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In Karins Altonaer Wohnung klingelt das Telefon. Sie geht ran.

»Was sagt dir eigentlich der Name Schuppi?«, hört sie.

Ohne »Hier ist Mami«, ohne Begrüßung, ohne alles.

Na, so geht das natürlich nicht. Mehrere Jahre Funkstille zwischen Mutter und Tochter. Kein einziges Wort. Nichts. Um nicht zu sagen, gar nichts. Da könnte man von einer liebenden Mutter doch erwarten, dass sie, wenn sie nach so langer Zeit mal anruft, nicht gleich mit der Tür ins Haus fällt, sondern mit einem »Hallo, Karin, wie geht es dir?« oder mit einem »Karin, wir sollten uns wieder vertragen« den Boden bereitet. Doch nichts dergleichen, sondern gleich hopplahopp mittenmang: »Was sagt dir eigentlich der Name Schuppi?«

»Mami?«, fragt Karin erstaunt.

»Ja, Gott, Kind. Natürlich.«

Die Worte der mütterlichen Stimme rotieren in Karins Kopf. Gott, natürlich, Kind – Kind, Gott, natürlich – natürlich, Gott, Kind. Ich muss sagen: So richtig verdenken kann ich es Karin nicht. Du wärst auch leicht verwirrt, wenn dein eigen Fleisch und Blut Gott und Kind mit dem Wort »natürlich« vermanscht – und das nach Jahren der Funkstille.

»Mami?«, fragt Karin noch mal.

»Ja, hier ist deine Mutter«, bequemt sich Frau Heerten endlich zu sagen.

»Mein Gott, Mami!«, ruft Karin.

Na ja, viel besser ist das nicht. Für meine Begriffe ist auch da mindestens der Gott zu viel. Aber Frau Heerten gehört nicht zu den Menschen, die sich um Götter Gedanken machen, zumal andere Themen in ihrem Kopf kreisen.

»Ich hab Wum im Bilderrahmen«, sagt sie anklagend.

»Wie bitte?«, fragt Karin.

Es bringt wohl nicht viel, wenn wir dem Telefonat an dieser Stelle noch weiter folgen. So ein erstes Gespräch nach Jahren der Stille ist nie schön. Wenn dann noch Tränen der Versöhnung fließen – wer will bei so was dabei sein? Deshalb klinken wir uns erst wieder ein, als Karin fragt, was das mit Schuppi vorhin eigentlich gesollt haben soll.

»Ja, eben«, sagt Frau Heerten, »was sagt dir der Name Schuppi?«

»Schuppi …«, sinniert Karin. »Das war doch der, der –«

»Genau der«, unterbricht ihre Mutter sie.

Karin, aus der eben noch beinah Tränen der Rührung über den Versöhnungsanruf herausfließen wollten, ist dicht davor aufzulegen. Kein bisschen verändert, die Mutter. Immer noch der ungeduldige Besen von einst, nur Jahre älter. Doch sie nimmt sich zusammen und fängt an zu erzählen.

Süß war er, der Martin, der für alle anderen nur Schuppi war. Ein bisschen hallodrimäßig vielleicht, aber alle fanden ihn toll. Ja, sie hatte auch mal was mit ihm gehabt, mit dem süßen Martin, sogar dann noch, als manche behaupteten, er hätte auch mit anderen was, der Arsch.

»Kind«, sagt Frau Heerten, »das will ich doch alles gar nicht wissen. Sag mir lieber, was aus ihm geworden ist.«

Typisch. Da will Karin endlich mal ihre Vergangenheit aufarbeiten, die immer noch nicht verheilte Wunde mit mütterlichem Balsam beträufeln lassen, aber Mami zieht nicht mit. Hat nie mitgezogen. Ja, wirklich, Karin kann sich nicht erinnern, dass Mami auch nur ein einziges Mal …

»Was hast du gesagt?«, fragt Karin. Vielleicht hat sie sich ja verhört und Mami hat gesagt: Das will ich später wissen, sag mir erst mal, was aus dir geworden ist. Aber nein.

»Was macht der Schuppi jetzt?«

»Keine Ahnung.« Karin überlegt ernsthaft, ob sie nicht auflegen sollte.

»Du wirst doch wohl wissen, was aus deinem Ex-Lover geworden ist«, sagt Frau Heerten. Ihre Stimme hat jetzt wieder diesen unangenehm piksenden Ton, der Karin so nervt. »Immerhin hattest du doch mal irgendwie so was wie ein Verhältnis mit diesem Polen.«

»Dieser Pole? Was soll das denn jetzt heißen?«

Wenn du mich fragst, wäre es spätestens jetzt an der Zeit, das Gespräch zu beenden und die nächsten Jahre Funkstille einzuläuten. Solche Vorwürfe betteln geradezu darum.

»Martin ist Deutscher«, sagt Karin stattdessen spitz. »Er hat einen deutschen Pass.«

»Ja, Gott, Kind, das weiß ich. Ich will wissen, wo er ist. Was er jetzt macht.«

»Woher?«

»Was meinst du? Woher?«

»Woher weißt du, dass Martin einen deutschen Pass hat?«

Frau Heerten schweigt. Was soll sie darauf sagen? Dass sie Nachbars Katze überfahren und dann heimlich vergraben hat, weil sie die einzigen Enkelkinder, die sie nach ihrem Streit mit Karin noch hat, nicht auch noch verlieren wollte? Dass sie sich schuldig fühlt, weil sie zu tief ins Glas geschaut hat? Dass sie Schuppis Pass in dem Loch für die Katze gefunden hat? Bis sie der Tochter das alles aufgedröselt hat, ist Weihnachten.

»Liebes«, sagt sie, »ich hab im Keller ein Buch gefunden. Musst du dir mal von ihm geliehen haben, steht sein Name drin. Das will ich ihm zurückgeben.«

»Mutter, da mach dir mal keine Sorgen, das kannst du sicher behalten.«

»Kind, nun sei doch nicht so stur.« Langsam wird Frau Heerten böse. »Gib mir endlich seine Adresse.«

Mutter, wie sie leibt und lebt, denkt Karin. Das ist mal wieder typisch für sie. Ungeduldig bis zum Geht-nicht-mehr, immer nur auf sich bedacht, die Tochter ist ihr völlig schnuppe. War schon damals so. Wenn sie noch daran denkt, was sie … nein, da denkt sie lieber nicht dran. Das war zu schrecklich. Damals hätte sie eine mitfühlende Mutter gebraucht und kein »Was ist denn nun schon wieder? Stell dich nicht so an und lass die Heulerei«.

Eine völlig gefühlskalte Zimtzicke ist Mutter. Karins Hand krallt sich um den Telefonhörer. Keine fünf Minuten wird sie ihre beiden kleinen Engelchen der Obhut dieser Frau überlassen, Oma hin oder her. Da kann sie warten, bis sie schwarz wird.

Und Papa?, denkt sie. Wie konnte so ein wunderbarer Mann sich nur in einen solchen Drachen verlieben? Und auch noch zwei Kinder mit ihr in die Welt setzen? Was hatte Mutter gesagt, als er so plötzlich starb? »Wie kann er nur?«, hatte sie gesagt. »Lässt mich allein zurück«, hatte sie gesagt. »Gerade jetzt, wo ich ihn so sehr brauche.« Keine Tränen, nur ich bin allein, ich brauch ihn doch, was mach ich jetzt ohne ihn und sein Gehalt.

Gleich nach Papas Beerdigung hatte Karin alle Brücken zu ihrer Mutter abgebrochen und sich ganz auf ihre Ehe mit Christian konzentriert. Er war vielleicht nicht die beste Wahl gewesen, aber immerhin besser als noch einen Tag länger mit Mutter …

Mutter.

Ihre Mutter.

Karin treten Tränen in die Augen. Zusammen mit dem Vater hat sie vor sechs Jahren auch die Mutter verloren. Nur noch Christian hat sie. Und die Kinder. Aber keine Eltern mehr.

Doch … die Mutter lebt. Sie lebt noch! Lebt einsam und allein in ihrem Haus.

»Was hast du gesagt?«, fragt Karin und bricht damit endlich das Schweigen.

»Ich hab dich nach Martins Adresse gefragt«, sagt Frau Heerten.

»Keine Ahnung. Er muss wohl ziemlich runtergekommen sein, nachdem er mit mir Schluss gemacht hat. Das Letzte, was ich weiß, ist, dass er irgendwo in irgendeiner Laube in irgendeinem Schrebergarten gehaust hat.«

»Ach …«, sagt Frau Heerten. »Schrebergarten? So was gibt es noch?«

»Wieso denn nicht?«, fragt Karin.

»Schrebergärten«, erklärt ihr die Mutter, »waren nach dem Zweiten Weltkrieg dazu da, die Ernährungslage der Bevölkerung zu verbessern. Das hat sich ja heute dank Aldi und Co. weitgehend erledigt.«

Recht hat sie, die gute Frau Heerten. Deshalb heißen Schrebergärten auch nicht mehr Schrebergärten, sondern Heimgarten, Familiengarten, Gartenkolonie oder Laubenkolonie, und bewirtschaftet werden sie von sogenannten Laubenpiepern. Und natürlich zunehmend von töpfernden, selbst gestrickten Ökofrauen, die den Anbau ihrer Biomöhrchen selbst in die Hand nehmen wollen. In allererster Linie aber gibt es dort Leute, die ihr Bier gern in freier Natur trinken und denen der heimatliche Balkon zum Grillen mit Freunden und Nachbarn zu klein ist.

Aber zum Wohnen?

»Der Schuppi hat also in einem Schrebergartenhäuschen gewohnt?«, fragt Frau Heerten. »Gibt es da denn überhaupt eine Dusche?«

»Mutter, du nervst«, sagt Karin. »Der Martin war ziemlich fertig und hat sich mangels Geld dorthin verkrochen. Eine Dusche wird bestimmt seine letzte Sorge gewesen sein. Keine Ahnung, wie es ihm jetzt geht.«

»Wenn er so runtergekommen war, wie du sagst, warum hast du ihm denn dann nicht geholfen?«

Karin erlaubt sich jetzt auch ein Piksen in der Stimme. »Der Arsch hat mich von einem Tag auf den anderen sitzen lassen. Wegen seiner Scheiß-Nussallergie. Ich hätte ihn beinah umgebracht, hat er gesagt. Weil ich Nüsse gegessen hatte und er fast erstickt wäre, als er mich geküsst hat.

Frau Heerten lässt nicht locker. »Hat dein Martin eigentlich Kinder?«

»Ja. Fünf Stück. Die sitzen mit ihm im Schrebergarten, duschen, bis der Arzt kommt, und haben allesamt seine Nussallergie geerbt. Mutter! Ich weiß nichts mehr über den Kerl. Und nun lass mich endlich damit in Ruhe!«

Beide schweigen eine Weile.

»Ach, übrigens«, sagt Frau Heerten schließlich, »das war nicht richtig von dir, dass du damals, als Papa –«

»Lass es«, unterbricht Karin sie. »Mutter, LASS ES. Lass es gut sein!«

Klick. Karin hat aufgelegt. Wer kann es ihr verdenken? Aber so sind sie, die Mütter. Man könnte wirklich schier verzweifeln. Leider, leider – Mainzelmännchen und Wum werden wohl weiterhin in ihren Bilderrahmen ausharren müssen.

Kieler Bagaluten

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