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Shoppingparadies Kopenhagen: Einmal Baby »to go« bitte!

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Immer mehr Menschen quälen sich gar nicht mehr mit der Illusion von der ewigen Liebe. Die Aussicht auf ein paar schöne gemeinsame Jahre genügt ihnen völlig. Mein Kumpel Sebastian hat mir das neulich auf einer Party etwas genauer erläutert. Unlängst habe er festgestellt, dass Monogamie nichts für ihn sei: Obwohl es mit seiner Freundin gut laufen würde, sehne er sich nach sexuellen Eskapaden mit anderen Leuten. Seine Lust auf Neues sei mittlerweile größer als die Angst vor einer möglichen Trennung. »Was stimmt nicht mit mir?«, fragte er mich, als wir bei einem Kippchen auf dem Balkon zusammenstanden. »Ich liebe meine Freundin doch.«

Ich beruhigte ihn erst einmal. Fast jeder Erwachsene in einer Langzeitbeziehung käme irgendwann an diesen Punkt. Vor allem, wenn er sich in erotischer Hinsicht noch nicht richtig ausgetobt habe oder es innerhalb der bestehenden Partnerschaft an Kreativität oder Mut im Bett mangele. Die Frage sei nun, ob seine Freundin möglicherweise für eine offene Beziehung zu haben sei oder wenigstens für gemeinsame Besuche einer dieser hippen Berliner Sex- und Fetischpartys.

In dem Moment trat Paul hinzu, der hauptberuflich Fetischklamotten auf St. Pauli verkauft. »Sagt mal, wie oldschool seid ihr denn drauf?«, mischte er sich ein. Die meisten jüngeren Leute, so meinte er, würden gar nicht mehr darüber nachdenken, ob etwas für immer sei. »Den Stress tut sich doch keiner mehr freiwillig an. Wozu auch?« Der Trend gehe seiner Meinung nach eindeutig dahin, sich die Freiheit zu nehmen, alles auf sich zukommen zu lassen. Ob eine Beziehung ein Jahr oder drei oder zehn Jahre halten würde – das sei total egal. Ein praktischer Nebeneffekt sei, dass man dann auch viel leichter treu sein könne. »Sobald ich spüre, dass mich andere interessieren, beende ich die Sache lieber gleich.« Innerhalb eines bestimmten Zeitraums sei Monogamie für ihn damit logischerweise kein Problem. »Natürlich ist es ein großes Glück, wenn man jemanden findet, mit dem man weite Strecken seines Lebens zusammen gehen möchte. Aber seit meiner Scheidung stresse ich mich nicht mehr mit Gedanken an eine gemeinsame Zukunft. Meine neue Freundin gefällt mir JETZT. Sie will Kinder, ich nicht. Na und? Zum Glück ist sie zehn Jahre jünger. Dann trennen wir uns eben rechtzeitig wieder.«

Ich überlegte, ob Paul verlernt hatte, sich fallen zu lassen oder Menschen zu vertrauen. Vielleicht brachte er aber auch einfach nur auf den Punkt, was sich sonst keiner traute, laut auszusprechen. Immerhin dauern die Beziehungen der Menschen statistisch gesehen immer kürzer. Liegt es daran, dass wir in einer Zeit leben, in der alles auf Selbstoptimierung ausgelegt ist und Leistungsdruck an allen Fronten herrscht – auch im Schlafzimmer?

»Viele trauen sich gar nicht mehr, eine stinknormale 08/15-Liebe zu leben«, gab Paul noch zu bedenken. »Dabei gibt es nichts Besseres! Einfach schön mittelmäßig vor sich hin dümpeln, sein ruhiges Dasein genießen und sich bloß nicht mit irgendwelchen anderen Paaren vergleichen. Und wenn es vorbei ist: Dankbar sein für das, was war. Nach vorne schauen. Weitermachen.« Halleluja.


Für Frauen ist es mittlerweile kein Problem mehr, sich ohne festen Partner den Traum vom eigenen Kind zu erfüllen: ab nach Dänemark, Samenspende kaufen und – zack! – fertig ist das Wunschkind. Aus feministischer Sicht sicherlich ein Fortschritt. Aber irgendwie macht mir die Sache mit so einem Kind »to go« auch ein bisschen Angst. Eine Bekannte von mir, Anfang dreißig, erfolgreiche Architektin und finanziell unabhängig, träumte schon lange von einem Kind. Doch sie hatte keine Lust, einen Mann in diese Entscheidung miteinzubeziehen. »Ich will nicht, dass mir jemand in die Erziehung reinquatscht«, erklärte sie. Das würde alles nur verkomplizieren. Sie wolle lediglich ein Kind, keine anstrengende Beziehung. Also recherchierte sie im Internet und fand heraus, dass frau sich in Dänemark für etwa 8000 Euro relativ unkompliziert und schnell in speziellen Kliniken befruchten lassen kann.

Ihren Samenspender suchte sie sich später in einer Onlinedatenbank aus. Dabei ging sie nach der Optik. »Fast wie bei Tinder«, scherzte sie. Schwanger wurde sie gleich beim ersten Versuch. Ihr Baby kam im letzten Winter zur Welt und ist putzmunter. Einen One-Night-Stand oder eine aktuelle Liebschaft für ihr Vorhaben zu »benutzen«, das war für meine Freundin keine Option, weil sie für ihren Job ständig zwischen London und Berlin pendelt. Ihr Kind will sie immer bei sich haben. »Das hätte einem liebenden Vater, der nicht mein Partner ist und einen festen Wohnort hat, nur wehgetan. Für solche Dramen habe ich keine Nerven. Und erst recht nicht für einen Sorgerechtsstreit.« Fest binden möchte sie sich im Moment nicht. An männlichem Einfluss wird es dem Baby meiner Freundin im Übrigen nicht mangeln. »Ich plane, einen älteren Herrn als Nanny einzustellen«, erzählte sie mir kürzlich. Zudem möchte sie zwei ihrer Freunde – ein entzückendes schwules Pärchen aus Paris – zu Patenonkeln machen.

Klar, man kann darüber streiten, wie cool es ist, ein Kind in die Welt zu setzen, ohne dass dort ein Vater auf es wartet. Natürlich sind Kinder mit zwei Elternteilen nicht automatisch glücklicher. Sowieso gibt es immer weniger stabile Ehen, Beziehungen werden kürzer, viele Kinder sehen neue Partnerinnen und Partner der Elternteile kommen und gehen. Bleibt noch die Frage, ob meine Freundin ihrem Kind irgendwann die Wahrheit über seine Entstehung erzählen wird. In Dänemark gibt es zu diesen Themen jedenfalls bereits unzählige Kinderbücher mit Titeln wie Wo ist Karlas Papa?.

Natürlich hat jede Frau das Recht, mit ihrem Körper das zu tun, was sie für richtig hält. Es ist sicherlich eine große Erleichterung für viele, von dem Druck befreit zu sein, bis zu einem bestimmten Alter den richtigen Partner gefunden haben zu müssen, und sich stattdessen ganz in Ruhe, allein und komplett selbstbestimmt den Kinderwunsch zu erfüllen. Interessant für alle Beteiligten: Seit Juli 2017 gilt das neue Gesetz zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen – so der vollständige sperrige Name. Es ermöglicht Menschen, die aus Samenspenden hervorgingen, beim zentralen Samenspenderregister Auskunft über ihren »Erzeuger« einzuholen. Die Daten von Samenspendern und Empfängerinnen in Zusammenhang mit einer ärztlich unterstützten künstlichen Befruchtung werden dort für 110 Jahre gespeichert.

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