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Wie sagte schon unser Alt-Alt-Bundestrainer, der gute Sepp Herberger? Der Ball ist rund, und ein Spiel dauert neunzig Minuten. Ohne Nachspielzeit und ohne Verlängerung. Und natürlich ohne Elfmeterschießen. Gott sei Dank sind die Herren, die hier hinter dem Ball herhetzen, keine Profifußballer. Daher dauert das Spiel nur so lange, bis dem Ersten der Magen knurrt und alle nach Hause zu Mutti wollen – nicht zur eigenen, sondern zur Mutti ihrer Kinder.

Vierzehn verschwitzte Herren gehen zum Spielfeldrand beziehungsweise zu dem, was sie zuvor mit ihren Sporttaschen als Rand markiert haben, und kramen jeder in seiner Tasche nach einem Handtuch. Sie verlagern den Schweiß von Stirn und Nacken ins Frottee und klettern dann mehr oder weniger elegant über die Barriere.

»Hallo, Frau Heerten, wollten Sie mitspielen oder nur mal zugucken?«, fragt einer und rubbelt sich mit dem Handtuch die Haare trocken.

»Nein«, sagt Frau Heerten, eine etwas ungewöhnliche Antwort auf eine Alternativfrage, aber sie ist im Augenblick zu verblüfft. Wer ist das denn?

Kennst du bestimmt auch. Wenn Menschen nicht in ihrem natürlichen Umfeld auftreten, hat man kaum eine Chance, sie zu erkennen. Der Alptraum ist die Sauna. Du siehst ihn immer nur nackend, und plötzlich sollst du darauf kommen, dass dieser fesch gekleidete tolle Mann, der dich beim Kaufmann anspricht, das verschwitzte Dickerchen mit Wabbelbrüsten und Hängehintern ist. Oder umgekehrt, dieser Mann mit dem schlampigen T-Shirt und den bollerigen Jeans soll der Adonis aus der Sauna sein? Kommt auch vor. Jedoch seltener.

Frau Heerten lächelt und versucht, sich nichts anmerken zu lassen.

»Ich bin Ihr Nachbar«, sagt der Mann und rubbelt grinsend weiter.

»Ach, Herr …«

»Wagner«, sagt er.

Ach ja, das ist dieser Kai-Pflaume-Verschnitt, nur in weniger harmlos, der ihr schon öfter beim Müllrausbringen über den Weg gelaufen ist.

Er reibt sich die Hände trocken. »Herr Wagner oder Jürgen. Jürgen wäre mir lieber.«

»Ich wusste gar nicht, dass Sie – äh, dass du hier sportest«, sagt Frau Heerten.

»Mach ich schon ein paar Jahre.« Jürgen zieht sich sein Holstein-Kiel-Trikot über den Kopf. Ganz vorschriftsmäßig macht er das, wie es sich für einen Mann gehört. Solltest du mal nicht wissen, welches Geschlecht dein Gegenüber hat, lass ihn sich ausziehen. Also nicht ganz, das geht zwar auch, aber jetzt meine ich nur das Shirt. Männer greifen in den Nacken, Frauen kreuzen die Arme vor der Brust, wenn sie T-Shirt oder Pullover abstreifen.

Jürgen legt Frau Heerten freundschaftlich die Hand auf die Schulter. »Und was machst du hier?«

»Ich suche einen gewissen Schuppi.«

»Soso«, sagt Jürgen und nimmt die Hand wieder runter.

Schade, denkt Frau Heerten, seine Hand hatte sich irgendwie gut angefühlt.

Ich dagegen denke, sie sollte froh sein. Nachbarschaftliche Geselligkeit kann tödlich enden. Erst die dicksten Freunde, jeden zweiten Tag gemeinsames Grillen und hoch die Tassen, und dann geht man sich gegenseitig an die Gurgel, weil ein Zweiglein aus Nachbars Garten über den Zaun hängt, was bei Jürgen und ihr allerdings nicht passieren kann. Es liegen ja noch zwei Häuser dazwischen, so lange Zweige gibt es gar nicht.

Jürgens Arme haben sich inzwischen in die Ärmel eines Sweatshirts geschoben, und mit einer geschmeidigen Bewegung zieht er es sich über den Kopf. »Was willst du denn von dem?«, fragt er, nachdem sein Gesicht das Halsloch gefunden hat und er wieder frei atmen kann. »Hier laufen jede Menge Männer rum, und du suchst den einzigen, der nicht da ist.« Er lächelt und legt den Arm um ihre Schulter.

Wenn Karin sie so sähe, denkt Frau Heerten, wie sie von einem Mann umarmt wird, der ihr Sohn sein könnte. Nun gut, umarmt ist jetzt ein bisschen übertrieben. Ein bisschen sehr sogar. Im Grunde genauso übertrieben wie das Bild, das Karin nach Frau Heertens Meinung von ihrer Mutter hat: Als würde sie einsam und allein, träge und alt in einem viel zu großen Haus dem Tod entgegensterben.

»Wie geht’s deinen Kindern?«, fragt Frau Heerten, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen – und bereut es quasi im selben Augenblick. Wie soll es Felix und Mia schon gehen? An jedem Baum, an jedem Laternenpfahl, an allen Hauswänden und an allen Gartenzäunen derselbe Zettel – »MAUNZI, WO BIST DU?« – mit Bild von dem süßen Kätzchen und dem Text: »Wer unsere Maunzi gesehen hat, bitte melden.« Darunter Adresse und Telefonnummer.

Jürgens Telefonnummer, denkt sie.

Sie spürt, wie ihr Gesicht heiß wird, und hofft, nicht rot zu werden. »Sagt mal, Jungs«, fragt sie, »weiß einer von euch was über Schuppi?«

Aber die sind schwer beschäftigt, wischen sich den Schweiß von allen möglichen und unmöglichen Körperstellen und graben in ihren Sporttaschen. Schuppi sei seit etwa drei Jahren nicht mehr auf dem Norder aufgetaucht, habe sich von einem Tag auf den anderen nicht mehr blicken lassen, kann sie dem allgemeinen Gebrummel entnehmen. Wie vom Erdboden verschluckt, der Schuppi – da sind sich alle einig. Einer will sich dunkel erinnern, dass Schuppi nach Köln gemacht haben soll.

Ein äußerst Verschwitzter mit roten Haaren schnäuzt sich in sein Handtuch und sagt: »Sie sind doch die Mutter von der Karin. Mit der hatte er auch mal was.«

»Ach …«, sagt Frau Heerten, während sie leicht angewidert die Reise des Schnodders verfolgt. Der Mann wischt sich erneut die Hände im Handtuch trocken und verstaut es dann umständlich in seiner Tasche. Sie ist so gefangen von dem Schauspiel, dass sie beinah nicht gemerkt hätte, dass Jürgen ihre Schulter wieder losgelassen hat.

Auch wenn die Herren Bolzer sich die Würmer einzeln aus der Nase haben ziehen lassen, geht Frau Heerten nach zwei verkürzten Halbzeiten mit einigen Informationen im Gepäck nach Hause.

Großartig, dieser Tag. In Hochstimmung betritt sie ihr Haus, macht mit Handfeger und Kehrblech im Wohnzimmer klar Schiff und stellt die Ahnengalerie wieder senkrecht. Nun gut, Omi und Opi stehen praktisch nackt da – ohne Glas vor dem Sonntagsstaat –, aber das wird sich finden.

Frau Heerten hat Wichtigeres zu tun.

Kieler Bagaluten

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