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Sehr unerquicklich, dieses Gespräch mit der Tochter. Frau Heerten geht in die Küche, schwankt eine Weile, ob sie sich zum Trost noch einen Eierlikör genehmigen oder lieber einen Kaffee kochen soll, entscheidet sich dann für beides und schmeißt die Kaffeemaschine an.

Sie ist mal wieder selbst schuld, sinniert sie. Statt sich zu freuen, dass Karin nach so langer Sendepause am Telefon eine liebevollere Gangart anschlägt, bringt sie sie mit einem ihr offensichtlich unangenehmen Thema gleich wieder aus der Spur.

Nachdem die Kaffeetasse dampfend vor ihr steht und die Eierlikörflasche entkorkt beziehungsweise entdeckelt ist, nimmt sie sich erneut die Kassenbons von Schuppi vor. Für einen einsamen, armen Mann in einem Schrebergärtchen ohne Dusche hat er ganz schön hohe Beträge bei den verschiedensten Supermärkten gelassen. Sie stutzt, als sie zwischen Papiertaschentüchern und einer Packung Klopapier eine Tafel Schoko mit ganzen Nüssen findet. Als Nussallergiker?

Als sie einen prüfenden Blick durch die Lupe wirft, ob sich das Wort »Nüssen« in siebenfacher Vergrößerung nicht vielleicht als »Küssen« entpuppt, klingelt es an der Haustür. Sicherlich wieder die Polizei. Vielleicht will diesmal ein Nachbar gesehen haben, wie sie nachts um eins eine Leiche in ihrem Garten vergraben hat, und die Polizei wird sie darauf aufmerksam machen, dass das Entsorgen von Leichen im heimischen Garten der Abfallordnung widerspricht.

»Was ist denn nun schon wieder los?«, sagt sie, als sie die Tür aufreißt.

»Tante Heerten, hast du Maunzi gesehen?«, fragt ein völlig verheulter Junge mit völlig verheulter Schwester an der Hand. Felix und Mia, die Kleinen von Jürgen.

Jürgen? Hat sie wirklich Jürgen gedacht? Nicht die Kleinen der Wagners? Oder die Nachbarskinder? Nein, sie hat tatsächlich Jürgen gedacht. Ich sollte mir vielleicht Sorgen machen.

Frau Heerten schluckt. Die Kinder sind in Tränen aufgelöst, und sie ist schuld. Doch dann fasst sie sich wieder. »Immer rein in die gute Stube«, sagt sie und hält die Tür auf.

Die beiden trapsen an ihr vorbei ins Wohnzimmer, schubsen die mühsam mit Hasenohren versehenen Kissen achtlos zur Seite und klettern aufs Sofa.

»Hast du Maunzi gesehen, Tante Heerten?«, fragt Mia. Tränen kullern ihr über die kleinen schwerstgeröteten Bäckchen.

Natürlich hat Frau Heerten Maunzi gesehen. Völlig vermanscht war sie, und sie hat sie in ihrem Auto spazieren gefahren.

»Ich mach euch erst mal jedem ein Glas Saft«, sagt Frau Heerten und flüchtet in die Küche.

Ganz schön mutig von ihr. Kinder, Saft und Sofa passen nicht zusammen. Kinder und Saft geht – aber nur auf abwischbaren Küchenböden. Kinder und Sofa gehen auch, allerdings sollte man sich dann schon mal prophylaktisch von der Unversehrtheit der Polster verabschieden. Saft und Sofa geht natürlich ebenfalls, wenn man allein ist und in Hab-Acht-Stellung ein Umkippen der Gläser verhindert. Aber Kinder – obendrein verheulte – mit Saft auf dem geliebten Wohnzimmersofa … da ist die Katastrophe vorprogrammiert. Siehst du, so ist das mit dem schlechten Gewissen: Es lässt einen alle Vorsichtsmaßnahmen über Bord werfen.

»Wir haben schon überall gesucht«, sagt Felix, als Frau Heerten mit drei Gläsern Orangensaft ins Wohnzimmer kommt.

»Was sagt denn eure Mutter dazu, dass Maunzi verschwunden ist?«, will Frau Heerten fragen, da fällt ihr ein, dass Frau Wagner die Familie schon vor einiger Zeit verlassen hat. Vorsichtig reicht sie den Kindern die Gläser.

»Papa hat uns Zettel gedruckt, die wir überall angeklebt haben«, sagt Mia und verschüttet ein bisschen Saft auf dem Couchtisch.

Felix nickt. Seine Hose hat einen großen dunklen Fleck, und Frau Heerten betet, dass er vom Orangensaft kommt.

»Wollen wir Uno spielen?«, schlägt Frau Heerten vor, um die Kinder auf andere Gedanken zu bringen.

Spielen lässt einen alles vergessen. Mia vergisst Maunzi, Felix vergisst, dass Mia seine geliebte kleine Schwester ist, und Frau Heerten vergisst Jürgen. Doch die wegge Gattin von Jürgen vergisst sie nicht.

Nachdem die Kinder, beide mit einem Lutscher bewaffnet, wieder abgetrabt sind, schüttelt Frau Heerten die Kissen auf, verteilt sie nach einem System, das nur die Hausfrau kennt, auf dem Sofa und haut zu. Zack, hat jedes wieder zwei Hasenohren. So gut kann nur sie das, das macht ihr keiner nach. Wohlgefällig betrachtet sie ihr Werk.

Schön.

Schrecklich schön.

Grauenhaft.

Sie gibt den Kissen einen Faustschlag in die Magengrube, und schon ziehen sie die Ohren wieder ein.

Na bitte, sollte Jürgen jemals zu Besuch kommen, werden die Kissen sie nicht verraten: Hasenohren machen alt, und welche Frau will das schon sein?

Kieler Bagaluten

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