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Das Schlimmste sind die Trinkpausen!

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J ana hat uns anlässlich ihres Junggesellinnenabschieds nach Barcelona abkommandiert! Drei Tage, ein Apartment, null Trinkpausen. So lautete der Plan. Wer jetzt die Augen verdreht, dem kann ich direkt mal den Wind aus den Segeln nehmen, denn eine neue wissenschaftliche Studie besagt: »Intelligent people drink more alcohol than stupid people.« Um es gleich vorwegzunehmen: Ja, wir haben uns danebenbenommen. Ja, wir sind jetzt alle tätowiert. Und ja: Es war eins der besten Wochenenden unseres Lebens.

Gleich am Flughafen tankten wir die erste Runde Prosecco. Eine Kellnerin, so um die sechzig, musterte unsere Braut sehr lange von oben bis unten, dann grummelte sie: »Na ja. Versuchen kann man’s ja. Ich habe vier Ehemänner überlebt. Keiner von denen hat es geschafft, mich zu befriedigen.« Motivierend!

30 Prozent unserer Truppe mussten sich übergeben. Allerdings nicht wegen übermäßigen Alkoholkonsums – sondern bloß wegen des starken Wellengangs, der uns auf der eigens gemieteten Segelyacht zusetzte.

Bargeld? Überflüssig. Egal, welche Bar wir betraten – Verehrer und Charmeure ließen nicht lange auf sich warten und spendierten uns alles, was wir wollten (und nicht wollten).

Zum Abendbrot gönnten wir uns einen Burger namens »Schmeckt wie die Muschi deiner Mutter« in Barcelonas angesagtester Rockkneipe. Als Absacker gab’s die Spezialität des Hauses: Panthermilch, ein weißer, dickflüssiger Schnaps – spendiert von einem Mann, der unter seinem rechten Ohr den Schriftzug »Death« eintätowiert hatte. Angeblich eine Widmung an seine Ex-Frau. Merke: Nicht jede Ehe verläuft glimpflich …

Und wir? Haben jede Menge erlebt und mehr oder weniger gut überstanden.

Zum Beispiel hatten wir einen JGA im JGA, denn: Eine von uns verlobte sich spontan mit einem Franzosen namens Nazih (kein Scherz, der arme Mann hieß wirklich so) aus dem Apartment nebenan. Zwar hielt ihre Liebe nur für einen, äh, Nachmittag. Aber dafür war sie intensiver, als so manche Ehe es jemals sein wird.

Ebenfalls sehr besonders: Wir haben uns nicht nur tätowieren, sondern uns sogar alle das gleiche Tattoo stechen lassen. Und finden es heute (nüchtern) immer noch gut.

Wir haben Barcelona im Regen erlebt – und es war uns egal.

Die Muddis unter uns haben das ganze Wochenende kein einziges Wort über Windeln und Co. verloren. Respekt!

Das Schlimmste ist, wenn das Bier alle ist – so lautet der Titel des mit Abstand romantischsten Songs, der jemals geschrieben wurde. Punkt.

Die Feierwütigste unter uns wollte nachts um 4.00 Uhr unbedingt noch einen Tequila in der Eckkneipe namens Frankfurt schlürfen – aber blöderweise hörte später niemand mehr die Klingel. Egal! Sie übernachtete einfach bei der spanischen Familie nebenan. Behauptete sie zumindest …

Zum Frühstück an Tag zwei gab es hart gekochte Eier, Sekt – und Eduardo. Für 170 Euro zeigte er unserer Braut ALLES. Seine Solariumbräune hatte dieselbe Nuance wie das Nutella, das ihm unsere Braut vom Hintern lecken durfte. »Endlich mal wieder ’n richtiger Penis«, rutschte es gar einer von uns heraus. Und eine andere rief der Braut tolldreist zu: »Genieß es, das ist das letzte fremde Glied, das du in deinem Leben sehen wirst!« Darauf die Braut bloß trocken: »Das glaubst aber auch nur du.« Fazit: Selten 170 Euro so gut angelegt. Doch als Eduardo nach getaner Arbeit plötzlich anfing, über Gefühle zu reden, mussten wir ihn leider rauswerfen.

Als unsere Männer zu Hause von den Einzelheiten der Sause erfuhren, zeigten sie sich schockiert, und der Bräutigam fürchtete gar, unseren JGA mit seinen Jungs – allesamt knallharte Metalheads – nicht toppen zu können. Gibt’s ein schöneres Kompliment?!


Nach dem »Wunder von Barca« fielen wir alle in ein tiefes Loch, denn es war kein weiterer JGA in Sicht. Eine überlegte schon, ihren Ex zu einer Zweckheirat zu nötigen – bloß damit wir wieder einen Grund hatten, zusammen wegzufahren. Bis uns eines Tages die Erkenntnis traf: Wir können uns auch ohne Hochzeit im Ausland danebenbenehmen. Indem wir einen JGA reloaded veranstalten! Die Geburtsstunde einer Jahrtausendidee. Sogleich machten sich die Mütter unter uns an die Verhandlungen mit ihren Männern. An welchem langen Wochenende würden sie ihnen für welche Gegenleistung freigeben? Auch musste den Herren erst mal erklärt werden, was frau auf einem JGA reloaded überhaupt feiert. Dabei versteht sich das nun wirklich von selbst: unsere Unabhängigkeit, Trinkfestigkeit, die Liebe an und für sich, denn immerhin hielt die Ehe unserer Braut nun schon ein Jahr! (Davon kann Miley Cyrus bloß träumen.) Und natürlich: unsere Freundschaft.

Erst kürzlich ergab eine Umfrage des Instituts Allensbach, dass 85 Prozent der Deutschen gute Freunde als das Wichtigste im Leben ansehen. Erst danach wurden Familie und Partnerschaft genannt.9 »Das wesentliche Merkmal der Freundschaft ist Autonomie. […]Zwei Naturen also, die zueinandergehören nicht wegen äußerlicher Definitionen, Familie oder Sexualität, sondern aus ihrer Essenz heraus«, so beschrieb es der Journalist Alard von Kittlitz. Liebesbeziehungen seien aufgeladen »mit gesellschaftlichen Werten, Definitionen, Praktiken – Monogamie zum Beispiel. Die Sexualität spielt eine Rolle, oft sogar Politik: Ehe, eingetragene Partnerschaft, Gütergemeinschaft, Sorgerecht.« Freundschaft sei »eine seltsame Form unerzwungener Verbindlichkeit, vertragsloser Sicherheit«.10 Kittlitz schreibt weiter, dass Aristoteles in der Nikomachischen Ethik drei Arten der Freundschaft beschreibe: die um des Vergnügens willen (Partyfreunde), die um des Nutzens willen (Kollegen) und die um der Freundschaft willen. Von diesen ließ er nur die letzte, nämlich die gänzlich zweckfreie Herzensfreundschaft, wirklich gelten.

Unser JGA reloaded war eine Mischung aus allen drei Formen. Selbstredend stand unser Vergnügen an oberster Stelle. Einen Nutzen wollten wir ebenfalls ziehen: Das Hotelzimmer war billiger, wenn wir teilten. Und als Freundinnen liebten wir uns seit Jahrzehnten ohnehin bedingungslos.

Im Spaßexpress nach Tschechien trafen wir unsere Zukunft: Rita, 52, war mit ihren »Mädels« in Dresden verabredet, wo sie abends in einem Studentenclub zu den Klängen einer »Schdoooons-Coffabäänd richtig geil abrocken« wollten, »wie früher als junge Dinger«. Mittlerweile seien die meisten von ihnen nämlich entweder geschieden oder verwitwet, »aber immer noch total wild auf Party«. Sozusagen der lebendige Beweis für die Candace-Bushnell-Theorie (siehe > ): Wenn du die Dreißiger erst mal hinter dir hast, wird es so richtig witzig.

In Prags Altstadt wimmelte es vor gut gelaunten Frauengruppen jeden Alters. Die Jungs wirkten häufig etwas mitgenommen. Angesichts der niedrigen Bierpreise legten viele eine ähnliche Maßlosigkeit an den Tag wie fettleibige Briten am All-inclusive-Büfett eines Dreisternehotels in El Arenal. Infolgedessen traf man die Herren der Schöpfung meist grölend, lallend oder schlafend an. Kann halt nicht jeder drei Tage durchfeiern, ohne negativ aufzufallen. Wir schon, weil wir folgende Grundregeln beachteten:

 Die Gruppe darf sich NIEMALS trennen.

 Die Kontaktaufnahme zu stark alkoholisierten männlichen Tourigruppen ist untersagt. Regionale »Kost« erhält den Vorzug.

 Etwaige Flirt- oder Sexpartner müssen von der absoluten Mehrheit der Gruppe bestätigt werden.

 Kultur? Nein danke. Es reicht, wenn ihr in Prag das Kafka-Museum, die Karlsburg und das Museum für Sexmaschinen von außen betrachtet. Konzentriert euch aufs Wesentliche: guten Mojito.

 Nüchtern nach 15.00 Uhr? Verboten! Und: Trinkt eine, trinken alle. Denn das Schlimmste sind (immer noch) die Trinkpausen.

 Seid offen für regionale Spezialitäten. Auch wenn es sich um Baumkuchen mit Smarties und Speck handelt oder um Schnaps namens Becherovka, der dich vergessen lässt, wie du heißt. Runter damit!

 Aktivitäten zu Wasser fördern den Zusammenhalt. Etwa wenn man mit dem Tretboot in Form eines Schwans abtreibt und von der oberkörperfreien Wasserschutzpolizei zu einer Geldstrafe verdonnert wird – wegen Alkohol am Steuer.

 Dresden, Bamberg und Co. sind auch schön? Mag sein, aber deutsche Städte als Ziel für einen JGA reloaded sind erst ab 60 erlaubt. Dann könnt ihr euch bei Kaffee und Kuchen an euren jugendlichen Eskapaden mit Pavel, Carlos und Julio ergötzen, während zu Hause Hermann, Manfred und Ralf auf euch warten.

 Eine Freundin möchte nächstes Jahr unbedingt mit euch verreisen? Bloß nicht voreilig zusagen! Wer eurem eingeschworenen Mikrokosmos beiwohnen möchte, muss ein Casting durchlaufen. Am besten trefft ihr euch auf ein Kennenlernweinchen und lasst den Abend überraschend eskalieren. Nun gilt es zu beobachten, wie die Testperson sich verhält. Punktet sie mit derben Sprüchen, irren Aktionen, Trinkfestigkeit und gibt auch gerne mal einen aus? Dann könnte es klappen. Bleibt die Frage, ob sie ein ganzes Wochenende lang mit euch durchhält …

 Alberne Gesetze dürfen gebrochen werden. (»Herr Oberwachtmeister, ich schwöre, ich wollte den Pinguin später wirklich wieder zurückgeben!«)

 Kalkuliert mit ein, dass ihr nach eurem Trip optisch um zehn Jahre gealtert sein werdet. Eure Seelen aber werden sich so jung und vital wie nie fühlen!

Angesichts unserer jüngsten Sause fand ich es umso erstaunlicher, was die Freizeit-Monitor-2019-Studie belegte: Die Deutschen haben Genuss verlernt und auch immer weniger Sex. Stattdessen starren alle nonstop aufs Smartphone oder springen von einer Aktivität in die nächste, um nichts zu verpassen und Content für Instagram zu sammeln.11 »Viele Frauen denken heute, sie müssten jeden Moment sinnvoll und produktiv nutzen, das Beste aus sich herausholen und auch gleich noch auf Instagram präsentieren«, sagt Coach Verena Krone, die Familien dabei hilft, ein gesünderes Leben zu führen.12 Ihre Klientinnen sind zum Großteil Mütter, die unter dem Druck stehen, Kind und Karriere zu vereinbaren. Stillstand wird in unserer gesundheitsfixierten, auf Selbstoptimierung getrimmten Gesellschaft nicht mehr geduldet. Die perfekte Businessmama backt morgens vor der Arbeit noch schnell eine glutenfreie Peanutbutter-Schoko-Torte für den Schulbasar, bevor sie im Büro den begehrten Pitch gewinnt und abends in den Bauch-Beine-Po-Kurs oder zum Lippenaufspritzen rennt, um auch ja schön fuckable zu bleiben.

Und was machen die Männer? Wenn man ehrlich ist: oft gar nicht so viel. Viele meiner männlichen Freunde sind vollkommen im Reinen mit sich, obwohl sie weder eine heiße Freundin noch eine Karriere vorzuweisen haben. Erfolg? Prestige? Anstrengende Liebschaften? Eventuelle Talente unbedingt noch vor dem 30. Lebensjahr in Kapital verwandeln? Och nö, muss nicht sein. Mehr als ein Feierabendbierchen mit den WG-Kollegen brauchen sie nicht, um zufrieden zu sein. Solange der Grasdealer pünktlich liefert, fallen natürlich auch potenzielle Enttäuschungen unter den Tisch. Und wie durch ein Wunder nagt ihr Lifestyle auch gar nicht so sehr an ihrer Selbstachtung, wie ich es oft bei Frauen im selben Alter beobachte. Dem ganzen Selbstoptimierungswahn zeigen sie auf diese Weise (erst mal) den Fuckfinger.

Gut möglich, dass der Stress bei den Jungs dann mit 40 losgeht. Durch ihre deutlich langsamer tickende biologische Uhr verteilt sich ihre Rushhour des Lebens ganz gemütlich auf mehrere Jahrzehnte. Bernie Ecclestone zum Beispiel ist mit 89 noch mal Vater geworden. Für den Ex-Formel-1-Boss ist es das vierte Kind, seine Frau wurde mit 41 zum ersten Mal Mutter. Ecclestone möchte noch mehr Kinder. Auch Richard Gere ist mit 70 erneut Vater geworden. Hugh Grant geht die Sache mit der Familienplanung ebenfalls entspannt an. Seit 2011 schwängerte er immer abwechselnd und teilweise sogar gleichzeitig verschiedene Frauen. Zuerst brachte Tinglan Hong, Angestellte in einem chinesischen Restaurant in London, seine Tochter zur Welt. 15 Monate später folgte Sohn Felix. Fast parallel gebar die schwedische TV-Produzentin Anna Eberstein den kleinen Hugh John Mungo. Liiert war Grant mit keiner der Frauen. »Ich bin etwas skeptisch, was eine langjährige, monogame Beziehung betrifft. Ich bin mir nicht sicher, ob das für uns menschliche Wesen natürlich ist. Ich nehme an, wir tun das eher aufgrund kultureller oder sozialer Erwartungen. Ich frage mich, ob das ein Rezept fürs Glücklichsein ist oder ob die Menschen glücklicher wären, wenn sie weniger reglementiert wären, was die Beziehungen zueinander betrifft.«13

Da müsste man wohl auch einmal die Kindesmütter fragen …

Ihr könnt mich mal so nehmen, wie ich bin

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