben. »... gotta be fresh from the fight. I need a hero. I´m holding out for a hero ´til the end of the ...«, spielte das Telefon, während sie das Funkeln in seinen Augen zu spät registriert hatte. Natürlich war immer er der Held.
Fast brutal zog er ihre Hände an den Handgelenken von seiner Brust und stieß sie grob zur Seite. Erschrocken leistete sie keine Gegenwehr gegen diese unsanfte Behandlung und schaute ihn mit Angst in den Augen an, während er sich vor dem Aufstehen kurz ganz nah über sie beugte. »Du hast hier nur so lange etwas zu sagen, wie ich dir das erlaube. Vergiss das besser nie«, zischte er sie mit einem kühlen Blick aus seinen stahlblauen Augen an.
Nachdem sie eingeschüchtert nur leicht genickt hatte, stand er auf, wickelte sich eine Decke um die untere Hälfte seines gut trainierten Körpers und fingerte das Telefon aus seiner Jackentasche, das immer noch musizierte: »... And he´s gotta be larger than life!«
Das denkst du wohl von dir, ging es Ekaterina auf dem Boden der Tatsachen angekommen unwillkürlich durch den Kopf, während sie leicht am ganzen Körper zitterte. Diesen schnellen Stimmungsumschwung hatte sie nicht erwartet. Manchmal hasste sie sich und ihren Beruf.
»Was gibt es Mausefänger?«, knurrte ihr Besucher noch ein wenig ungehalten ins Telefon. Offensichtlich war der Anrufer in seinem persönlichen Telefonbuch verzeichnet.
Eigentlich war das immer ihr Traum gewesen: ein gut aussehender Mann mit Manieren und Geld, der ihr jeden Wunsch von den Augen ablas. Davon war sie wohl Lichtjahre entfernt. Sie drehte sich auf die Seite, um ihr enttäuschtes Gesicht zu verbergen, obwohl der Besucher ihr ohnehin gerade den Rücken zuwandte.
»Ja, du hast mich bei einer sehr anregenden Tätigkeit gestört. Also komm zur Sache«, bat er inzwischen wieder freundlich. »Ich muss hier dringend weitermachen, bevor alles kalt wird.«
Sein Lachen ließ Ekaterina erschauern. Eigentlich hatte sie überhaupt keine Lust mehr. Lust war ohnehin der falsche Ausdruck. Am liebsten hätte sie auf das Geld verzichtet. Aber das konnte sie nicht, wenn sie ihren sehr guten Kunden nicht verprellen wollte.
»Alles paletti, die Maus hat sich gestern die Pfoten verbrannt. Morgen oder übermorgen sollte das auch hier in der Zeitung ankommen«, gab er sich so zufrieden wie lässig.
Ekaterina runzelte die Stirn. Was für eine Maus hatte sich die Pfoten verbrannt?
»Gut. Wir hören uns. Ich muss jetzt, ciao.«
Kurz darauf spürte sie, wie er sich mit einem Knie auf das Bett stützte. »Dreh dich gefälligst zu mir«, herrschte er sie wenig zimperlich an, keinen Widerspruch duldend. Seine schneidende Stimme ließ sie einen Augenblick zögern. Ihr Herz klopfte. Sie hatte gehofft, dass er wieder besserer Laune wäre, nachdem er am Ende des Telefonats normal geklungen hatte. Mit einem flauen Gefühl im Magen drehte sie sich auf den Rücken und zauberte ein verführerisches Lächeln auf ihr Gesicht. Noch bevor sie etwas sagen konnte, kniete er sich zwischen ihre Beine, ergriff ihre Handgelenke, die er seitlich von ihrem Kopf grob auf das Laken drückte, und nahm sich ohne jede Rücksicht, was er bezahlt hatte. Ekaterina drehte den Kopf zur Seite, damit ihre langen, leicht gewellten Haare ihr Gesicht weitgehend verdeckten. Sie konnte nichts tun, um sich diesem Sturm zu entziehen, ohne dass er dies gemerkt hätte. Innerlich leer biss sie sich immer wieder auf die Lippe.
Kommentarlos war ihr Besucher schließlich gegangen, ohne noch ein Wort mit ihr zu wechseln. Er wusste also, was er getan hatte. In seinem Ärger hatte er sie auch demütigen wollen. Sie hatte sich zuerst wieder auf die Seite gerollt und lange geweint. Schließlich hatte sie das Bett abgezogen, bevor sie viel Zeit apathisch unter der Dusche verbracht hatte. Ein Handtuch um den Kopf, das andere um den Körper gewickelt, stand sie nun mit leerem Blick vor dem Spiegel. Sie war doch auch wer! Aber wer wollte sie eigentlich sein? Das Spiegelbild verweigerte ihr jedoch beharrlich jegliche Antwort.