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Heute nimmt unsere Frau Sabine Heerten den Staubwedel und fegt in einem einzigen großen Schwung die gesamte silbern gerahmte Mischpoke vom Wohnzimmerbüfett.

So was ist natürlich erst mal ein Schock. Hätte sie sich gar nicht zugetraut, und wenn ich ehrlich sein soll: ich ihr auch nicht. Was ist nur in sie gefahren? Das ganze Chaos am Boden. Angedetschte Bilderrahmen, Glassplitter überall, die Bilder liegen wild durcheinander, manche mit der Rückseite nach oben – also wirklich, man mag nicht hinschauen.

Frau Heerten mag auch nicht hinschauen. Zuerst tut sie es zwar trotzdem, starrt wie benommen auf das Wirrwarr, doch dann geht sie schnurstracks in die Küche, setzt sich auf den Küchenstuhl am Fenster und genehmigt sich einen.

Wie sich das anhört: genehmigt sich einen. Da sieht man förmlich die Schnapsflasche vor sich. Aber sie hat gar keinen Schnaps im Haus, nicht mal Cognac. Sie hat nur Eierlikör. »Was meinen die Damen«, flötet sie jeden Montag, wenn ihre Freundinnen zum Kaffeeklatsch kommen, »ein Likörchen zum Kuchen?« Und natürlich, die Damen meinen. Gut, dass sie die hübschen Gläschen in der Vitrine stehen hat. Die machen sich immer ganz wunderbar auf der Kaffeetafel.

Ja, und gerade das ist jetzt die Krux. Dass die Gläschen immer noch samt Eierlikör neben der Spüle stehen. Die Gläschen sind von ihrer Großmutter und wandern selbstverständlich nicht in die Spülmaschine, sondern werden von Hand gespült. Aber eben nicht gleich. Deshalb stehen sie heute noch da, und deshalb genehmigt Frau Heerten sich jetzt einen – schon am Vormittag.

Ist aber ja nur Eierlikör, also ein Likörchen, da hört man schon am »chen«, wie harmlos der ist. Genau genommen gar kein Alkohol. Mehr so was wie Klosterfrau Melissengeist. Auch kein Alkohol, sondern ganz was Gutes. Wie der Name schon sagt: Klosterfrau. Eine Ordensschwester ist was Heiliges. Und Melisse ist was Heilendes. Der Eierlikör hat auch ein »ei« von heilig, also Labsal für die Seele – Prost, denkt sie und gießt das Eierlikörchen in sich hinein – und ebenso von heilend, Labsal für den Körper.

Prost.

Nur das »Geist« in Klosterfrau Melissengeist könnte einen stutzig machen, weil verdammt dicht an dem Wort »Weingeist« dran und damit eindeutig Alkohol. Aber wer denkt bei Klosterfrauen schon an Weingeist? Da liegt der Heilige Geist wirklich näher.

Prost.

Alles in allem ist Eierlikör – genau wie Klosterfrau Melissengeist – ein ganz harmloses Trösterchen für die Frau. Nur eben nicht mehr nach dem sechsten oder siebten. Dann wird so ein Likörchen zu einem ausgewachsenen Likör mit all seinen alkoholischen Nebenwirkungen. Zumal bei Frau Heerten, die in Sachen Alkohol verhältnismäßig ungeübt ist. Aber sie braucht das jetzt. Nach ihrem Kraftakt am Büfett ist sie völlig fertig. Das siehst du schon daran, dass sie sich einfach irgendein Glas von der Spüle nimmt und die Chancen, dass es ihr Glas von gestern ist, allenfalls eins zu vier stehen.

Ich will nicht behaupten, dass sie schwankt, als sie aufsteht. So nun nicht. Aber sie greift zu Mantel und Autoschlüsseln, und das ist doch ein wenig bedenklich. Bei Alkohol am Steuer hat sie normalerweise ihre Prinzipien. Wer keine Prinzipien hat, kennt auch keine Grundsätze, hat Armin immer gesagt, Gott hab ihn selig.

Doch in ihrem jetzigen Zustand – und vor allem wegen des Zustands im Wohnzimmer – wirft sie ihre Prinzipien samt Grundsätzen einfach über Bord. Rein ins Auto und los. Sie muss weg hier. Einfach nur weg.

Kieler Bagaluten

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