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So ist das ja öfter im Leben: Kaum ist man ein Problem los, hat man ein anderes an den Hacken. Sie ist aber auch wirklich zu blöd. Statt die Katze neben dem kleinen Metallkästchen zu beerdigen, das Erdreich wieder sauber über beidem zu verteilen und die Stelle mit einem schlichten Kreuz aus zwei übereinandergelegten Zweigen der Vergessenheit anheimzugeben, hat sie ein Ärgernis gegen das andere getauscht: die Katze begraben und das Kästchen mit ins Auto genommen. Hat sogar noch – ganz Hausfrau – die Erde abgewischt, bevor sie es im Kofferraum versenkte.

Das kommt daher, dass der Mensch als solcher neugierig ist. Du natürlich nicht, du hättest dir gesagt, was geht mich der vergammelte Kasten an, den irgendwer im weichen Erdreich neben dem Kanal verbuddelt hat. Da ist sicher was total Ekliges drin. Was, will ich gar nicht wissen. Aber unsere Frau Heerten wird in ihrer Jugend wohl zu viele Märchen und Sagen gelesen haben. In denen wimmelt es ja bekanntlich nur so von vergrabenen Schätzen. Anders kann ich mir wirklich nicht erklären, warum sie das rotte Teil mitgenommen hat.

Jetzt sitzt sie in der Küche, starrt den kleinen Kasten an und kaut auf der Unterlippe. Das kann daran liegen, dass sie dieses leichte Kribbeln verspürt, das man immer bekommt, wenn die Vorahnung am Werk ist. Wurde ja auch langsam Zeit: Nix gespürt, als der Tag so grauenvoll begann, da kann das Kribbeln jetzt eigentlich nur was Gutes bedeuten.

Sie überlegt, was ist, wenn sie die Kiste öffnet und ihr die erwarteten Silbermünzen, Goldketten und Brillantringe entgegenpurzeln. Darf man so was eigentlich behalten? Paragraf 984 BGB könnte ihr weiterhelfen. Der besagt, dass sie mit dem Eigentümer des Uferstreifens, also dem Land Schleswig-Holstein, halbe-halbe machen muss. Es sei denn, es ist zum Beispiel ein Zettel dabei: »Gehört alles mir. Gezeichnet Ritter Hadubrand«. Dann muss sie sich auf die Suche nach dessen Nachfahren machen und kann nur auf Finderlohn hoffen.

»Lass gut sein«, möchte man Frau Heerten zurufen. Aber da kann man rufen und rufen. Sie nimmt ein Küchenmesser und prokelt am Schloss rum, nimmt zur Stärkung noch ein Schlückchen Eierlikör, und endlich geht das Kästchen auf.

Was hab ich dir gesagt: eine einzige Enttäuschung! Nicht der kleinste Brillantring, nur ein paar Silbermünzen. Und genau genommen nicht mal das. Selbst bei der guten alten Deutschen Mark bestand nur das Fünf-Mark-Stück aus einer Silberlegierung. Immerhin bis 1974, dann drohte der Materialpreis den Wert der Münze zu übersteigen. Die paar Euromünzen, die sie jetzt in dem alten, speckigen Portemonnaie findet, sind nicht mal mehr an einem Stück Silber vorbeigetragen worden. Da sind nur noch Nickel und Messing verbaut worden.

Einerseits natürlich schön, dass sie den Haufen Geschmeide nun nicht mit dem Land Schleswig-Holstein teilen muss. Auf der anderen Seite: Für das bisschen Geld kann sich Frau Heerten allenfalls drei, vier Plastikringe aus einem Kaugummiautomaten ziehen. Wenn es die Dinger überhaupt noch gibt. Sie hat schon lange keinen mehr gesehen. Schade, es war immer so spannend, ob nur zwei große bunte, eklig schmeckende Kaugummikugeln kamen oder ob der Automat einen wunderschön glitzernden Ring ausspuckte.

Mit spitzen Fingern dreht sie die stinkige Geldbörse auf links und findet einen Personalausweis, einen Pass, Führerschein, Einkaufsquittungen und eine Kinokarte fürs Metro.

Ja, ich weiß, du würdest jetzt natürlich als Erstes die amtlichen Dokumente einer näheren Prüfung unterziehen, aber Frau Heerten dreht die Kinokarte in den Fingern. Was für ein langweiliger einfarbiger Zettel. Wenn sie da noch an früher denkt, dieses dunkle Weinrot und die Mausezähnchen am Rand. Wunderbar. Es gab Parkett und Sperrsitz. Sperrsitz, was war das noch? Absperrbare Sitze sagten früher: »Ich gehöre dir, dafür hast du bezahlt, hier setzt sich kein anderer hin.« So was gibt’s heute gar nicht mehr. Zumindest nicht im Kino. Nur noch am Strand. Wir Ostseeanrainer schützen so unsere Strandkörbe vor unbefugtem beziehungsweise unbezahltem Drinsitzen.

Jetzt greift Frau Heerten nach dem Ausweis. Wie heißt der junge Mann, dessen Passbild sie anstarrt? Martin Szupri cy ki … Sie steht auf und sucht im Sekretär nach ihrer Lupe. Martin Szupryczynski, geboren am 17. Februar 1981. Und auf der Rückseite des Personalausweises ist ein Adressaufkleber: Kiel, Amrumring ui. Ui? Ausgerechnet da ist ein Teil des Aufklebers abgekratzt. Die Hausnummer lässt sich nicht entziffern.

Siehst du, da hat sie den Salat. Jetzt kann sie den ganzen Amrumring ablaufen, auf den Klingelschildern nach einem Martin Szupridingsda suchen und ihm das dreckige Portemonnaie in den Briefkasten werfen. Und der muss losziehen und es woanders wieder einbuddeln.

Warum hat er das Zeug überhaupt vergraben? Tut man doch nicht. So was braucht man doch. Oder nicht? Sie überlegt, wann sie zum letzten Mal ihren Pass, Personalausweis oder Führerschein gebraucht hat. Den Führerschein braucht man eigentlich nie, außer, wenn er einem abgenommen werden soll.

Den Pass brauchte sie für ihre Kreuzfahrt vorletzten Herbst. Aber vielleicht macht Martin Tschitschikowski oder wie er heißt keine Kreuzfahrten. Wahrscheinlich machen die wenigsten Leute, die im Amrumring wohnen, viele Kreuzfahrten. Dann schon eher mal mit dem Perso nach Dänemark. Aber auch das kann sich dieser Martin jetzt abschminken. Der Perso steckt ja auch in dem abgegriffenen Portemonnaie.

Als sie das denkt, wird sie in ihrem Lieblingsstuhl am Fenster in der Küche auf einmal ganz steif.

Vielleicht kann sich Martin ja überhaupt alles abschminken, weil er nämlich gar nicht mehr lebt, der gute Martin, und sein Mörder hat den Kram vergraben, um irgendwann später, wenn genügend Gras über ihn gewachsen ist, als leicht veränderter Martin mit dessen Pass, Perso und Führerschein aus der Versenkung aufzutauchen.

Ja, schau, schau, die gute Frau Heerten! Nicht nur Märchen und Sagen, ein gerüttelt Maß an Krimis muss sie über die Jahre auch verschlungen haben.

Sie nimmt noch mal die Lupe zur Hand: Szupryczynski. Polnisch. Also spricht man es Schupritschinski aus. Jahrgang 1981, fast so alt wie Karin. Ob sich die beiden gekannt haben? »Der Schuppi«, hört sie Karins süße Jungmädchenstimme auf einmal in Gedanken sagen – ach Karin –, »der Schuppi hat wieder …« Ja, was hatte der Schuppi eigentlich damals wieder?

Frauen – und Männer Gott sei Dank auch – werden ab einem bestimmten Alter schon mal etwas vergesslich. Selbst mit ihren jugendlichen achtundfünfzig würde es mich nicht wundern, wenn Frau Heerten übermorgen vergessen hätte, dass sie vorgestern Nachbars Katze totgefahren hat. Aber was letzten Dienstag vor dreißig Jahren los war, daran können sich die Alten prima erinnern. Und deshalb weiß Frau Heerten auch noch ganz genau, dass dieser Schuppi damals ein ziemlicher Taugenichts gewesen ist.

Na bravo, sie hat die vergammelten Sachen von einem Taugenichts ausgebuddelt – sofern dieser Tschitschinski oder wie er heißt und Schuppi ein und derselbe sind.

Tja, ist er es, oder ist er es nicht? Mit dieser Frage und dem Rest Eierlikör verzieht sich Frau Heerten für heute ins Bett.

Kieler Bagaluten

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